Verfahrensanforderungen bei Triagierung von grossen Datenmengen im Entsiegelungsverfahren

Im Urteil 1B_551/2022 vom 17. Februar 2023 aus dem Kanton Zürich ging es ausschliesslich um prozessuale Rügen bei der Triagierung von grossen Datenmengen eines Anwalts nach Art. 248 StPO. Das Bundesgericht erläuterte zunächst die allgemeinen Voraussetzungen der Siegelung (E.3.1) sowie die Verfahrensrechte: «Nach Art. 29 BV hat jede Person in Verfahren vor Gerichts- und Verwaltungsinstanzen Anspruch auf gleiche und gerechte Behandlung sowie auf Beurteilung innert angemessener Frist (Abs. 1). Die Parteien haben ausserdem Anspruch auf rechtliches Gehör (Abs. 2). Die Strafbehörden beachten gemäss Art. 3 Abs. 2 StPO in allen Verfahrensstadien den Grundsatz von Treu und Glauben (lit. a) sowie das Gebot, alle Verfahrensbeteiligten gleich und gerecht zu behandeln und ihnen rechtliches Gehör zu gewähren (lit. c).» (E.3.2). Das Bundesgericht stützte nach eingehender Prüfung das prozessuale Vorgehen der Vorinstanz (Bezirksgericht Zürich, Zwangsmassnahmengericht) (E.3.3). Der Fall ist gerade aus anwaltlicher Sicht sehr lesenswert.

Sachverhalt

Die Staatsanwaltschaft III des Kantons Zürich führt eine Strafuntersuchung gegen A. wegen Wirtschaftsdelikten. Die Staatsanwaltschaft ordnete diverse Hausdurchsuchungen an, u.a. am Wohnort des Beschuldigten, an seinem damaligen Arbeitsplatz und in den Büroräumlichkeiten der B. AG (nachfolgend: Gesellschaft).

Instanzenzug

Die Hausdurchsuchungen beim Beschuldigten erfolgten am 8. April 2021. An seinem Wohnort wurden elektronische Geräte sichergestellt, an seinem Arbeitsplatz physische Akten (in Ordnern und Mappen) sowie weitere elektronische Geräte und Datenträger. Gleichentags beantragte der Beschuldigte die Siegelung sämtlicher sichergestellten Unterlagen, Geräte und Dateien. Am 28. April 2021 stellte die Staatsanwaltschaft das Entsiegelungsgesuch beim kantonalen Zwangsmassnahmengericht. Mit prozessleitender Verfügung vom 14. Juni 2021 prüfte dieses gewisse Entsiegelungsvoraussetzungen und ordnete an, dass für bestimmte Asservate im Hinblick auf das vom Beschuldigten (und der genannten Gesellschaft) angerufene Anwaltsgeheimnis eine richterliche Triage durchzuführen sei.

Am 1. Juli 2021 erliess das Bezirksgericht Zürich, Zwangsmassnahmengericht, ein erstes „Teil-Urteil“ über das Entsiegelungsgesuch vom 28. April 2021. Der Teil-Entsiegelungsentscheid betraf sichergestellte physische Akten, deren Siegelung der Beschuldigte und die genannte Gesellschaft verlangt hatten. Da beide auch gegenseitig zu schützende Geheimnisse anriefen, erliess das Zwangsmassnahmengericht diesbezüglich zwei separate Teil-Entsiegelungsentscheide. Eine vom Beschuldigten gegen den ihn betreffenden Teil-Entsiegelungsentscheid vom 1. Juli 2021 erhobene Beschwerde wies das Bundesgericht mit Urteil vom 1. Juli 2022 ab, soweit es darauf eintrat (Verfahren 1B_487/2021).

Mit Teil-Entsiegelungsentscheid („Verfügung“) vom 19. September 2022 entschied das Bezirksgericht Zürich, Zwangsmassnahmengericht, Einzelrichter (ZMG), wie folgt über einen Teil der noch gesiegelten elektronischen Geräte und Dateien (Asservate Nrn. 1.E01, 1.E02, 1.E03, 2.E010, 2.E011, 2.E012 und 2.E013):

  1. Folgende Dateien der Pos. 1.E01, 1.E02, 1.E03, 2.E10, 2.E11, 2.E12 und 2.E13 werden ausgesondert:

— alle Dateien, welche anlässlich der Triageverhandlung mit der Markierung „Gesiegelt“ versehen wurden;

— die Items GG1-00050105 und GG1-00050106.

  1. Die von Dispositiv-Ziff. 1 hiervor nicht erfassten Dateien der Pos. 1.E01, 1.E02, 1.E03, 2.E10, 2.E11, 2.E12 und 2.E13 werden der Staatsanwaltschaft zur Durchsuchung und weiteren Verwendung in der laufenden Strafuntersuchung freigegeben.

Die Freigabe erfolgt erst nach einem bestätigenden Entscheid betreffend das bundesgerichtliche Verfahren 1B_299/2022 und kumulativ nach allfälligem unbenutztem Ablauf der Rechtsmittelfrist bzw. nach einem bestätigenden Entscheid des Bundesgerichts.

Auf eine vom Beschuldigten am 10. Juni 2022 gegen vier prozessleitenden Verfügungen des ZMG erhobene Beschwerde trat das Bundesgericht am 20. Januar 2023 nicht ein (Verfahren 1B_299/2022).

Weiterzug an das Bundesgericht

Gegen den Teil-Entsiegelungsentscheid („Verfügung“) vom 19. September 2022 des ZMG gelangte der Beschuldigte mit Beschwerde vom 26. Oktober 2022 an das Bundesgericht. Er beantragt im Hauptstandpunkt die Aufhebung des angefochtenen Entscheides („insbesondere“ von Dispositiv-Ziffer 2 Absatz 1 und Dispositiv-Ziffer 7) und die Anweisung an die Vorinstanz, dass diese ihm die ihn betreffenden sichergestellten und aufbereiteten Dateien in geeigneter Form herauszugeben und ihm für die Analyse dieser Dateien und für die Bezeichnung der auszusondernden Dateien eine angemessene Frist anzusetzen habe.

Die Staatsanwaltschaft verzichtete am 4. November 2022 auf eine Stellungnahme. Das ZMG beantragt mit Vernehmlassung vom 31. Oktober (Posteingang: 11. November) 2022 die Abweisung der Beschwerde. Mit Verfügung vom 15. November 2022 bewilligte das Bundesgericht das Gesuch um aufschiebende Wirkung der Beschwerde. Der Beschwerdeführer replizierte am 5. Dezember 2022.

Ausführung des Bundesgerichts im Urteil 1B_551/2022 vom 17. Februar 2023

Der Beschwerdeführer erhebt vor Bundesgericht ausschliesslich prozessuale Rügen. Substanziierte Einwände (Art. 42 Abs. 2 Satz 1 BGG) gegen das Vorliegen der materiellen gesetzlichen Entsiegelungsvoraussetzungen (wie z.B. hinreichender Tatverdacht oder Deliktskonnexität der entsiegelten Dateien) enthält die Beschwerdeschrift nicht, wie das Bundesgericht einleitend bemerkt (E.2).

Der Beschwerdeführer bringt, im Wesentlichen zusammengefasst, vor Bundesgericht Folgendes vor:

Angesichts der sehr grossen Datenmenge habe er beim ZMG eine Frist von „lediglich 12 Monaten“ beantragt, um alle aufbereiteten elektronischen Dateien durchzusehen und die vom Anwaltsgeheimnis betroffenen einzeln zu bezeichnen. Anstatt ihm entsprechende „Akteneinsicht“ in die gesiegelten Datenträger zu geben, habe die Vorinstanz (in ihren prozessleitenden Verfügungen vom 11. und 19. Mai 2022) einen radikalen Kurswechsel vollzogen, der „weder begriffen werden“ könne, noch rechtmässig sei. Seine anderslautenden Anträge habe die Vorinstanz „abgeschmettert“, und es habe ihm ungebührlich kurze Fristen angesetzt, insbesondere in den Verfügungen vom 30. und 31. Mai 2022. Die Ansicht des ZMG, dadurch werde das Verfahren beschleunigt und entlastet, sei irrig. Zudem sei er angesichts des prozessualen Vorgehens der Vorinstanz faktisch gezwungen worden, im Rahmen seiner Substanziierungsobliegenheit das Anwaltsgeheimnis zu verletzen bzw. gegenüber der Staatsanwaltsschaft preiszugeben. Die Vorinstanz missachte dabei die Praxis des Bundesgerichtes, wonach er nicht gehalten sein könne, die von ihm angerufenen Geheimnisse im Entsiegelungsverfahren bereits inhaltlich offenzulegen. Sie habe es ihm auch verunmöglicht, seinen Mitwirkungs- bzw. Substanziierungsobliegenheiten nachzukommen.

Nur unter Protest habe er (am 10. Juni 2022) die von der Vorinstanz gewünschte Liste mit Mandatsnamen und (am 11. Juli 2022) die dazugehörige Liste mit Suchbegriffen eingereicht. Laut Bericht der vom ZMG beigezogenen sachverständigen Person hätten sich aufgrund der entsprechenden computergestützten Suche zwar 98’736 Treffer für geheimnisgeschützte Daten ergeben („Suchresultate A“). Anlässlich der Triageverhandlung vom 29. August 2022 vor dem ZMG habe er jedoch nur Einsicht in die Dateien der verbliebenen „Suchmenge B“ erhalten, nicht aber in die restlichen Dateien. „Nicht einmal das ZMG“ habe sich „die Mühe gemacht, diese Dateien zu sichten“.

Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 29 Abs. 1 und 2 BV sowie Art. 3 Abs. 2 lit. a und c i.V.m. Art. 248 StPO. (E.3).

Zur Siegelung äussert sich das Bundesgericht zunächst wie folgt:

«Aufzeichnungen und Gegenstände, die nach Angaben der Inhaberin oder des Inhabers wegen eines Aussage- oder Zeugnisverweigerungsrechts oder aus anderen Gründen nicht durchsucht oder beschlagnahmt werden dürfen, sind zu versiegeln und dürfen von den Strafbehörden weder eingesehen noch verwendet werden (Art. 248 Abs. 1 StPO). Stellt die Staatsanwaltschaft im Vorverfahren ein Entsiegelungsgesuch, hat das ZMG im Entsiegelungsverfahren zu prüfen, ob die Geheimnisschutzinteressen, welche von den Siegelungsberechtigten angerufen werden, einer Durchsuchung und weiteren Verwendung durch die Staatsanwaltschaft entgegenstehen (Art. 248 Abs. 2-4 StPO; BGE 144 IV 74 E. 2.2; 141 IV 77 E. 4.1 mit Hinweisen).  

Nach der bundesgerichtlichen Praxis trifft den Inhaber von zu Durchsuchungszwecken sichergestellten Aufzeichnungen und Gegenständen, der ein Siegelungsbegehren gestellt hat, die prozessuale Obliegenheit, die von ihm angerufenen Geheimhaltungsinteressen (im Sinne von Art. 248 Abs. 1 StPO) spätestens im Entsiegelungsverfahren vor dem ZMG ausreichend zu substanziieren. Kommt der Betroffene seiner Mitwirkungs- und Substanziierungsobliegenheit im Entsiegelungsverfahren nicht nach, ist das Gericht nicht gehalten, von Amtes wegen nach allfälligen materiellen Durchsuchungshindernissen zu forschen. Tangierte Geheimnisinteressen sind wenigstens kurz zu umschreiben und glaubhaft zu machen. Auch sind diejenigen Aufzeichnungen und Dateien zu benennen, die dem Geheimnisschutz unterliegen. Dabei ist der Betroffene nicht gehalten, die angerufenen Geheimnisrechte bereits inhaltlich offenzulegen (BGE 142 IV 207 E. 7.1.5, E. 11; 141 IV 77 E. 4.3, E. 5.5.3, E. 5.6; 138 IV 225 E. 7.1; 137 IV 189 E. 4.2, E. 5.3.3; nicht amtl. publ. E. 6 von BGE 144 IV 74).» (E.3.1)

Zu den Verfahrensgarantien fährt das Bundesgericht folgendermassen fort:

«Nach Art. 29 BV hat jede Person in Verfahren vor Gerichts- und Verwaltungsinstanzen Anspruch auf gleiche und gerechte Behandlung sowie auf Beurteilung innert angemessener Frist (Abs. 1). Die Parteien haben ausserdem Anspruch auf rechtliches Gehör (Abs. 2). Die Strafbehörden beachten gemäss Art. 3 Abs. 2 StPO in allen Verfahrensstadien den Grundsatz von Treu und Glauben (lit. a) sowie das Gebot, alle Verfahrensbeteiligten gleich und gerecht zu behandeln und ihnen rechtliches Gehör zu gewähren (lit. c).» (E.3.2)

Zu den Rügen des Beschwerdeführers bemerkt das Bundesgericht:

«Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers ist das prozessuale Vorgehen der Vorinstanz bei der Triagierung nach Art. 248 StPO durchaus sachlich nachvollziehbar. Er räumt selber ein, dass er für eine „ausserordentlich grosse Datenmenge“ die Siegelung verlangt hat. Die Datenmenge, die vom ZMG für eine Triagierung – im Hinblick auf das von ihm angerufene Anwaltsgeheimnis – aufzubereiten war, habe „2’039’211 Dateien“ betragen. Das von ihm kritisierte Vorgehen wurde in den mitangefochtenen prozessleitenden Verfügungen des ZMG vom 11. und 19. Mai 2022 ausführlich erläutert und begründet. Der Beschwerdeführer setzt sich damit nur rudimentär auseinander.  

Die Vorinstanz hat prozessleitend entschieden, dass der Beschwerdeführer die sehr umfangreichen Aufzeichnungen, deren Siegelung er verlangt hatte, weder selber durchzusehen, noch (gestützt darauf) jene Dateien zu bezeichnen hatte, die seines Erachtens vom Anwaltsgeheimnis tangiert sein könnten. Statt dessen wurde er im Rahmen seiner prozessualen Mitwirkungs- und Substanziierungsobliegenheit im Entsiegelungsverfahren eingeladen, dem ZMG innert angesetzter Fristen eine Liste mit Stichworten einzureichen bzw. die fraglichen Mandate zu nennen und grob zu umschreiben. Die aufwändige Analyse, welche Dateien davon betroffen sein könnten, erfolgte anschliessend computergestützt (mittels der eingereichten Stichworte als Such-Tags) unter Beizug eines forensischen Experten. 

Die Vorinstanz durfte davon ausgehen, dass der als Anwalt tätige Beschwerdeführer seine eigenen Mandate, die er führte oder für sich führen liess, kannte, weshalb es in der vorliegenden Konstellation nicht unzumutbar erscheint, dass er in Nachachtung seiner Substanziierungsobliegenheit die fraglichen Mandate und Stichworte innert der vom ZMG angesetzten Fristen (60 Tage bzw. 10 Tage plus Erstreckungen) zu bezeichnen hatte. Zu diesem Zweck musste er von Bundesrechts wegen auch keine Detaileinsicht in die Millionen von Dateien erhalten, deren Siegelung er verlangt hatte (vgl. dazu prozessleitende Verfügungen des ZMG vom 11., 19., 30. bzw. 31. Mai 2022). 

Hinzu kommt, dass der Beschwerdeführer nach eigenen Angaben schon seit mehr als einem halben Jahr wieder im Besitz der ursprünglich gesiegelten drei Originalgeräte ist. Er verweist diesbezüglich auf die prozessleitende Verfügung der Vorinstanz vom 11. Mai 2022 und seine Eingabe an das ZMG vom 20. Juni 2022. Die Vorinstanz macht im Übrigen geltend, dass der Beschwerdeführer gar kein konkretes Akteneinsichtsgesuch gestellt habe, über das zu entscheiden gewesen wäre, und ihm die eigenen Originaldatenträger überdies schon vor geraumer Zeit wieder ausgehändigt worden seien. 

Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers hat die Vorinstanz den Beschwerdeführer auch nicht faktisch gezwungen, das Anwaltsgeheimnis zu verletzen bzw. gegenüber der Staatsanwaltsschaft preiszugeben. Wie sich aus den Akten ergibt, hat das ZMG im Dispositiv und in den Erwägungen seiner prozessleitenden Verfügung vom 19. Mai 2022 ausdrücklich präzisiert, dass sich der Beschwerdeführer bei der Substanziierung von geheimnisgeschützten Dateien darauf beschränken könne, die Art der anwaltlichen Mandate gegenüber dem Entsiegelungsgericht grob zu umschreiben, und dass die Staatsanwaltschaft keine Einsicht in die entsprechenden Eingaben und Listen des Beschwerdeführers erhalte. Ein solches prozessuales Vorgehen entspricht der oben (E. 3.1) dargelegten einschlägigen Praxis des Bundesgerichtes und verletzt weder Art. 248 StPO noch das anwaltliche Berufsgeheimnis. 

Dass der Beschwerdeführer anlässlich der Triageverhandlung vom 29. August 2022 nur Einsicht in die „Suchmenge B“ erhalten habe, nicht aber in die „Suchresultate A“, verletzt ebenfalls kein Bundesrecht. Er räumt ein, dass aufgrund seiner Suchliste (Mandatsliste mit Suchbegriffen) die „Suchresultate A“ elektronisch ausgefiltert und vom ZMG ausgesondert wurden. Da die Staatsanwaltschaft keine Einsicht in die ausgesonderten (nicht entsiegelten und nicht zur Durchsuchung freigegebenen) Aufzeichnungen erhält, ist nicht ersichtlich, weshalb das ZMG ihm noch von Amtes wegen eine detaillierte „Akteneinsicht“ hätte gewähren müssen. Darüber hinaus weist die Vorinstanz darauf hin, dass kein entsprechendes förmliches Akteneinsichtsgesuch bei ihr eingegangen sei. Was der Beschwerdeführer (in der Replik) dagegen einwendet, lässt keine Aktenwidrigkeit erkennen. Er verkennt im Übrigen, dass es nicht die Aufgabe der Vorinstanz war, die sehr umfangreichen Dateien von Amtes wegen noch weiter zu triagieren oder gar einzeln zu sichten, soweit er keine geschützten Geheimnisrechte ausreichend substanziiert hat.» (E.3.3)

Das Bundesgericht wies die Beschwerde ab, soweit es darauf eintrat (E.5).

 

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