Im Internet sind verschiedene Definitionen von Catcalling zu finden, ohne dass eine klare Primärquelle ersichtlich wäre. Hier ist die Definition von Wikipedia: «Catcalling (deutsch etwa „Katzen-Rufen“) bezeichnet sexuell anzügliches Rufen, Reden, Pfeifen oder sonstige Laute im öffentlichen Raum, wie das Hinterherrufen sowie Nachpfeifen und stellt eine Form der verbalen sexuellen Belästigung dar. Der Begriff stammt aus der englischen Umgangssprache.» (Quelle, Wikipedia, besucht am 28. Dezember 2022: Catcalling – Wikipedia).
Klar ist das Catcalling sowohl von Frau zu Mann, Mann zu Frau als auch von Mann zu Mann oder Frau zu Frau erfolgen kann. Ein rechtliches drittes Geschlecht gibt es rechtlich derzeit nicht in der Schweiz, hier ist auch auf die Ausführungen des Bundesrats vom 22. Dezember 2022 zu verweisen, wonach die gesellschaftlichen Voraussetzungen für die Einführung eines dritten Geschlechts derzeit nicht gegeben sind (hier geht es zum Bericht hierzu von LAWSTYLE®).
Auch wenn sich der Begriff Catcalling nun auch im deutschen Sprachraum eingebürgert hat, wird am Begriff auch Kritik geübt, da er verharmlosend wirken könnte.
In der Schweiz besteht derzeit keine ausdrückliche gesetzliche Regelung des Catcallings. Auch sind (Stand: 1. Januar 2023) keine entsprechenden Gesetzgebungsprojekte ersichtlich.
Rechtsvergleichung: Erhebung zu Catcalling durch den Deutschen Bundestag
Im Deutschen Bundestag ist ein Papier vom Wissenschaftlichen Dienst zum Catcalling erstellt worden (WD 7 – 3000 – 115/20 vom 2. November 2020). Schauen wir uns das im Sinne der Rechtsvergleichung an.
Darin sind die folgenden Äusserungen zu finden: «Soweit ersichtlich, hat die Rechtsprechung bislang noch keinen Sachverhalt unter dem Begriff „Catcalling“ strafrechtlich geprüft. Der Bundesgerichtshof (BGH) vertritt jedoch zur Frage, wann überhaupt eine Äußerung mit sexuellem Bezug als Beleidigung aufzufassen ist, seit den 1980er Jahren eine stetige Auffassung. Hierbei nimmt er keine geschlechtsspezifischen Differenzierungen vor. Zuletzt wiederholte er seine Rechtsprechung in einem Beschluss aus dem Jahr 2017: „Ein Angriff auf die Ehre liegt vor, wenn der Täter einem anderen zu Unrecht Mängel nachsagt, die, wenn sie vorlägen, den Geltungswert des Betroffenen minderten. Eine „Nachrede“, die in einem herabsetzenden Werturteil oder einer ehrenrührigen Tatsachenbehauptung bestehen kann, verletzt den aus der Ehre fließenden Achtungsanspruch. Mit einer solchen „Nachrede“ wird die Missachtung, Geringschätzung oder Nichtachtung kundgegeben, die den Tatbestand verwirklicht […]. Im Zusammenhang mit der Vornahme sexuell motivierter Äußerungen liegt ein Angriff auf die Ehre nur vor, wenn der Täter zum Ausdruck bringt, der Betroffene weise insoweit einen seine Ehre mindernden Mangel auf. Eine ehrverletzende Kundgabe von Missachtung liegt regelmäßig nicht allein in der sexuell motivierten Äußerung des Täters. Denn allein die sexuelle Motivation des Täters, mit der er den Betroffenen unerwünscht und gegebenenfalls in einer ungehörigen, das Schamgefühl betreffenden Weise konfrontiert, genügt für die erforderliche, die Strafbarkeit begründende, herabsetzende Bewertung des Opfers nicht. Eine Herabsetzung des Betroffenen kann sich bei sexuell motivierten Äußerungen im Einzelfall nur durch das Hinzutreten besonderer Umstände unter Würdigung des Gesamttatgeschehens ergeben (vgl. BGH, Urteil vom 14. Mai 1986 – 3 StR 504/85, NStZ 1986, 453, 454; Senat, Urteil vom 15. März 1989 – 2 StR 662/88, BGHSt 36, 145, 150; BGH, Beschluss vom 12. August 1992 – 3 StR 318/92, aaO; Senat, Beschluss vom 26. Juli 2006 – 2 StR 285/06, BGHR StGB § 185 Ehrverletzung 6; BGH, Beschluss vom 16. Februar 2012 – 3 StR 13/12, NStZ-RR 2012, 20). Dementsprechend reiche nicht aus, dass eine Person ohne weitere Umstände einer anderen Person gegenüber eine sexuell motivierte Äußerung tätigt – auch wenn dies in unflätiger Weise geschehe. Hierin liege noch nicht die der Beleidigung innewohnende Ehrverletzung. Denn das Rechtsgut der Ehre dürfe nicht mit der Personenwürde oder der (ideellen) Persönlichkeitssphäre gleichgesetzt werden, sonst verlöre es seine Konturen.» (Quelle: Deutscher Bundestag, WD 7 – 3000 – 115/20 vom 2. November 2020).
Weiter folgert der Deutsche Bundestag wie folgt: «Beispielhaft hat die Rechtsprechung aus den dargestellten Grundsätzen gefolgert, dass es nicht beleidigend sei, wenn anderen Personen anlasslos mittels kurzer, sexuell motivierter Äußerungen die Durchführung geschlechtlicher Praktiken angetragen werde, ohne dass weitere Umstände hinzuträten. 10 Solche weiteren Umstände hat der BGH etwa darin gesehen, wenn neben dem anlasslosen Ansinnen einer geschlechtlichen Handlung auch hierfür Geld geboten werde, obwohl die anbietende Person keinerlei Anlass hätte, das Gegenüber als käuflich zu erachten.11 Denn hierdurch werde die adressierte Person sinngemäß der Prostitution bezichtigt, was eine Missachtung der persönlichen Ehre ausdrücke. Hinsichtlich der Rechtsprechungsbeispiele ist allerdings zu berücksichtigen, dass Gerichte lediglich über Einzelfälle rechtskräftig entscheiden. Insbesondere kann nicht notwendigerweise davon ausgegangen werden, dass bestimmte Konstellationen in Zukunft in einer bestimmten Weise entschieden werden. Bereits aus verfassungsrechtlichen Gründen übt die gerichtliche Rechtsauslegung – auch die der obersten Fachgerichte wie dem BGH13 – keine formale Bindungswirkung auf spätere gerichtliche Entscheidungen aus.14 Gleichwohl orientieren sich Gerichte in der Praxis häufig an bestehender Rechtsprechung, insbesondere der der oberen Instanzen.» (Quelle: Deutscher Bundestag, WD 7 – 3000 – 115/20 vom 2. November 2020).
Strafbarkeit von Catcalling in der Schweiz
Das Catcalling ist derzeit (Stand: 1. Januar 2023) in der Schweiz nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt, auch nicht strafrechtlich durch einen eigenen Tatbestand.
Das Schweizer Strafrecht (und nicht nur das Schweizer Strafrecht, dieser Grundsatz ist selbstverständlich auch in anderen Ländern zu finden) basiert auf dem sogenannten Legalitätsprinzip (nulla poena sine lege, n.p.s.l.). Dies ist in Art. 1 StGB «Keine Sanktion ohne Gesetz» stipuliert. Art. 1 StGB lautet wie folgt: «Eine Strafe oder Massnahme darf nur wegen einer Tat verhängt werden, die das Gesetz ausdrücklich unter Strafe stellt.»
Das Legalitätsprinzip ist dann verletzt, wenn eine Person wegen einer Handlung, die im Gesetz überhaupt nicht als strafbar bezeichnet wird, strafrechtlich verfolgt wird, oder wenn eine Handlung, deretwegen eine Person strafrechtlich verfolgt wird, zwar in einem Gesetz mit Strafe bedroht ist, dieses Gesetz selber aber nicht als rechtsbeständig angesehen werden kann, oder endlich, wenn der Richter eine Handlung unter ein Strafgesetz subsumiert, die darunter auch bei weitest gehender Auslegung nach allgemeinen strafrechtlichen Grundsätzen nicht subsumiert werden kann (PK-StGB-Trechsel/Fateh-Moghadam, Art. 1 N 1 m.w.H.).
Art. 1 StGB dient dem Schutz vor staatlicher Willkür sowie der Rechtssicherheit. Eine Strafbestimmung muss so präzise formuliert sein, dass eine Person sein Verhalten danach richten und die Folgen eines bestimmten Verhaltens mit einem den Umständen entsprechenden Grad an Gewissheit erkennen kann (PK-StGB-Trechsel/Fateh-Moghadam, Art. 1 N 3 m.w.H.).
Da es keine spezifische Catcalling-Bestimmung im Schweizer Strafrecht gibt, stellt sich die Frage, ob nach dem Legalitätsprinzip dieses Verhalten unter eine Strafbestimmung des StGB (im Nebenstrafrecht sind keine entsprechenden Normen ersichtlich, die in Frage kämen) subsumiert werden kann.
Sexuelle Belästigung (Art. 198 StGB)
Der Tatbestand der sexuellen Belästigung von Art. 198 StGB lautet wie folgt:
«Wer vor jemandem, der dies nicht erwartet, eine sexuelle Handlung vornimmt und dadurch Ärgernis erregt,
wer jemanden tätlich oder in grober Weise durch Worte sexuell belästigt,
wird, auf Antrag, mit Busse bestraft.»
Die Tathandlungen von Art. 198 Abs. 2 StGB werden mit «tätlich» oder «in grober Weise durch Worte» umschreiben. Tätlichkeit bedeutet immer auch körperliche Berührung (PK-StGB-Trechsel/Fateh-Moghadam, Art. 198 N 6 m.w.H.), so dass das Catcalling hier mit Sicherheit nicht darunter subsumiert werden kann. Der Begriff der groben verbalen Belästigung wurde erst durch das Parlament eingefügt. In der Literatur ist hierzu die folgende Bemerkung zu finden: «Die Äusserung muss explizit sein, zumindest unverblümt, in der Regel unter Verwendung von Vulgärausdrücken; […] Es wird auf jeden Fall auf den Gesamteindruck ankommen, zu dem auch das soziale Umfeld gehört, in dem die Äusserung getan wird.» (PK-StGB-Trechsel/Fateh-Moghadam, Art. 198 N 7 m.w.H.). Subjektiv ist Vorsatz erforderlich, ein Eventualvorsatz genügt (PK-StGB-Trechsel/Fateh-Moghadam, Art. 198 N 7 m.w.H.).
Aufgrund des jetzigen Wortlauts von Art. 198 StGB dürfte die Subsumtion, vergleiche auch das oben dargestellte Legalitätsprinzip, nicht oder nur in sehr schweren Fällen, unter diese Strafbestimmung subsumierbar sein. Im Zentrum steht dabei Art. 198 Abs. 2 StGB bei groben verbalen Belästigungen. Ein blosses Pfeifen oder andere Laute dürften aber nicht unter diese Strafbestimmung subsumierbar sein.
Um eine Strafbarkeit des Catcallings in der Schweiz zu ermöglichen, könnte aber der Tatbestand von Art. 198 StGB de lege ferenda entsprechend erweitert werden, durch die Erweiterung der in Abs. 2 aufgeführten Handlungen oder durch einen neuen Absatz, der die Handlungen vom Catcalling in einer den (hohen) Anforderungen des Legalitätsprinzips genügenden Formulierung umschreibt. Hier ist ein entsprechender Formulierungsvorschlag für einen Art. 198 revStGB bzw. einen neuen Abs. (fettgedruckt):
«Wer vor jemandem, der dies nicht erwartet, eine sexuelle Handlung vornimmt und dadurch Ärgernis erregt,
wer jemanden tätlich oder in grober Weise durch Worte sexuell belästigt,
wer jemanden durch anzügliche Worte, Pfeifen oder sonstige Laute im öffentlichen Raum sexuell belästigt,
wird, auf Antrag, mit Busse bestraft.»
Ehrverletzungsdelikte (Art. 173 ff. StGB)
Eine Subsumtion des Catcallings unter die Ehrverletzungsdelikte des StGB, wie etwa Üble Nachrede (Art. 173 StGB) oder Verleumdung (Art. 174 StGB) erscheint hingegen kaum möglich.
Eine solche Subsumption wäre auch nicht durch den Schutzzweck der entsprechenden Bestimmungen des StGB abgedeckt.