Suizidhilfe für gesunde Frau: Genfer Arzt hat Betäubungsmittelgesetz nicht verletzt

Ein Arzt hat mit der Abgabe von Natriumpentobarbital an eine sterbewillige urteilsfähige gesunde 86-jährige Frau nicht gegen das Betäubungsmittelgesetz verstossen. Das Bundesgericht weist mit Urteil 6B_393/2023 vom 13. März 2024 in öffentlicher Beratung die Beschwerde der Genfer Staatsanwaltschaft gegen den Freispruch des Arztes durch das Genfer Kantonsgericht ab. Bereits 2021 hat das Bundesgericht entschieden, dass kein Verstoss gegen das Heilmittelgesetz vorliegt. Sobald das schriftliche, begründete Urteil vorliegt erfolgt hier ein Update.

Sachverhalt

Eine gesunde und urteilsfähige 86-jährige Frau hatte im April 2017 das tödlich wirkende Natriumpentobarbital eingenommen, das ihr der Arzt verschrieben hatte. Die Frau schied gleichzeitig mit ihrem Mann aus dem Leben, der an einer tödlichen Krankheit litt. Die Frau hatte bereits Ende 2015 notariell festhalten lassen, dass sie ihren Ehemann nicht überleben wolle. Ende März 2017 bekräftigte die Frau ihren Sterbewunsch bei ihrem Hausarzt, der ihr diesbezüglich die Urteilsfähigkeit attestierte.

Instanzenzug

Das Polizeigericht des Kantons Genf verurteilte den Arzt 2019 wegen Verstosses gegen das Heilmittelgesetz (HMG) zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen und zu einer Busse von 2400 Franken. Das Kantonsgericht des Kantons Genf bestätigte den Entscheid 2020.

Mit Urteil vom 9. Dezember 2021 hiess das Bundesgericht die Beschwerde des Arztes gut (Urteil 6B_646/2020, Medienmitteilung vom 9. Dezember 2021). Es kam zum Schluss, dass das HMG im vorliegenden Fall nicht zur Anwendung gelange. Das Bundesgericht hob den angefochtenen Entscheid auf und wies die Sache zurück ans Kantonsgericht zur Prüfung der Frage, ob allenfalls eine Verletzung des Betäubungsmittelgesetzes (BetmG) vorliege. Das Kantonsgericht verneinte dies mit Entscheid vom Februar 2023. Die Genfer Staatsanwaltschaft gelangte dagegen ans Bundesgericht.

Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 6B_393/2023 vom 13. März 2024 (Stand: öffentliche Beratung vom 13. März 2024)

Das Bundesgericht weist die Beschwerde in seiner öffentlichen Beratung vom 13. März 2024 ab. Das BetmG enthält keine Grundlage zur Bestrafung des Arztes. Strafen dürfen nur ausgesprochen werden, wenn eine Handlung gesetzlich ausdrücklich verboten ist. Das BetmG zielt darauf ab, die Abgabe von Betäubungsmitteln zu medizinischen und wissenschaftlichen Zwecken zu regeln und die Betäubungsmittelabhängigkeit zu bekämpfen. Die ärztliche Abgabe von Natriumpentobarbital an eine gesunde Person ist nicht medizinisch indiziert und dient keinem therapeutischen Zweck. Vielmehr stellen sich dabei ausschliesslich ethische und moralische Fragen. Die Frage der Rechtmässigkeit einer Abgabe von Natriumpentobarbital an eine gesunde Person lässt sich somit nicht auf Basis des medizinischen oder pharmakologischen Wissensstandes beantworten, noch der Wissenschaft überhaupt. Es liegt somit kein nach dem BetmG strafbares Verhalten vor.

Es ist nicht Sache des Strafrichters, die geltenden Gesetzesbestimmung besonders weit auslegen, noch dazu bei einem so umstrittenen und sensiblen Thema wie der Beihilfe zum Suizid.

Gegebenenfalls wäre es am Gesetzgeber, die gesetzlichen Grundlagen für die ärztliche Abgabe von Natriumpentobarbital an eine gesunde Person den ethischen und moralischen Konzeptionen anzupassen, die in der Gesellschaft mehrheitlich geteilt werden.

Schliesslich sei darauf hingewiesen, dass ein Arzt trotz fehlender Strafbestimmungen im geltendem Recht Natriumpentobarbital nicht ohne weiteres an gesunde Personen abgeben darf. Er läuft Gefahr, seine berufliche Verantwortung als Arzt übernehmen zu müssen, sei dies in zivil- oder verwaltungsrechtlicher Hinsicht.

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