Schwangere Partnerin kein absoluter Schutz gegen Landesverweisung

Im Urteil 6B_873/2022 vom 1. September 2023 aus dem Kanton Zürich befasste sich das Bundesgericht zum zweiten Mal mit der Landesverweisung eines brasilianischen Staatsangehörigen. Die Vorinstanz, das Obergericht des Kantons Zürich, hatte «knapp» einen Härtefall verneint, die erste Instanz noch «knapp» bejaht. Es nimmt dabei im Detail zu den Kriterien eines Härtefalls und zur EMRK-konformen Auslegung von Art. 66a StGB Stellung. Der Beschwerdeführer hatte im Zeitpunkt des Urteils in der Schweiz eine schwangere Freundin. Diesbezüglich äusserte sich das Bundesgericht wie folgt: ««Bei der Interessenabwägung im Rahmen von Art. 8 Ziff. 2 EMRK ist nach der Rechtsprechung zu berücksichtigen, ob der Ehepartner im Zeitpunkt der Eingehung der familiären Bindung Kenntnis von den Straftaten hatte […]. Der Beschwerdeführer ging die Beziehung zu seiner neuen Freundin nach dem ersten obergerichtlichen Urteil vom 3. Juli 2020 sowie nach dem Urteil des Bundesgerichts vom 26. April 2021 ein […], d.h. zu einem Zeitpunkt, in welchem seine Landesverweisung ernsthaft im Raum stand» (E.1.6.3). Die Bestätigung der Landesverweisung durch das Bundesgericht dürfte auch knapp erfolgt sein, denn es folgert: «Insgesamt kann der Vorinstanz nicht zum Vorwurf gemacht werden, sie habe die Interessen im Rahmen von Art. 66a Abs. 2 StGB falsch gewichtet.» (E.1.6.6).

Sachverhalt

Das Bezirksgericht Bülach sprach den brasilianischen Staatsangehörigen A. (geb. 1998) am 15. Oktober 2019 des Raubes im Sinne von Art. 140 Ziff. 1 Abs. 1 StGB und der Sachbeschädigung im Sinne von Art. 144 Abs. 1 StGB schuldig. Es belegte ihn mit einer bedingten Freiheitsstrafe von sieben Monaten, dies als Zusatzstrafe zum Urteil des Bezirksgerichts Zürich vom 1. Februar 2019. Von einer Landesverweisung sah es ab.

Instanzenzug

Das Obergericht des Kantons Zürich erhöhte auf Berufung der Staatsanwaltschaft die bedingte Zusatzstrafe mit Urteil vom 3. Juli 2020 auf neun Monate. Zudem verwies es A. für fünf Jahre des Landes, wobei es die Ausschreibung der Landesverweisung im Schengener Informationssystem (SIS) anordnete.

Das Bundesgericht hiess die von A. gegen die Landesverweisung erhobene Beschwerde mit Urteil 6B_914/2020 vom 26. April 2021 gut und es wies die Sache zur erneuten Prüfung an die Vorinstanz zurück.

Das Obergericht des Kantons Zürich bestätigte mit Urteil vom 7. Juni 2022 die Landesverweisung von A. Auf eine Ausschreibung derselben im SIS verzichtete es.

Weiterzug ans Bundesgericht

Der A. beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, das Urteil vom 7. Juni 2022 sei aufzuheben und es sei von einer Landesverweisung abzusehen.

Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 6B_873/2022 vom 1. September 2023

Der Beschwerdeführer rügt vor Bundesgericht u.a., ihm sei ein schwerer persönlicher Härtefall gemäss Art. 66a Abs. 2 StGB zu attestieren, wobei die Interessenabwägung gegen eine Landesverweisung spreche. Er lebe seit seinem achten Lebensjahr und nunmehr 15 Jahren in der Schweiz. Seit einiger Zeit sei er mit einer Partnerin liiert, mit der er nun ein Kind erwarte. Eine Hochzeit sei ebenfalls geplant. Zudem pflege er nun – anders als noch im Zeitpunkt des Entscheids der Vorinstanz vom 3. Juli 2020 – mit seinem Bruder und seiner Mutter wieder eine sehr gute Beziehung. Er sei seit längerer Zeit daran, seine Vergangenheit aufzuarbeiten und zeige sich bezüglich seiner Vorstrafen einsichtig. Die jüngsten Vergehen aus den Jahren 2020 und 2021 seien verglichen mit den weiter in der Vergangenheit liegenden Widerhandlungen als eher minder schwere Kriminalität zu qualifizieren und Ergebnisse unglücklicher Umstände. Mit Unterstützung seiner Beiständin habe er am 1. August 2020 eine Lehre als Gärtner EBA in Angriff nehmen können. Für das erste Lehrjahr sei ihm am 6. Juli 2021 ein vorzügliches Zeugnis ausgestellt worden. […]. Er habe grosse persönliche Fortschritte insbesondere hinsichtlich Berufs- und Sozialkompetenzen gemacht. Entgegen der Vorinstanz sei von einem klaren persönlichen Härtefall auszugehen. Er wäre in Brasilien auf sich alleine gestellt. Ausser seiner Grossmutter, die sich aufgrund ihres Alters nicht um ihn kümmern könne, kenne er in Brasilien niemanden. Die Vorinstanz gehe nach wie vor davon aus, die im Anlassdelikt zum Ausdruck gekommene Gefährdung sei auf die Gegenwart und absehbare Zukunft übertragbar. Dies komme wiederum einer Gleichsetzung des in der Vergangenheit manifestierten Risikos gleich.  (E.1.1)

Dem rechtskräftigen Schuldspruch wegen Raubes im vorliegenden Verfahren liegt gemäss dem Bundesgericht folgender Sachverhalt zugrunde: Der Beschwerdeführer näherte sich am 3. August 2018 in der Abenddämmerung einer Passantin von hinten, hielt ihr mit einer Hand den Mund zu und umfasste sie mit dem anderen Arm unterhalb des Halses. Danach versucht er, ihr die Handtasche zu entreissen. Die Geschädigte umklammerte die Tasche und rief um Hilfe, während der Beschwerdeführer an der Tasche zerrte, so dass die Geschädigte zu Boden fiel. Auf dem Boden liegend sagte die Geschädigte dem Beschwerdeführer, sie habe Geld, worauf dieser erwiderte, sie solle es ihm geben. Die Geschädigte suchte danach in der Tasche nach ihrem Portemonnaie. Als in einem nahen Gebäude das Licht anging, schrie sie wieder um Hilfe. Der Beschwerdeführer zerrte erneut an der Tasche, so dass der Riemen der Tasche riss. Schliesslich nahm er ein aus der Handtasche gefallenes Etui mit einer Sonnenbrille im Wert von Fr. 580.– an sich und rannte davon (E.1.2.1).

Der Beschwerdeführer hat gemäss Bundesgericht zudem folgende Vorstrafen: Am 1. Februar 2019 verurteilte das Bezirksgericht Zürich ihn wegen mehrfachen Diebstahls, mehrfacher Sachbeschädigung und mehrfachen Hausfriedensbruchs, begangen im Juli 2018, zu einer bedingten Freiheitsstrafe von sieben Monaten. Zuvor bestrafte ihn die damals zuständige Jugendanwaltschaft im Jahr 2015 wegen qualifizierten Raubes im Sinne von Art. 140 Ziff. 2 StGB, Drohung, Sachbeschädigung und Übertretung des Eisenbahngesetzes mit einer bedingten Freiheitsentziehung von 40 Tagen (E.1.2.2).

Details der vorinstanzlichen Ausführungen zum Leben des Beschwerdeführers werden hire nicht weiter angeführt (vgl. E.1.2.6).

Das Bundesgericht äussert sich im Urteil 6B_873/2022 vom 1. September 2023 zunächst generell-abstrakt zur strafrechtlichen Landesverweisung wie folgt:

«Gemäss Art. 66a Abs. 2 Satz 1 StGB kann das Gericht ausnahmsweise von einer Landesverweisung absehen, wenn diese für den Ausländer einen schweren persönlichen Härtefall bewirken würde und die öffentlichen Interessen an der Landesverweisung gegenüber den privaten Interessen des Ausländers am Verbleib in der Schweiz nicht überwiegen. Dabei ist der besonderen Situation von Ausländern Rechnung zu tragen, die in der Schweiz geboren oder aufgewachsen sind (Art. 66a Abs. 2 Satz 2 StGB).» (E.1.4.1)

«Ob ein schwerer persönlicher Härtefall im Sinne von Art. 66a Abs. 2 StGB vorliegt, bestimmt sich anhand der gängigen Integrationskriterien (BGE 147 IV 453 E. 1.4.5; 146 IV 105 E. 3.4.2 und 3.4.4; 144 IV 332 E. 3.3.2; Urteil 6B_627/2022 vom 6. März 2023 E. 2.1.1, zur Publikation vorgesehen). Zu berücksichtigen sind namentlich der Grad der (persönlichen und wirtschaftlichen) Integration, einschliesslich familiäre Bindungen des Ausländers in der Schweiz bzw. in der Heimat, die Aufenthaltsdauer, der Gesundheitszustand sowie die Möglichkeiten für eine Wiedereingliederung im Herkunftsstaat und die Resozialisierungschancen in der Schweiz (vgl. Art. 31 Abs. 1 der Verordnung vom 24. Oktober 2007 über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit [VZAE; SR 142.201]; BGE 147 IV 453 E. 1.4.5; 144 IV 332 E. 3.3.2; Urteile 6B_627/2022 vom 6. März 2023 E. 2.1.1, zur Publikation vorgesehen; 6B_369/2022 vom 30. Juni 2023 E. 2.2.2; 6B_207/2022 vom 27. März 2023 E. 1.2.2; je mit Hinweisen).» (E.1.4.2)

«Art. 66a StGB ist EMRK-konform auszulegen. Von einem schweren persönlichen Härtefall ist in der Regel bei einem Eingriff von einer gewissen Tragweite in den Anspruch des Ausländers auf das in Art. 13 BV und Art. 8 EMRK verankerte Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens auszugehen (BGE 147 IV 453 E. 1.4.5; Urteil 6B_627/2022 vom 6. März 2023 E. 2.1.1, zur Publikation vorgesehen).  Die Interessenabwägung im Rahmen der Härtefallklausel von Art. 66a Abs. 2 StGB hat sich an der Verhältnismässigkeitsprüfung nach Art. 8 Ziff. 2 EMRK zu orientieren (BGE 145 IV 161 E. 3.4; Urteile 6B_867/2022 vom 2. August 2023 E. 4.2; 7B_125/2022 vom 31. Juli 2023 E. 2.3.8; 7B_162/2022 vom 25. Juli 2023 E. 2.1.3; je mit Hinweisen). Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) sind bei der Interessenabwägung im Rahmen von Art. 8 EMRK insbesondere Art sowie Schwere der Straftat, die Dauer des Aufenthalts im Aufnahmestaat, die seit der Tat verstrichene Zeit sowie das Verhalten des Betroffenen in dieser Zeit und der Umfang der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen im Aufnahme- sowie im Heimatstaat zu berücksichtigen (Urteile des EGMR E.V. gegen Schweiz vom 18. Mai 2021, Nr. 77220/16, § 34; M.M. gegen Schweiz vom 8. Dezember 2020, Nr. 59006/18, § 49; je mit zahlreichen Hinweisen). Sodann ist dem Alter der Person im Zeitpunkt der Straftaten sowie den weiteren Umständen beispielsweise medizinischer Natur Rechnung zu tragen (Urteile des EGMR E.V. gegen Schwei z vom 18. Mai 2021, Nr. 77220/16, §§ 35 f.; M.M. gegen Schweiz vom 8. Dezember 2020, Nr. 59006/18, §§ 50 f.). Bei im Aufnahmestaat geborenen und aufgewachsenen Ausländern verlangt der EGMR sehr solide Argumente für die Begründung der Landesverweisung (Urteile des EGMR E.V. gegen Schweiz vom 18. Mai 2021, Nr. 77220/16, § 38; M.M. gegen Schweiz vom 8. Dezember 2020, Nr. 59006/18, §§ 52, 57 und 69).» (E.1.4.3).

Fallbezogen äussert sich anschliessend das Bundesgericht im Urteil 6B_873/2022 vom 1. September 2023 wie folgt:

«Die Vorinstanz verneint im angefochtenen Entscheid einen Härtefall im Sinne von Art. 66a Abs. 2 StGB, wenn auch nur knapp, während sie im ersten Urteil vom 3. Juli 2020 einen Härtefall noch knapp bejahte (vgl. Urteil 6B_914/2020 vom 26. April 2021 E. 1.5 und 1.6.1).  Der Beschwerdeführer (geb. 1998) lebt gemäss dem angefochtenen Entscheid seit seinem neunten Lebensjahr in der Schweiz (angefochtenes Urteil S. 8 f.). Ob er sich auf Art. 8 Ziff. 1 EMRK berufen und ein Härtefall demnach zu bejahen ist, kann offenbleiben, da die Interessenabwägung – in deren Rahmen die für einen Härtefall sprechenden Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib in der Schweiz gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Landesverweisung abzuwägen sind – zu dessen Ungunsten ausfällt.» (E.1.5)

«Der Beschwerdeführer wurde seit Jahren immer wieder und teils in gravierender Weise straffällig. Er machte sich wiederholt wegen Gewaltdelikten (Raub) strafbar. Schulisch bzw. beruflich hat er in jüngster Zeit – wenn auch nur mit beträchtlicher Unterstützung sowie auf Vermittlung der IV im Rahmen einer Massnahme für Arbeitsintegration – offenbar Erfolge erzielt. Dennoch sind berechtigte Zweifel angebracht, ob er künftig ein gewaltfreies Leben führen wird, nachdem er noch am 21. August 2021 und damit während des laufenden Verfahrens einen verbotenen Teleskopschlagstock auf sich trug. Der Beschwerdeführer wurde hierfür mit Strafbefehl vom 10. September 2021 mit einer unbedingten Geldstrafe von 60 Tagessätzen gebüsst. Diesem muss daher im Gegenteil zum Vorwurf gemacht werden, dass er die ihm mit dem bundesgerichtlichen Urteil vom 26. April 2021 gewährte Chance nicht wahrgenommen hat und erneut straffällig wurde. Die Vorinstanz bejaht unter diesen Umständen zu Recht ein hohes öffentliches Interesse an der Landesverweisung. Entgegen der Kritik des Beschwerdeführers ergibt sich die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nicht bloss aus dem Anlassdelikt wegen Raubes sowie den Vorstrafen, sondern auch aus dessen jüngsten Straftaten.» (E.1.6.1)

«Ein das öffentliche Interesse an einer Fernhaltemassnahme überwiegendes privates Interesse des Beschwerdeführers an seinem Verbleib in der Schweiz durfte die Vorinstanz ohne Verletzung von Bundesrecht verneinen. Der Beschwerdeführer lebte bis zum Alter von neun Jahren in Brasilien. Er spricht die Sprache seines Heimatlandes und kehrte auch nach seinem Wegzug in die Schweiz in dieses Land zurück. Es ist daher davon auszugehen, dass es ihm mit der Attestlehre als Gärtner (und dem inzwischen allenfalls erlangten Eidgenössischen Fähigkeitsausweis) möglich sein wird, sich in Brasilien zurechtzufinden und Fuss zu fassen, auch wenn er gemäss seinen Angaben derzeit kaum Kontakte zu seinen dortigen Verwandten pflegt.» (E.1.6.2)

«Bei der Interessenabwägung im Rahmen von Art. 8 Ziff. 2 EMRK ist nach der Rechtsprechung zu berücksichtigen, ob der Ehepartner im Zeitpunkt der Eingehung der familiären Bindung Kenntnis von den Straftaten hatte (vgl. Urteil 6B_855/2020 vom 25. Oktober 2021 E. 3.3.3 und 3.5.2 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des EGMR; siehe auch Urteile 6B_381/2023 vom 8. Juni 2023 E. 4.7.1; 6B_1250/2021 vom 13. Juni 2022 E. 2.7.3). Der Beschwerdeführer ging die Beziehung zu seiner neuen Freundin nach dem ersten obergerichtlichen Urteil vom 3. Juli 2020 sowie nach dem Urteil des Bundesgerichts vom 26. April 2021 ein (vgl. kant. Akten, Urk. 96, Protokoll vom 26. November 2021 S. 8), d.h. zu einem Zeitpunkt, in welchem seine Landesverweisung ernsthaft im Raum stand. Im Zeitpunkt des angefochtenen Urteils vom 7. Juni 2022, in welchem die Vorinstanz die Landesverweisung nach dem bundesgerichtlichen Rückweisungsurteil erneut bestätigte, und seiner Bundesgerichtsbeschwerde war der Beschwerdeführer nach wie vor ledig und kinderlos. Er führte damals mit seiner Freundin auch keinen gemeinsamen Haushalt, sondern wohnte vielmehr getrennt von dieser in einer sozialpädagogisch betreuten Wohngruppe. Auf Nachfrage gab er anlässlich der Verhandlung vom 26. November 2021 an, er wolle sicher bis zu seinem Lehrabschluss in der Wohngruppe wohnen bleiben (vgl. kant. Akten, Urk. 96, Protokoll S. 12; angefochtenes Urteil S. 10). Seiner Freundin ist ein Leben in Brasilien daher grundsätzlich zumutbar, da sie von Beginn an damit rechnen musste, die Beziehung zum Beschwerdeführer allenfalls im Ausland weiterführen zu müssen (vgl. Urteile 6B_381/2023 vom 8. Juni 2023 E. 4.7.1; 6B_1250/2021 vom 13. Juni 2022 E. 2.7.3). Gleiches gilt für das im Zeitpunk der Beschwerde des Beschwerdeführers noch ungeborene Kind. Kindern im anpassungsfähigen Alter ist ein Umzug in das Heimatland der Eltern grundsätzlich zumutbar (vgl. BGE 143 I 21 E. 5.4; 122 II 289 E. 3c).» (E.1.6.3)

«Die Beziehung des Beschwerdeführers zu seiner Mutter und seinem Bruder war gemäss der Vorinstanz in der Vergangenheit nicht immer gut. Aktenkundig ist, dass es zu familiären Konflikten kam und der Beschwerdeführer in seiner Kindheit fremdplaziert wurde, zunächst in einem Heim, später für ca. zwei Jahre in einer Pflegefamilie und schliesslich ab ca. 2014 in einer sozialpädagogischen Einrichtung (vgl. kant. Akten, Urk. 46, Protokoll Berufungsverhandlung vom 3. Juli 2020 S. 6 ff.). Anlässlich der Berufungsverhandlung vom 26. November 2021 gab der Beschwerdeführer an, er pflege in der Schweiz Kontakte zu seiner Mutter, seinem (zeitweise bei seiner Familie in Deutschland wohnhaften) Bruder sowie zu Schul- und Arbeitskollegen. Er habe momentan nicht so viele Freunde (kant. Akten, Urk. 96, Protokoll S. 9). Es ist ihm zumutbar, diese Kontakte mittels elektronischer Kommunikationsmittel oder Besuchen in Brasilien aufrechtzuerhalten. Eine besonders enge, einer Landesverweisung entgegenstehende Bindung des Beschwerdeführers zu seiner Mutter und seinem Bruder liegt nicht vor, nachdem die Beziehungen in der Vergangenheit im Gegenteil von Konflikten getragen waren und der Beschwerdeführer anlässlich der ersten Berufungsverhandlung vom 3. Juli 2020 noch angab, er wisse nicht, wo sein Bruder lebe (vgl. kant. Akten, Urk. 46, Protokoll S. 6 und 11 f.).» (E.1.6.4)

«Ebenso wenig spricht das Mass der sozialen und beruflichen Integration des Beschwerdeführers in der Schweiz gegen die Landesverweisung. Dieser war während Jahren auf Sozialhilfe angewiesen, von welcher er sich nur dank der IV-Taggelder lösen konnte. Von einer guten sozialen Integration kann trotz einwandfreier Deutschkenntnisse des Beschwerdeführers in Berücksichtigung der vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen ebenfalls nicht ausgegangen werden, auch wenn dem Beschwerdeführer diesbezüglich in den letzten Jahren Fortschritte zugutezuhalten sind.» (E.1.6.5)

Das Bundesgericht kommt alsdann im Urteil 6B_873/2022 vom 1. September 2023

zur Schlussfolgerung:

«Insgesamt kann der Vorinstanz nicht zum Vorwurf gemacht werden, sie habe die Interessen im Rahmen von Art. 66a Abs. 2 StGB falsch gewichtet. Eine Verletzung Art. 66a Abs. 2 StGB liegt entgegen der Kritik des Beschwerdeführers nicht vor.» (E.1.6.6)

Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab (E.2).

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