Verletzung der Sorgfaltspflicht von Art. 12 lit. a BGFA durch amtlichen Verteidiger

Im Urteil 2C_84/2023 vom 13. Februar 2024 aus dem Kanton Zürich ging es um die «Mandatsniederlegung» bzw. ursprüngliche Weigerung eines amtlichen Verteidigers, dem Klienten dass Urteil des Obergerichts zu erläutern. Es kam dann zur Anzeige des Anwalts bei der Aufsichtskommission über die Anwältinnen und Anwälte durch den Präsidenten der II. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich. Das Bundesgericht äusserte sich in diesem Urteil auch eingehend über die Sorgfaltspflichten des amtlichen Verteidigers, u.a. wie folgt: «In Bezug auf die Aufklärungs- und Benachrichtigungspflicht unterlag der Beschwerdeführer als amtlicher Verteidiger den gleichen Anforderungen an die Sorgfalt wie ein privat mandatierter Rechtsvertreter […]. Nach Kenntnisnahme des obergerichtlichen Urteils hätte er seinen Klienten umgehend über die Möglichkeiten, Risiken und Chancen eines Weiterzugs aufklären müssen. Diese Pflicht bestand allgemein und insbesondere im Hinblick auf die im Raum stehenden strafrechtlichen Vorwürfe gegen den Klienten. Angesichts der laufenden Rechtsmittelfrist hätte die Aufklärung des Klienten zudem zeitnah geschehen müssen. Der Beschwerdeführer sah jedoch zunächst von einer Besprechung ab. Wie die Vorinstanz zutreffend erwog, hätte der Beschwerdeführer, um von seinen Pflichten als amtlicher Verteidiger befreit zu werden, die Verfahrensleitung um Entlassung ersuchen müssen (vgl. Art. 134 Abs. 2 StPO). Er war nicht berechtigt, das Mandat einseitig niederzulegen. […]. Vielmehr ist dem Schreiben zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer offenbar aus Unzufriedenheit über die Entschädigung seiner Aufwendungen für das Verfahren nicht für eine Urteilserläuterung zur Verfügung stehen wollte. Dieses Verhalten verletzt mit Blick auf die im damaligen Zeitpunkt laufende Rechtsmittelfrist die Interessen des Klienten und verstösst gegen das Gebot des sorgfältigen Handelns nach Art. 12 lit. a BGFA.» (E.5.3).

Sachverhalt

Rechtsanwalt A. vertrat als amtlicher Verteidiger einen Beschuldigten in einem Strafberufungsverfahren betreffend vorsätzliche Tötung und weitere Delikte vor dem Obergericht des Kantons Zürich (Verfahren SB180454-O). Mit Schreiben vom 17. März 2020 leitete Rechtsanwalt A. seinem Klienten das Berufungsurteil des Obergerichts weiter und wies ihn darauf hin, dass die Frist für eine Beschwerde an das Bundesgericht am 4. Mai 2020 ablaufen werde. Zudem führte er in diesem Schreiben Folgendes aus: „Leider sehe ich mich nicht in der Lage, Sie zu besuchen, um das Urteil mit Ihnen zu besprechen bzw. Ihnen das Urteil zu erläutern. Wie Sie den Ausführungen auf S. 48 sowie der Dispositivziffer 13 des Urteils entnehmen können, wurden unsere, in guten Treuen, mit Blick etwa auf EMRK Art. 6 Ziff. 1 sowie Ziff. 3 lit. b und c gemachten Aufwendungen – grossmehrheitlich zu Unrecht – massiv und bis zur Unkenntlichkeit gekürzt. Nachdem ich, jedenfalls in Ihrem Fall, bereits mehrere tausend Franken abschreiben muss, wären weitere Leistungen meinerseits, wie nur schon dieses Schreiben, gratis zu erbringen. Sie werden verstehen, dass ich dazu weder bereit noch in der Lage bin, arbeitet unsere Anwaltskanzlei doch – anders als die Gerichte – nach kaufmännischen Grundsätzen. Es steht lhnen selbstverständlich offen, beim Verfahrensleiter Dr. B. einen neuen amtlichen Verteidiger ausschliesslich für die Besprechung und Erläuterung des Urteils sowie die Prüfung der Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels zu beantragen. […] Ich bedauere, Ihnen keinen besseren Bescheid geben zu können, aber meine Arbeit endet hier.“

Der Verfahrensleiter des Berufungsverfahrens forderte nach Kenntnisnahme dieses Schreibens Rechtsanwalt A. mit Schreiben vom 31. März 2020 auf, unverzüglich seine Pflichten als amtlicher Verteidiger zu erfüllen, zu denen selbstredend auch die Besprechung und Erläuterung des Urteils gehöre, andernfalls er ihn bei der Aufsichtskommission verzeigen würde. Daraufhin erkundigte sich Rechtsanwalt A. mit Brief vom 15. April 2020 bei seinem Klienten nach Erläuterungsbedarf.

Instanzenzug

Am 15. Mai 2020 verzeigte der Präsident der II. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich Rechtsanwalt A. bei der Aufsichtskommission über die Anwältinnen und Anwälte, weil er seinen Pflichten als amtlicher Verteidiger im Berufungsverfahren betreffend vorsätzliche Tötung und weitere Delikte trotz schriftlicher Aufforderung nicht nachgekommen sei.

Am 5. November 2020 eröffnete die Aufsichtskommission ein Verfahren und bestrafte Rechtsanwalt A. mit Beschluss vom 2. Dezember 2021 wegen Verletzung der Berufsregeln im Sinne von Art. 12 lit. a des Bundesgesetzes vom 23. Juni 2000 über die Freizügigkeit der Anwältinnen und Anwälte (BGFA; SR 935.61) mit einer Busse von Fr. 2’000.–.

Am 31. Januar 2022 erhob Rechtsanwalt A. Beschwerde an das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich und beantragte, den Beschluss der Aufsichtskommission vom 2. Dezember 2021 aufzuheben und festzustellen, dass er nicht gegen die Berufsregeln im Sinne von Art. 12 lit. a BGFA verstossen habe. In prozessualer Hinsicht beantragte er eine öffentliche Verhandlung, die Einvernahme von Zeugen sowie den Beizug von Akten aus dem Strafverfahren. Am 12. Juli 2022 erklärte Rechtsanwalt A. Verzicht auf eine öffentliche Verhandlung und erneuerte seinen Beweisantrag auf eine Parteibefragung. Das Verwaltungsgericht wies die Beschwerde mit Urteil vom 24. November 2022 ab.

Weiterzug ans Bundesgericht

Mit elektronischer Eingabe vom 1. Februar 2023 erhebt Rechtsanwalt A. Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht und beantragt, das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 24. November 2022 sei aufzuheben und es sei festzustellen, dass er sich keine Verletzung der Berufsregeln zuschulden kommen lassen habe. Eventualiter sei die Sache zur Durchführung eines korrekten Verfahrens und zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen, subeventualiter sei er in Bestätigung des Urteils mit einer Verwarnung zu sanktionieren. Prozessual beantragt er, die Akten des vorinstanzlichen Verfahrens (VB.2022.00061) sowie die Akten des Berufungsverfahrens vor Obergericht Zürich (SB180454-O) beizuziehen und einen zweiten Schriftenwechsel anzuordnen.

Die Aufsichtskommission und das Verwaltungsgericht verzichteten auf eine Vernehmlassung.

Das Bundesgericht holte die Akten des vorinstanzlichen Verfahrens ein, nicht jedoch die Akten des obergerichtlichen Berufungsverfahrens SB180454-O. Ein zweiter Schriftenwechsel wurde nicht durchgeführt.

Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 2C_84/2023 vom 13. Februar 2024  

Zum Feststellungsbegehren

Das Bundesgericht äusserte sich im Urteil 2C_84/2023 vom 13. Februar 2024 einleitend zum Feststellungsbegehren:

«Soweit der Beschwerdeführer beantragt, es sei festzustellen, dass er sich keine Verletzung der Berufsregeln zuschulden kommen lassen habe, handelt es sich um ein Feststellungsbegehren. Solche sind im bundesgerichtlichen Verfahren zulässig, sofern an der Feststellung ein schutzwürdiges Interesse besteht und dieses nicht ebenso gut mit einem Leistungs- oder Gestaltungsbegehren gewahrt werden kann (Urteile 2C_985/2020 vom 5. November 2021 E. 1.2 und 2C_933/2018 vom 25. März 2019 E. 1.3; vgl. BGE 129 III 503 E. 3.6). Der vom Beschwerdeführer gestellte Antrag auf Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils würde im Falle einer Gutheissung zum Schluss führen, dass der Beschwerdeführer nicht wegen Verletzung der Berufsregeln zu sanktionieren ist. Die Beschwerdeschrift enthält keine Ausführungen zu einem darüber hinausgehenden Feststellungsinteresse, welches nicht bereits mit der Aufhebung des angefochtenen Urteils befriedigt werden könnte. Auf das Feststellungsbegehren ist deshalb nicht einzutreten.» (E.2.1).

Zu EMRK-Rügen

Der Beschwerdeführer rügt vor Bundesgericht zunächst eine Verletzung mehrerer Verfahrensrechte im Zusammenhang mit der Feststellung des Sachverhalts. Er bringt vor, die Vorinstanz habe seine Rechte auf Beweis und auf rechtliches Gehör sowie die verfassungs- und konventionsrechtlichen Garantien nach Art. 6 Ziff. 1 EMRK und Art. 29 BV verletzt, indem sie ihr Urteil ohne Kenntnis der vollständigen Verfahrensakten und ohne Durchführung eines kontradiktorischen Verfahrens mit ordentlicher, gebotener und überdies beantragter Beweisabnahme gefällt habe. Dadurch habe die Vorinstanz den Sachverhalt falsch festgestellt und gewürdigt (E.3). Die Rügen des Beschwerdeführers sind erachtet das Bundesgericht, nach eingehender Prüfung, als unbegründet, soweit er eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör rügt. Der vorinstanzliche Sachverhalt wird jedoch im Sinne der vorstehenden Erwägungen durch das Bundesgericht ergänzt (E.3.5).

Der Beschwerdeführer rügt weiter vor Bundesgericht eine Verletzung von Art. 6 Ziff. 3 lit. b EMRK (Anspruch auf ausreichend Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung der Verteidigung), ohne jedoch darzulegen, wodurch dieser Anspruch verletzt worden sein soll. Auf die Rüge ist daher schon mangels Begründung (Art. 106 Abs. 2 BGG) durch das Bundesgericht nicht einzugehen. Zudem verkennt der Beschwerdeführer, dass sich Art. 6 Ziff. 3 lit. b EMRK nur auf strafrechtlich angeklagte Personen bezieht und auf Disziplinarverfahren betreffend Berufsregelverletzungen nach BGFA nicht anwendbar ist (vgl. BGE 128 I 346 E. 2; Urteile 2C_407/2008 vom 23. Oktober 2008 E. 3.5; 2C_344/2007 vom 22. Mai 2008 E. 1.3), ergänzt das Bundesgericht (E.4).

Zu Art. 12 BGFA

Kommen wir nun zum Kernpunkt vom Urteil 2C_84/2023 vom 13. Februar 2024:

Der Beschwerdeführer rügt weiter vor Bundesgericht, die Vorinstanz habe Art. 12 BGFA verletzt, indem sie ihn zu Unrecht wegen vermeintlicher Verletzung dieser Bestimmung sanktioniert habe (E.5).

Die Vorinstanz erwog gemäss Bundesgericht im Urteil 2C_84/2023 vom 13. Februar 2024 Folgendes:

«Die Vorinstanz erwog, der Beschwerdeführer sei als amtlicher Verteidiger nicht berechtigt gewesen, sein Mandat einseitig niederzulegen. Wenn er das Mandat (wegen Zerrüttung des Verhältnisses zum Klienten) hätte niederlegen wollen, hätte er die Verfahrensleitung um Entlassung als amtlicher Verteidiger ersuchen müssen, was er aber nicht getan habe. Sein Mandat habe deshalb nicht vor Ablauf der Rechtsmittelfrist gegen das Berufungsurteil geendet. Unabhängig davon, ob der Klient eine Besprechung und Erläuterung des Urteils tatsächlich wollte, hätte der Beschwerdeführer ihm eine solche anbieten müssen. Dass er seinem Klienten – nach Aufforderung durch den Verfahrensleiter – am 15. April 2020 schliesslich eine Urteilserläuterung angeboten habe, ändere nichts daran, dass er zuvor seine Berufspflicht nach Art. 12 lit. a BGFA verletzt habe. Es sei nicht nachvollziehbar, warum der Beschwerdeführer seinem Klienten bei der Weiterleitung des Berufungsurteils nicht angeboten habe, für dessen Erläuterung zur Verfügung zu stehen, zumal er ohnehin davon ausgegangen sei, dieser wünsche gar keine Besprechung.  Der Beschwerdeführer hält dem entgegen, es treffe zwar zu, dass einem amtlichen Verteidiger die Pflicht obliegt, nach Abschluss des Verfahrens seinem Klienten das Urteil zu erläutern. Allerdings bestehe diese Pflicht nur, wenn der Klient auch eine Erläuterung wünsche. Die Vorinstanz habe nicht erkannt, dass sein Klient darauf verzichtet habe, wenn er den Kontakt verweigere. Die Erläuterung könne dem Klienten nicht aufgezwungen werden. Es treffe zudem nicht zu, dass er seiner Pflicht, dem Klienten eine Urteilserläuterung anzubieten, nicht nachgekommen sei. Er habe seinem Klienten mit Schreiben vom 15. April 2020 eine solche angeboten, was mit rund zwanzig Tagen vor Ablauf der Rechtsmittelfrist rechtzeitig erfolgt sei.» (E.5.1).

Das Bundesgericht äusserte sich hierzu im Urteil 2C_84/2023 vom 13. Februar 2024 wie folgt:

«Nach Art. 12 lit. a BGFA haben Anwältinnen und Anwälte ihren Beruf sorgfältig und gewissenhaft auszuüben. Diese Verpflichtung dient als Auffangtatbestand zu den übrigen in Art. 12 BGFA geregelten Berufspflichten (lit. b-j). Sie hat für die gesamte Berufstätigkeit Geltung und erfasst sowohl die Beziehung zum eigenen Klienten als auch die Kontakte mit der Gegenpartei und den Behörden (Urteil 2C_933/2018 vom 25. März 2019 E. 5.1 mit Hinweisen). Die in Art. 12 lit. a BGFA statuierte Sorgfaltspflicht verbietet es dem Anwalt, Schritte zu unternehmen, die den Interessen seines Klienten schaden könnten (2C_233/2021 vom 8. Juli 2021 E. 3.2).» (E.5.2.1).

«Die berufsrechtliche Sorgfaltspflicht nach Art. 12 lit. a BGFA ist der auftragsrechtlichen Sorgfaltspflicht gemäss Art. 398 Abs. 2 OR nachgebildet, betrifft aber im Unterschied zu dieser nicht nur das Verhältnis zum Klienten (BGE 144 II 473 E. 5.3.1; Urteil 2C_233/2021 vom 8. Juli 2021 E. 3.2). Für die Beziehung zwischen Anwalt und Klient ist die auftragsrechtliche Sorgfaltspflicht allerdings von grundsätzlicher Bedeutung (WALTER FELLMANN, in: Kommentar zum Anwaltsgesetz, 2. Aufl. 2011 [nachfolgend: Kommentar Anwaltsgesetz], N. 25 zu Art. 12 BGFA; vgl. Michel Valticos, in: Commentaire romand, Loi sur les avocats, 2. Aufl. 2022, N. 18 zu Art. 12 BGFA). Sie beinhaltet unter anderem eine umfassende Aufklärungs- und Benachrichtigungspflicht. Als Ausfluss der Treuepflicht obliegt dem Anwalt insbesondere, seinen Mandanten über die Schwierigkeit und die Risiken der Geschäftsbesorgung umfassend aufzuklären, damit dieser sich über das von ihm getragene Risiko bewusst werde (BGE 127 III 357 E. 1d; Urteile 2C_233/2021 vom 8. Juli 2021 E. 3.1; 4A_550/2018 vom 29. Mai 2019 E. 4.1; ausführlich dazu WALTER FELLMANN, Anwaltsrecht, 2. Aufl. 2017, N. 1301 ff.).» (E.5.2.2).

«Eine Verletzung von Art. 12 lit. a BGFA liegt praxisgemäss nur vor, wenn eine qualifizierte Norm- bzw. Sorgfaltswidrigkeit gegeben ist; erforderlich ist somit ein bedeutsamer Verstoss gegen die Berufspflichten (BGE 144 II 473 E. 4.1; Urteile 2C_131/2019 vom 27. August 2019 E. 4.3.3 und 2C_933/2018 vom 25. März 2019 E. 5.1 mit Hinweisen auf die Literatur). Angesichts der geringen Tragweite der am wenigsten einschneidenden der vom Gesetz genannten Disziplinarmassnahmen, nämlich der Verwarnung (Art. 17 Abs. 1 lit. a BGFA), sind an die Schwere der fraglichen Pflichtverletzung allerdings keine hohen Anforderungen zu stellen (Urteile 2C_360/2022 vom 5. Dezember 2022 E. 6.1 und 2C_985/2021 vom 16. November 2022 E. 4.2; Yves Donzallaz, Le droit disciplinaire de l’avocat relatif à l’art. 12 let. a LLCA, in: Gegenwart und Zukunft des Anwaltsberufs, 2023, S. 166 f.; vgl. in Bezug auf Medizinalberufe BGE 148 I 1 E. 12.2). Die Aufklärungs- und Benachrichtigungspflicht des Anwalts ist für sein Verhältnis zum Klienten von derart zentraler Bedeutung, dass ihre Verletzung einen Verstoss gegen die berufsrechtliche Pflicht gemäss Art. 12 lit. a BGFA darstellt und disziplinarrechtliche Konsequenzen haben kann (Urteil 2C_233/2021 vom 8. Juli 2021 E. 7.4.1).» (E.5.2.3).

«In Bezug auf die Aufklärungs- und Benachrichtigungspflicht unterlag der Beschwerdeführer als amtlicher Verteidiger den gleichen Anforderungen an die Sorgfalt wie ein privat mandatierter Rechtsvertreter (vgl. Urteile 1P.404/2002 vom 22. Oktober 2002 E. 4.2 und P.1691/1986 vom 6. April 1987 E. 2d; Niklaus Ruckstuhl, in: Basler Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, 3. Aufl. 2023, N. 2 zu Art. 132 StPO). Nach Kenntnisnahme des obergerichtlichen Urteils hätte er seinen Klienten umgehend über die Möglichkeiten, Risiken und Chancen eines Weiterzugs aufklären müssen. Diese Pflicht bestand allgemein und insbesondere im Hinblick auf die im Raum stehenden strafrechtlichen Vorwürfe gegen den Klienten. Angesichts der laufenden Rechtsmittelfrist hätte die Aufklärung des Klienten zudem zeitnah geschehen müssen. Der Beschwerdeführer sah jedoch zunächst von einer Besprechung ab. Wie die Vorinstanz zutreffend erwog, hätte der Beschwerdeführer, um von seinen Pflichten als amtlicher Verteidiger befreit zu werden, die Verfahrensleitung um Entlassung ersuchen müssen (vgl. Art. 134 Abs. 2 StPO). Er war nicht berechtigt, das Mandat einseitig niederzulegen. Dies hat er jedoch faktisch getan, denn anders ist seine Aussage „meine Arbeit endet hier“ im Schreiben vom 17. März 2020 an den Klienten nicht zu verstehen. Anders als der Beschwerdeführer zu behaupten scheint, ist die Vorinstanz auf sein Vorbringen, der Klient habe gar keine Urteilserläuterung gewünscht, eingegangen. Sie erwog, dass der Beschwerdeführer aufgrund seiner anwaltlichen Sorgfaltspflicht nach Art. 12 lit. a BGFA verpflichtet war, seinem Klienten eine Urteilserläuterung anzubieten, und zwar unabhängig davon, ob dieser tatsächlich eine Erläuterung wünschte. Der Vorwurf an den Beschwerdeführer besteht nicht darin, dass er mit seinem Klienten keine Urteilsbesprechung durchgeführt hat, sondern darin, dass er ihm keine solche angeboten hat. Von einem Aufzwingen, wie der Beschwerdeführer einwendet, kann also ohnehin nicht die Rede sein. Der Beschwerdeführer hat seinem Klienten bei der Zustellung des Berufungsurteils nicht nur keine Erläuterung dieses Urteils angeboten, sondern in seinem Schreiben vom 17. März 2020 auch deutlich zum Ausdruck gebracht, dass er für eine solche nicht zur Verfügung stehe. Aus diesem Schreiben geht ausserdem nicht hervor, dass der Beschwerdeführer davon ausgegangen wäre, der Klient wünsche gar keine Besprechung oder Erläuterung, bzw. dass dies der Grund für seine Weigerung gewesen wäre, ihm eine solche anzubieten. Vielmehr ist dem Schreiben zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer offenbar aus Unzufriedenheit über die Entschädigung seiner Aufwendungen für das Verfahren nicht für eine Urteilserläuterung zur Verfügung stehen wollte. Dieses Verhalten verletzt mit Blick auf die im damaligen Zeitpunkt laufende Rechtsmittelfrist die Interessen des Klienten und verstösst gegen das Gebot des sorgfältigen Handelns nach Art. 12 lit. a BGFA.» (E.5.3).

«Der Beschwerdeführer wendet in diesem Zusammenhang eine Verletzung von Treu und Glauben ein. Der Verfahrensleiter des Berufungsverfahrens habe ihn entgegen seiner Ankündigung im Schreiben vom 31. März 2020 bei der Aufsichtskommission angezeigt. Die Androhung des Verfahrensleiters, er werde ihn anzeigen, wenn er seiner Aufforderung nicht nachkomme, bedeute mit anderen Worten, dass eben keine Anzeige erfolge, wenn er seiner Aufforderung nachkomme. Nachdem er mit dem Schreiben vom 15. April 2020 an seinen Klienten der Aufforderung des Verfahrensleiters nachgekommen sei, habe dieser ihn am 15. Mai 2020 entgegen seiner Ankündigung angezeigt und damit gegen Treu und Glauben verstossen.  Aus der Ankündigung des Verfahrensleiters, er werde den Beschwerdeführer anzeigen, wenn dieser seiner Aufforderung nicht nachkomme, lässt sich entgegen dem Vorbringen des Beschwerdeführers nicht der Umkehrschluss ziehen, der Verfahrensleiter werde ihn im Falle der Befolgung seiner Aufforderung nicht anzeigen. Wie die Vorinstanz richtig erkannte, ändert der Umstand, dass der Beschwerdeführer seinem Klienten am 15. April 2020 nachträglich eine Urteilserläuterung angeboten hat, nichts daran, dass er vorher mit der Zustellung des Schreibens vom 17. März 2020 an den Klienten gegen die Berufsregeln von Art. 12 BGFA verstossen hat. Der Verfahrensleiter war deshalb aufgrund seiner Meldepflicht nach Art. 15 Abs. 1 BGFA verpflichtet, den Beschwerdeführer bei der Aufsichtsbehörde anzuzeigen. Der Beschwerdeführer durfte daher nicht erwarten, dass er aufgrund seines nachträglichen Schreibens vom 15. April 2020 an den Klienten nicht angezeigt werde. Eine Verletzung von Treu und Glauben (Art. 9 BV) liegt nicht vor.» (E.5.4).

Auf weitere Rügen des Beschwerdeführers im Urteil 2C_84/2023 vom 13. Februar 2024 wird hier nicht eingegangen (E.6).

Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

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