Voreingenommene Grundhaltung als Ausstandsgrund

Im Urteil 7B_122/2022, 7B_123/2022, 7B_124/2022, 7B_126/2022 vom 12. Februar 2024 aus dem Kanton Basel-Landschaft geht es um Ausstandsbegehren, u.a. auch gegen einen Leitenden Staatsanwalt. Das Bundesgericht äussert sich ausführlich allgemein zum Thema Ausstand (E.4). Zu Staatsanwälten äussert es sich u.a. wie folgt: «Fehlerhafte Verfügungen und Verfahrenshandlungen des Staatsanwalts begründen für sich noch keinen Anschein der Voreingenommenheit. Anders verhält es sich nur, wenn nach objektiver Betrachtung besonders krasse oder ungewöhnlich häufige Fehlleistungen vorliegen, welche bei gesamthafter Würdigung eine schwere Verletzung der Amtspflichten darstellen und sich einseitig zulasten einer der Prozessparteien auswirken.» (E.4.a.E.). Die Beschwerdeführer machen verschiedene Rügen geltend, welche sehr lesenswert sind (E.6). Das Bundesgericht gab den Beschwerdeführern im Sinne einer Gesamtbetrachtung dann auch recht und bejahte die Ausstandspflicht: ««Inwiefern die vorgenannten Vorfälle als eigentliche Verfahrensfehler zu betrachten sind, kann vorliegend dahingestellt bleiben. Jedenfalls ist den Beschwerdeführern insoweit zuzustimmen, als die Vorgehensweise des Beschwerdegegners in ihrer Gesamtheit geeignet ist, den Eindruck zu erwecken, er erschwere in rechtlich fragwürdiger und unlauterer Weise die Verteidigung und offenbare damit eine ihnen gegenüber voreingenommene Grundhaltung […]. Unbeachtlich ist diesbezüglich, ob eine solche Erschwerung der Verteidigung vom Beschwerdeführer tatsächlich beabsichtigt war oder nicht, ist doch bereits der Anschein von Befangenheit für die Annahme eines Ausstandsgrunds ausreichend (statt vieler BGE 149 I 14 E. 5.3.2). Mit der Feststellung, es liege kein Ausstandsgrund im Sinne von Art. 56 lit. f StPO vor, verletzt die Vorinstanz Bundesrecht und die Beschwerden sind begründet. Damit erübrigt es sich, sich mit den angeblich zahlreichen weiteren Verfehlungen des Beschwerdegegners auseinanderzusetzen, die ihm von den Beschwerdeführern vorgeworfen werden.» (E.6.5).

Sachverhalt

Die Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft, Hauptabteilung BM/OK (Betäubungsmittel/Organisierte Kriminalität), führt gegen C., D., B. und A. ein grösseres Strafverfahren wegen des Verdachts der qualifizierten Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz. Das Verfahren wird von Staatsanwalt E. geführt. Gegen diesen reichten am 31. Oktober 2019 C., am 7. November 2019 B. und am 8. November 2019 D. je ein Ausstandsbegehren ein. Am 4. November 2019 beantragte auch A. den Ausstand von E. und zusätzlich den Ausstand weiterer Personen, namentlich des Leitenden Staatsanwalts Urs Geier sowie von Enrico Rosa, Gerichtspräsident an der Abteilung Strafrecht des Kantonsgerichts Basel-Landschaft.

Instanzenzug

Mit Beschluss vom 2. April 2020 wies das Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Strafrecht, in ausserordentlicher Besetzung das Ausstandsgesuch von A. gegen Enrico Rosa ab, soweit es darauf eintrat. Mit jeweils gesonderten Beschlüssen vom 21. April 2020 wies es sodann in ordentlicher Besetzung die Ausstandsgesuche von C., B. und A. gegen E. ab und trat im Falle von A. auf dasjenige gegen Urs Geier sowie auf das Gesuch von D. nicht ein. Die gegen die Beschlüsse vom 21. April 2020 erhobenen Beschwerden von C. (Verfahren 1B_266/2020), D. (Verfahren 1B_270/2020) und B. (Verfahren 1B_276/2020) hiess das Bundesgericht mit Urteil vom 22. Dezember 2020 gut und wies die Sache an die Vorinstanz zurück zum neuen Entscheid im Sinne der Erwägungen. Mit einem weiteren Urteil vom 22. Dezember 2020 wies das Bundesgericht die von A. gegen den Beschluss vom 2. April 2020 (Verfahren 1B_248/2020) erhobene Beschwerde ab. Seine Beschwerde gegen den Beschluss vom 21. April 2020 (Verfahren 1B_246/2020) hiess es teilweise gut und wies die Sache ebenfalls an die Vorinstanz zurück zum neuen Entscheid im Sinne der Erwägungen.

Mit vier gesonderten Beschlüssen vom 28. September 2021 wies das Kantonsgericht Basel Landschaft, Abteilung Strafrecht, die gegen Staatsanwalt E. gerichteten Ausstandsbegehren erneut ab.

Weiterzug ans Bundesgericht

Gegen die vier Beschlüsse vom 28. September 2021 erheben A. (Beschwerdeführer 1; Verfahren 7B_122/2022) und D. (Beschwerdeführer 2; Verfahren 7B_126/2022) mit Eingaben vom 25. Februar 2022 sowie B. (Beschwerdeführer 3; Verfahren 7B_123/2022) und C. (Beschwerdeführer 4; Verfahren 7B_124/2022) mit Eingaben vom 28. Februar 2022 erneut Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht. Sie beantragen übereinstimmend, den sie betreffenden Beschluss vom 28. September 2021 aufzuheben und über den Beschwerdegegner den Ausstand anzuordnen. Darüber hinaus stellen sie zahlreiche weitere Anträge, auf welche im Rahmen der Erwägungen, soweit erforderlich, gesondert einzugehen ist. Sowohl der Beschwerdegegner als auch die Vorinstanz haben in sämtlichen der genannten Verfahren die Abweisung der Beschwerden beantragt, im Übrigen aber unter Verweis auf die angefochtenen Beschlüsse, die Beschlüsse des Kantonsgerichts vom 21. April 2020 sowie die Verfahrensakten auf eine Vernehmlassung verzichtet. Am 26. Mai 2023 respektive 30. Mai 2023 reichten die Beschwerdeführer in den Verfahren 7B_122/2022 respektive 7B_124/2022 jeweils eine unaufgeforderte zusätzliche Stellungnahme ein. Mit Eingabe vom 11. September 2023 reichte der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers im Verfahren 7B_123/2022 seine Honorarnote ein.

Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 7B_122/2022, 7B_123/2022, 7B_124/2022, 7B_126/2022 vom 12. Februar 2024 

Zum Thema Ausstand äussert sich das Bundesgericht generell-abstrakt, auch bezüglich Staatsanwaltschaften, wie folgt:

«Die Ausstandsgründe für die in einer Strafbehörde tätigen Personen sind in Art. 56 StPO geregelt. Zu den Strafbehörden gehören neben den Gerichten (Art. 13 StPO) die Strafverfolgungsbehörden, darunter die Staatsanwaltschaft (Art. 12 lit. b StPO). Von den in Art. 56 lit. a-e StPO geregelten besonderen Ausstandsgründen abgesehen (persönliches Interesse an der Strafsache, Vorbefassung in anderer Stellung, persönliche Beziehung zu den Parteien usw.) tritt in den Ausstand, wer aus anderen Gründen, insbesondere wegen Freundschaft oder Feindschaft mit einer Partei oder deren Rechtsbeistand, befangen sein könnte (Art. 56 lit. f StPO). Bei der Bestimmung von Art. 56 lit. f StPO handelt es sich um eine Generalklausel, welche alle Ausstandsgründe erfasst, die in Art. 56 lit. a-e StPO nicht ausdrücklich vorgesehen sind. Sie entspricht Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK. Danach hat jede Person Anspruch darauf, dass ihre Sache von einem unparteiischen, unvoreingenommenen und unbefangenen Richter ohne Einwirken sachfremder Umstände entschieden wird. Die Rechtsprechung nimmt Voreingenommenheit und Befangenheit an, wenn Umstände vorliegen, die bei objektiver Betrachtung geeignet sind, Misstrauen in die Unparteilichkeit des Richters zu erwecken. Solche Umstände können namentlich in einem bestimmten Verhalten des Richters begründet sein. Dabei ist nicht auf das subjektive Empfinden einer Partei abzustellen. Das Misstrauen in die Unvoreingenommenheit muss vielmehr in objektiver Weise begründet erscheinen. Es genügt, wenn Umstände vorliegen, die bei objektiver Betrachtung den Anschein der Befangenheit und Voreingenommenheit erwecken. Für die Ablehnung ist nicht erforderlich, dass der Richter tatsächlich befangen ist. Zwar darf der Gehalt von Art. 30 Abs. 1 BV nicht unbesehen auf nicht richterliche Behörden übertragen werden, deren Ausstandspflicht sich nach Art. 29 Abs. 1 BV beurteilt. Hinsichtlich der Unparteilichkeit des Staatsanwalts im Vorverfahren im Sinne von Unabhängigkeit und Unbefangenheit kommt Art. 29 Abs. 1 BV allerdings ein mit Art. 30 Abs. 1 BV weitgehend übereinstimmender Gehalt zu. Gemäss Art. 61 lit. a StPO leitet die Staatsanwaltschaft das Verfahren bis zur Anklageerhebung. Die Staatsanwaltschaft gewährleistet insoweit eine gesetzmässige und geordnete Durchführung des Verfahrens (Art. 62 Abs. 1 StPO). Sie untersucht die belastenden und entlastenden Umstände mit gleicher Sorgfalt (Art. 6 Abs. 2 StPO). Zwar verfügt sie bei ihren Ermittlungen über eine gewisse Freiheit. Sie ist jedoch zu Zurückhaltung verpflichtet. Sie hat sich jeden unlauteren Vorgehens zu enthalten und sowohl die belastenden als auch die entlastenden Umstände zu untersuchen. Sie darf keine Partei zum Nachteil einer anderen bevorteilen. Auch ein Staatsanwalt kann daher abgelehnt werden, wenn Umstände vorliegen, die objektiv geeignet sind, den Anschein der Befangenheit zu erwecken (BGE 141 IV 178 E. 3.2.2; 138 IV 142 E. 2.1 und 2.2). 

Fehlerhafte Verfügungen und Verfahrenshandlungen des Staatsanwalts begründen für sich noch keinen Anschein der Voreingenommenheit. Anders verhält es sich nur, wenn nach objektiver Betrachtung besonders krasse oder ungewöhnlich häufige Fehlleistungen vorliegen, welche bei gesamthafter Würdigung eine schwere Verletzung der Amtspflichten darstellen und sich einseitig zulasten einer der Prozessparteien auswirken. Das Ausstandsverfahren dient nicht dazu, den Parteien zu ermöglichen, die Art der Verfahrensführung und namentlich die von der Verfahrensleitung getroffenen Zwischenentscheide anzufechten. Diesbezüglich sind primär die zur Verfügung stehenden Rechtsmittel gegen beanstandete Verfahrenshandlungen auszuschöpfen (BGE 143 IV 69 E. 3.2; 141 IV 178 E. 3.2.3; 138 IV 142 E. 2.3; Urteil 7B_118/2022 vom 24. August 2023 E. 4).» (E.4).

Das Bundesgericht hat sich bereits mit zwei Urteilen vom 22. Dezember 2020 mit den Ausstandsgesuchen der Beschwerdeführer auseinandergesetzt und die Sache zum neuen Entscheid im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen, wie es bemerkt (E.5).  Dessen ungeachtet hat die Vorinstanz, wie das Bundesgericht erklärt, trotz anscheinend vorgängig erfolgter Verfahrensvereinigung mittels selbständiger Zwischenverfügung, vier eigenständige Beschlüsse erlassen, in welchen sie in Bezug auf jeden Beschwerdeführer lediglich die diesen unmittelbar betreffenden angeblichen Fehlleistungen des Beschwerdegegners berücksichtigt. Die Beschwerdeführer rügen daher zu Recht, fährt das Bundesgericht fort, die Vorinstanz habe es unterlassen, die vom Bundesgericht verbindlich angeordnete Gesamtwürdigung aller geltend gemachter Ausstandsgründe vorzunehmen. In Nachachtung der bereits ergangenen Urteile vom 22. Dezember 2020 ist diese Gesamtwürdigung nachfolgend gestützt auf den für das Bundesgericht von der Vorinstanz grundsätzlich verbindlich festgestellten Sachverhalt (vgl. Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG) vorzunehmen (E.5.3).

Fallbezogen geht es nun wie folgt im Urteil 7B_122/2022, 7B_123/2022, 7B_124/2022, 7B_126/2022 vom 12. Februar 2024 weiter:

Die Beschwerdeführer rügen vor Bundesgericht in grundsätzlicher Hinsicht, der Beschwerdegegner erschwere als die Untersuchung führender Staatsanwalt in rechtlich fragwürdiger Weise die Verteidigung, was eine ihnen gegenüber voreingenommene Grundhaltung offenbaren lasse und damit einen Ausstandsgrund im Sinne von Art. 56 lit. f StPO darstelle (E.6).

Die Beschwerdeführer machen folgende Rügen geltend. Da das die Strafverteidigung sehr interessieren dürfte, werden die Rügen nachfolgend im Detail ungekürzt wieder gegeben:

«Die Beschwerdeführer sehen zunächst darin eine unzulässige Beschränkung ihrer Teilnahmerechte, dass die Rechtsvertreter der Beschwerdeführer 1 und 3 bei der Einvernahme des Beschwerdeführers 2 vom 13. November 2019 in einem Nebenraum platziert und der Einvernahme daher nur per (angeblich unverständlicher) Video- und Audioübertragung hätten folgen können.  Die Vorinstanz zitiert diesbezüglich einerseits aus einem Schreiben des Beschwerdegegners an den Beschwerdeführer 1 vom 14. November 2019, wonach „die Räumlichkeiten […] nicht nur beschränkt verfügbar sind, sondern nicht immer eine ausreichende Grösse haben“. Andererseits zitiert sie aus einer Stellungnahme der Polizei vom 26. November 2019, wonach die Qualität der akustischen Übertragung vorgängig getestet und in der Einvernahme gut hörbar gewesen sei. Lediglich die Übertragung von Audiogesprächen habe sich nicht als optimal herausgestellt. Gestützt auf diese Schriftstücke gelangt die Vorinstanz zum Schluss, dass „allfällige technische Probleme anlässlich der Einvernahme […] klarerweise nicht zum Zweck hatten, die Verfahrensrechte des Gesuchstellers zu beschneiden“. Der Beschwerdeführer 1 rügt diesbezüglich zu Recht, die Vorinstanz stelle mit ihrer Annahme, die Versetzung in einen Nebenraum sei aufgrund beschränkter Platzverhältnisse erforderlich gewesen, den Sachverhalt willkürlich fest: In der von der Vorinstanz nur unvollständig wiedergegebenen Stellungnahme der Polizei vom 26. November 2019 hielt letztere ausdrücklich fest, in Absprache mit der Staatsanwaltschaft sei vereinbart worden, dass die teilnahmeberechtigten Personen separat in einem Nebenraum platziert würden. Zu den Gründen hierfür wurde weiter ausgeführt: „Die Überlegung dazu war neben einer Ressourcen- und Platzfrage (Einvernahmeräume), auch die, damit die Einvernahme in ruhiger Weise durchgeführt werden kann“. Schliesslich wurde in der Stellungnahme ausdrücklich darauf hingewiesen, dass „von vereinzelten Anwälten gezielt versucht [werde] die Einvernahmen zu stören, um den Polizisten aus dem Konzept zu bringen“. 

Damit ist zugleich gesagt, dass die Staatsanwaltschaft das Recht auf (die grundsätzlich unmittelbare) Teilnahme an der Beweisabnahme nach Art. 147 Abs. 1 StPO ohne Offenlegung der hierfür tatsächlich massgebenden Gründe (angeblich missbräuchliches Verhalten der Rechtsvertreter der Beschwerdeführer) einschränkte. Ob die von der Polizei erhobenen Vorwürfe eine Einschränkung der Teilnahmerechte erlauben würden, braucht vorliegend nicht geprüft zu werden. Mangels Kenntnis der Beschwerdeführer der Vorwürfe wurde ein wirksamer Rechtsschutz dagegen und gegen die damit einhergehenden Einschränkungen ihrer Teilnahmerechte vereitelt. Ein solches Vorgehen des Beschwerdegegners widerspricht dem Grundsatz von Treu und Glauben, zu deren Achtung die Strafbehörden verpflichtet sind (Art. 3 Abs. 2 lit. a StPO).» (E.6.1).

«Der Beschwerdeführer 1 bringt weiter vor, der Beschwerdegegner habe hartnäckig versucht, die Einsetzung seines vormaligen Wahlverteidigers als (neuen) amtlichen Verteidiger zu verhindern. Soweit die Vorinstanz diesbezüglich auf ihre gesonderten Beschlüsse vom 12. Juni 2018 (Abweisung des Gesuchs um Wechsel der amtlichen Verteidigung) und 12. November 2018 (Abweisung einer Rechtsverweigerungsbeschwerde) verweist, ist darauf nicht zurückzukommen (siehe E. 5 hiervor).  

Der Beschwerdeführer 1 weist (in anderem Zusammenhang) indessen auf einen von der Vorinstanz nicht beachteten Vorfall hin, der sich zu einem Zeitpunkt ereignete, als der heutige amtliche Verteidiger des Beschwerdeführers 1 als Wahlverteidiger mandatiert und das amtliche Mandat des früheren amtlichen Verteidigers sistiert war. Aus den Vorakten ergibt sich diesbezüglich, dass der Beschwerdegegner als Reaktion auf ein Haftentlassungsgesuch des Beschwerdeführers 1 die Durchführung einer kurzfristig anberaumten Einvernahme anordnete. Nachdem der damalige Wahlverteidiger des Beschwerdeführers 1 an den beiden zur Verfügung stehenden Terminen nicht verfügbar war, wurde mittels Verfügung vom 23. März 2018 die Sistierung der amtlichen Verteidigung (einzig und alleine) zum Zweck der Durchführung der geplanten Einvernahme aufgehoben, letztere (ohne Mitwirkung des Wahlverteidigers) durchgeführt und die amtliche Verteidigung unmittelbar hiernach wieder sistiert. Inwiefern ein solches Vorgehen mit dem Anspruch auf Vertretung durch eine Wahlverteidigung (Art. 129 Abs. 1 StPO) zu vereinbaren ist, braucht vorliegend nicht abschliessend geklärt zu werden. In Anbetracht des Umstands, dass dem damaligen Wahlverteidiger in diesem Zusammenhang weder eine mutwillige Verfahrensverschleppung noch sonstwie ein rechtsmissbräuchliches Verhalten vorgeworfen wurde, erscheint die vom Beschwerdegegner gewählte Vorgehensweise – die einzig mit der Notwendigkeit der Durchführung einer Einvernahme im Vorfeld der durch das Zwangsmassnahmengericht angesetzten Haftverhandlung begründet wurde – zumindest als fragwürdig.» (E.6.2).

«Die Beschwerdeführer 2 und 4 sehen eine weitere unzulässige Einschränkung ihrer Verfahrensrechte darin, dass ihnen auf Anweisung des Beschwerdegegners der telefonische Kontakt zu ihren jeweiligen Verteidigern im Rahmen der Untersuchungshaft (und entgegen der jeweils geltenden Vorschriften ihrer Haftanstalt) untersagt worden sei.  Die Vorinstanz hat diesbezüglich insbesondere ausgeführt, das „prinzipielle Verbot von Telefonaten, namentlich auch mit der Verteidigung“, erweise sich als „grundsätzlich erforderlich und geeignet“, da es insbesondere dem Gefängnispersonal nicht möglich sei, zu überprüfen, ob der Gesuchsteller tatsächlich (nur) mit seinem Verteidiger telefoniere oder nicht. Auch diesbezüglich kann letztlich offenbleiben, inwiefern die gerügte Vorgehensweise des Beschwerdegegners mit dem Anspruch der Beschwerdeführer auf freien Kontakt mit ihrer Verteidigung (Art. 235 Abs. 4 StPO) vereinbar ist (vgl. zu dieser Frage GFELLER/BIGLER/BONIN, Untersuchungshaft, 2017, Rz. 902; SCHMID/JOSITSCH, Schweizerische Strafprozessordnung, Praxiskommentar, 4. Aufl. 2023, N. 6 zu Art. 235 StPO). Im von der Vorinstanz teilweise zitierten amtlichen Bericht des Leiters des Untersuchungsgefängnisses des Beschwerdeführers 4 wird betreffend die Vorgehensweise des Beschwerdegegners jedenfalls festgehalten, diese sei „etwas speziell, aber nicht gänzlich ungewöhnlich erschienen“. Angesichts des Umstands, dass den Verteidigern der Beschwerdeführer – soweit ersichtlich – zu keinem Zeitpunkt ein missbräuchliches Verhalten vorgeworfen wurde, ist auch dies im Rahmen der Gesamtwürdigung angemessen zu berücksichtigen.» (E.6.3).

«Die Beschwerdeführer werfen dem Beschwerdegegner schliesslich insoweit eine systematische Missachtung ihrer Teilnahmerechte vor, als die Einvernahmetermine ihnen jeweils nur sehr kurzfristig und ohne jegliche Terminabsprache mit ihren Verteidigern mitgeteilt und (auch begründete) Verschiebungsgesuche systematisch abgewiesen worden seien.  Die Vorinstanz bezeichnet diese Vorgehensweise nicht nur als „im Ergebnis gesetzeskonform“, sondern hält zugleich fest, dass diesbezüglich „kein fragwürdiges Verhalten im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung“ vorliege und der Vorwurf daher nicht tauglich erscheine, den Anschein von Befangenheit zu begründen. Die Beschwerdeführer weisen zu Recht darauf hin, dass die Vorinstanz selbst in ihrem ersten Beschluss vom 21. Februar 2020 noch festgehalten hatte, es stehe „ausser Frage, dass es nicht der üblichen Praxis entspricht, ohne spezifischen Grund (wie z.B. Anzeichen auf Verschleppung des Verfahrens) von vornherein auf jegliche Rücksprache zu verzichten“, und weiter ausgeführt hatte, das Kantonsgericht teile „die (apodiktische) Auffassung des Gesuchsgegners, wonach aus organisatorischen Gründen eine Terminabsprache mit den übrigen Beschuldigten und ihren Verteidigern als unmöglich erscheine, in dieser Form nicht“ (a.a.O., E. 3.2.c). Zwar ist richtig, dass dieses Verhalten für sich allein nicht einen Ausstandsgrund im Sinne von Art. 56 lit. f. StPO zu begründen vermag, doch ist es bei der Gesamtwürdigung des Verhaltens des Beschwerdegegners ebenfalls mit einzubeziehen (vgl. Urteil 1B_266/2020 vom 22. Dezember 2020 E. 4.3).» (E.6.4).

Das Bundesgericht kommt dann im Urteil 7B_122/2022, 7B_123/2022, 7B_124/2022, 7B_126/2022 vom 12. Februar 2024 zur Schlussfolgerung:

«Inwiefern die vorgenannten Vorfälle als eigentliche Verfahrensfehler zu betrachten sind, kann vorliegend dahingestellt bleiben. Jedenfalls ist den Beschwerdeführern insoweit zuzustimmen, als die Vorgehensweise des Beschwerdegegners in ihrer Gesamtheit geeignet ist, den Eindruck zu erwecken, er erschwere in rechtlich fragwürdiger und unlauterer Weise die Verteidigung und offenbare damit eine ihnen gegenüber voreingenommene Grundhaltung (siehe E. 4 hiervor). Unbeachtlich ist diesbezüglich, ob eine solche Erschwerung der Verteidigung vom Beschwerdeführer tatsächlich beabsichtigt war oder nicht, ist doch bereits der Anschein von Befangenheit für die Annahme eines Ausstandsgrunds ausreichend (statt vieler BGE 149 I 14 E. 5.3.2). Mit der Feststellung, es liege kein Ausstandsgrund im Sinne von Art. 56 lit. f StPO vor, verletzt die Vorinstanz Bundesrecht und die Beschwerden sind begründet. Damit erübrigt es sich, sich mit den angeblich zahlreichen weiteren Verfehlungen des Beschwerdegegners auseinanderzusetzen, die ihm von den Beschwerdeführern vorgeworfen werden.» (E.6.5).

Das Bundesgericht heisst die Beschwerden gut, soweit es auf diese eintritt. Die angefochtenen Beschlüsse sind aufzuheben und die Streitsache an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit diese den Beschwerdegegner in den Ausstand versetzt und, soweit sie hierfür zuständig ist und über die Folgen der Verletzung der Ausstandsvorschriften gemäss Art. 60 StPO befindet. (E.7).

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