Art. 5 Anhang I FZA
Dezember 28, 2023 2:25 pm

Im Urteil 6B_149/2023 vom 1. November 2023 aus dem Kanton Zürich ging es um das Absehen der Landesverweisung eines bangladeschischen und portugiesischen Staatsangehörigen, der sich des Betrugs in der Grössenordnung von CHF 15'000 schuldig gemacht hatte. Das Obergericht des Kantons Zürich sah von einer Landesverweisung ab. Das Bundesgericht stützte in diesem Urteil den Verzicht auf die Landesverweisung rein gestützt auf Art. 5 Anhang I FZA. Es äussert sich u.a. wie folgt: «Vorab scheint die Beschwerdeführerin zu verkennen, dass sich ein Verzicht auf die Anordnung der Landesverweisung gestützt auf Art. 5 Anhang I FZA anhand der vom Täter ausgehenden Gefährdung der öffentlichen Sicherheit, Ordnung und Gesundheit resp. einer Prognose seines künftigen Wohlverhaltens beurteilt […]. Nicht einzutreten ist in diesem Zusammenhang auf ihre Vorbringen betreffend die Zumutbarkeit einer Ausreise für die Tochter des Beschwerdegegners. Diese wären allenfalls im Rahmen einer Härtefallprüfung resp. der Interessenabwägung gemäss Art. 66a Abs. 2 StGB von Relevanz. Beides bildet nicht Thema vorliegender Beschwerde.» (E.1.4.1). «Damit steht Art. 5 Anhang I FZA einer Landesverweisung des Beschwerdegegners entgegen. Die Vorinstanz sieht zu Recht von deren Anordnung ab.» (E.1.4.4)

September 8, 2023 10:56 am

Im Urteil 6B_205/2023 vom 17. August 2023 aus dem Kanton Zürich – welches leider nicht zur amtl. Publ. vorgesehen ist – befasste sich das Bundesgericht eingehend mit dem Verzicht der Anordnung einer Landesverweisung durch das Obergericht des Kantons Zürich bei einem slowenischen Staatsbürger, der wegen gewerbsmässigem Betrug sowie Urkundenfälschung schuldig gesprochen wurde. Das Bundesgericht setzt sich im Urteil sowohl mit dem schweren persönlichen Härtefall i.S.v. Art. 66a Abs. 2 StGB sowie mit Art. 5 Anhang I FZA auseinander. Das Bundesgericht erklärt u.a.: «Ob eine Landesverweisung anzuordnen ist, bestimmt sich zunächst nach dem Schweizer Recht. Ist nach dem massgebenden Recht eine Landesverweisung anzuordnen, stellt sich gegebenenfalls die weitere Frage, ob ein völkerrechtlicher Vertrag wie das Freizügigkeitsabkommen einen Hinderungsgrund für die Landesverweisung bildet […].  Nach Art. 5 Abs. 1 Anhang I FZA dürfen die im Abkommen eingeräumten Rechte nur durch Massnahmen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigt sind, eingeschränkt werden. Die Landesverweisung nach Art. 66a ff. StGB ist als Institut des Strafrechts und nach der Intention des Verfassungs- und des Gesetzgebers primär als sichernde strafrechtliche Massnahme zu verstehen […]. Ob die öffentliche Ordnung und Sicherheit (weiterhin) gefährdet ist, folgt aus einer Prognose des künftigen Wohlverhaltens. Es ist nach Art und Ausmass der möglichen Rechtsgüterverletzung zu differenzieren: Je schwerer die Gefährdung, desto niedriger die Anforderungen an die in Kauf zu nehmende Rückfallgefahr. Ein geringes, aber tatsächlich vorhandenes Rückfallrisiko kann für eine aufenthaltsbeendende Massnahme im Sinne von Art. 5 Abs. 1 Anhang I FZA genügen, sofern dieses Risiko eine schwere Verletzung hoher Rechtsgüter wie beispielsweise die körperliche Unversehrtheit beschlägt.» (E.1.2.2). Das Bundesgericht bestätigt das Absehen von der Landesverweisung der Vorinstanz (E.2).