Verletzung des Beschleunigungsgebots von Art. 5 StPO

Im Urteil 7B_454/2023 vom 27. März 2024 aus dem Kanton Basel-Landschaft befasste sich das Bundesgericht mit der Strafzumessung. Dabei ging es einerseits um die erhöhte Strafempfindlichkeit und andererseits und vor allem um die Verletzung des Beschleunigungsgebots von Art. 5 StPO. Bezüglich der Verletzung des Beschleunigungsgebots äusserte sich das Bundesgericht u.a. wie folgt: «Das Beschleunigungsgebot ist nur verletzt, wenn eine von der Strafbehörde zu verantwortende krasse Zeitlücke zu Tage tritt. Dafür genügt es nicht, dass diese oder jene Handlung etwas rascher hätte vorgenommen werden können. Einer Verletzung des Beschleunigungsgebots kann mit einer Strafreduktion, einer Strafbefreiung bei gleichzeitiger Schuldigsprechung oder in extremen Fällen als ultima ratio mit einer Verfahrenseinstellung Rechnung getragen werden […]» (E.3.1.3). Das Bundesgericht bejahte in diesem Fall die Verletzung des Beschleunigungsgebots: «Dies ist nicht zuletzt mit Blick auf Art. 84 Abs. 4 StPO, welcher die Ausfertigung des Urteils grundsätzlich innert 60, höchstens 90 Tagen verlangt, nicht nachvollziehbar. Zwar handelt es sich dabei um eine Ordnungsvorschrift. Das massive Überschreiten dieser Fristen im vorliegenden Fall ist indessen nicht zu rechtfertigen und geradezu stossend. So hat das Bundesgericht bereits eine Begründungsfrist von 8 Monaten als massiv zu lang und Verstoss gegen das Beschleunigungsgebot bezeichnet […]. Dies muss erst Recht für eine Dauer von zwei Jahren gelten. Das erstinstanzliche Verfahren insgesamt dauerte zudem über 4 Jahre […], was ebenfalls zu lang ist.» (E.3.3.2).

Sachverhalt

Am 15. November 2019 verurteilte das Strafgericht Basel-Landschaft A. wegen gewerbsmässigen Betrugs und einfachen Betrugs zu 4 Jahren Freiheitsstrafe.

Instanzenzug

Auf Berufung von A. sowie Anschlussberufung der Staatsanwaltschaft bestätigte das Kantonsgericht Basel-Landschaft das erstinstanzliche Urteil am 10. Juni 2022 im Schuldpunkt, sprach aber eine Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 4 Monaten sowie eine bedingte Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu Fr. 30.– aus.

Weiterzug ans Bundesgericht

Mit Beschwerde in Strafsachen vor Bundesgericht beantragt A., er sei freizusprechen, eventualiter sei die Sache zur Anordnung eines gerichtlichen Obergutachtens und neuer Entscheidung an das Kantonsgericht zurückzuweisen. Subeventualiter sei die Strafe zu reduzieren. Er ersucht um unentgeltliche Rechtspflege.

Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 7B_454/2023 vom 27. März 2024 

Hier wird nicht auf sämtliche Rügen eingegangen (vgl. E.2).

Der Beschwerdeführer kritisiert vor Bundesgericht auch die Strafzumessung (E.3).

Das Bundesgericht nimmt im Urteil 7B_454/2023 vom 27. März 2024 zur Strafzumessung allgemein wie folgt Stellung:

«Das Gericht misst die Strafe nach dem Verschulden des Täters zu. Es berücksichtigt das Vorleben, die persönlichen Verhältnisse sowie die Wirkung der Strafe auf das Leben des Täters (Art. 47 Abs. 1 StGB). Die Bewertung des Verschuldens richtet sich gemäss Art. 47 Abs. 2 StGB nach der Schwere der Verletzung oder der Gefährdung des betroffenen Rechtsguts, nach der Verwerflichkeit des Handelns, den Beweggründen und Zielen des Täters sowie danach, wie weit der Täter nach den inneren und äusseren Umständen in der Lage war, die Gefährdung oder Verletzung zu vermeiden.  

Das Bundesgericht hat die Grundsätze der Strafzumessung wiederholt dargelegt (BGE 136 IV 55 E. 5.4 ff. mit Hinweisen). Darauf kann verwiesen werden. Es liegt im Ermessen des Sachgerichts, in welchem Umfang es den verschiedenen Strafzumessungsfaktoren Rechnung trägt. Das Bundesgericht schreitet nur ein, wenn das Gericht sein Ermessen überschritten oder missbraucht und damit Bundesrecht verletzt hat. Dem Sachgericht steht ein erheblicher Ermessensspielraum zu, in den das Bundesgericht nur mit Zurückhaltung eingreift (BGE 144 IV 313 E. 1.2; 141 IV 61 E. 6.1.1). Das Sachgericht hat die für die Strafzumessung erheblichen Umstände und deren Gewichtung festzuhalten und seine Überlegungen in den Grundzügen wiederzugeben, sodass die Strafzumessung nachvollziehbar ist (Art. 50 StGB).» (E.3.1).

«Eine erhöhte Strafempfindlichkeit ist nur bei aussergewöhnlichen Umständen zu berücksichtigten. Die Strafempfindlichkeit des Täters infolge gesundheitlicher Probleme fällt als strafmindernder Faktor namentlich nur in Betracht, wenn Abweichungen vom Grundsatz einer einheitlichen Leidempfindlichkeit geboten sind, d.h., wenn der Betroffene besonders empfindlich ist. Dies ist etwa der Fall bei Gehirnverletzungen, Schwerkranken oder Taubstummen oder unter Haftpsychose Leidender (Urteile 6B_664/2023 vom 5. Oktober 2023 E. 4.3; 6B_82/2018 vom 25. September 2018 E. 4.6.3; 6B_744/2012 vom 9. April 2013 E. 3.3; je mit Hinweisen). Die Verbüssung einer Freiheitsstrafe ist stets mit einer gewissen Härte verbunden. Es müssen Umstände vorliegen, welche über das hinausgehen, was als unvermeidbare Konsequenz einer freiheitsentziehenden Sanktion gilt (Urteil 6B_774/2020 vom 28. Juli 2021 E. 3.3.4 mit Hinweisen).» (E.3.2).

Zum Beschleunigungsgebot von Art. 5 StPO nimmt das Bundesgericht im Urteil 7B_454/2023 vom 27. März 2024 wie folgt Stellung:

«Gemäss Art. 5 Abs. 1 StPO nehmen die Strafbehörden die Strafverfahren unverzüglich an die Hand und bringen sie ohne unbegründete Verzögerung zum Abschluss. Das Beschleunigungsgebot verpflichtet die Strafbehörden, Verfahren voranzutreiben, um die beschuldigte Person nicht unnötig über die gegen sie erhobenen Vorwürfe im Ungewissen zu lassen. Die Beurteilung der angemessenen Verfahrensdauer entzieht sich starren Regeln, hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab, die in ihrer Gesamtheit zu würdigen sind (BGE 143 IV 49 E. 1.8.2, 373 E. 1.3.1; 133 IV 158 E. 8).  Kriterien für die Angemessenheit der Verfahrensdauer sind etwa die Schwere des Tatvorwurfs, die Komplexität des Sachverhalts, die gebotenen Untersuchungshandlungen, die Schwierigkeit und Dringlichkeit der Sache, das Verhalten der Behörden und dasjenige der beschuldigten Person sowie die Zumutbarkeit für diese (BGE 143 IV 373 E. 1.3.1; 130 I 269 E. 3.1). Soweit das Verfahren aus Gründen der Arbeitslast und wegen faktischer und prozessualer Schwierigkeiten zu unumgänglichen Verfahrensunterbrüchen führt, ist dies für sich allein nicht zu beanstanden, solange der Stillstand nicht als stossend erscheint. Das Beschleunigungsgebot ist nur verletzt, wenn eine von der Strafbehörde zu verantwortende krasse Zeitlücke zu Tage tritt. Dafür genügt es nicht, dass diese oder jene Handlung etwas rascher hätte vorgenommen werden können. Einer Verletzung des Beschleunigungsgebots kann mit einer Strafreduktion, einer Strafbefreiung bei gleichzeitiger Schuldigsprechung oder in extremen Fällen als ultima ratio mit einer Verfahrenseinstellung Rechnung getragen werden (BGE 143 IV 373 E. 1.4.1; 135 IV 12 E. 3.6).» (E.3.1.3).

Das Bundesgericht äussert sich bezüglich der Strafzumessung und der Verletzung des Beschleunigungsgebots im konkreten Fall im Urteil 7B_454/2023 vom 27. März 2024 wie folgt:

«Nicht gefolgt werden kann der Vorinstanz demgegenüber, wenn sie eine Verletzung des Beschleunigungsgebots verneint. Es ist unbestritten, dass das Verfahren mit 8 Jahren sehr lange gedauert hat. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz ist zudem sehr wohl eine krasse Zeitlücke auszumachen. So vergingen zwischen dem erstinstanzlichen Entscheid und dessen Begründung augenscheinlich zwei Jahre. Gemäss Vorinstanz datiert das erstinstanzliche Urteil von November 2019, dessen Begründung folgte im November 2021. Dies ist nicht zuletzt mit Blick auf Art. 84 Abs. 4 StPO, welcher die Ausfertigung des Urteils grundsätzlich innert 60, höchstens 90 Tagen verlangt, nicht nachvollziehbar. Zwar handelt es sich dabei um eine Ordnungsvorschrift. Das massive Überschreiten dieser Fristen im vorliegenden Fall ist indessen nicht zu rechtfertigen und geradezu stossend. So hat das Bundesgericht bereits eine Begründungsfrist von 8 Monaten als massiv zu lang und Verstoss gegen das Beschleunigungsgebot bezeichnet (vgl. Urteil 6B_682/2023 vom 18. Oktober 2023 E. 3.2.2). Dies muss erst Recht für eine Dauer von zwei Jahren gelten. Das erstinstanzliche Verfahren insgesamt dauerte zudem über 4 Jahre (Anklageerhebung: 14. März 2018; begründetes Urteil: 2. November 2022), was ebenfalls zu lang ist. Dies gilt, unbesehen der Notwendigkeit medizinischer Abklärungen – was im Übrigen nicht aussergewöhnlich ist -, auch für die gesamte Verfahrensdauer von 8 Jahren. Eine besondere Komplexität des Falles ist, insbesondere in rechtlicher Hinsicht, nicht anzunehmen. Der Verletzung des Beschleunigungsgebots ist strafmindernd Rechnung zu tragen.» (E.3.3.2 a.A.).

Bezüglich der Berücksichtigung der Strafempfindlichkeit äussert sich das Bundesgericht im Urteil 7B_454/2023 vom 27. März 2024 alsdann noch wie folgt:

«Nicht zu beanstanden ist demgegenüber, dass die Vorinstanz eine bloss leicht erhöhte Strafempfindlichkeit infolge der aktuellen Diagnose annimmt. Sie berücksichtigt dies mit einer Strafreduktion um fünf Monate angemessen. Damit trägt die Vorinstanz dem Umstand Rechnung, dass die Verschlechterung des Gesundheitszustands des Beschwerdeführers eng mit dem Strafverfahren resp. mit Stresssituationen im Allgemeinen korreliert. Der Strafvollzug stellt zweifelsohne eine Stresssituation dar. Gemäss dem Experten Dr. med. B._ ist die unter dem Einfluss des Strafverfahrens resp. unter Stress präsentierte Verschlechterung der Symptomatik plausibel (oben E. 1.2.3 und E. 1.3.2). Es liegen somit medizinisch erklärbare Faktoren vor, welche auf eine besondere Leidempfindlichkeit des Beschwerdeführers hinweisen und die über das hinausgehen, was als unvermeidbare Konsequenz einer freiheitsentziehenden Sanktion gilt (oben E. 2.1.2). An der Angemessenheit der vorinstanzlichen Strafreduktion ändert nichts, dass sich der Beschwerdeführer nach eigenen Angaben zwischen 2015 und 2021 aufgrund seines Gesundheitszustandes viermal in einen stationären Aufenthalt begeben musste und dass zufolge der behandelnden Ärzte eine hohe Suizidgefahr bestehen soll. Für das Bundesgericht besteht kein Anlass, in das Ermessen der Vorinstanz einzugreifen.» (E.3.3.2 a.E).

Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut, hebt das angefochtene Urteil auf und weist die Sache an Vorinstanz zur neuen Strafzumessung zurück (E.4).

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