Rechtsirrtum beim vorsätzlichen Vergehen gegen das Waffengesetz

Im für die Praxis zum Waffengesetz sehr wichtigen Urteil 6B_76/2023 vom 4. Mai 2023 aus dem Kanton Zürich befasste sich das Bundesgericht mit einem Fall des vorsätzlichen Vergehens gegen das Waffengesetz (WG), es ging um einen im Ausland erworbenen Nunchakus. Die Vorinstanz, das Obergericht des Kantons Zürich, billigte dem Beschwerdeführer zwar zu, sich in einem Rechtsirrtum befunden zu haben, gelangt aber zum Schluss, dass dieser Irrtum vermeidbar gewesen wäre. Das Bundesgericht bestätigte das Urteil der Vorinstanz wie folgt: «Die Vorinstanz verletzt kein Bundesrecht, wenn sie die Vermeidbarkeit des Rechtsirrtums bejaht. Ein gewissenhafter Dritter in der gleichen Situation hätte sich zumindest Gedanken darüber gemacht, ob es sich bei einem Nunchaku (auch Würgeholz genannt) um einen gefährlichen Gegenstand oder um eine Waffe handeln könnte.» (E.1.5).

Sachverhalt

Die Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland sprach A. mit Strafbefehl vom 1. Juli 2021 des vorsätzlichen Vergehens gegen das Bundesgesetz vom 20. Juni 1997 über Waffen, Waffenzubehör und Munition (Waffengesetz, WG; SR 514.54) schuldig und bestrafte ihn mit einer bedingten Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu Fr. 60.– sowie einer Busse von Fr. 300.–. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, er habe bei einem Händler in Kabul zwei in der Schweiz verbotene bzw. bewilligungspflichtige Nunchakus bestellt und sich diese von Kabul aus per Post in die Schweiz liefern lassen. Dabei habe A. weder über eine kantonale Ausnahmebewilligung zum Erwerb noch über eine eidgenössische Verbringungsbewilligung zur Einfuhr verfügt. Dies habe A. zumindest billigend in Kauf genommen, zumal er sich vorgängig nicht informiert habe, ob die Einfuhr der Nunchakus erlaubt sei.

Instanzenzug

Gegen den Strafbefehl erhob A. Einsprache. Nach Ergänzung des Verfahrens hielt die Staatsanwaltschaft am Strafbefehl fest und überwies diesen als Anklageschrift an das Bezirksgericht Winterthur. Dieses sprach A. mit Urteil vom 7. Januar 2022 des vorsätzlichen Vergehens gegen das Waffengesetz schuldig und bestrafte ihn mit einer bedingten Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu Fr. 50.– sowie einer Busse von Fr. 300.–.

Mit Urteil vom 8. November 2022 verurteilte das Obergericht des Kantons Zürich A. wegen vorsätzlichen Vergehens gegen das Waffengesetz im Sinne von Art. 33 Abs. 1 lit. a WG in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 lit. d WG und Art. 5 Abs. 2 lit. b WG zu einer bedingten Geldstrafe von 18 Tagessätzen zu Fr. 50.–, wobei es die Probezeit auf zwei Jahre festsetzte.

Weiterzug an das Bundesgericht

Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt A., er sei vom Vorwurf des Vergehens gegen das Waffengesetz freizusprechen, eventualiter sei die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Die Verfahrenskosten seien auf die Staatskasse zu nehmen und ihm sei eine Entschädigung in der Höhe von Fr. 8’840.44, eventualiter eine solche von Fr. 2’823.55 auszurichten.

Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 6B_76/2023 vom 4. Mai 2023

Position des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer wendet sich vor Bundesgericht gegen den Schuldspruch wegen vorsätzlichen Vergehens gegen das Waffengesetz und rügt einzig hinsichtlich der von der Vorinstanz bejahten Vermeidbarkeit des Rechtsirrtums eine unrichtige Feststellung des Sachverhalts sowie eine Verletzung von Bundesrecht. Er macht geltend, die Vorinstanz bejahe zwar zu Recht, dass er sich bezüglich des Verbots von Nunchakus in der Schweiz in einem Rechtsirrtum befunden habe, gehe aber willkürlich davon aus, dass sein Irrtum im Sinne von Art. 21 StGB vermeidbar gewesen sei. Dies sei nicht der Fall, weshalb er – obwohl seine Handlungsweise in objektiver Hinsicht gegen das Waffengesetz verstosse – vom angeklagten Vorwurf freizusprechen sei. Die Begründungsgrundlage der Vorinstanz für die bejahte Vermeidbarkeit des Irrtums bestehe gemäss dem Beschwerdeführer aus zwei Elementen. Zum einen gehe die Vorinstanz davon aus, er habe vor dem Kauf der Nunchakus im Internet nach entsprechenden Kaufmöglichkeiten gesucht und dabei festgestellt, dass Nunchakus in der Schweiz illegal seien. Dies sei willkürlich. Er habe lediglich ausgesagt, er habe die Nunchakus in der Schweiz nicht gefunden. Es sei willkürlich, aus dieser Aussage abzuleiten, er habe nach den Nunchakus im Internet gesucht und so auch festgestellt, dass deren Erwerb in der Schweiz verboten sei. Da nicht erstellt werden könne, dass er im Sportgeschäft auf das Verbot hingewiesen worden wäre, müsse ohne Willkür und „in dubio pro reo“ die Vermeidbarkeit des Irrtums verneint werden. Zum anderen bejahe gemäss dem Beschwerdeführer die Vorinstanz die Vermeidbarkeit des Irrtums mit der Begründung, er habe zum Zeitpunkt des Kaufs seit zehn Jahren in der Schweiz gelebt und über eine Niederlassungsbewilligung verfügt, sodass er sich während dieser Zeit mit der hiesigen Rechtsordnung habe vertraut machen können. Seine Herkunft, kulturelle Prägungen und Erfahrungen sowie sein soziales und berufliches Umfeld lasse die Vorinstanz gänzlich unberücksichtigt. Die Vorinstanz komme ihrer Begründungspflicht nicht nach, da sich ihre gesamte Begründung darauf beschränke, dass er seit zehn Jahren in der Schweiz lebe und über eine Niederlassungsbewilligung verfüge. Folgte man dieser Argumentation, müsste man bei einem Schweizer stets auf die Vermeidbarkeit des Rechtsirrtums schliessen und das Rechtsinstitut des Rechtsirrtums wäre obsolet. (E.1)

Position der Vorinstanz:

Die Vorinstanz billigt, wie das Bundesgericht ausführt, dem Beschwerdeführer zu, sich in einem Rechtsirrtum befunden zu haben, gelangt aber zum Schluss, der Irrtum sei vermeidbar gewesen. Sie erwägt, der Beschwerdeführer habe zunächst behauptet, er hätte in der Schweiz keine Nunchakus gefunden und diese daher in Kabul bestellt. Diese Aussage habe er später zurückgenommen und neu zu Protokoll gegeben, der Verkäufer in Kabul habe ihn am Telefon zum Kauf der Nunchakus überredet. Den Verkäufer in Kabul habe er gemäss eigener Aussage im Internet, nämlich auf Facebook, gefunden. Es möge zutreffen, dass der Beschwerdeführer die Nunchakus aufgrund seines kulturellen Hintergrunds nicht gefährlicher als ein Golfschläger einstufe. Diesem Einwand sei jedoch zu entgegnen, dass der Beschwerdeführer seit dem Jahr 2010 in der Schweiz lebe und hier über eine Niederlassungsbewilligung C verfüge. Insofern sei er auch gehalten, sich mit der hiesigen Rechtsordnung und dem hier geltenden Rechtsverständnis vertraut zu machen. Da der Beschwerdeführer das Internet benutze und via Facebook auf das Sportgeschäft in Kabul aufmerksam geworden sei, wäre es ihm ein Leichtes gewesen, entsprechende Erkundigungen über die Rechtmässigkeit des Erwerbs und der Einfuhr von Nunchakus in die Schweiz zu treffen. Ein langes Suchen wäre dabei nicht erforderlich gewesen, denn er wäre sehr schnell fündig geworden (Urteil S. 9). (E.1.2)

Das Bundesgericht macht im Urteil 6B_76/2023 vom 4. Mai 2023 zum Rechtsirrtum die folgenden Ausführungen:

«Gemäss Art. 21 Satz 1 StGB handelt nicht schuldhaft, wer bei Begehung der Tat nicht weiss und nicht wissen kann, dass er sich rechtswidrig verhält, er mithin irrtümlich und aus zureichenden Gründen annimmt, sein Tun sei erlaubt. Ein Verbotsirrtum (auch Rechtsirrtum genannt) ist ausgeschlossen, wenn der Täter aufgrund seiner laienhaften Einschätzung weiss, dass sein Verhalten der Rechtsordnung widerspricht, wenn er also in diesem Sinne das unbestimmte Empfinden hat, etwas Unrechtes zu tun (Urteile 6B_274/2021 vom 1. Dezember 2021 E. 1.3.4; 6B_1323/2019 vom 13. Mai 2020 E. 4.3.1; 6B_811/2019 vom 15. November 2019 E. 2.3.2; 6B_1207/2018 vom 17. Mai 2019 E. 3.3, nicht publ. in: BGE 145 IV 185; je mit Hinweisen).  

War der Irrtum vermeidbar, so mildert das Gericht die Strafe nach freiem Ermessen (Art. 21 Satz 2 StGB). Vermeidbar ist ein Verbotsirrtum regelmässig dann, wenn der Täter selbst an der Rechtmässigkeit seines Verhaltens zweifelt oder hätte Zweifel haben müssen oder wenn er weiss, dass eine rechtliche Regelung besteht, er sich über deren Inhalt und Reichweite aber nicht genügend informiert (BGE 141 IV 336 E. 2.4.3; 129 IV 6 E. 4.1; Urteile 6B_274/2021 vom 1. Dezember 2021 E. 1.3.4; 6B_811/2019 vom 15. November 2019 E. 2.3.2; 6B_1207/2018 vom 17. Mai 2019 E. 3.3, nicht publ. in: BGE 145 IV 185; je mit Hinweisen). 

Ob der Täter weiss, dass sein Verhalten der Rechtsordnung widerspricht bzw. er ein unbestimmtes Empfinden hat, etwas Unrechtes zu tun, ist eine Sachverhaltsfrage. Rechtsfrage ist, ob der Irrtum vermeidbar war (BGE 141 IV 336 E. 2.4.3; Urteile 6B_56/2021 vom 24. Februar 2022 E. 2.5.3; 6B_274/2021 vom 1. Dezember 2021 E. 1.3.4; 6B_1323/2019 vom 13. Mai 2020 E. 4.3.1; 6B_811/2019 vom 15. November 2019 E. 2.3.2; je mit Hinweisen).» (E.1.3.1)

Das Bundesgericht äussert sich im Urteil 6B_76/2023 vom 4. Mai 2023 dann zum vorliegenden Fall wie folgt:

«Die Vorinstanz wirft ihm einzig vor, sich nicht im Internet darüber informiert zu haben, ob man in der Schweiz Nunchakus (ohne Bewilligung) erwerben bzw. diese in die Schweiz einführen könne. Damit erweist sich auch der Einwand des Beschwerdeführers als unbehelflich, es habe nicht erstellt werden können, dass er in der Schweiz in einem Sportgeschäft auf das Verbot hingewiesen worden wäre, was die Vorinstanz nicht berücksichtige. Im Übrigen hat der Beschwerdeführer nie geltend gemacht, in einem Sportgeschäft in der Schweiz nach einem Nunchaku gefragt zu haben bzw. dass dort je die Sprache auf Nunchakus gekommen wäre. Somit stellte sich die Frage einer Orientierung durch einen Verkäufer über die Zulässigkeit in der Schweiz nicht. Unbegründet ist auch die Rüge, die Vorinstanz ziehe bei der Beantwortung der Frage der Vermeidbarkeit des Irrtums willkürlich und in Verletzung der Begründungspflicht den kulturellen Hintergrund des Beschwerdeführers nicht mit ein und stelle bloss darauf ab, dass er seit zehn Jahren in der Schweiz lebe und über eine Niederlassungsbewilligung verfüge. Die Vorinstanz berücksichtigt ausdrücklich den kulturellen Hintergrund des Beschwerdeführers und lässt nicht ausser Betracht, dass er aus einem Kulturkreis stammt, in welchem Nunchakus als Sportgeräte gelten. Dass sie unter anderem auch festhält, der Beschwerdeführer habe zum Tatzeitpunkt seit zehn Jahren in der Schweiz gelebt und über die Niederlassungsbewilligung verfügt, ist nicht zu beanstanden. Entgegen der Rüge des Beschwerdeführers berücksichtigt die Vorinstanz bei der Sachverhaltsfeststellung umfassend die für die Beantwortung der Frage der Vermeidbarkeit oder Unvermeidbarkeit des Rechtsirrtums massgeblichen Umstände und verfällt weder in Willkür noch verletzt sie ihre Begründungspflicht.» (E.1.4)

«[…] Die Vorinstanz verletzt kein Bundesrecht, wenn sie die Vermeidbarkeit des Rechtsirrtums bejaht. Ein gewissenhafter Dritter in der gleichen Situation hätte sich zumindest Gedanken darüber gemacht, ob es sich bei einem Nunchaku (auch Würgeholz genannt) um einen gefährlichen Gegenstand oder um eine Waffe handeln könnte. Eigener Zugabe zufolge wusste der Beschwerdeführer, dass in der Schweiz und auch in anderen Ländern Waffen verboten bzw. bewilligungspflichtig sind. Dies gilt umso mehr, als er in seiner ersten Einvernahme ausgesagt hat, er habe in der Schweiz keine Nunchakus gefunden. Die Frage, weshalb dem so ist, drängte sich geradezu auf und verlangte nach Abklärung. Der Beschwerdeführer hätte zumindest Zweifel haben müssen, ob die Einfuhr von Nunchakus in die Schweiz rechtmässig sei. Eine Abklärung dieser sich aufdrängenden Zweifel wäre dem Beschwerdeführer, der den Verkäufer in Kabul im Internet gefunden hat, durch eine einfache Suchanfrage auf Google ohne weiteres möglich und zumutbar gewesen. Er hätte so umgehend und mit minimalem Aufwand erfahren, dass Nunchakus als Waffen gelten und ohne eine entsprechende behördliche Bewilligung nicht in die Schweiz eingeführt werden dürfen. Der dem Beschwerdeführer zugebilligte Rechtsirrtum war vermeidbar im Sinne von Art. 21 Satz 2 StGB. Der Schuldspruch der Vorinstanz wegen vorsätzlichen Vergehens gegen das Waffengesetz verletzt kein Bundesrecht.» E.1.5).

Die Beschwerde wurde durch das Bundesgericht abgewiesen.

Bemerkungen zum Urteil 6B_76/2023 vom 4. Mai 2023

Das Urteil 6B_76/2023 vom 4. Mai 2023 des Bundesgerichts ist ein sehr wichtiges Urteil zum Waffengesetz (WG). Es zeigt nämlich primär, dass ein Rechtsirrtum (Art. 21 StGB) bezüglich Gegenständen, die als Waffen qualifiziert sind, durchaus möglich ist.

Bei der Vermeidbarkeit des Rechtsirrtums stehen, wie im Urteil ebenfalls klar ersichtlich, individuelle Betrachtungen im Vordergrund.

 

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