Suizidhilfe durch Ärztin: Kantonsgericht Basel-Landschaft muss neu entscheiden

Eine Ärztin hat sich mit der Abgabe des Mittels Natrium-Pentobarbital an eine suizidwillige Person entgegen der Ansicht der Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft keines Tötungsdelikts schuldig gemacht. Das Bundesgericht weist im Urteil 6B_1087/2021, 6B_1120/2021 vom 22. Mai 2023 die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Kantonsgerichts Basel-Landschaft ab. Die Beschwerde der Ärztin heisst es gut. Das Kantonsgericht muss weitere Abklärungen zum Sachverhalt treffen und neu entscheiden.

Sachverhalt

In ihrer Anklage von 2018 warf die Staatsanwaltschaft der Ärztin und Sterbebegleiterin vor, 2016 eine Frau zumindest eventualvorsätzlich getötet zu haben, ohne dass sie zuvor ein psychiatrisches Fachgutachten über deren Urteilsfähigkeit eingeholt habe. Sie habe der Betroffenen das tödlich wirkende Mittel Natrium-Pentobarbital verschrieben und die Infusion gesetzt; dessen Zufuhr soll die Sterbewillige selber ausgelöst haben. Zudem habe die Ärztin von Oktober 2013 bis Juni 2017 ohne Bewilligung in mehreren Fällen unbeschriftete Natrium-Pentobarbital-Dosierungen bezogen, bei sich gelagert und in der Folge mehreren sterbewilligen Personen abgegeben.

Instanzenzug

Das Strafgericht Basel-Landschaft und später das Kantonsgericht sprachen die Ärztin wegen mehrfacher Widerhandlungen gegen das Bundesgesetz über Arzneimittel und Medizinprodukte (HMG) sowie gegen das basellandschaftliche Gesundheitsgesetz schuldig. Das Kantonsgericht verurteilte sie zu einer Busse von 10’000 Franken. Von der Anklage der vorsätzlichen, eventualiter fahrlässigen Tötung wurde sie freigesprochen.

Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 6B_1087/2021, 6B_1120/2021 vom 22. Mai 2023

Das Bundesgericht weist im Urteil 6B_1087/2021, 6B_1120/2021 vom 22. Mai 2023 die von der Staatsanwaltschaft erhobene Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt. Das Kantonsgericht ging bei seinem Entscheid davon aus, dass die sterbewillige Frau bei der Durchführung des Suizids urteilsfähig gewesen sei. Die von der Staatsanwaltschaft in diesem Zusammenhang erhobenen sachverhaltlichen Rügen sind unbegründet; auf das Begehren, die Ärztin wegen (eventual-)vorsätzlicher, eventualiter fahrlässiger Tötung zu verurteilen, kann deshalb a priori nicht eingetreten werden. Als unbegründet erweist sich auch der Antrag um Verurteilung der Frau wegen (untauglich) versuchter Tötung.

Die Beschwerde der Ärztin in Bezug auf ihre Verurteilung wegen Widerhandlungen im Bereich des Heilmittelrechts heisst das Bundesgericht hingegen gut, soweit es darauf eintritt; die Sache wird zur Neubeurteilung ans Kantonsgericht zurückgewiesen.

Das Bundesgericht hat in einem anderen Fall unlängst entschieden, dass in Bezug auf die Abgabe von Natrium-Pentobarbital die Strafbestimmungen des Betäubungsmittelgesetzes (BetmG) denjenigen des HMG grundsätzlich vorgehen, wobei es die Frage der therapeutischen Verwendung von Natrium-Pentobarbital offengelassen hat (Urteil 6B_646/2020, Medienmitteilung vom 9. Dezember 2021).

Das Kantonsgericht wird zunächst ergänzend abklären müssen, ob die betroffenen, sterbewilligen Personen an einer psychischen oder physischen Krankheit gelitten haben oder nicht. Falls das Betäubungsmittelrecht anzuwenden wäre, hat es zusätzlich zu klären, ob verfahrensrechtlich eine neue rechtliche Beurteilung noch möglich wäre und ob das vorgeworfene Verhalten von der Betäubungsmittelgesetzgebung erfasst wird.

Hier sind einige Schlüsselausführungen des Bundesgerichts im Urteil 6B_1087/2021, 6B_1120/2021 vom 22. Mai 2023:

«Wer vorsätzlich einen Menschen tötet, macht sich gemäss Art. 111 StGB der vorsätzlichen Tötung schuldig. Führt der Täter, nachdem er mit der Ausführung eines Verbrechens oder Vergehens begonnen hat, die strafbare Tätigkeit nicht zu Ende oder tritt der zur Vollendung der Tat gehörende Erfolg nicht ein oder kann dieser nicht eintreten, so kann das Gericht die Strafe mildern (Art. 22 Abs. 1 StGB).» (E.4.3.1)

«Vorsätzlich begeht ein Verbrechen oder Vergehen, wer die Tat mit Wissen und Willen ausführt. Vorsätzlich handelt bereits, wer die Verwirklichung der Tat für möglich hält und in Kauf nimmt (Art. 12 Abs. 2 StGB). Nach ständiger Rechtsprechung ist Eventualvorsatz gegeben, wenn der Täter den Eintritt des Erfolgs beziehungsweise die Tatbestandsverwirklichung für möglich hält, aber dennoch handelt, weil er den Erfolg für den Fall seines Eintritts in Kauf nimmt, sich mit ihm abfindet, mag er ihm auch unerwünscht sein (BGE 137 IV 1 E. 4.2.3; 134 IV 26 E. 3.2.2; 133 IV 9 E. 4.1; je mit Hinweisen). Nicht erforderlich ist, dass er den Erfolg „billigt“ (BGE 133 IV 9 E. 4.1; 1 E. 4.1; je mit Hinweisen).  

Ob der Täter die Tatbestandsverwirklichung im Sinne des Eventualvorsatzes in Kauf genommen hat, muss das Gericht bei Fehlen eines Geständnisses aufgrund der Umstände entscheiden. Dazu gehören die Grösse des dem Täter bekannten Risikos der Tatbestandsverwirklichung, die Schwere der Sorgfaltspflichtverletzung, die Beweggründe des Täters und die Art der Tathandlung. Je grösser die Wahrscheinlichkeit der Tatbestandsverwirklichung ist und je schwerer die Sorgfaltspflichtverletzung wiegt, desto näher liegt die Schlussfolgerung, der Täter habe die Tatbestandsverwirklichung in Kauf genommen. Das Gericht darf vom Wissen des Täters auf den Willen schliessen, wenn sich dem Täter der Eintritt des Erfolgs als so wahrscheinlich aufdrängte, dass die Bereitschaft, ihn als Folge hinzunehmen, vernünftigerweise nur als Inkaufnahme des Erfolgs ausgelegt werden kann (BGE 137 IV 1 E. 4.2.3; Urteile 6B_310/2022, 6B_311/2022 vom 8. Dezember 2022 E. 4.3.2; 6B_1314/2020 vom 8. Dezember 2021 E. 1.2.1; 6B_526/2020 vom 24. Juni 2021 E. 1.2.1; mit Hinweisen). Eventualvorsatz kann indessen auch vorliegen, wenn der Eintritt des tatbestandsmässigen Erfolgs nicht in diesem Sinne sehr wahrscheinlich, sondern bloss möglich war. Doch darf nicht allein aus dem Wissen des Täters um die Möglichkeit des Erfolgseintritts auf dessen Inkaufnahme geschlossen werden. Vielmehr müssen weitere Umstände hinzukommen (BGE 133 IV 9 E. 4.1; 131 IV 1 E. 2.2; 125 IV 242 E. 3f; je mit Hinweisen). 

Was der Täter wusste, wollte und in Kauf nahm, betrifft sogenannte innere Tatsachen und ist damit Tatfrage. Als solche prüft sie das Bundesgericht nur unter dem Gesichtspunkt der Willkür (vgl. bereits Art. 9 BV; Art. 97 Abs. 1 BGG). Rechtsfrage ist hingegen, ob gestützt auf die festgestellten Tatsachen bewusste Fahrlässigkeit, Eventualvorsatz oder direkter Vorsatz gegeben ist (BGE 147 IV 439 E. 7.3.1; 141 IV 369 E. 6.3; 137 IV 1 E. 4.2.3; je mit Hinweisen). Da sich der Sinngehalt des (Eventual-) Vorsatzes nur im Lichte der tatsächlichen Umstände erschliessen lässt, besteht eine gewisse Überschneidung von Tat- und Rechtsfragen. Das Bundesgericht kann daher in einem gewissen Ausmass die richtige Bewertung dieser Umstände im Hinblick auf den Rechtsbegriff des Eventualvorsatzes überprüfen (BGE 147 IV 439 E. 7.3.1; 133 IV 9 E. 4.1; je mit Hinweisen). Es tut dies jedoch mit einer gewissen Zurückhaltung (BGE 147 IV 439 E. 7.3.1; 134 IV 189 E. 1.3).» (E.4.3.2)

Zu den Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz nimmt das Bundesgericht im Urteil 6B_1087/2021, 6B_1120/2021 vom 22. Mai 2023 wie folgt Stellung:

«Die Vorinstanz legt einlässlich dar, inwiefern sie von einem „bloss“ fahrlässigen Verhalten der Beschwerdeführerin 2 ausgeht. Ungeachtet dessen, dass nach der vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellung bei B. sel. eine schwere psychische Krankheit vorlag, die nicht ohne Weiteres als reaktive Erkrankung im Zusammenhang mit einem tödlichen, geschweige denn terminalen somatischen Leiden qualifiziert werden konnte, weshalb – so die Vorinstanz – zwingend eine Medizinalperson mit Facharzttitel in Psychiatrie hätte in einem Fachgutachten beurteilen müssen, ob der Sterbewunsch der Verstorbenen primär ein therapierbares Symptom ihrer psychischen Erkrankung gebildet oder ob die Suizidialität in relativer Unabhängigkeit davon bestanden habe (vgl. Urteil S. 67), hält die Vorinstanz willkürfrei fest, dass die Beschwerdeführerin 2 die Urteilsfähigkeit von B. sel. aufgrund der psychiatrischen Diagnosen zwar als heikel erachtet habe, für sie aber nie Zweifel an der Urteilsfähigkeit bestanden hätten. So oder anders sei sie davon überzeugt gewesen, dass die somatischen Diagnosen im Vordergrund gestanden und die psychosomatischen Beschwerden lediglich als untergeordnete Folge der somatischen Beschwerden entstanden seien. Was die Beschwerdeführerin 1 hiergegen vorbringt, geht nicht über eine appellatorische Kritik am angefochtenen Urteil hinaus. Soweit sie darüber hinaus geltend macht, die Beschwerdeführerin 2 sei nicht kompetent gewesen, angesichts der mehrfach attestierten Diagnose der Somatierungsstörung und der rezidivierenden depressiven Störung bei der Verstorbenen ohne Beizug eines Psychiaters darüber zu entscheiden, wie die psychiatrischen Diagnosen einzuordnen gewesen seien, legt sie in rechtlicher Hinsicht nicht dar und ist auch nicht offensichtlich, weshalb die Vorinstanz nach den verbindlichen Sachverhaltsfeststellungen zwingend auf (Eventual-) Vorsatz i.S.v. Art. 12 Abs. 2 StGB hätte schliessen müssen.» (E.4.4)

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