Tätigkeitsverbot von Art. 67 StGB und Ausnahmen davon

Im Urteil 6B_156/2023 vom 3. April 2023 aus dem Kanton St. Gallen (amtl. Publ. vorgesehen) befasste sich das Bundesgericht in einer grossen Breite und Tiefe mit Hinweisen auf Materialien und Literatur mit dem Thema Tätigkeitsverbot nach Art. 67 Abs. 3 lit. d Ziff. 2 StGB sowie der Ausnahmen davon nach Art. 67 Abs. 4bis StGB  sowie dem unbestimmten Rechtsbegriff des «besonderes leichten Falles». Dieses Leiturteil ist eine absolute Pflichtlektüre für die Strafverteidigung, wenn die Anordnung von Tätigkeitsverboten zur Diskussion stehen.

Sachverhalt

Dem A. wird in der Anklageschrift vom 21. August 2020 vorgeworfen, er habe sich im Zeitraum vom 1. Juni 2019 bis 12. März 2020 Bilddateien mit verbotenem pornografischem Inhalt (zwei nicht tatsächliche und 136 tatsächliche sexuelle Handlungen mit Minderjährigen sowie 13 sexuelle Handlungen mit Tieren) für den Eigenkonsum über elektronische Mittel beschafft und in der Folge besessen. Ferner habe er aus Bosheit oder Mutwillen eine Fernmeldeanlage zur Beunruhigung oder Belästigung missbraucht, indem er ein damals 13-jähriges Mädchen trotz dessen Aufforderung ab dem 23. November 2019, es zukünftig in Ruhe zu lassen, bis zum 27. November 2019 mehrfach kontaktiert habe.

Instanzenzug

Das Kreisgericht St. Gallen sprach A. am 11. November 2020 vom Vorwurf des Missbrauchs einer Fernmeldeanlage frei und erklärte ihn der mehrfachen Pornografie schuldig. Es verurteilte ihn zu einer bedingten Geldstrafe von 180 Tagessätzen zu Fr. 40.– und sprach ein lebenslängliches Tätigkeitsverbot aus, für dessen Dauer es Bewährungshilfe anordnete.

Das Kantonsgericht St. Gallen sprach A. am 25. November 2022 vom Vorwurf des Missbrauchs einer Fernmeldeanlage frei. Es verurteilte ihn wegen mehrfacher Pornografie zu einer bedingten Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu Fr. 30.–. Ferner verbot es ihm lebenslänglich jede berufliche und jede organisierte ausserberufliche Tätigkeit, die einen regelmässigen Kontakt zu Minderjährigen umfasst, und ordnete für die Dauer des Tätigkeitsverbots Bewährungshilfe an. Ferner beauftragte es die Staatsanwaltschaft, das Präsidium des Schwimmclubs des Beschwerdeführers nach Rechtskraft des kantonsgerichtlichen Entscheids über das lebenslängliche Tätigkeitsverbot zu orientieren.

Weiterzug ans Bundesgericht

Der A. beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, der kantonsgerichtliche Entscheid sei teilweise aufzuheben und er sei wegen mehrfacher Pornografie zu einer bedingten Geldstrafe von 75 Tagessätzen zu Fr. 30.– zu verurteilen. Auf das Ausfällen eines lebenslänglichen Tätigkeitsverbots sei gestützt auf Art. 67 Abs. 4bis StGB zu verzichten. Die Hälfte sämtlicher Verfahrenskosten seien dem Kanton St. Gallen aufzuerlegen. Eventualiter sei die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen. A. ersucht darum, seiner Beschwerde die aufschiebende Wirkung zu erteilen.

Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 6B_156/2023 vom 3. April 2023

Der Beschwerdeführer macht vor Bundesgericht verschiedene Rügen geltend, welche wir hier nicht behandeln, etwa zur Strafzumessung (E.1).

Wir betrachten lediglich das Thema des Tätigkeitsverbots.  Der Beschwerdeführer wendet sich gegen das Tätigkeitsverbot. Er argumentiert, da ein besonders leichter Fall vorliege und künftig nicht mehr mit weiteren (einschlägigen) Straftaten zu rechnen sei, seien die Voraussetzungen von Art. 67 Abs. 4bis StGB erfüllt, und es sei ausnahmsweise von der Anordnung eines Tätigkeitsverbots abzusehen. (E.2.1).

Die Vorinstanz erwägt, wie das Bundesgericht darlegt, der Beschwerdeführer habe den Tatbestand der mehrfachen Pornografie nach Art. 197 Abs. 5 Sätze 1 und 2 StGB erfüllt. Folglich sei ein Tätigkeitsverbot nach Art. 67 Abs. 3 lit. d Ziff. 2 StGB auszusprechen, da die verübte Straftat offenkundig keinen Bagatellcharakter aufweise und somit nicht von einem besonders leichten Fall ausgegangen werden könne. Der Beschwerdeführer habe 136 Bilder auf seinem Computer besessen, die teils gravierende tatsächliche sexuelle Handlungen mit Minderjährigen zum Inhalt hatten. Zudem habe er zugegeben, hebephil zu sein, und es sei aktenkundig, dass er sich in eine 13-Jährige verliebt gehabt habe, die er im Rahmen seiner damaligen beruflichen Tätigkeit als Koch in ihrer Schule kennengelernt habe. Trotz ihrer Bitte, sie in Ruhe zu lassen, habe er dies nicht gemacht, bemerkt das Vorinstanz. Angesichts der im Strafverfahren vom Beschwerdeführer gezeigten Haltung und seiner Uneinsichtigkeit könne nicht gesagt werden, dass Anhaltspunkte für eine Wiederholungsgefahr fehlten – im Gegenteil. Wenn er weiterhin im Schwimmclub Mädchen und Jungen zwischen sechs und 16 Jahren trainiere, wie er dies aktuell mache, bestehe eine gewisse Gefahr, dass es zu weiteren Delikten kommen könnte. Dabei handle es sich unter anderem um die Altersgruppe, die ihn nach eigenen Angaben, wonach er hebephil sei, sexuell interessiere. Ein lebenslängliches Tätigkeitsverbot sei demnach zwingend auszusprechen laut der Vorinstanz (E.2.2).

Das Bundesgericht nimmt anschliessend im Urteil 6B_156/2023 vom 3. April 2023 wie folgt in allgemeiner Art und Weise zum Tätigkeitsverbot Stellung:

«Wird jemand nach Art. 197 Abs. 5 StGB wegen Pornografie, die sexuelle Handlungen mit Minderjährigen zum Inhalt hatte, zu einer Strafe verurteilt, so verbietet ihm das Gericht lebenslänglich jede berufliche und jede organisierte ausserberufliche Tätigkeit, die einen regelmässigen Kontakt zu Minderjährigen umfasst (Art. 67 Abs. 3 lit. d Ziff. 2). Gemäss Art. 67 Abs. 4bis StGB kann das Gericht in besonders leichten Fällen ausnahmsweise von der Anordnung eines Tätigkeitsverbotes nach Abs. 3 oder 4 absehen, wenn ein solches Verbot nicht notwendig erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Straftaten abzuhalten, wie sie Anlass für das Verbot sind. Von der Anordnung eines Tätigkeitsverbotes darf jedoch nicht abgesehen werden, wenn der Täter (lit. a) verurteilt worden ist wegen Menschenhandels (Art. 182), sexueller Nötigung (Art. 189), Vergewaltigung (Art. 190), Schändung (Art. 191) oder Förderung der Prostitution (Art. 195), oder (lit. b) gemäss den international anerkannten Klassifikationskriterien pädophil ist. Nach Art. 67c Abs. 6bis StGB können Verbote nach Art. 67 Abs. 3 und 4 StGB nicht aufgehoben werden.» (E.2.3)

«Die vorliegend relevanten Art. 67 Abs. 3 und Art. 67 Abs. 4bis StGB wurden im Rahmen der Umsetzung von Art. 123c BV mit dem Bundesgesetz vom 16. März 2018 (AS 2018 3803) in das Strafgesetzbuch eingefügt und sind seit dem 1. Januar 2019 in Kraft. Da der Beschwerdeführer die mehrfache Pornografie im Zeitraum von Juni 2019 bis 12. März 2020 begangen hat, sind die neuen Gesetzesbestimmungen ohne Weiteres vorliegend anwendbar. Unbestritten ist zudem, dass der Beschwerdeführer wegen einer Katalogtat gemäss Art. 67 Abs. 3 lit. d Ziff. 2 StGB verurteilt wurde und damit grundsätzlich zwingend ein lebenslängliches Tätigkeitsverbot auszusprechen ist. Umstritten und zu prüfen ist jedoch, ob es sich vorliegend um einen Fall handelt, in dem gestützt auf Art. 67 Abs. 4bis StGB ausnahmsweise von einem Tätigkeitsverbot abgesehen werden kann. Das Bundesgericht hat sich bisher nicht zu den Voraussetzungen von Art. 67 Abs. 4bis StGB geäussert.» (E.2.4)

«Ein Absehen von der Anordnung eines Tätigkeitsgebots nach Art. 67 Abs. 3 und 4 StGB ist nach dem Wortlaut von Art. 67 Abs. 4bis StGB unter zwei kumulativen Voraussetzungen (vgl. Botschaft vom 3. Juni 2016 zur Änderung des Strafgesetzbuchs und des Militärstrafgesetzes [Umsetzung von Art. 123c BV], BBl 2016 6146 Ziff. 1.3.7; TRECHSEL/BERTOSSA, in: Schweizerisches Strafgesetzbuch, Praxiskommentar, 4. Aufl. 2021, N. 15c zu Art. 67 StGB; WOLFGANG WOHLERS, in: Wohlers/Godenzi/Schlegel [Hrsg.], Schweizerisches Strafgesetzbuch, Handkommentar, 4. Aufl. 2020, N. 17 zu Art. 67 StGB) zulässig: Einerseits muss es sich um einen „besonders leichten Fall“ handeln, andererseits darf das Verbot nicht notwendig sein, um den Täter von der Begehung weiterer Straftaten abzuhalten, wie sie Anlass für das Verbot sind. Aus dem Wort „ausnahmsweise“ ergibt sich, dass die Bestimmung restriktiv anzuwenden ist und nur bei gewissen Anlasstaten zur Anwendung gelangt (vgl. KATIA VILLARD, in: Commentaire romand, Code pénal, Bd. I, 2. Aufl. 2021, N. 42 zu Art. 67 StGB). Das zwingende lebenslängliche Tätigkeitsverbot soll die Regel sein (DIEGO LANGENEGGER, in: StGB, Annotierter Kommentar, Damien K. Graf [Hrsg.], 2020, N. 24 zu Art. 67 StGB). Dies geht denn auch klar aus der bundesrätlichen Botschaft sowie den parlamentarischen Beratungen hervor und ergibt sich ebenfalls aus Art. 123c BV, dessen Umsetzung die mit dem Bundesgesetz vom 16. März 2018 eingeführten Änderungen des Strafgesetzbuchs dienen (vgl. BBl 2016 6123 Ziff. 1.2.1, 6134 Ziff. 1.3.1; AB 2017 S 638 f.; AB 2017 N 1922 ff.; CHRISTIAN DENYS, in: Commentaire romand, Constitution fédérale, 2021, N. 1 ff. zu Art. 123c BV).» (E.2.5.1)

«Art. 123c BV mit der Marginalie „Massnahme nach Sexualdelikten an Kindern oder an zum Widerstand unfähigen oder urteilsunfähigen Personen“ wurde mit der Annahme der Volksinitiative „Pädophile sollen nicht mehr mit Kindern arbeiten dürfen“ am 18. Mai 2014 in die Bundesverfassung eingefügt. Der Gesetzgeber wollte mit dem neuen Tätigkeitsverbot einerseits den in der Verfassungsbestimmung enthaltenen Automatismus betreffend Anordnung eines zwingenden lebenslänglichen Verbots weitestgehend umsetzen, andererseits jedoch auch mit der Ausnahmebestimmung den bestehenden Verfassungsbestimmungen, insbesondere dem Verhältnismässigkeitsprinzip, und dem Völkerrecht, namentlich der EMRK, Rechnung tragen (vgl. BBl 2016 6116, 6134 Ziff. 1.3.1, 6155 Ziff. 1.4; DENYS, a.a.O., N. 8 zu Art. 123c BV). Die Ausnahmebestimmung soll vermeiden, dass es zu stossenden Verletzungen des Verhältnismässigkeitsprinzips kommt, weil das Gericht in besonders leichten Fällen, bei denen vom Täter keine Wiederholungsgefahr für einschlägige Sexualstraftaten ausgeht und die keinerlei Bezug zu Pädophilie aufweisen, zwingend ein lebenslängliches Tätigkeitsverbot anordnen müsste (BBl 2016 6163 Ziff. 2.1). Mit der Ausnahmebestimmung soll insbesondere auch der Intention der Initianten der „Pädophilen-Initiative“ Rechnung getragen werden, wonach sogenannte Jugendlieben nicht von einem zwingend lebenslänglichen Tätigkeitsverbot erfasst werden sollen und die Volksinitiative auf pädophile Straftäter zielt. Die Rechtsgleichheit gebietet jedoch – so die Botschaft -, dass eine solche Ausnahmebestimmung nicht nur auf diese Fälle beschränkt wird, sondern auch bei anderen ähnlich besonders leichten Fällen, die keinerlei Bezug zur Pädophilie aufweisen, zur Anwendung gelangen kann, wenn die Voraussetzungen hierfür erfüllt sind (BBl 2016 6161 Ziff. 2.1).» (E.2.5.2)

«Art. 67 Abs. 4bis lit. a und b StGB enthalten sodann die Ausnahmen von den Ausnahmen (vgl. TRECHSEL/BERTOSSA, a.a.O., N. 15d zu Art. 67 StGB). Bei Anlasstaten, die von ihrer Art oder ihrer abstrakten Strafdrohung am schwersten wiegen, vermutet das Gesetz unwiderlegbar, dass es keine besonders leichten Fälle gibt (Art. 67 Abs. 4bis lit. a StGB). Wird der Täter wegen einem dieser Delikte zu einer Strafe verurteilt oder gegen ihn eine Massnahme angeordnet, so muss das Gericht ungeachtet der konkreten Umstände des Einzelfalls zwingend ein lebenslängliches Tätigkeitsverbot anordnen. Gleiches gilt, wenn der Täter pädophil gemäss den international anerkannten Klassifikationskriterien ist. In Art. 67 Abs. 4bis lit. b StGB wird die unwiderlegbare Vermutung aufgestellt, dass bei pädophilen Straftätern die Anordnung eines Tätigkeitsverbots immer notwendig ist (BBl 2016 6163 Ziff. 2.1; siehe auch VILLARD, a.a.O., N. 43 ff. zu Art. 67 StGB).» (E.2.5.3)

«Beim Begriff des „besonders leichten Falls“ handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff (vgl. zum „leichten Fall“ gemäss Art. 116 Abs. 2 AuG: Urteile 6B_60/2018 vom 21. Dezember 2018 E. 2.2.3; 6B_484/2014 vom 4. Dezember 2014 E. 4.2). Für die Qualifikation als besonders leichter Fall ist auf die Gesamtheit der objektiven und subjektiven Tatumstände abzustellen. Von der Ausnahmebestimmung erfasst werden nur eigentliche Bagatellfälle, wobei ein strenger Massstab anzulegen ist. Gemäss Botschaft können als besonders leichte Fälle von Sexualstraftaten in objektiver Hinsicht beispielsweise sexuelle Belästigungen oder Exhibitionismus (wenn es im konkreten Fall beispielsweise eine bedingte Strafe von wenigen Tagessätzen gibt) in Betracht kommen; dies aufgrund ihrer geringen abstrakten Strafandrohung. Aber auch ein anderes Sexualdelikt, das einer höheren Strafdrohung unterliege, könne – so die Botschaft weiter – im konkreten Fall als besonders leichte Sexualstraftat gewertet werden (z.B. sexuelle Handlungen mit einem Kind, wenn es im konkreten Fall beispielsweise eine bedingte Strafe von wenigen Tagessätzen gibt). Dies insbesondere dann, wenn das Gericht unter Gesamtwürdigung der Tat- und Täterkomponenten (z.B. die Schwere der Verletzung, die Verwerflichkeit des Handelns, die Beziehung zwischen dem Täter und dem Opfer, das Vorleben und die Verhältnisse des Täters) das Verschulden des Täters als besonders gering einstufe und deshalb eine milde Strafe ausspreche (BBl 2016 6161 Ziff. 2.1; auch in der Lehre werden weitgehend die Ausführungen in der Botschaft zusammengefasst wiedergegeben: VILLARD, a.a.O., N. 42 zu Art. 67 StGB; WOHLERS, a.a.O., N. 17 zu Art. 67 StGB; STEFAN HEIMGARTNER, in: Kommentar StGB/JStG, Andreas Donatsch [Hrsg.], 21. Aufl. 2022, N. 14 zu Art. 67 StGB; TRECHSEL/BERTOSSA, a.a.O., N. 15c zu Art. 67 StGB; NADINE HAGENSTEIN, in: Basler Kommentar, Strafrecht, Bd. I., 4. Aufl. 2019, N. 87 zu Art. 67 StGB).» (E.2.5.4)

«Als nicht notwendig erscheint ein Tätigkeitsverbot nach der Botschaft dann, wenn dem Täter eine gute Prognose gestellt werden kann, weil Anhaltspunkte für eine Wiederholungsgefahr fehlen. Die Frage, ob ein Verbot nicht notwendig erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Sexualstraftaten abzuhalten, muss vom Gericht – wie bei der Frage des bedingten Strafvollzugs (vgl. Art. 42 Abs. 1 StGB) – aufgrund einer Gesamtwürdigung beantwortet werden. Es sind alle nach dem Stand der Prognoseforschung massgeblichen Umstände zu berücksichtigen. In die Beurteilung miteinzubeziehen sind neben den Tatumständen das Vorleben und der Leumund sowie alle weiteren Tatsachen, die gültige Schlüsse auf den Charakter des Täters und die Aussichten auf Bewährung zulassen. Für eine Einschätzung des Rückfallrisikos ist ein möglichst vollständiges Bild der Täterpersönlichkeit unabdingbar; falls nötig, auch mittels eines psychiatrischen Gutachtens (BBl 2016 6161 Ziff. 2.1; siehe – teilweise mit Hinweis auf die Botschaft – auch: TRECHSEL/BERTOSSA, a.a.O., N. 15c zu Art. 67 StGB; WOHLERS, a.a.O., N. 17 zu Art. 67 StGB; LANGENEGGER, a.a.O., N. 24 zu Art. 67 StGB; HAGENSTEIN, a.a.O., N. 87 zu Art. 67 StGB).» (E.2.5.5)

«Die Botschaft nennt schliesslich einige Konstellationen, in denen das Gericht gestützt auf Art. 67 Abs. 4bis StGB ausnahmsweise von einem Tätigkeitsverbot nach Art. 67 Abs. 3 und 4 StGB absehen könnte (BBl 2016 6162 f. Ziff. 2.1) : Eine 20-jährige Person hat im Rahmen einer Liebesbeziehung mit einer 15-jährigen Person einvernehmlich sexuelle Kontakte (z.B. Zungenküsse), eine Kioskverkäuferin verkauft einem Minderjährigen ein „Sexheftli“, in einer „WhatsApp-Gruppe“ von mehreren 15- bis 18-jährigen Personen wird ein Kurzvideo mit pornografischem Inhalt, das von anderen, unter 16 Jahre alten Schulkollegen selbst gedreht wurde, geteilt und auf dem Mobiltelefon belassen oder eine Frau lässt zu, dass ihr Ehemann sie vor der minderjährigen [recte: wohl unter 16-jährigen] Babysitterin demonstrativ „begrapscht“, bzw. wehrt sich nicht dagegen. Aus diesen möglichen Anwendungsfällen geht hervor, dass häufig Jugendliche bzw. junge Erwachsene im Grenzalter betroffen sind und/oder es sich um offensichtliche Bagatellfälle handelt, die keinerlei Bezug zu Pädophilie aufweisen.  

Das Gericht hat sich im Einzelfall bei der Beurteilung, ob die Voraussetzungen von Art. 67 Abs. 4bis StGB erfüllt sind und von der Anordnung eines Tätigkeitsverbots ausnahmsweise abgesehen werden kann, an diesen Beispielfällen zu orientieren.» (E.2.5.6)

«Sind die beiden kumulativen Voraussetzungen erfüllt, so liegt der ausnahmsweise Verzicht auf die Anordnung eines lebenslänglichen Tätigkeitsverbots gemäss der bundesrätlichen Botschaft im Ermessen des Gerichts (BBl 2016 6162 Ziff. 2.1; TRECHSEL/BERTOSSA, a.a.O., N. 15c zu Art. 67 StGB; WOHLERS, a.a.O., N. 17 zu Art. 67 StGB; LANGENEGGER, a.a.O., N. 24 zu Art. 67 StGB; VILLARD, a.a.O., N. 42 zu Art. 67 StGB). Allerdings muss das Gericht nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung von seinem Ermessen im Rahmen der verfassungsrechtlichen Grundsätze Gebrauch machen. So entschied das Bundesgericht beispielsweise, dass das Gericht nach dem Verhältnismässigkeitsprinzip gemäss Art. 5 Abs. 2 BV von einer Landesverweisung absehen müsse, wenn die Voraussetzungen von Art. 66a Abs. 2 StGB (Härtefallklausel) erfüllt seien (BGE 144 IV 332 E. 3.3; Urteile 6B_552/2021 vom 9. November 2022 E. 2.3.3; 6B_822/2021 vom 4. Juli 2022 E. 2.1.1; je mit Hinweisen). In Nachachtung dieser Rechtsprechung hat das Gericht von einem Tätigkeitsverbot abzusehen, wenn die beiden kumulativen Voraussetzungen von Art. 67 Abs. 4bis StGB erfüllt sind (und kein Fall von Art. 67 Abs. 4bis lit. a und b StGB vorliegt).» (E.2.5.7)

Im vorliegenden Fall teilt das Bundesgericht im Urteil 6B_156/2023 vom 3. April 2023 die Auffassung der Vorinstanz und spricht sich für das lebenslange Tätigkeitsverbot aus:

«Mit der Vorinstanz, bemerkt das Bundesgericht, handelt es sich vorliegend nicht um einen besonders leichten Fall i.S.v. Art. 67 Abs. 4bis StGB. Der Beschwerdeführer hat eine grosse Anzahl von hartpornografischen Erzeugnisse (insgesamt über 150 Bilder) heruntergeladen, wovon 136 Bilder tatsächliche sexuelle Handlungen mit Minderjährigen enthalten, die teilweise massivste Übergriffe auf Kinder zeigen (unter anderem Oral-, Vaginal- oder Analverkehr mit erwachsenen Männern; Urteil S. 11, 13 f., 17 und 22). Der Beschwerdeführer hat diese Bilder zudem nicht versehentlich, sondern mit Wissen und Willen, mithin direktvorsätzlich beschafft, konsumiert und besessen (Urteil S. 16). Bagatellcharakter, wie es zur Annahme eines besonders leichten Falls notwendig wäre, weist der vorliegende Fall nicht auf. Er ist nicht mit den in der Botschaft oder den parlamentarischen Beratungen diskutierten möglichen Ausnahmefällen vergleichbar. Dies ergibt sich denn auch daraus, dass die Vorinstanz das Tatverschulden des Beschwerdeführers als „eher leicht“ bewertet, was nicht mit einem „besonders geringen Verschulden“ gleichzusetzen ist. Daran vermögen die weitgehend appellatorischen Vorbringen des Beschwerdeführers, mit denen er nicht auf die vorinstanzlichen Erwägungen eingeht, nichts zu ändern. Selbst wenn ihm in seiner Beurteilung, wonach sein Verschulden im Rahmen der Gesamtwürdigung als gering einzustufen sei (vgl. Beschwerde S. 15), gefolgt werden könnte, läge entgegen seiner Einschätzung kein besonders leichter Fall i.S.v. Art. 67 Abs. 4bis StGB vor, da hierfür nach dem Ausgeführten ein besonders geringes Verschulden vorausgesetzt wird (vgl. E. 2.5.4 und BBl 2016 6161 Ziff. 2.1). Damit fehlt es bereits an der Voraussetzung des besonders leichten Falls, weshalb grundsätzlich offenbleiben kann, ob das Tätigkeitsverbot nicht notwendig ist, um den Beschwerdeführer von der Begehung weiterer Sexualstraftaten abzuhalten. (E.2.6.1).

Zusammenfassend erweist sich gemäss dem Bundesgericht die vorinstanzliche Einschätzung, dass die Voraussetzungen von Art. 67 Abs. 4bis StGB nicht erfüllt sind und gestützt auf Art. 67 Abs. 3 lit. d Ziff. 2 StGB ein lebenslängliches Tätigkeitsverbot auszusprechen ist, als rechtskonform. Zweifellos bedeutet das lebenslängliche Tätigkeitsverbot für den Beschwerdeführer zwar eine gewisse Härte, bemerkt das Bundesgericht. Diese geht aber nicht über das Mass hinaus, das der Verfassungs- und Gesetzgeber mit der Einführung des grundsätzlich zwingenden lebenslänglichen Tätigkeitsverbots in Kauf nahm oder sogar wollte. Gegen die Anordnung der Bewährungshilfe und den Auftrag an die Beschwerdegegnerin, das Präsidium des Schwimmclubs nach Rechtskraft des vorinstanzlichen Urteils über das lebenslängliche Tätigkeitsverbot zu orientieren, wendet sich der Beschwerdeführer nicht, weshalb darauf nicht einzugehen ist.  (E.2.6.3).

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