Vielleicht der strafrechtliche BGE des Jahres 2024? Im Urteil 6B_92/2022 vom 5. Juni 2024 aus dem Kanton Zürich (zur amtl. Publ. vorgesehen) befasste sich das Bundesgericht ausführlich mit der Verwertbarkeit von Beweisen, einerseits privaten Videoaufnahmen und andererseits auf Einvernahmen, bei denen Teilnahmerecht von Mitbeschuldigten (in unzulässiger Weise) nicht gewahrt wurde. Der Entscheid ist eine absolute Muss-Lektüre bei Verwertbarkeitsfragen. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde u.a. wie folgt gut: «Zwar können eine Verletzung des Teilnahmerechts und deren Folgen nicht losgelöst vom Konfrontationsanspruch nach Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK beurteilt werden; die beiden Garantien sind jedoch nicht deckungsgleich und zu unterscheiden: Art. 147 StPO sieht ein Recht auf Teilnahme für sämtliche Verfahrensparteien bei allen staatsanwaltschaftlichen bzw. von der Staatsanwaltschaft an die Polizei delegierten sowie gerichtlichen Beweiserhebungen vor, verknüpft mit der Folge der Unverwertbarkeit des Beweises im Fall, dass das Teilnahmerecht unzulässigerweise eingeschränkt wurde. Der menschenrechtliche Standard von Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK beinhaltet dagegen ein Recht allein der beschuldigten Person auf lediglich einmalige Konfrontation mit dem Belastungszeugen im gesamten Verfahren, wobei die Gewährleistung dieses Rechts Voraussetzung für die Verwertbarkeit sämtlicher belastender Aussagen dieses Zeugen bildet. Art. 147 StPO geht folglich in persönlicher, zeitlicher und sachlicher Hinsicht über den Mindestanspruch der EMRK hinaus […]» (E.1.6.7.3). «Die Rechtsprechung ist nach dem Gesagten anzupassen. Die Voraussetzungen dafür liegen vor (vgl. BGE 149 II 381 E. 7.3.1; 149 V 177 E. 4.5; je mit Hinweisen). Zusammenfassend gilt demnach, dass eine Einvernahme, an der das Teilnahmerecht der beschuldigten Person gemäss Art. 147 Abs. 1 StPO unzulässigerweise nicht gewährleistet war und die daher gemäss Art. 147 Abs. 4 StPO nicht verwertet werden darf, auch nach einer Wiederholung der Einvernahme unter Wahrung des Teilnahmerechts bzw. unter hinreichender Konfrontation weiterhin unverwertbar im Sinne von Art. 147 Abs. 4 StPO bleibt. Eine spätere Einräumung des Teilnahmerechts bzw. Gewährleistung der Konfrontation führt nicht zur Verwertbarkeit von nach Art. 147 Abs. 4 StPO unverwertbaren Einvernahmen.» (E.1.6.7.4).
6B_92/2022
Juli 8, 2024 12:01 pm