Partielles Bettelverbot Kanton Basel-Stadt: Beschwerde teilweise gutgeheissen

Das Bundesgericht heisst im Urteil 1C_537/2021 vom 13. März 2023 eine Beschwerde gegen das partielle Bettelverbot des Kantons Basel-Stadt teilweise gut. Das Bettelverbot in öffentlichen Parks hebt es als unverhältnismässig auf. Die übrigen Bestimmungen können grundrechtskonform angewendet werden; gegenüber passiv bettelnden Menschen darf eine Busse nur verhängt werden, wenn vorangehende mildere Massnahmen erfolglos geblieben sind.

Der Grosse Rat des Kantons Basel-Stadt erliess 2021 ein partielles Bettelverbot (§ 9 des kantonalen Übertretungsstrafgesetzes, ÜStG). Zuvor hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) eine Beschwerde im Zusammenhang mit einem umfassenden Bettelverbot im Kanton Genf gutgeheissen (Urteil Lacatus gegen Schweiz).

Im Kanton Basel-Stadt kann gemäss dem ersten Absatz von § 9 ÜStG mit Busse bestraft werden, wer in organisierter Art und Weise bettelt, andere Personen zum Betteln schickt oder beim Betteln täuschende oder unlautere Methoden anwendet. Absatz 2 sieht eine Busse für Personen vor, die im öffentlichen Raum oder an öffentlich zugänglichen Orten betteln und dabei die öffentliche Sicherheit, Ruhe und Ordnung stören; das ist unter anderem der Fall, wenn aufdringlich oder aggressiv gebettelt wird, beim Betteln in weniger als fünf Metern Entfernung zu bestimmten Orten (u.a. Haltestellen des öffentlichen Verkehrs, Geldautomaten oder Restauranteingängen) oder an bestimmten Orten wie in Parks, auf Spielplätzen oder auf Friedhöfen.

Das Bundesgericht heisst im Urteil 1C_537/2021 vom 13. März 2023 eine dagegen erhobene Beschwerde teilweise gut. Es hebt das Bettelverbot in Parks auf, da sich dieses nicht durch ein überwiegendes öffentliches Interesse rechtfertigen lässt. Personen, die einen Park aufsuchen, sind mit dem Verbot von aufdringlichem oder aggressivem Betteln ausreichend geschützt. Im weiteren weist das Bundesgericht die Beschwerde im Sinne der Erwägungen ab.

Das partielle Bettelverbot stellt einen schweren Eingriff in die persönliche Freiheit dar; das Bundesgericht sieht keinen Anlass, auf seine bisherige Rechtsprechung zurückzukommen, wonach Bettelei nicht unter dem Schutz der Meinungsfreiheit und der Wirtschaftsfreiheit steht.

Die angefochtenen Regelungen lassen sich – ausser dem Bettelverbot in Parks – verfassungskonform auslegen und erweisen sich insofern als rechtmässig. In Bezug auf das Verbot des Bettelns in organisierter Art und Weise ist zu beachten, dass koordiniertes Betteln alleine den Tatbestand nicht erfüllen würde. Vielmehr muss ein zusätzlicher Unrechtsgehalt hinzukommen, etwa ausbeuterische und täuschende Verhaltensweisen; zu denken wäre auch an Gruppen, die sich Bettelplätze aufteilen und dabei andere bettelnde Personen verdrängen. Wo es einzig um passives Betteln geht (also nicht um organisiertes, aufdringliches oder aggressives Betteln), beträgt die Busse maximal 50 Franken. Betroffen sind regelmässig mittellose Personen, womit die Busse häufig einen blossen Zwischenschritt zu einem Freiheitsentzug darstellt. Dies ist mit Blick auf die Bedürftigkeit und die besondere Vulnerabilität von bettelnden Menschen nicht zulässig. Die angedrohte Busse ist daher bei bloss passivem Betteln nur dann grundrechtskonform, wenn zuvor mildere Massnahmen zur Durchsetzung des Bettelverbots ergriffen wurden.

Das partielle Bettelverbot ist gemäss dem Bundesgericht schliesslich auch mit dem Freizügigkeitsabkommen vereinbar und in der Form der abstrakten gesetzlichen Regelung nicht diskriminierend.

Ausgewählte Ausführungen zu Grundrechten im Urteil 1C_537/2021 vom 13. März 2023

Hier sind einige ausgewählte Ausführungen des Bundesgerichts zu Grundrechten im Urteil 1C_537/2021 vom 13. März 2023:

Zur Persönlichen Freiheit

«Gemäss der Rechtsprechung des Bundesgerichts und in Übereinstimmung mit dem juristischen Schrifttum stellt Bettelei eine elementare Freiheit der Lebensgestaltung dar und fällt in den Schutzbereich des Grundrechts der persönlichen Freiheit nach Art. 10 Abs. 2 BV bzw. des Rechts auf Achtung des Privatlebens gemäss Art. 8 EMRK. Das Verbot der Bettelei bewirkt einen Eingriff in dieses Grund- bzw. Menschenrecht (BGE 134 I 214 E. 5.3; Urteile des Bundesgerichts 1C_443/2017 vom 29. August 2018 E. 4.2, 6B_530/2014 vom 10. September 2014 E. 1.1, 6B_368/2012 vom 17. August 2012 E. 4; Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte [EGMR] Nr. 14065/15 vom 19. April 2021 Lacatus gegen Schweiz Rz. 50 ff. und 91 f.; RAPHAELA CUENI, EGMR Lacatus gegen die Schweiz vom 19. Januar 2021, Jusletter vom 19. Januar 2021, Rz. 9 ff.; HERTIG RANDALL/LE FORT, L’interdiction de la mendicité revisitée, in: plädoyer 4/2012, S. 35 f.; HERTIG RANDALL/MARQUIS, in: Martenet/Dubey [Hrsg.], Constitution fédérale, Commentaire romand, 2021, Art. 10 N. 71; MARIA LUDWICZAK GLASSEY, L’influence de la CEDH sur le droit suisse: éléments de droit pénal spécial et de droit de la coopération internationale en matière pénale, in: ZSR 141 II/2022, S. 93 ff.; DANIEL MÖCKLI, Bettelverbote: Einige rechtsvergleichende Überlegungen zur Grundrechtskonformität, in: ZBl 111/2010, S. 548 ff.; AXEL TSCHENTSCHER, in: Waldmann et al. [Hrsg.], Bundesverfassung, Basler Kommentar, 2015, Art. 10 N. 244), was unabhängig davon gilt, ob es sich um ein umfassendes oder nur partielles Verbot handelt. Berührt wird dabei auch die Menschenwürde (vgl. das erwähnte Urteil Lacatus gegen Schweiz, Rz. 107), d.h. für die Schweiz Art. 7 BV.» (E.4.3).

Zur Meindungsfreiheit:

«Die Beschwerdeführenden berufen sich zusätzlich auf die Meinungsfreiheit nach Art. 16 BV und Art. 10 EMRK. Das Bundesgericht lehnte es bisher ab, ein Bettelverbot als Eingriff in die Meinungsfreiheit zu beurteilen (Urteile 1C_443/2017 vom 29. August 2018 E. 6 und 6B_530/2014 vom 10. September 2014 E. 2). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte liess die Frage im bereits erwähnten Urteil Lacatus gegen Schweiz offen (a.a.O., Rz. 118 ff.); in ihrer Minderheitsmeinung (im Sinne einer concurring opinion) äusserte sich die Schweizer Richterin HELEN KELLER, unter anderem unter ausdrücklichem Verweis auf ein Urteil des österreichischen Verfassungsgerichtshofes vom 30. Juni 2012 (VfGH G 155/10-9) sowie ein Urteil des High Court von Irland vom 4. Dezember 2007 ( Dillon v. Director of Public Prosecutions [2008], 11R 383), in dem Sinne, dass der Gerichtshof zusätzlich ausdrücklich einen Eingriff in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit hätte anerkennen sollen (a.a.O., Rz. 3 ff. der Minderheitsmeinung; siehe auch Rz. 27 des Urteils des EGMR). In zwei weiteren Minderheitsvoten wird ebenfalls die Auffassung vertreten, der Gerichtshof hätte auf die Frage der Meinungsfreiheit nach Art. 10 EMRK zumindest eingehen sollen (Voten LEMMENS Rz. 2 und RAVARANI Rz. 15 ff.). In der schweizerischen wissenschaftlichen Literatur wird dies wenigstens vom Bundesgericht gefordert (CUENI, a.a.O., Rz. 31 ff.; HERTIG RANDALL/LE FORT, a.a.O., S. 36; MÖCKLI, a.a.O., S. 550 ff.). Die Beschwerdeführenden legen jedoch nicht ausreichend dar, inwiefern ihnen die Anerkennung eines Eingriffs in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit eine bessere Rechtsstellung verschaffen würde, deren Schutzwirkung über diejenige der persönlichen Freiheit hinausreichte. Allfällige kommunikative Elemente des Bettelns könnten auch bei der Beurteilung von Eingriffen in die persönliche Freiheit berücksichtigt werden (vgl. MAYA HERTIG, in: Waldmann et al. [Hrsg.], a.a.O., Art. 16 N. 11). Auf die Rechtsprechung zum Verhältnis eines Bettelverbots zur Meinungsfreiheit ist daher im vorliegenden Fall nicht zurückzukommen.» (E.4.4).

Zur Wirtschaftsfreiheit:

Analoges gilt gemäss Bundesgericht für die von den Beschwerdeführenden ebenfalls angerufene Wirtschaftsfreiheit gemäss Art. 27 BV (E.4.5).

«Das Bundesgericht verneinte bisher, dass die Bettelei von der Wirtschaftsfreiheit geschützt sei, namentlich wegen des Fehlens eines Austausches wirtschaftlicher Güter bzw. der Einseitigkeit der Spendetätigkeit (vgl. das Urteil des Bundesgerichts 1C_443/2017 vom 29. August 2018 E. 5). Betteln zählt überdies nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung auch nicht zur Erwerbstätigkeit gemäss Art. 4 des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit (FZA; SR 0.142.112.681; vgl. das Urteil 6B_839/2015 vom 26. August 2016 E. 3.4; vgl. sodann BGE 143 IV 97; dazu hinten E. 6.5). Auch dazu finden sich Literaturstellen, welche die Unterstellung des Bettelns unter die Wirtschaftsfreiheit befürworten oder zumindest erwägen und dabei namentlich in der Gelegenheit der Gabe eines Almosens einen ideellen oder in von Bettelnden mitunter im Austausch zu einer Spende angebotenen Kleinstwaren wie einer einzelnen Blume einen materiellen Gegenwert sehen (vgl. CUENI, a.a.O., Rz. 41 ff.; MÖCKLI, a.a.O., S. 545 ff.; LUKAS SCHAUB, Weshalb die Bettelei den Schutz der Wirtschaftsfreiheit verdient – eine kritische Auseinandersetzung mit der Bundesgerichtspraxis, in: ZBl 123/2022, S. 287 ff., insbes. S. 295 ff.; FELIX UHLMANN, in: Waldmann et al. [Hrsg.], a.a.O., Art. 27 N. 8 und 79).» (E.4.5.1)

«Zwar ist nicht ausgeschlossen, dass sich insoweit eine besondere Schutzwirkung mit Blick auf eine eventuelle wirtschaftliche Nutzung des öffentlichen Bodens und auf die Einschränkung des zulässigen öffentlichen Interesses gemäss Art. 94 BV auf Eingriffe in dieses Grundrecht, die mit dem Grundsatz der Wirtschaftsfreiheit vereinbar sind, ergeben könnte. Allerdings wird in der Literatur teilweise auch darauf verwiesen, dass im Gegenteil ideelle Nutzungen des öffentlichen Grundes in der Praxis oft grosszügiger behandelt werden als ökonomische (vgl. UHLMANN, a.a.O., Art. 27 Rz. 79; vgl. auch ein analoges Zitat von HANS GEORG SEILER in: plädoyer 6/2022, S. 12). Im Übrigen wäre in Betracht zu ziehen, dass sich, im Unterschied zu Schweizerinnen und Schweizern, nicht alle ausländischen Personen auf die Wirtschaftsfreiheit berufen können, sondern nur solche, denen ein Anspruch auf Erwerbstätigkeit bzw. eine Anwesenheitsbewilligung mit Arbeitsberechtigung zusteht oder die bereits über eine Erwerbsbewilligung verfügen (vgl. insbes. BGE 123 I 214 E. 2; UHLMANN, a.a.O., Art. 27 Rz. 29; MARCO WEISS, § 27 Ausländische Personen als selbstständig Erwerbende, in: Uebersax et al. [Hrsg.], Ausländerrecht, Eine umfassende Darstellung der Rechtsstellung von Ausländerinnen und Ausländern in der Schweiz, Handbücher für die Anwaltspraxis, 3. Aufl., 2022, Rz. 27.11). Wird in diesem Sinne ein freizügigkeitsrechtlicher Anspruch auf Anwesenheit zwecks Bettelns verneint (siehe hinten E. 6), entfällt beispielsweise für den Beschwerdeführer 4 die Möglichkeit, sich auf die Wirtschaftsfreiheit zu berufen. Anders verhält es sich immerhin für Schweizerinnen und Schweizer und allenfalls für auf sonstiger Grundlage, bspw. aufgrund von Bestimmungen über den Familiennachzug (so etwa Art. 42 ff. i.V.m. Art. 46 AIG), anwesenheits- und erwerbsberechtigte ausländische Personen.» (E.4.5.2).

«So oder so vermögen die Beschwerdeführenden aber erneut nicht zureichend darzulegen, inwiefern die Wirtschaftsfreiheit bettelnden Personen im vorliegenden Zusammenhang einen zusätzlichen Schutz verschaffen würde. Die mit dem angefochtenen Bettelverbot verbundene Beschränkung der Nutzung des öffentlichen Bodens ist bereits unter dem Gesichtspunkt der persönlichen Freiheit ausreichend zu würdigen, und es wird nicht ausgeführt, inwiefern das strittige partielle Bettelverbot nicht mit dem Grundsatz der Wirtschaftsfreiheit vereinbar sein sollte. Demnach besteht im vorliegenden Fall ebenfalls kein Anlass, auf die Frage der Massgeblichkeit von Art. 27 BV zurückzukommen.» (E.4.5.3).

Das Bundesgericht kommt im Urteil 1C_537/2021 vom 13. März 2023 nach der Prüfung diverser anderer Rügen zur Schlussfolgerung:

«In teilweiser Gutheissung der Beschwerde wird das Wort „Parks“ in § 9 Abs. 2 lit. g des basel-städtischen Übertretungsstrafgesetzes vom 13. Februar 2019 gestrichen. Davon abgesehen wird die Beschwerde im Sinne der Erwägungen teilweise gutgeheissen und im Übrigen abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.»

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