Verweigerung der Mitwirkung bei Begutachtung und Aktengutachten
Im Urteil 6B_576/2024 vom 11. Dezember 2024 aus dem Kanton Zürich ging es um die Anordnung einer stationären therapeutischen Massnahme i.S.v. Art. 59 Abs. 1 StGB. Das Urteil enthält zahlreiche interessante Ausführungen zum Massnahmenrecht (E.5). Dabei nimmt es u.a. wie folgt zum Aktengutachten Stellung: «Die persönliche Untersuchung gehört zum Standard einer forensisch-psychiatrischen Begutachtung. Nach der Rechtsprechung ist es in erster Linie Aufgabe des angefragten Sachverständigen zu beurteilen, ob sich ein Aktengutachten ausnahmsweise verantworten lässt […]. Ob und wie sich die fehlende Unmittelbarkeit der sachverständigen Einschätzung auf den Beweiswert eines Aktengutachtens auswirkt, ist nach dem konkreten Gegenstand der Gutachterfrage differenziert zu beurteilen. Der Gutachter soll sich (gegebenenfalls je nach Fragestellung gesondert) dazu äussern, ob eine Frage ohne Untersuchung gar nicht, nur in allgemeiner Form oder ohne Einschränkungen beantwortbar ist. Die Verweigerung der persönlichen Untersuchung durch die zu begutachtende Person gilt als Verzicht auf eine Mitwirkung bei der Beweisaufnahme. Dies gilt auch dann, wenn die Weigerung Ausdruck einer krankheitswertigen Persönlichkeit ist. Hat sich der Beschwerdeführer selbst zuzuschreiben, dass eine persönliche Untersuchung unterblieben ist, verhält er sich widersprüchlich, wenn er im späteren Verlauf des Verfahrens rügt, das Aktengutachten sei unverwertbar […]. Da er sich weigerte, an der Begutachtung teilzunehmen, trägt er trotz des im Gesetz verankerten Begutachtungsobligatoriums letztlich die Konsequenzen seiner fehlenden Mitwirkung, zumal er gegen seinen Willen nicht zur Teilnahme an der Begutachtung gezwungen werden kann […].» (E.5.4.2). Beim Vorliegen von zwei sich widersprechenden Gutachten besteht gemäss Bundesgericht auch nicht immer die Notwendigkeit der Einholung eines Obergutachtens: «[…] bestand auch keinerlei Veranlassung zur Einholung eines Obergutachtens. Widersprechen sich zwei Gutachten, führt dies nicht zwingend zur Notwendigkeit eines Obergutachtens, vielmehr hat das Gericht zu entscheiden, welches Gutachten mehr überzeugt […]» (E.6.1.4).