Persönlicher Härtefall bei Landesverweisung und Interessenabwägung
Das Bundesgericht heisst im in Fünferbesetzung ergangenen Urteil 6B_1272/2023 vom 30. Oktober 2024 (zur amtl. Publ. vorgesehen) die Beschwerde eines kosovarischen Staatsangehörigen teilweise gut, der wegen versuchter vorsätzlicher Tötung verurteilt wurde. In Bezug auf die angeordnete Landesverweisung liegt ein persönlicher Härtefall vor, da der Mann in diesem Fall seinen im Heim lebenden schwerstbehinderten Sohn nicht mehr besuchen könnte. Das Solothurner Obergericht muss neu entscheiden und eine Interessenabwägung vornehmen; dabei hat es insbesondere zu prüfen, ob vom Betroffenen eine konkrete Rückfallgefahr für Gewaltdelikte ausgeht. Das Bundesgericht äussert sich u.a. wie folgt: «Die Interessenabwägung im Rahmen der Härtefallklausel von Art. 66a Abs. 2 StGB hat sich an der Verhältnismässigkeitsprüfung nach Art. 8 Ziff. 2 EMRK zu orientieren […]. Wird ein schwerer persönlicher Härtefall bejaht, entscheidet sich die Sachfrage in einer Interessenabwägung nach Massgabe der öffentlichen Interessen an der Landesverweisung […]. Erforderlich ist, dass die Landesverweisung zur Wahrung der inneren Sicherheit als notwendig erscheint. Diese Beurteilung lässt sich strafrechtlich nur in der Weise vornehmen, dass massgebend auf die verschuldensmässige Natur und Schwere der Tatbegehung, die sich darin manifestierende Gefährlichkeit des Täters für die öffentliche Sicherheit und auf die Legalprognose abgestellt wird […].» (E.5.8.1). Das Urteil kann bei einer ersten Lektüre auch als allgemeine Erhöhung der Hürde der strafrechtlichen Landesverweisung interpretiert werden. Einzelfallbezogen dürfte hier das Kriterium von Art. 8 EMRK und des schwerstbehinderten Halbweisen-Sohnes offensichtlich (mit-)entscheidend sein.