Parteientschädigungen für Opfervertretungen sind zu belegen

Im Urteil 6B_764/2023 vom 19. Februar 2024 aus dem Kanton Zürich ging es um die Parteientschädigung der Eltern des Opfers vor dem Bezirksgericht Pfäffikon und dem Obergericht des Kantons Zürich. Das Bundesgericht schützt die Beschwerde in dem Punkt, dass der Anwalt der Eltern des Opfers es versäumte, seine Honorarforderungen zu belegen. «Der Beschwerdeführer rügt zu Recht, dass eine pauschale Bezifferung der Parteientschädigung, die weder nachvollziehbar noch überprüfbar ist, nicht ausreicht. Selbst die Vorinstanz hält ausdrücklich fest, der behauptete Aufwand sei unbelegt. Deshalb hätte sie auf den Antrag überhaupt nicht eintreten dürfen. Indem der Rechtsanwalt die beantragte Parteientschädigung bis zuletzt nicht belegte, hat er den Anspruch der Eltern verwirkt. Denn er hatte im Verlauf des Verfahrens immer wieder die Möglichkeit, die beantragte Prozessentschädigung zu beziffern und zu belegen […]. Die Vorinstanz erfüllte ihre Frage- und Fürsorgepflicht, indem sie den Rechtsanwalt zuletzt an der Berufungsverhandlung zur Bezifferung und Belegung aufforderte.» (E.3.3.1).

Sachverhalt

Am 4. Dezember 2018 überquerte der 10-jährige C. auf einem Trottinette hinter seinem damals 12-jährigen Bruder D. bei einem Kreisverkehr einen Fussgängerstreifen. Dabei wurde er von einem Lastwagen überrollt und starb noch auf der Unfallstelle.

Instanzenzug

Das Bezirksgericht Pfäffikon sprach den Lastwagenlenker A. am 12. November 2021 vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung frei.

Die dagegen gerichteten Berufungen der Eltern von C. und der Staatsanwaltschaft hiess das Obergericht des Kantons Zürich am 18. Januar 2023 gut. Es verurteilte A. wegen fahrlässiger Tötung zu einer bedingten Geldstrafe von 180 Tagessätzen zu Fr. 120.– und sprach den Eltern eine Parteientschädigung von Fr. 12’000.– zu.

Weiterzug ans Bundesgericht

Der A. beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, er sei vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung freizusprechen. Den Eltern sei keine Parteientschädigung zuzusprechen. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an das Obergericht zurückzuweisen.

Der Rechtsanwalt der Eltern und das Obergericht wurden zu einer auf die Frage der Parteientschädigung beschränkten Vernehmlassung eingeladen. Das Obergericht verzichtet auf eine Stellungnahme. Der Rechtsanwalt reicht eine Stellungnahme ein.

Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 6B_764/2023 vom 19. Februar 2024

Der Beschwerdeführer wendet sich vor Bundesgericht einerseits gegen den Schuldspruch wegen fahrlässiger Tötung. Er beanstandet die Sachverhaltsfeststellung. Insbesondere hätte die Vorinstanz nicht auf die Schilderungen des Bruders des Opfers abstellen dürfen (E.2).

Was der Beschwerdeführer gegen die vorinstanzlichen Erwägungen vorbringt, dringt beim Bundesgericht nicht durch (E.2.3).  Der Beschwerdeführer nicht rechtsgenügend dar, dass die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung willkürlich sei (E.2.4).

Der Beschwerdeführer beanstandet andererseits die Parteientschädigung zu Gunsten der Eltern des Opfers (E.3). Hier wird es nun sehr interessant.

Das Bundesgericht äussert sich im Urteil 6B_764/2023 vom 19. Februar 2024 zunächst generell-abstrakt wie folgt:

«Art. 433 Abs. 1 lit. a StPO räumt der Privatklägerschaft gegenüber der beschuldigten Person einen Anspruch auf angemessene Entschädigung für notwendige Aufwendungen im Verfahren ein, wenn sie obsiegt. Sie obsiegt, wenn es im Falle der Strafklage zu einer Verurteilung der beschuldigten Person kommt (BGE 139 IV 102 E. 4.3; Urteile 6B_242/2020 vom 6. Juli 2020 E. 3.4; 6B_1050/2018 vom 8. März 2019 E. 4.1.2). Die Privatklägerschaft hat ihre Entschädigungsforderung bei der Strafbehörde zu beantragen, zu beziffern und zu belegen. Kommt sie dieser Pflicht nicht nach, so tritt die Strafbehörde auf den Antrag nicht ein (Art. 433 Abs. 2 StPO). Der Untersuchungsgrundsatz (Art. 6 StPO) gilt hier nicht, das heisst die Privatklägerschaft muss sich aktiv um ihren Anspruch bemühen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts muss die Behörde die Privatklägerschaft allerdings sowohl auf ihr Recht hinweisen, eine Entschädigung gestützt auf Art. 433 StPO zu beantragen, als auch auf ihre Pflicht, eine beantragte Parteientschädigung zu beziffern und zu belegen (Urteile 6B_242/2020 vom 6. Juli 2020 E. 3.4; 6B_928/2018 vom 26. März 2019 E. 2.2.3; 6B_1345/2016 vom 30. November 2017 E. 7.1; 6B_1210/2017 vom 10. April 2018 E. 4.1; je mit Hinweisen).» (E.3.1).

Zur Vorinstanz erklärte das Bundesgericht im Urteil 6B_764/2023 vom 19. Februar 2024:

«Die Vorinstanz erwägt, der Beschwerdeführer werde in Gutheissung der Berufungen der Staatsanwaltschaft und der Eltern des Opfers der fahrlässigen Tötung schuldig gesprochen, weshalb ihm die Kosten der Untersuchung, des erstinstanzlichen Verfahrens und des Berufungsverfahrens aufzuerlegen seien. Zudem sei der Beschwerdeführer gegenüber den Eltern des Opfers gestützt auf Art. 433 Abs. 1 StPO entschädigungspflichtig. Allerdings stehe dieser Anspruch unter dem Vorbehalt der Bezifferung und Belegung des Entschädigungsantrags (Art. 433 Abs. 2 Satz 1 StPO), wobei im Säumnisfall auf den Antrag nicht einzutreten sei (Art. 433 Abs. 2 Satz 2 StPO). Diese Voraussetzung habe der Rechtsanwalt der Eltern vor Erstinstanz nicht erfüllt. Denn er habe bloss eine angemessene Entschädigung nach Ermessen des Gerichts beantragt und alternativ die Nachreichung einer Honorarnote in Aussicht gestellt. Gleich sei er in der Berufungserklärung verfahren. In solchen Fällen habe das Gericht die Partei zur Bezifferung und Belegung aufzufordern. Dies habe die Vorinstanz getan, worauf der Rechtsanwalt eine Gesamtsumme von Fr. 16’000.– geltend gemacht habe. Diesen Antrag hält die Vorinstanz für unbelegt und im Vergleich zum Aufwand der Verteidigung überhöht. Sie kürzt die Parteientschädigung daher „auf angemessene Fr. 12’000.– (inkl. MwSt.)“.» (E.3.2).

Das Bundesgericht hält diese Rüge des Beschwerdeführers im Urteil 6B_764/2023 vom 19. Februar 2024 für berechtigt:

«Die Eltern des Opfers wurden im erst- und zweitinstanzlichen Verfahren von einem Rechtsanwalt vertreten. Dieser hat die beantragte Parteientschädigung weder beziffert noch belegt. Im erstinstanzlichen Verfahren und in der Berufungserklärung erschöpften sich seine Ausführungen im Antrag einer angemessenen Entschädigung nach Ermessen des Gerichts. Alternativ stellte er in Aussicht, eine Honorarnote nachzureichen. Daher lud die Vorinstanz den Rechtsanwalt ein, die beantragte Parteienschädigung zu beziffern und zu belegen. Der Beschwerdeführer trägt vor, dass der Rechtsanwalt an der Berufungsverhandlung drei Mal erfolglos aufgefordert wurde, die Parteientschädigung zu beziffern. Schliesslich sei er gebeten worden, den Stundenaufwand während eines kurzen Unterbruchs abzuklären. Über diese Vorgänge lässt sich dem angefochtenen Urteil nichts entnehmen. Fest steht aber, dass der Rechtsanwalt schliesslich basierend auf einem Stundenansatz von Fr. 220.– einen Aufwand von Fr. 16’000.– behauptete. Der Beschwerdeführer rügt zu Recht, dass eine pauschale Bezifferung der Parteientschädigung, die weder nachvollziehbar noch überprüfbar ist, nicht ausreicht. Selbst die Vorinstanz hält ausdrücklich fest, der behauptete Aufwand sei unbelegt. Deshalb hätte sie auf den Antrag überhaupt nicht eintreten dürfen. Indem der Rechtsanwalt die beantragte Parteientschädigung bis zuletzt nicht belegte, hat er den Anspruch der Eltern verwirkt. Denn er hatte im Verlauf des Verfahrens immer wieder die Möglichkeit, die beantragte Prozessentschädigung zu beziffern und zu belegen (vgl. dazu Urteile 6B_1200/2017 vom 4. Juni 2018 E. 4.4; 6B_777/2017 vom 8. Februar 2018 E. 7.3). Die Vorinstanz erfüllte ihre Frage- und Fürsorgepflicht, indem sie den Rechtsanwalt zuletzt an der Berufungsverhandlung zur Bezifferung und Belegung aufforderte.» (E.3.3.1).

«Es kommt hinzu, dass die Vorinstanz nicht begründet, weshalb sie eine Parteientschädigung von Fr. 12’000.– zuspricht. Zwar kürzt sie die Parteientschädigung um Fr. 4’000.–, weil der Antrag im Vergleich zum Aufwand der Verteidigung überhöht sei. Doch begründet sie mit keinem Wort, weshalb ein Aufwand von Fr. 12’000.– ausgewiesen sein soll.  Der Beschwerdeführer legt substanziiert dar, dass auch die reduzierte Parteientschädigung nur schwer nachvollziehbar sei. Er bringt vor, dass die gekürzte Parteientschädigung von Fr. 12’000.– beim geltend gemachten Stundensatz von Fr. 220.– einem Aufwand von 54.54 Stunden entsprechen würde. Er legt dar, dass der Rechtsanwalt der Eltern an den Einvernahmen des Beschwerdeführers und der beiden Zeugen teilgenommen habe. Diese seien am selben Tag während 5 Stunden durchgeführt worden. Zudem sei der Bruder des Opfers am 4. August 2020 während 1.5 Stunden befragt worden. Die erstinstanzliche Verhandlung habe 4 Stunden und 15 Minuten gedauert und die zweitinstanzliche Verhandlung 5 Stunden. Sodann habe der Rechtsanwalt der Eltern einige kurze E-Mails und Schreiben verfasst, die mit ungefähr zwei Stunden zu Buche schlagen dürften. Es sei anzunehmen, dass 4 Besprechungen zu je einer Stunde mit den Eltern stattgefunden hätten und dass ein Aktenstudium von 3 Stunden nötig gewesen sei. 

Wie der Beschwerdeführer zu Recht ausführt, würde sich bei dieser plausiblen Rechnung ein Aufwand von höchstens 25 Stunden ergeben, was einer Parteientschädigung von Fr. 5’500.– entsprechen würde. Hätte der Rechtsanwalt der Eltern einen grösseren Aufwand betrieben, dann würde sich fragen, ob es sich dabei überhaupt um entschädigungspflichtige notwendige Aufwendungen handelt.» (E.3.3.2).

«Der Beschwerdeführer trägt weiter vor, dass die Zivilforderungen auf Antrag des Rechtsanwalts der Eltern auf den Zivilweg verwiesen wurden. Folglich bestehe kein Anspruch auf Entschädigung im Zusammenhang mit den Zivilansprüchen. Weil keine Konstituierung der Eltern als Strafkläger erfolgt sei, könnten auch keine Aufwendungen zum Schuldpunkt geltend gemacht werden. Wie es sich damit genau verhält, kann offen bleiben, da die Vorinstanz ohnehin nicht hätte auf den Antrag auf Parteientschädigung eintreten dürfen, da es der Rechtsanwalt der Eltern sorgfaltswidrig versäumt hatte, notwendige Aufwendungen im Verfahren zu beziffern und zu belegen.» (E.3.3.3).

«Nach dem Gesagten verletzt die Vorinstanz Bundesrecht, indem sie eine Parteientschädigung von Fr. 12’000.– zuspricht.» (E.3.4).

Das Bundesgericht hiess die Beschwerde teilweise gut.

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