Beschleunigungsgebot
Mai 2, 2024 6:39 am

Im Urteil 7B_454/2023 vom 27. März 2024 aus dem Kanton Basel-Landschaft befasste sich das Bundesgericht mit der Strafzumessung. Dabei ging es einerseits um die erhöhte Strafempfindlichkeit und andererseits und vor allem um die Verletzung des Beschleunigungsgebots von Art. 5 StPO. Bezüglich der Verletzung des Beschleunigungsgebots äusserte sich das Bundesgericht u.a. wie folgt: «Das Beschleunigungsgebot ist nur verletzt, wenn eine von der Strafbehörde zu verantwortende krasse Zeitlücke zu Tage tritt. Dafür genügt es nicht, dass diese oder jene Handlung etwas rascher hätte vorgenommen werden können. Einer Verletzung des Beschleunigungsgebots kann mit einer Strafreduktion, einer Strafbefreiung bei gleichzeitiger Schuldigsprechung oder in extremen Fällen als ultima ratio mit einer Verfahrenseinstellung Rechnung getragen werden […]» (E.3.1.3). Das Bundesgericht bejahte in diesem Fall die Verletzung des Beschleunigungsgebots: «Dies ist nicht zuletzt mit Blick auf Art. 84 Abs. 4 StPO, welcher die Ausfertigung des Urteils grundsätzlich innert 60, höchstens 90 Tagen verlangt, nicht nachvollziehbar. Zwar handelt es sich dabei um eine Ordnungsvorschrift. Das massive Überschreiten dieser Fristen im vorliegenden Fall ist indessen nicht zu rechtfertigen und geradezu stossend. So hat das Bundesgericht bereits eine Begründungsfrist von 8 Monaten als massiv zu lang und Verstoss gegen das Beschleunigungsgebot bezeichnet […]. Dies muss erst Recht für eine Dauer von zwei Jahren gelten. Das erstinstanzliche Verfahren insgesamt dauerte zudem über 4 Jahre […], was ebenfalls zu lang ist.» (E.3.3.2).

November 16, 2023 4:23 am

Im Urteil 6B_682/2023 vom 18. Oktober 2023 aus dem Kanton Basel-Stadt hiess das Bundesgericht zwei der Rügen des Beschwerdeführers gut. Die Strafreduktion wegen der Verletzung des Beschleunigungsgebots war für das Bundesgericht unhaltbar: Zwar handelt es sich bei Art. 84 Abs. 4 StPO, der die Ausfertigung des Berufungsurteils grundsätzlich innert 60, höchstens 90 Tagen verlangt, um eine Ordnungsvorschrift. Gleichwohl ist das Überschreiten dieser Fristen im vorliegenden Fall nur schwer nachvollziehbar, zumal die Vorinstanz im Rahmen der Beweiswürdigung weitgehend auf die erste Instanz verweist. Ihr kann daher insoweit keine besonders aufwendige oder umfangreiche Urteilsbegründung zugutegehalten werden. Unter den gegebenen Umständen ist die gewährte Strafreduktion von 6 Monaten nicht mehr vom vorinstanzlichen Ermessen gedeckt. Die Beschwerde ist insoweit gutzuheissen.» (E.3.2.2). Weiter enthielt das Urteil in Sachen Landesverweisung und SIS-Ausschreibung unlösbare Wiedersprüche, wie u.a.: «Der Beschwerdeführer rügt zu Recht, dass sich die Vorinstanz in einen unlösbaren Widerspruch begibt, wenn sie erwägt, die erstinstanzlich ausgesprochene Landesverweisung von 12 Jahren sei angemessen, sie den Beschwerdeführer im Dispositiv aber für 15 Jahre des Landes verweist.» (E.4.2).

Dezember 30, 2022 5:24 am

Im Urteil 6B_1399/2021 vom 7. Dezember 2022 stellte das Bundesgericht eine Verletzung des Beschleunigungsgebots durch das Obergericht Zürich fest. Die Berufungsverhandlung fand am 15. Januar 2021 statt. Das schriftlich begründete Berufungsurteil datiert vom 27. Oktober 2021. Damit hat das Obergericht Zürich gemäss dem Bundesgericht die von Art. 84 Abs. 4 StPO, welche als Ordnungsvorschrift angesehen wird, vorgesehene Frist klar überschritten. Aus dieser Überschreitung kann jedoch nicht automatisch auf eine Verletzung des Beschleunigungsgebots gefolgert werden. In der Vergangenheit hat das Bundesgericht dies etwa bejaht, wenn für die Urteilsbegründung ohne Vorliegen besonderer Umstände 13, zwölf, elf, acht oder mehr als sechs Monate benötigt Mit Blick auf diese Rechtsprechung und den durch das Obergericht Zürich zu beurteilenden Fragen ging das Bundesgericht hier von einer Verletzung des Beschleunigungsgebots aus (E.4.3).

Dezember 20, 2022 3:35 pm

Im Urteil 1B_592/2022 vom 8. Dezember 2022 befasste ich das Bundesgericht durch die Frage der Verletzung des Beschleunigungsgebots durch das erstinstanzliche Sachgericht. Bei der Beurteilung, ob das besondere Beschleunigungsgebot in Haftsachen verletzt wurde, sind gemäss dem Bundesgericht die konkreten Umstände des Einzelfalles massgeblich. Zu berücksichtigen ist insbesondere die Komplexität des Falles und das Verhalten der Betroffenen bzw. ihrer anwaltlichen Vertretung. Gemäss Bundesgericht ist das Beschleunigungsgebot in Haftsachen verletzt, wenn in einem weder besonders schwierigen noch komplexen Fall zwischen der Anklageerhebung und der erstinstanzlichen Hauptverhandlung mehr als sechs Monate liegen. Das Bundesgericht zeigte auch Ausnahmen davon auf (E.2.1). Die Verletzung des Beschleunigungsgebots führt, wie das Bundesgericht weiter ausführt, nur dann zu einer Haftentlassung, wenn sie derart gravierend ist, dass deshalb die Rechtmässigkeit der Haft zu verneinen ist (E.2.6). Letzteres war im zu beurteilenden Fall nicht gegeben (E.2.7). Ist aber ein Verhandlungstermin festgesetzt worden, der voraussehbar eine nicht zu vertretende Verfahrensverzögerung bewirkt, wie dies vorliegend der Fall geschah, ist die Verletzung des Beschleunigungsgebots gemäss dem Bundesgericht im Urteilsdispositiv festzustellen und bei den Kosten- und Entschädigungsfolgen zu berücksichtigen. Das Sachgericht wird gemäss dem Bundegericht der Verletzung zudem bei seiner Urteilsfindung in angemessener Weise Rechnung zu tragen haben (E.2.7).