Straftatbestand «Verschwindenlassen» von Art. 185bis StGB
Der Wortlaut von Art. 185bis StGB lautet wie folgt:
Verschwindenlassen Art. 185bis
1 Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer in der Absicht, eine Person für längere Zeit dem Schutz des Gesetzes zu entziehen:
a. im Auftrag oder mit Billigung eines Staates oder einer politischen Organisation der Person die Freiheit entzieht, wobei in der Folge die Auskunft über ihr Schicksal oder ihren Verbleib verweigert wird; oder
b. im Auftrag eines Staates oder einer politischen Organisation oder entgegen einer Rechtspflicht die Auskunft über das Schicksal oder den Verbleib dieser Person verweigert.
2 Strafbar ist auch, wer die Tat im Ausland begangen hat, sich in der Schweiz befindet und nicht ausgeliefert wird. Artikel 7 Absätze 4 und 5 ist anwendbar.
Geschichte von Art. 185bis StGB
Mit der Botschaft zur Genehmigung und zur Umsetzung des Internationalen Übereinkommens zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen (BBl 2014 453) wurde die Genehmigung des Internationalen Übereinkommens der Vereinten Nationen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen beantragt. Das Übereinkommen verfolgt das Ziel, die schwere Menschenrechtsverletzung des Verschwindenlassens umfassend zu bekämpfen. Die Vorlage enthielt zusätzlich die für die Umsetzung des Übereinkommens notwendigen gesetzlichen Bestimmungen.
Weltweit lassen Regierungen unliebsame Personen «verschwinden». Allein der UNO wurden in den letzten 20 Jahren weltweit über 50’000 Fälle von mutmasslichem Verschwindenlassen gemeldet. Tausende dieser Fälle sind nach wie vor ungeklärt, und die Angehörigen leiden unter der Ungewissheit über den Verbleib der verschwundenen Personen. Auch in der Schweiz leben Angehörige von Menschen, die im Ausland Opfer eines Verschwindenlassens wurden. Mit dem Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. Dezember 2006 zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen nahm sich erstmals ein international verbindliches Vertragswerk dieser Thematik an. Das Übereinkommen versteht unter «Verschwindenlassen» jeden Freiheitsentzug, der durch Vertreter oder mit Billigung eines Staates geschieht und gefolgt ist von der Weigerung, den Freiheitsentzug anzuerkennen sowie den Aufenthaltsort der betroffenen Person bekannt zu geben.
Mit dieser Vorlage wurde die Genehmigung des Internationalen Übereinkommens zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen beantragt. Das Übereinkommen hat zum Ziel, dieses schwerwiegende Verbrechen zu bekämpfen und konsequent zu verfolgen.
Dieses Anliegen entspricht der Überzeugung der Schweiz. Die Schweiz hat daher aktiv an der Ausarbeitung des Übereinkommens mitgewirkt und dieses am 19. Januar 2011 unterzeichnet. Die Schweizer Rechtsordnung wird dem Übereinkommen in weiten Teilen bereits gerecht. Für die innerstaatliche Umsetzung waren aber in einzelnen Bereichen Gesetzesänderungen notwendig, die ebenfalls Gegenstand dieser Vorlage waren. Im Zentrum stand dabei zum einen die Schaffung eines neuen Tatbestands, der das Verschwindenlassen als eigenständiges Delikt unter Strafe stellt. Zum andern sollten die gesetzliche Grundlage für die Errichtung eines Netzwerks zwischen Bund und Kantonen geschaffen werden, welches das rasche Auffinden von Personen in einem Freiheitsentzug ermöglicht. Von einem zentralen Register wurde hingegen abgesehen.
Bundesbeschluss vom 18. Dezember 2015
Durch den Bundesbeschluss über die Genehmigung und die Umsetzung des Internationalen Übereinkommens zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen vom 18. Dezember 2015 wurde dann Art. 185bis StGB sowie einige weitere Revisionen des StGB und der StPO auf dem 1. Januar 2017 in Kraft gesetzt (AS 2016 4687).
Geschützte Rechtsgüter
Der Tatbestand von Art. 185bis StGB schützt zwei Rechtsgüter. Einerseits die Fortbewegungsfreiheit der betreffenden bzw. verschollenen Person und andererseits ihre Stellung als Rechtssubjekt gegenüber dem Staat (PK StGB-Pieth, Art. 185bis StGB N 5 m.w.H.).