Sachverhalt
Die Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen, Kantonales Untersuchungsamt, Abteilung Cybercrime, führt eine Strafuntersuchung gegen A. wegen des Vorwurfes des (versuchten) unbefugten Eindringens in ein Datenverarbeitungssystem. Am 30. November 2021 liess die Staatsanwaltschaft eine Hausdurchsuchung am Arbeitsplatz des Beschuldigten bei der B. AG (nachfolgend: Gesellschaft) und in einem Personenwagen durchführen. Dabei wurden diverse Unterlagen, zwei Mobiltelefone, ein Notebook, eine digitale Festplatte und vier USB-Sticks sichergestellt. Im Anschluss an die Hausdurchsuchung fand eine Einvernahme des Beschuldigten statt. Mit Schreiben vom 3. Dezember 2021 zeigten die Rechtsvertreter des Beschuldigten und der mitbetroffenen Gesellschaft der Staatsanwaltschaft ihre Mandate an und verlangten (je für ihre Mandantschaft) die Siegelung sämtlicher anlässlich der Hausdurchsuchung sichergestellten Aufzeichnungen und Gegenstände. Am 13. Dezember 2021 stellte die Staatsanwaltschaft beim zuständigen Zwangsmassnahmengericht das Entsiegelungsgesuch.
Mit Entscheid vom 8. Juli 2022 wies das Zwangsmassnahmengericht des Kantons St. Gallen, Zwangsmassnahmenrichter (ZMG), das Entsiegelungsgesuch ab.
Weiterzug ans Bundesgericht
Gegen den Entscheid des ZMG gelangte die Staatsanwaltschaft mit Beschwerde vom 4. August 2022 an das Bundesgericht. Sie beantragt die Aufhebung des angefochtenen Entscheides und die Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zur Neubeurteilung, mit der Anweisung, dass die versiegelten Gegenstände zu triagieren bzw. zu entsiegeln seien.
Der Beschuldigte (am 30. September 2022 innert erstreckter Frist), die mitbetroffene Gesellschaft und die Vorinstanz verzichteten je auf eine Stellungnahme.
Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 1B_410/2022 vom 27. März 2023
Die Beschwerdeführerin macht vor Bundesgericht Folgendes geltend: Die Vorinstanz habe die Entsiegelungsvoraussetzungen des hinreichenden Tatverdachtes und der Beweiseignung der gesiegelten Aufzeichnungen und Gegenstände bejaht. Bei dieser Sachlage hätte das ZMG die gesiegelten Asservate triagieren und allfällige geheimnisgeschützte Aufzeichnungen aussondern müssen. Die Vorinstanz habe dies unterlassen und das Entsiegelungsgesuch abgewiesen, ohne ihr Vorgehen zu begründen. Zwar hätten der Beschuldigte und die mitbetroffene Gesellschaft im Entsiegelungsverfahren „gewisse Geheimhaltungsinteressen aufgeführt und auch pauschal Dateipfade“; sie hätten jedoch keine konkreten Dateien genannt, auf denen sich von einem Geschäftsgeheimnis geschützte Informationen befinden könnten. Die privaten Verfahrensbeteiligten treffe eine prozessuale Obliegenheit, die von ihnen angerufenen Geheimnisinteressen ausreichend zu substanziieren. Das ZMG hätte die Siegelungsberechtigten daher einladen müssen, solche substanziierten Angaben zu machen. Soweit ausreichende Hinweise auf schutzwürdige Geheimnisinteressen erfolgt wären, hätte die Vorinstanz eine Triage durchführen müssen, zu der sie nötigenfalls eine sachverständige Person hätte beiziehen können. Bei einem gesetzeskonformen Vorgehen falle auch die Verhältnismässigkeitsprüfung zu Gunsten des Strafverfolgungsinteresses aus, zumal keine milderen Untersuchungsmassnahmen zur weiteren Klärung des vorliegenden Tatverdachtes ersichtlich seien und die Beweiserhebung nur zu einem geringfügigen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen führe. Die Vorinstanz verletze mit ihrem Vorgehen Bundesrecht, insbesondere verneine sie zu Unrecht (in Verletzung von Art. 5 BV) die Verhältnismässigkeit der Zwangsmassnahme. (E.2)
Das Bundesgericht äussert sich zunächst allgemein wie folgt im Urteil 1B_410/2022 vom 27. März 2023:
«Aufzeichnungen und Gegenstände, die nach Angaben der Inhaberin oder des Inhabers wegen eines Aussage- oder Zeugnisverweigerungsrechts oder aus anderen Gründen nicht durchsucht oder beschlagnahmt werden dürfen, sind zu versiegeln und dürfen von den Strafbehörden weder eingesehen noch verwendet werden. Im Untersuchungsverfahren prüft das ZMG auf Entsiegelungsgesuch der Staatsanwaltschaft hin, ob die gesetzlichen Entsiegelungsvoraussetzungen erfüllt sind (Art. 248 Abs. 1-2 und Abs. 3 lit. a StPO). Strafprozessuale Zwangsmassnahmen setzen voraus, dass der damit verbundene Eingriff in die Grundrechte verhältnismässig ist. Sie können nur ergriffen werden, wenn die damit angestrebten Ziele nicht durch mildere Massnahmen erreicht werden können und die Bedeutung der untersuchten Straftat die Zwangsmassnahme rechtfertigt (Art. 197 Abs. 1 lit. c und lit. d StPO). Entsiegelungen und Durchsuchungen, welche in die Grundrechte nicht beschuldigter Personen eingreifen, sind besonders zurückhaltend einzusetzen (Art. 197 Abs. 2 StPO).
Bei Beschwerden, die gestützt auf die verfassungsmässigen Individualrechte wegen strafprozessualen Zwangsmassnahmen erhoben werden, prüft das Bundesgericht im Hinblick auf die Schwere des Eingriffes die Auslegung und Anwendung der StPO frei. Art. 98 BGG gelangt hier nicht zur Anwendung (vgl. BGE 143 IV 316 E. 3.3; 330 E. 2.1; je mit Hinweisen). Soweit jedoch reine Sachverhaltsfragen und damit Fragen der Beweiswürdigung zu beurteilen sind, greift das Bundesgericht nur ein, wenn die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz offensichtlich unrichtig sind oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruhen (Art. 97 Abs. 1 i.V.m. Art. 105 Abs. 2 BGG; vgl. BGE 143 IV 316 E. 3.3; 330 E. 2.1; je mit Hinweis).» (E.3.1)
Als nächstes betrachtete das Bundesgericht das vorgeworfene Strafdelikt: Die Vorinstanz bejaht den Tatverdacht des versuchten unbefugten Eindringens in ein Datenverarbeitungssystem (Art. 143bis StGB). Nach Art. 143bis StGB wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft, wer auf dem Wege von Datenübertragungseinrichtungen unbefugterweise in ein fremdes, gegen seinen Zugriff besonders gesichertes Datenverarbeitungssystem eindringt (Abs. 1). Der gleichen Strafdrohung unterliegt (als Offizialdelikt), wer Passwörter, Programme oder andere Daten, von denen er weiss oder annehmen muss, dass sie zur Begehung einer strafbaren Handlung gemäss Absatz 1 verwendet werden sollen, in Verkehr bringt oder zugänglich macht (Abs. 2). Bei vollendetem unbefugtem Eindringen in das angegriffene Datenverarbeitungssystem (Art. 143bis Abs. 1 StGB) handelt es sich um ein Antragsdelikt und Vergehen, das mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft wird. Führt der Täter, nachdem er mit der Ausführung des Vergehens begonnen hat, die strafbare Tätigkeit nicht zu Ende oder tritt der zur Vollendung der Tat gehörende Erfolg nicht ein oder kann dieser nicht eintreten, so kann das Gericht die Strafe mildern (Art. 22 Abs. 1 StGB). Führt der Täter aus eigenem Antrieb die strafbare Tätigkeit nicht zu Ende oder trägt er dazu bei, die Vollendung der Tat zu verhindern, so kann das Gericht die Strafe ebenfalls mildern oder von einer Bestrafung absehen (Art. 23 Abs. 1 StGB). Mildert das Gericht die Strafe, so ist es nicht an die angedrohte Mindeststrafe gebunden (Art. 48a Abs. 1 StGB). Das Gericht kann auf eine andere als die angedrohte Strafart erkennen, ist aber an das gesetzliche Höchst- und Mindestmass der Strafart gebunden (Art. 48a Abs. 2 StGB). (E.3.2 ff.).
Das Bundesgericht kommt im Urteil 1B_410/2022 vom 27. März 2023 – auch wegen der Berücksichtigung des vorgeworfenen Strafdelikts – zur Schlussfolgerung:
«Bei der untersuchten Straftat handelt es sich in diesem Sinne um ein minder schweres Vergehen und um ein Antragsdelikt. Dies ist im Lichte von Art. 197 Abs. 1 lit. d StPO mitzuberücksichtigen. Aus den Erwägungen der Vorinstanz lässt sich sodann entnehmen, dass bereits diverse Beweismittel erhoben werden konnten, die auf einen Tatverdacht hinweisen (vgl. angefochtener Entscheid, E. 3, S. 5-9). Die Staatsanwaltschaft vermag auch die Erwägung der Vorinstanz (E. 5 S. 12) nicht zu entkräften, dass die Strafanzeigerin selbst zur Aufklärung des Sachverhaltes etwas beitragen könnte bzw. dass bei ihr geeignete Datenträger ediert und Organe oder Angestellte befragt werden könnten. Diese Gesichtspunkte fallen in Anwendung von Art. 197 Abs. 1 lit. c StPO ins Gewicht. Die Staatsanwaltschaft räumt weiter ein, dass die private Verfahrensbeteiligte Geschäftsgeheimnisse als betroffen angerufen und diesbezüglich zumindest gewisse „Dateipfade“ bezeichnet hat. Ausserdem ergibt sich aus den Akten, dass weder die Verfahrensbeteiligte noch ihre Gesellschaftsorgane selber förmlich mitbeschuldigt sind (vgl. Art. 197 Abs. 2 StPO).
Die Staatsanwaltschaft stört sich primär daran, dass das ZMG die Verhältnismässigkeit der Zwangsmassnahme verneint hat, ohne zuvor eine Triage der Asservate (im Hinblick auf ausreichend substanziierte Geheimnisinteressen) durchgeführt zu haben. Dabei übersieht sie, dass die Verhältnismässigkeit der streitigen Zwangsmassnahme (Entsiegelung und Freigabe zur Durchsuchung) eine selbstständige Entsiegelungsvoraussetzung darstellt. Wenn diesbezüglich bereits ein gesetzliches Zwangsmassnahmenhindernis für alle gesiegelten Asservate zu bejahen ist (Art. 197 Abs. 1-2 StPO), musste das ZMG von Bundesrechts wegen nicht zusätzlich eine Triage vornehmen und prüfen, ob noch weitere Entsiegelungshindernisse für einzelne Aufzeichnungen vorliegen könnten, indem diese zusätzlich einem spezifischen Geheimnisschutz unterlägen (Art. 248 Abs. 1 i.V.m. Art. 264 Abs. 1 lit. b und Abs. 3 StPO).
Bei gesamthafter Betrachtung aller relevanten Umstände hat die Vorinstanz kein Bundesrecht verletzt, wenn sie die Verhältnismässigkeit der streitigen Zwangsmassnahme (im Sinne von Art. 197 Abs. 1 lit. c-d und Abs. 2 StPO) verneint und die Entsiegelung deshalb verweigert hat. Dabei stand dem ZMG ein gewisser Ermessensspielraum zu, den es hier nicht überschritten hat.» (E.3.5)