April 24, 2023 6:50 am

Im Urteil 6B_869/2022 vom 22. März 2023 aus dem Kanton St. Gallen befasste sich das Bundesgericht mit der Beschwerde gegen Nichtanhandnahmeverfügung bei Differenzen aus der Start-up-Szene. Das Bundesgericht erklärt u.a.: «Richtet sich die Beschwerde gegen die Einstellung oder Nichtanhandnahme eines Verfahrens, hat die Privatklägerschaft im Strafverfahren nicht notwendigerweise bereits vor den kantonalen Behörden Zivilansprüche geltend gemacht. Im Verfahren vor Bundesgericht muss sie deshalb darlegen, weshalb und inwiefern sich der angefochtene Entscheid auf welche Zivilansprüche auswirken kann (Art. 42 Abs. 2 BGG). Das Bundesgericht prüft die Eintretensvoraussetzungen ohne vertiefte materielle Prüfung und stellt an deren Begründung strenge Anforderungen.» (E.1.1). Nach eingehender Prüfung, inbesondere von Themen des Aktienrechts, trat das Bundesgericht nicht auf die Beschwerde ein. Betreffend der geltend gemachten Genugtuung bemerkte es: «Es ist notorisch, dass in der kompetitiven Gründerszene auch juristisch mit harten Bandagen gekämpft wird; selbst wenn sich die Anzeige wegen Urkundenfälschung als ungerechtfertigt erweisen sollte, vermag dies einen zivilrechtlichen Genugtuungsanspruch noch nicht zu indizieren.» (E.1.3.2 a.E).

April 21, 2023 2:22 pm

Im Urteil 6B_1354/2021 vom 22. März 2023 aus dem Kanton Aargau befasste sich das Bundesgericht mit dem Thema der Ersatzforderungen, namentlich bei schlechten wirtschaftlichen Verhältnissen (E.4). Dazu erklärte das Bundesgericht u.a.: «Der Richter kann aber die Ersatzforderung reduzieren, um dem Gedanken der Resozialisierung des Täters Rechnung zu tragen. Dem Verurteilten soll nicht durch übermässige Schulden die Wiedereingliederung zusätzlich erheblich erschwert werden. Von der in Art. 71 Abs. 2 StGB vorgesehenen Möglichkeit des ganzen oder teilweisen Absehens von einer Ersatzforderung ist nach der Rechtsprechung mit Zurückhaltung Gebrauch zu machen. Es müssen bestimmte Gründe vorliegen, die zuverlässig erkennen lassen, dass sich die ernsthafte Gefährdung der Resozialisierung nicht durch Zahlungserleichterungen beheben lässt und die Ermässigung der Ersatzforderung für eine erfolgreiche Wiedereingliederung des Täters unerlässlich ist.» (E.4.3). Dies bedingt eine umfassende Auseinandersetzung der urteilenden Instanz mit den Vermögensverhältnissen der betroffenen Person (E.4.4. f.).

April 19, 2023 1:00 pm

Im Urteil vom 6B_207/2022 vom 27. März 2023 aus dem Kanton Zürich befasste sich das Bundesgericht mit der strafrechtlichen Landesverweisung. Es hiess eine Beschwerde der Oberstaatsanwaltschaft gut, welche sich gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich richtete, welches noch «knapp» von einer Landesverweisung Abstand nahm. Das Urteil ist sehr lesenswert, sowohl wegen der generell-abstrakten Ausführungen zur Landesverweisung (E.1.2) als auch aufgrund der Anwendung der Kriterien im Einzelfall.

April 19, 2023 12:04 pm

Der Bundesrat hat an seiner heutigen Sitzung beschlossen, die Verordnung gegen Radikalisierung und Extremismus zu verlängern und einen Kredit in der Höhe von insgesamt 3.75 Millionen Franken bereitzustellen. Der Kredit soll Massnahmen und Projekte zur Verhinderung und Bekämpfung von Radikalisierung und gewalttätigem Extremismus während fünf Jahren finanziell unterstützen, wie sie der zweite Nationale Aktionsplan (NAP) 2023-2027 vorsieht.

April 18, 2023 10:19 am

Im Urteil 6B_1205/2022, 6B_1207/2022 vom 22. März 2023 aus dem Kanton Bern befasste sich das Bundesgericht mit der Würdigung der Aussageverweigerung von zwei Beschuldigten. Es äusserte sich dabei wie folgt: «Nach der Rechtsprechung ist es mit der Unschuldsvermutung unter gewissen Umständen vereinbar, das Aussageverhalten der beschuldigten Person in die Beweiswürdigung miteinzubeziehen. Dies ist der Fall, wenn sich die beschuldigte Person weigert, zu ihrer Entlastung erforderliche Angaben zu machen, indem sie es unterlässt, entlastende Behauptungen näher zu substanziieren, obschon eine Erklärung angesichts der belastenden Beweiselemente vernünftigerweise erwartet werden darf. […] Das Schweigen der beschuldigten Person darf in Situationen, die nach einer Erklärung rufen, bei der Gewichtung belastender Elemente mitberücksichtigt werden, es sei denn, die beschuldigte Person berufe sich zu Recht auf ein Zeugnisverweigerungsrecht […]. Die fehlende Mitwirkung der beschuldigten Person im Strafverfahren darf demnach nur unter besonderen Umständen in die Beweiswürdigung miteinfliessen. Die zitierte Rechtsprechung führt nicht zu einer Beweislastumkehr, sondern lediglich dazu, dass auf die belastenden Beweise abgestellt werden darf.» (E.2.4.1). Diese Ausführungen sind sehr kritisch zu betrachten.

April 17, 2023 8:06 am

Im Urteil 1B_399/2022 vom 22. Februar 2023 aus dem Kantons Zürich behandelte das Bundesgericht die Frage der Entsiegelung und Durchsuchung des Handys des mutmasslichen Opfers eines Vergewaltigungsdelikts. Das Bundesgericht macht dabei die folgende Schlüsselaussage: «Art. 169 Abs. 4 StPO gibt einem mutmasslichen Vergewaltigungsopfer zwar das Recht, die Aussage auf intime Fragen zu verweigern. Daraus folgt jedoch kein Rechtsanspruch eines Opfers, dass zum Vornherein keine untersuchungsrelevanten Aufzeichnungen auf seinem sichergestellten Mobiltelefon als Beweismittel erhoben werden dürften.» (E.4.3) Weiter betont es, dass eine prozessuale Substanziierungsobliegenheit im Entsiegelungsverfahren nach der einschlägigen Praxis denn auch insbesondere für angebliche intime Video- und Bilddateien gilt, auch bei Opfern von Straftaten (E.4.3. a.E. und E.4.4).

April 14, 2023 10:39 am

Das Bundesgericht bestätigt im Urteil 6B_777/2022 vom 16. März 2023 die Verurteilung des französischen Komikers Dieudonné durch das Genfer Kantonsgericht wegen Rassendiskriminierung. Für seine 2019 bei Auftritten in Nyon und Genf gemachte Äusserung, dass die Gaskammern nie existiert hätten, kann er sich nicht auf die Meinungsäusserungsfreiheit berufen.

April 12, 2023 10:30 am

Die Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich erhebt, wie sie heute mitteilt, beim Bezirksgericht Dielsdorf Anklage gegen B.K. Dem in den Medien unter dem Namen «Brian» bekanntgewordenen Beschuldigten wird vorgeworfen, in der Zeit von November 2018 bis Juli 2021 in der JVA Pöschwies eine Vielzahl von Delikten zum Nachteil von Aufsehern und der Justizvollzugsanstalt begangen zu haben.

April 11, 2023 2:01 pm

Im Urteil 1B_479/2022 vom 21. März 2023 aus dem Kanton Schaffhausen befasste sich das Bundesgericht mit dem Ersatz einer amtlichen Verteidigerin durch einen anderen Rechtsanwalt. Zunächst behandelt das Bundesgericht die Voraussetzungen für einen Verteidigungswechsel: «Die Vorschrift von Art. 134 Abs. 2 StPO trägt dem Umstand Rechnung, dass eine engagierte und effiziente Verteidigung nicht nur bei objektiver Pflichtverletzung der Verteidigung, sondern bereits bei erheblich gestörtem Vertrauensverhältnis beeinträchtigt sein kann. Dahinter steht die Idee, dass eine amtliche Verteidigung in jenen Fällen auszuwechseln ist, in denen auch eine privat verteidigte beschuldigte Person einen Wechsel der Verteidigung vornehmen würde. Wird die subjektive Sichtweise der beschuldigten Person in den Vordergrund gestellt, bedeutet dies aber nicht, dass allein deren Empfinden für einen Wechsel der Rechtsvertretung ausreicht. Vielmehr muss die Störung des Vertrauensverhältnisses mit konkreten Hinweisen belegt und objektiviert werden.» (E.2.2). Weiter prüfte das Bundesgericht einzelfallbezogen ob der Wechsel ex nunc oder ex tunc zu erfolgen habe und entschied hier auf ex nunc (E.2.8).

April 11, 2023 1:08 pm

Im Urteil 6B_532/2022 vom 20. März 2023 aus dem Kanton Zürich befasste sich das Bundesgericht mit dem Rechtsmittelweg, den eine amtliche Verteidigerin einzuschlagen hatte, um die Festsetzung bzw. massive Kürzung des Honorars durch das Bezirksgericht Meilen anzufechten. Das Bundesgericht erklärte, dass die Festsetzung der Höhe der Entschädigung der amtlichen Verteidigung grundsätzlich nur deren eigenen Interessen betrifft. Die amtliche Verteidigung ist gemäss Art. 135 Abs. 3 StPO zur Beschwerde im eigenen Namen befugt. Die amtliche Verteidigung kann (und muss) daher gegen den erstinstanzlichen Entschädigungsentscheid in ihrer Eigenschaft als Verfahrensbeteiligte in eigenem Namen strafprozessuale Beschwerde führen. Die 10-tägige Frist zur Beschwerde gegen ein Urteil (vgl. Art. 396 Abs. 1 StPO) beginnt mit der Eröffnung des schriftlich begründeten Entscheids (E.2.1). Die neue Regelung in der revStPO zeitigt noch keine Vorwirkungen.