Sachverhalt
Am 17. August 2021 verurteilte das Bezirksgericht Baden A. wegen mehrfacher versuchter Vergewaltigung, mehrfacher, teilweise qualifizierter sexueller Nötigung, Hausfriedensbruchs und mehrfacher sexueller Belästigung zu 7 ½ Jahren Freiheitsstrafe, 10 Tagessätzen à Fr. 30.– Geldstrafe bedingt und Fr. 500.– Busse. Ausserdem ordnete es eine Landesverweisung von 12 Jahren und deren Ausschreibung im Schengener Informationssystem (SIS) an.
Auf Berufung von A. und Anschlussberufung der Staatsanwaltschaft hin verurteilte ihn das Obergericht des Kantons Aargau am 29. August 2022 wegen qualifizierter sexueller Nötigung, versuchter qualifizierter Vergewaltigung, und mehrfacher sexueller Belästigung zu 7 ½ Jahren Freiheitsstrafe und Fr. 500.– Busse. Die Dauer der Landesverweisung erhöhte es auf 15 Jahre.
Weiterzug an das Bundesgericht
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt A., er sei lediglich der sexuellen Nötigung und Vergewaltigung jeweils in nicht qualifizierter Form für schuldig zu befinden und zu einer Freiheitsstrafe von 40 Monaten zu verurteilen. Von der Landesverweisung sei abzusehen, eventualiter sei diese auf 5 Jahre festzusetzen, subeventualiter sei der Entscheid der ersten Instanz zu bestätigen und die Landesverweisung auf 12 Jahre festzusetzen. A. ersucht um unentgeltliche Rechtspflege.
Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 6B_1208/2022 vom 16. Februar 2023
Qualifikation der Vergewaltigung sowie der sexuellen Nötigung durch Einsatz von Schere
Der Beschwerdeführer kritisiert vor Bundesgericht sowohl mit Bezug auf den Vorwurf der versuchten Vergewaltigung als auch der sexuellen Nötigung die Qualifikation der Tat als grausam im Sinne von Abs. 3 von Art. 189 und Art. 190 StGB. Er rügt in diesem Zusammenhang die vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen. (E.1)
Das Bundesgericht äussert sich einleitend im Urteil 6B_1208/2022 vom 16. Februar 2023 wie folgt zum Begriff der Vergewaltigung:
«Der Vergewaltigung macht sich schuldig, wer eine Person weiblichen Geschlechts zur Duldung des Beischlafs nötigt, namentlich indem er sie bedroht, Gewalt anwendet, sie unter psychischen Druck setzt oder zum Widerstand unfähig macht (Art. 190 Abs. 1 StGB). Eine sexuelle Nötigung begeht, wer eine Person zur Duldung einer beischlafsähnlichen oder einer anderen sexuellen Handlung nötigt, namentlich indem er sie bedroht, Gewalt anwendet, sie unter psychischen Druck setzt oder zum Widerstand unfähig macht (Art. 189 Abs. 1 StGB). Handelt der Täter grausam, verwendet er namentlich eine gefährliche Waffe oder einen anderen gefährlichen Gegenstand, so wird er mit Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren bestraft (Art. 189 Abs. 3 und Art. 190 Abs. 3 StGB).
Unter Gewalt ist physische Einwirkung auf das Opfer zu verstehen, die darauf gerichtet ist, dessen geleisteten oder erwarteten Widerstand zu brechen (BGE 122 IV 97 E. 2b). Gewalt im Sinne von Art. 189 und Art. 190 Abs. 1 StGB ist gegeben, wenn der Täter ein grösseres Mass an körperlicher Kraft aufwendet, als zum blossen Vollzug des Akts notwendig ist. Es ist keine brutale Gewalt etwa in Form von Schlägen und Würgen erforderlich. Es genügt, wenn der Täter seine überlegene Kraft einsetzt, indem er die Frau festhält oder sich mit seinem Gewicht auf sie legt (Urteile 6B_1407/2019 vom 3. Juni 2020 E. 2.1.1; 6B_304/2012 vom 8. November 2012 E. 2.2).» (E.1.1.1 a.A.).
Bezüglich des Qualifikationsgrunds der Grausamkeit fahrt das Bundesgericht im Urteil 6B_1208/2022 vom 16. Februar 2023 wie folgt fort:
«Grausam im Sinne von Art. 189 Abs. 3 und Art. 190 Abs. 3 StGB handelt der Täter, der seinem Opfer psychische oder physische Qualen zufügt, die über das hinausgehen, was erforderlich ist, um dieses zum Geschlechtsverkehr zu nötigen. Die Botschaft zum neuen Sexualstrafrecht verstand darunter die Steigerung des Tatbestandsmerkmals der Gewalt in physischer und/oder psychischer Hinsicht, insbesondere ein rohes, gefühlloses oder quälerisches Vorgehen des Täters. Grausamkeit sei gegeben, wenn der Täter dem Opfer wissentlich und willentlich besondere Leiden zufüge, die über das Mass dessen hinausgingen, was schon zur Erfüllung des Grundtatbestandes gehöre (BBl 1985 II 1074 f., mit Hinweis auf BGE 106 IV 367 f.). Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung liegt Grausamkeit vor, wenn sich der Täter gefährlicher oder unverhältnismässiger Mittel bedient und so seinem Opfer besondere Qualen aufnötigt. Darunter sind Qualen zu verstehen, die nicht die unvermeidbare Folge des Grunddelikts sind, sondern solche, die der Täter sein Opfer aus Sadismus oder mit dem Zweck, es in besonderer Art und Weise zu peinigen, erleiden lässt – oder aber einfach aus Brutalität oder Gefühllosigkeit dem Schmerz von andern gegenüber. Die Umschreibung ist allerdings bloss eine allgemeine Richtlinie, für deren Konkretisierung im Einzelfall ein erheblicher Spielraum gilt. Die als grausam zu bewertenden Elemente der Begehungsweise (eigentliche Ausführungshandlungen und besondere Tatumstände) sind Bestandteile des Tatgeschehens. Unter Tatumständen sind rechtserhebliche Tatsachen zu verstehen, die unmittelbar mit der Begehung der Tat zusammenhängen. Die grausame Behandlung des Opfers kann aber auch vor oder nach der Verübung des eigentlichen Delikts erfolgen (BGE 119 IV 49 E. 3c; 117 IV 390; Urteil 6B_1407/2019 vom 3. Juni 2020 E. 2.1.1 mit Hinweisen; PHILIPP MAIER, Basler Kommentar, Strafrecht II, 4. Aufl. 2019, N. 69 zu Art. 189 StGB und N. 22 zu Art. 190 StGB). Das Qualifikationsmerkmal der Grausamkeit ist mit Blick auf die Mindeststrafdrohung von drei Jahren Freiheitsstrafe resp. die Erhöhung gegenüber dem Grundtatbestand nur mit Zurückhaltung anzunehmen. Dies ergibt sich daraus, dass bereits der Grundtatbestand Nötigungsmittel im Sinne von Drohung, Gewalt oder Zwang voraussetzt (BGE 119 IV 224 E. 3; Urteil 6B_1397/2019 vom 12. Januar 2022 E. 2.2).
Vom Verwenden einer Waffe oder eines gefährlichen Gegenstands kann nur gesprochen werden, wenn der Täter diese auch einsetzt. Dies kann dadurch geschehen, dass er die Waffe oder den Gegenstand zur Verübung von Gewalt oder zur Drohung gebraucht. Weist der Täter hingegen nur auf das Vorhandensein einer Waffe oder eines gefährlichen Gegenstands hin, ohne das Opfer direkt zu bedrohen, so liegt noch keine qualifizierte Tatbegehung nach Art. 189/190 Abs. 3 StGB vor. Die Situation muss aufgrund der Waffe oder des Gegenstands für das Opfer objektiv gefährlich sein, doch kann etwa auch die Drohung mit einer Schusswaffenimitation als solche grausam sein, wenn der Täter sein Opfer damit terrorisiert. Als gefährliche Gegenstände werden solche bezeichnet, die – wenn sie entsprechend verwendet werden – zu einem hohen Risiko der Tötung oder der schweren Körperverletzung führen. Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist ein Gegenstand dann gefährlich, wenn er objektiv geeignet ist, eine schwere Gesundheitsschädigung herbeizuführen, wobei es neben seiner Beschaffenheit auch auf die Art der Verwendung im Einzelfall ankommt (PHILIPP MAIER, a.a.O., N. 71 ff. zu Art. 189 StGB; Urteil 6S.824/1996 vom 15. September 1997 E. 2a).» (E.1.1.1 a.E.).
Bereits vor Vorinstanz war gemäss dem Bundsgericht unbestritten, dass der Beschwerdeführer am 21. Juni 2020, kurz nach Mitternacht, der stark alkoholisierten, ihm unbekannten Geschädigten in deren Wohnung gefolgt ist und dort zweimal versucht hat, sie vaginal zu penetrieren, was ihm jedoch nicht gelang, weil sein Penis nicht vollständig erigiert war. Erstellt ist ferner, dass der Beschwerdeführer mit einem Finger vaginal in die Geschädigte eindrang und dass er sie zum Oralsex zwang. Nicht bestritten war schliesslich, dass der Beschwerdeführer gegen den Willen der Geschädigten handelte. (E.1.2.1)
Die Vorinstanz erachtet den qualifizierten Tatbestand der versuchten Vergewaltigung gemäss Art. 190 Abs. 3 StGB gemäss dem Bundesgericht als erstellt. Sie erwägt, aufgrund der glaubhaften Aussagen der Geschädigten stehe fest, dass sie der Beschwerdeführer mit einer offenen, spitzen Schere mit einer Klingenlänge von ca. 7 Zentimeter bedroht habe. Dadurch habe die konkrete Gefahr einer schweren Körperverletzung bestanden. Der Beschwerdeführer habe die Geschädigte mit dem Rücken auf ihr Bett gedrückt. Sie habe sich gewehrt, indem sie geschrien, ihn weggestossen und gekratzt habe. Daraufhin habe er eine Schere vom Schreibtisch ergriffen, diese geöffnet und mit frei liegenden Klingen über den Kopf der Geschädigten gehalten und „shut up“ gesagt. Hierauf habe die Geschädigte aufgehört sich zu wehren und der Beschwerdeführer habe versucht, mit seinem Penis vaginal in sie einzudringen. Er habe die Schere während des gesamten Vorfalls immer wieder geöffnet über den Kopf der Geschädigten hoch gehalten, wenn sie sich gewehrt habe und jeweils aufgehört, sobald sie keinen Widerstand mehr geleistet habe. Die Geschädigte habe grosse Angst gehabt, der Beschwerdeführer könnte sie mit der Schere verletzen und sie habe ihn mehrmals angefleht, ihr nicht weh zu tun.
Angesichts des dynamischen Geschehens, in welchem sich die Geschädigte körperlich gegen den Beschwerdeführer zur Wehr gesetzt habe, sodass kräftige und ruckartige Bewegungen erfolgt seien, sowie durch die Positionierung der offenen Schere über dem Kopf der Geschädigten habe eine konkrete Gefahr erheblicher Schnitt- oder Stichverletzungen im Kopf-, Hals- und Brustbereich bestanden. Dies insbesondere, weil sich der Beschwerdeführer mit der Schere über ihr befunden habe und dadurch mit der gesamten Kraft seines Körpergewichts hätte auf sie einwirken können. Ausserdem seien sowohl er als auch die Geschädigte alkoholisiert gewesen, was die Unberechenbarkeit ihrer Bewegungen erhöht habe. Der Beschwerdeführer habe daher einen gefährlichen Gegenstand verwendet und den qualifizierten Tatbestand erfüllt. Dass er die Geschädigte jeweils als Reaktion auf ihre Gegenwehr mit der Schere bedroht habe, um ihren Widerstand zu brechen, entlaste ihn nicht. (E.1.2.2).
Hinsichtlich des Vorwurfs der sexuellen Nötigung sei sodann gemäss dem Bundesgericht unbestritten, dass der Beschwerdeführer die Geschädigte zum Oralsex gezwungen habe. Gleichfalls unbestritten sei, dass er dabei die Schere zwischen ihre entblössten Beine gehalten und ihr mit „shut up. I kill you“ gedroht habe, als sie sich geweigert habe, seinen Penis in den Mund zu nehmen. Mit Bezug auf den qualifizierten Tatbestand sei sodann unerheblich, ob die Schere geöffnet gewesen sei, so die Vorinstanz. Davon unbesehen sei von der Verwendung eines gefährlichen Gegenstands auszugehen. Die Schere verlaufe zu einem Spitz und sei bis zum Griff 9,5 Zentimeter lang und damit geeignet gewesen, schwere Stichverletzungen zu verursachen. Zudem habe der Beschwerdeführer die Schere in unmittelbarer Nähe des entblössten Genitalbereichs der Geschädigten gehalten. Da sich diese mehrfach körperlich gewehrt habe, habe auch zu jenem Zeitpunkt mit abrupten Bewegungen aufgrund der Gegenwehr gerechnet werden müssen. Daher habe, zumal angesichts der durch die Alkoholisierung beeinträchtigten Koordination der Beteiligten, die konkrete Gefahr schwerer Verletzungen im Genitalbereich oder an der Innenseite der Oberschenkel der Geschädigten bestanden. Es hätte ohne Weiteres zu erheblichen Blutungen oder zur Verstümmlung oder Unbrauchbarkeit der Geschlechtsorgane kommen können. (E.1.2.3)
Das Bundesgericht bemerkt hierzu: «Die hiervor zusammengefassten Erwägungen der Vorinstanz sind schlüssig. Was der Beschwerdeführer dagegen vorbringt, belegt weder Willkür in tatsächlicher Hinsicht noch sonst eine Verletzung von Bundesrecht.» (E.1.3). Das Bundesgericht erläutert dann noch genauer seine Überlegungen und äussert sich auch eingehend zum Einsatz der Schere bei beiden Delikten (E.1.3.1 und E.1.3.2). Hier eine Schlüsselausführung des Bundesgerichts: «Zunächst erachtet die Vorinstanz mit Bezug auf die versuchte Vergewaltigung den qualifizierten Tatbestand aufgrund des Einsatzes einer Schere durch den Beschwerdeführer überzeugend als erfüllt. Der Beschwerdeführer hat die Geschädigte unstreitig mit der Schere bedroht und diese somit im Sinne des Gesetzes verwendet, auch wenn er die Geschädigte nicht tatsächlich damit verletzt hat.» (E.1.3.1 a.A.).
Rüge der verminderten Schuldfähigkeit
Der Beschwerdeführer machte im Urteil 6B_1208/2022 vom 16. Februar 2023 weiter vor Bundesgerichte eine verminderte Schuldfähigkeit geltend und rügte insoweit eine willkürliche Sachverhaltsfeststellung sowie eine Verletzung des rechtlichen Gehörs. (E.2). Das Bundesgericht wies die Rügen ab.
Landesverweisung mit gesetzlicher Maximaldauer von 15 Jahren
Der Beschwerdeführer rügte schliesslich noch im Urteil 6B_1208/2022 vom 16. Februar 2023 vor Bundesgericht einzig die Dauer der Landesverweisung, nicht diese als solche. Die angeordnete Maximaldauer stehe im Widerspruch zur Strafzumessung, worin die Vorinstanz sein Verschulden als leicht bis knapp mittelschwer beurteilt habe. (E.3).
Das Bundesgericht schützte die Landesverweisung von 15 Jahren wie folgt: «Der Einwand des Beschwerdeführers überzeugt nicht. Entgegen seiner Auffassung besteht kein Widerspruch darin, dass die Vorinstanz sein Verschulden im Rahmen der Strafzumessung als leicht bis mittelschwer (sexuelle Nötigung) resp. als mittelschwer (versuchte Vergewaltigung), beurteilt, mit Bezug auf die Landesverweisung aber von einem erheblichen Verschulden spricht. Er verkennt, dass sein Verschulden lediglich innerhalb des qualifizierten Strafrahmens von Art. 189 Abs. 3 und Art. 190 Abs. 3 StGB nicht besonders schwer wiegt. Die Annahme eines insgesamt erheblichen Verschuldens deckt sich zudem mit der Freiheitsstrafe von 71 /2 Jahren. Die Festsetzung der Landesverweisung auf das gesetzliche Maximum liegt auch innerhalb des vorinstanzlichen Ermessens. Daran ändert nichts, dass die Erstinstanz eine Landesverweisung von 12 Jahren für angemessen erachtete. Es kann auf die ausführlichen Erwägungen der Vorinstanz verwiesen werden.» (E.3.2)