Strafbarkeit des Geschäftsherren nach Art. 6 Abs. 2 VStrR

Das Urteil 6B_444/2021 vom 9. Dezember 2022 behandelte einen Zuger Fall aus dem Verwaltungsstrafrecht (VStrR). Es ging dabei um Widerhandlungen gegen das UWG. Im Vordergrund stehen Ausführungen des Bundesgerichts zum VStrR, namentlich zu Art. 6 Abs. 2 VStrR: «Nach Art. 6 Abs. 2 VStrR ist für die Strafbarkeit des Geschäftsherrn allein entscheidend, ob eine Widerhandlung, mithin objektiv eine Straftat vorliegt […]. Die Bestrafung des Geschäftsherrn tritt neben eine allfällige Bestrafung der Person, die die Widerhandlung selbst verübt hat […].» (E.5.2).

Sachverhalt

Am 24. August 2016 stellte die durch das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) vertretene Schweizerische Eidgenossenschaft unter anderem wegen des Verdachts der Widerhandlungen gegen das Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG; SR 241) Strafanzeige gegen die B. GmbH sowie gegen „weitere verantwortliche Personen“ bzw. am 29. Dezember 2016 gegen die B. GmbH und gegen A.

Am 24. Mai 2018 erhob die Staatsanwaltschaft des Kantons Zug Anklage gegen A. aufgrund seiner Tätigkeit als alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer der B. GmbH, unter anderem wegen mehrfacher Widerhandlungen gegen Art. 3 lit. b UWG seit mindestens dem 24. Mai 2016 bis 28. Juni 2017. Gewisse Textpassagen bzw. Darstellungen und Formulierungen auf der Homepage der B. GmbH über die von ihr betriebene Online-Schule bzw. Online-Universität „C.“ und die „D.“ würden das Wahrheits- bzw. Täuschungsverbot und das Klarheitsgebot bzw. Irreführungsverbot im Wettbewerb verletzen.

Instanzenzug

Das Strafgericht des Kantons Zug sprach A. mit Urteil vom 21. Oktober 2019 wegen mehrfacher Widerhandlung gegen Art. 23 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 lit. b und c UWG sowie der Widerhandlung gegen § 12 Abs. 1 lit. a Übertretungsstrafgesetz des Kantons Zug (ÜStG; BGS 312.1) schuldig. Es verurteile ihn zu einer bedingten Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu Fr. 130.–, einer Verbindungsbusse von Fr. 3’900.– sowie einer Übertretungsbusse von Fr. 1’000.–. Im Übrigen stellte es das Verfahren betreffend mehrfacher Titelanmassung vor dem 21. Oktober 2016 ein.

Mit Urteil vom 3. März 2021 bestätigte das Obergericht des Kantons Zug die Verfahrenseinstellung und den Schuldspruch wegen mehrfacher Widerhandlung gemäss Art. 23 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 lit. b UWG (hinsichtlich der Tathandlungen 1 bis 6 der Anklage-Ziffer 1) und verurteilte A. zu einer bedingten Geldstrafe von 110 Tagessätzen zu Fr. 130.– und einer Verbindungsbusse von Fr. 2’600.–. Im Übrigen sprach es A. frei.

Weiterzug an das Bundesgericht

Der A. beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, das Verfahren sei in Bezug auf den Schuldspruch einzustellen. Eventualiter sei er von diesem Vorwurf freizusprechen. Subeventualiter sei die Sache hinsichtlich dieses Punktes zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Wortlaut von Art. 6 Verwaltungsstrafrecht (VStrR)

Art. 6 VStrR lautet wie folgt:

«1 Wird eine Widerhandlung beim Besorgen der Angelegenheiten einer juristischen Person, Kollektiv- oder Kommanditgesellschaft, Einzelfirma oder Personengesamtheit ohne Rechtspersönlichkeit oder sonst in Ausübung geschäftlicher oder dienstlicher Verrichtungen für einen andern begangen, so sind die Strafbestimmungen auf diejenigen natürlichen Personen anwendbar, welche die Tat verübt haben.

2 Der Geschäftsherr, Arbeitgeber, Auftraggeber oder Vertretene, der es vorsätzlich oder fahrlässig in Verletzung einer Rechtspflicht unterlässt, eine Widerhandlung des Untergebenen, Beauftragten oder Vertreters abzuwenden oder in ihren Wirkungen aufzuheben, untersteht den Strafbestimmungen, die für den entsprechend handelnden Täter gelten.

3 Ist der Geschäftsherr, Arbeitgeber, Auftraggeber oder Vertretene eine juristische Person, Kollektiv- oder Kommanditgesellschaft, Einzelfirma oder Personengesamtheit ohne Rechtspersönlichkeit, so wird Absatz 2 auf die schuldigen Organe, Organmitglieder, geschäftsführenden Gesellschafter, tatsächlich leitenden Personen oder Liquidatoren angewendet.»

Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 6B_444/2021 vom 9. Dezember 2022

Zunächst stand vor Bundesgericht zur Diskussion ob ein rechtsgültiger Strafantrag vorliege, was das Bundesgericht bejahte (E.2).

Strittig und zu prüfen war weiter, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzt, indem sie den Beschwerdeführer hinsichtlich der Tathandlungen 1 bis 6 der Anklageziffer 1 gestützt auf Art. 23 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 lit. b UWG wegen mehrfacher Widerhandlung gegen das UWG schuldig spricht (E.3).

Nach Art. 23 Abs. 1 UWG wird bestraft, wer vorsätzlich unlauteren Wettbewerb nach Art. 3, 4, 5 oder 6 UWG begeht, bemerkt das Bundesgericht (E.3.1).

Das Bundesgericht äussert sich weiter zum Verwaltungsstrafrecht (VStrR) wie folgt:

«Für Widerhandlungen in Geschäftsbetrieben, durch Beauftragte und dergleichen sind die Artikel 6 und 7 des Verwaltungsstrafrechtsgesetzes vom 22. März 1974 (VStrR; SR 313.0) anwendbar (Art. 26 UWG).  

Nach Art. 6 Abs. 2 VStrR untersteht der Geschäftsherr, Arbeitgeber, Auftraggeber oder Vertretene, der es vorsätzlich oder fahrlässig in Verletzung einer Rechtspflicht unterlässt, eine Widerhandlung des Untergebenen, Beauftragten oder Vertreters abzuwenden oder in ihrer Wirkung aufzuheben, den Strafbestimmungen, die für den entsprechend handelnden Täter gelten. 

Die Verletzung einer Rechtspflicht gemäss Art. 6 Abs. 2 VStrR setzt eine Garantenstellung voraus, das heisst eine bestimmte rechtliche Pflicht, das fragliche Verhalten durch Überwachung, Weisungen und falls notwendig Eingreifen zu verhindern. Da sich die Bestimmungen des Verwaltungsrechts in der Regel an den Geschäftsherrn richten, ist dieser rechtlich verpflichtet, deren Anwendung sicherzustellen und deren Verletzung zu verhindern. Eine strafrechtliche Verantwortlichkeit ist zu bejahen, wenn der Geschäftsherr es unterlässt, Massnahmen zu ergreifen und seinen Angestellten angemessene Weisungen zu erteilen (BGE 142 IV 315 E. 2).» (E.3.2).

Zu Art. 2 UWG nimmt das Bundesgericht wie folgt Stellung:

«Nach Art. 2 UWG ist jedes täuschende oder in anderer Weise gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstossende Verhalten oder Geschäftsgebaren unlauter und widerrechtlich, welches das Verhältnis zwischen Mitbewerbern oder zwischen Anbietern und Abnehmern beeinflusst. Unlauter können danach nur Handlungen sein, die objektiv geeignet sind, den Wettbewerb beziehungsweise die Funktionsfähigkeit des Markts zu beeinflussen (BGE 136 III 23 E. 9.1 mit Hinweisen).  

Nach Art. 3 Abs. 1 lit. b UWG handelt unlauter, wer über sich, seine Firma, seine Geschäftsbezeichnung, seine Waren, Werke oder Leistungen, deren Preise, die vorrätige Menge, die Art der Verkaufsveranstaltung oder über seine Geschäftsverhältnisse unrichtige oder irreführende Angaben macht oder in entsprechender Weise Dritte im Wettbewerb begünstigt (Art. 3 Abs. 1 lit. b UWG). Das Verbot von wettbewerbsbeeinflussender Täuschung oder Irreführung schafft dem Gebot der Wahrheit und der Klarheit des Marktauftritts Nachachtung, indem es ein Geschäftsgebaren untersagt, das darauf abzielt, den Adressaten beim Vertragsschluss dadurch zu beeinflussen, dass beim potenziellen Vertragspartner eine Diskrepanz zwischen dessen subjektiver Vorstellung und der Realität bewirkt wird. Die Gefahr der Täuschung bzw. Irreführung genügt. Massgebend dafür, ob von einer solchen ausgegangen werden kann, ist das objektive Verständnis der angesprochenen Verkehrskreise unter Zugrundelegung durchschnittlicher Erfahrung, Sachkunde und Aufmerksamkeit. Es ist somit für die Erfüllung des Tatbestands nicht erforderlich, dass jeder Adressat mit durchschnittlicher Erfahrung auf die Täuschung hereinfällt oder sich irreführen lässt, sondern es genügt, wenn nach den allgemeinen Erfahrungen des Lebens anzunehmen ist, dass sich eine nicht unerhebliche Anzahl von Adressaten der Handlungen täuschen lässt bzw. einem Irrtum verfällt (BGE 136 III 23 E. 9.1; Urteile 4A_314/2021 vom 27. Oktober 2021 E. 3.4; 6B_99/2019 vom 18. April 2019 E. 2.2; je mit Hinweisen).» (E.3.3).

Es ist vor Bundesgericht unbestritten, dass die angeklagten Tathandlungen 1-6 der Anklageziffer 1 mindestens vom 24. August 2016 bis 28. Juni 2017 auf der Homepage der B. GmbH und weiteren Seiten im Internet publiziert waren, der Beschwerdeführer seit dem 1. Juni 2016 einziger Gesellschafter und Geschäftsführer der B. GmbH ist, die den Betrieb einer Schule für Betriebswirtschaftslehre sowie eine Sprachschule bezweckt. Ebenso ist unbestritten, dass hinsichtlich der Gefahr der Irreführung das objektive Verständnis von Studierenden (bzw. Interessenten für ein solches Studium) massgeblich ist, welche überwiegend aus dem Ausland stammen und mit dem schweizerischen Bildungssystem nicht vertraut sind. (E.4.1).

Das Bundesgericht setzt sich anschliessend mit den einzelnen Vorwürfen im Detail auseinander und bestätigt die Sichtweisen der Vorinstanz. Details hierzu können dem Urteil entnommen werden (E.4.1 ff.).

Hervorzuheben sind die darauffolgenden Ausführungen des Bundesgerichts zum Verwaltungsstrafrecht:

«Der Beschwerdeführer ist der Auffassung, es fehle die Grundlage für eine Verurteilung des Geschäftsherrn gestützt auf Art. 6 Abs. 2 VStrR. Denn eine solche könne nur erfolgen, wenn feststehe, dass die direkt Handelnden und die zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Textpassagen für die B. GmbH Verantwortlichen gegen das UWG verstossen hätten, was gemäss vorinstanzlichem Urteil nicht feststehe.» (E.5.1)

«Diese Auffassung ist nicht richtig. Wie die Vorinstanz zutreffend darlegt, ist unerheblich, ob die unmittelbar handelnde Person zur Rechenschaft gezogen werden kann bzw. ob diese sich überhaupt strafbar gemacht hat. Nach Art. 6 Abs. 2 VStrR ist für die Strafbarkeit des Geschäftsherrn allein entscheidend, ob eine Widerhandlung, mithin objektiv eine Straftat vorliegt (Urteil 6S.663/1993 vom 19. Januar 1994 E. 2a). Die Bestrafung des Geschäftsherrn tritt neben eine allfällige Bestrafung der Person, die die Widerhandlung selbst verübt hat (KILLIAS/GILLIÉRON, in: BSK UWG, a.a.O., N. 9 zu Art. 26 UWG; PHILIPPE SPITZ, in: SHK – Stämpflis Handkommentar, Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, 2. Aufl., 2016, N. 28 zu Art. 26 UWG).» (E.5.2)

Die Beschwerde wurde durch das Bundesgericht abgewiesen (E.7).

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