6B_921/2023
Mai 22, 2024 11:22 am

Im Urteil 6B_921/2023, 6B_963/2023 vom 25. April 2024 aus dem Kanton Aargau (zur amtl. Publ. vorgesehen) ging es um das (unentschuldigte) Nichterscheinen der Staatsanwaltschaft an der Berufungsverhandlung. Das Obergericht des Kantons Aargau nahm den Rückzug der Anschlussberufung der Staatsanwaltschaft an und büsste die verfahrensleitenden Staatsanwältin mit einer Ordnungsbusse von CHF 1'000. Das Urteil des Bundesgericht äussert sich ausführlich zu diversen rechtlichen Punkten, u.a. auch zur Beschwerde an das Bundesgericht und zu Noven, und ist sehr lesenswert. Das Bundesgericht äusserte sich u.a. wie folgt: «Soweit die Staatsanwaltschaft Berufung oder Anschlussberufung erhoben hat, ist sie gemäss Art. 405 Abs. 3 lit. b StPO von der Verfahrensleitung zur Berufungsverhandlung vorzuladen […]. Partei im Berufungsverfahren ist die Staatsanwaltschaft (vgl. Art. 16 Abs. 2 und Art. 104 Abs. 1 lit. c StPO […], die von einem Staatsanwalt vertreten wird, dies in der Regel vom zuständigen Staatsanwalt, der bereits die Untersuchung geführt hat. Zur Anwesenheit verpflichtet ist die Behörde, nicht aber der einzelne Staatsanwalt bzw. die einzelne Staatsanwältin. Ist die zuständige Staatsanwältin verhindert, kann sie sich durch einen anderen Staatsanwalt vertreten lassen […]. Damit ist die Formulierung in BGE 147 IV 127 E. 2.1 und dem Urteil 6B_1349/2020 vom 17. März 2021 E. 3.1, wonach "der zuständige Staatsanwalt persönlich zur Verhandlung zu erscheinen [hat]", insoweit zu präzisieren, als der zuständige Staatsanwalt oder eine ihn vertretende Staatsanwältin bzw. ein ihn vertretender Staatsanwalt zur Verhandlung zu erscheinen hat. Entsprechend ist in Zusammenhang mit der Staatsanwaltschaft auch Art. 201 Abs. 2 lit. b StPO zu interpretieren. Vorgeladen wird die Staatsanwaltschaft als die Anklage vertretende Behörde, nicht der einzelne Staatsanwalt. Jedoch ist die - gemäss Kenntnis der vorladenden Behörde - für die Staatsanwaltschaft auftretende Person in der Vorladung namentlich zu bezeichnen, wobei sich diese an der Verhandlung ohne Weiteres durch einen anderen Staatsanwalt vertreten lassen kann, die vorladende Behörde hierüber jedoch (idealerweise vorgängig) zu informieren hat.» (E.4.2.6). Fallbezogen entscheidet das Bundesgericht wie folgt: «Insgesamt erweist sich die Annahme des Rückzugs der Anschlussberufung der Staatsanwaltschaft als rechtskonform. Damit ist die (zusätzliche) Verhängung der Ordnungsbusse gegen die Beschwerdeführerin 1 bundesrechtswidrig […], weshalb der vorinstanzliche Beschluss aufzuheben ist.» (E.4.6).