Nicht beweistaugliche Geschwindigkeitsmessung und kein Geständnis

Im Urteil 7B_131/2022 vom 5. September 2023 aus dem Kanton Aargau ging es um die Frage der Beweise für eine Geschwindigkeitsüberschreitung. Das Bundesgericht hielt die Geschwindigkeitsmessung, im Rahmen der Willkürrüge, wegen nachträglichen Modifikationen an der Messkabine, für nicht beweiskräftig (E.2.3.2 und E.2.3.4). Auch konnten Aussagen des Beschwerdeführers nicht als Geständnis gewertet werden (E.2.3.3). Hier ist mit Nachdruck an den Grundsatz zu erinnern, dass ohne Anwalt/Strafverteidigung keine Aussagen gemacht werden sollten, auch nicht gegenüber der Polizei unmittelbar nach einem Ereignis.

Sachverhalt

Die Staatsanwaltschaft Rheinfelden-Laufenburg wirft A. vor, er habe am 18. März 2020 um 09.03 Uhr auf der U. strasse in V. die örtlich zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h um strafbare 53 km/h überschritten. Sie bezichtigte ihn mit Strafbefehl vom 7. Mai 2020 der groben Verletzung der Verkehrsregeln durch Missachtung der allgemein zulässigen Höchstgeschwindigkeit ausserorts gemäss Art. 90 Abs. 2 SVG und schlug ihm hierfür eine unbedingte Geldstrafe von 180 Tagessätzen zu je Fr. 250.– vor.

Instanzenzug

Auf Einsprache gegen den Strafbefehl hin sprach das Bezirksgericht Rheinfelden A. am 25. August 2021 vollumfänglich frei.

Mit Urteil vom 15. März 2022 hiess das Obergericht des Kantons Aargau die Berufung der Staatsanwaltschaft teilweise gut, sprach A. wegen grober Verletzung der Verkehrsregeln durch Missachtung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit ausserorts schuldig und verurteilte ihn zu einer bedingten Geldstrafe von 180 Tagessätzen zu je Fr. 300.– bei einer Probezeit von 3 Jahren sowie einer Verbindungsbusse von Fr. 5’000.–.

Weiterzug ans Bundesgericht

Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt A. dem Bundesgericht, es sei der vorinstanzliche Entscheid aufzuheben und er sei vom Vorwurf der groben Verletzung der Verkehrsregeln freizusprechen.

Die Vorinstanz und die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau haben auf Vernehmlassung verzichtet. Es wurden die kantonalen Akten eingeholt.

Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 7B_131/2022 vom 5. September 2023

Der Beschwerdeführer greift vor Bundesgericht die vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen an (E.2)

Nicht als Beweismittel taugliche Radarmessung

Was die Würdigung der Radarmessung anbelangt, macht der Beschwerdeführer geltend, diese sei nicht gültig (E.2).

Das Bundesgericht folgt dieser Ansicht im Urteil 7B_131/2022 vom 5. September 2023 wie folgt:

«Seine Kritik ist weitgehend zutreffend: In der Stellungnahme vom 22. Dezember 2020 zum Betriebszustand des fraglichen Messmittels am 18. März 2020 führte das METAS aus, dass die mobile Messkabine, die das Messmittel während des Betriebs vor äusseren Einwirkungen schützt, bei einer Kontrolle vom 8. Juli 2020 nicht so angetroffen worden sei, wie im Zulassungszertifikat CH-P-10192-01 beschrieben. Die Messkabine sei so modifiziert worden, dass der Radarsensor in ein neu angebautes Gehäuse verschoben werden könne. Die Regionalpolizei sei mit schriftlicher Beanstandung vom 22. Juli 2020 über diese Feststellung informiert worden. Ob anlässlich der Messung vom 18. März 2020 der Radarsensor im neu angebrachten Gehäuse platziert gewesen sei, wisse das METAS nicht. Wenn dies aber der Fall gewesen sein sollte, so sei die Messung mit einem Messmittel vorgenommen worden, das nicht der Beschreibung im Zulassungszertifikat entsprochen habe. Hierauf replizierte die Regionalpolizei mit Stellungnahme vom 25. Januar 2021, dass die Messkabine modifiziert worden sei, um in engen Platzverhältnissen in überbauten Quartieren Kontrollen durchführen zu können. Der Anbau sei ab dem 5. November 2019 bis am 22. Juli 2020 im Einsatz gestanden. Da keine eichungsrelevanten Teile modifiziert worden seien, sei die Modifikation von der Polizei als unbedenklich beurteilt worden. Daraufhin führte das METAS in einer weiteren Stellungnahme vom 15. Februar 2021 aus, dass die Aussage der Regionalpolizei, wonach die Modifikation keine eichungsrelevanten Teile betroffen habe, korrekt sei, zumal die mobile Messkabine kein Bestandteil der jährlichen Eichung sei. Allerdings müsse der Schlussfolgerung der Regionalpolizei, wonach die Modifikation unbedenklich sei, widersprochen werden. Denn die für die amtliche Messung zum Einsatz gelangenden Geschwindigkeitsmesssysteme müssten der anlässlich der Zulassung zur Prüfung eingereichten Bauart entsprechen. Mitarbeiter des METAS seien erstmals anlässlich der Kontrolle am 8. Juli 2020 auf die Modifikation hingewiesen worden. Im Zeitraum, in dem das Messmittel mit Modifikation im Einsatz gewesen sei, also vom 5. November 2019 bis zum 22. Juli 2020, habe keine Eichung des fraglichen Messmittels stattgefunden. Allerdings könne im Rahmen eines Gutachtens die gefahrene Geschwindigkeit durch Auswertung der Bilddokumentation bestimmt werden. Es könne ausgeschlossen werden, dass die Modifikation der Messkabine einen Einfluss auf die Bilddokumentation gehabt habe.» (E.2.3.1)

«Damit steht fest, dass die Radarmessung am 18. März 2020 in jenen Zeitraum fällt, in dem das Messgerät mit der modifizierten Messkabine eingesetzt wurde, wobei nach der Stellungnahme der Regionalpolizei nicht dokumentiert ist, bei welchen Einsätzen die modifizierte Messkabine montiert war und an welcher Stelle die Sensoren angebracht gewesen seien. Die Vorinstanz erwägt, es sei „unklar“, ob der Radarsensor bei der umstrittenen Messung am 18. März 2020 im neu angebrachten Gehäuse platziert gewesen sei, und misst dieser Frage im Ergebnis keine Bedeutung bei. Das ist nicht haltbar. Wie das METAS in seiner Stellungnahme schreibt, wäre eine Messung mit Modifikationen am Messgehäuse gerade nicht unbedenklich gewesen, da die Messkabine in diesem Fall nicht der zur Prüfung eingereichten Bauart entspräche. Dabei handelt es sich um eine von der Eichung und den vor einer Messung durchzuführenden Gerätetests unabhängige Auflage im Zulassungszertifikat CH-P-10192-01. Solche im Rahmen der Zulassung festgelegten Auflagen sind zu beachten, wenn ein Messsystem verwendet wird (vgl. Art. 3 Abs. 2 und 3 der Verordnung des Bundesamts für Strassen [ASTRA] vom 22. Mai 2008 zur Strassenverkehrskontrolle [VSKV-ASTRA; SR 741.013.1]). Während das METAS für die Bilddokumentation, mit der die gefahrene Geschwindigkeit im Rahmen eines Gutachtens bestimmt werden könnte, einen Einfluss durch die Modifikation der Messkabine ausschliesst, äussern sich weder das Institut noch die Vorinstanz zu einer möglichen Auswirkung dieser Modifikation auf die Radarmessung. Unter diesen Umständen ist der Schluss der Vorinstanz offensichtlich unrichtig, es bestünden keine Zweifel an der Richtigkeit der polizeilichen Geschwindigkeitsmessung.» (E.2.3.2)

Das Bundesgericht kommt zur Schlussfolgerung: «Nach dem Gesagten erscheint der Schuldspruch gestützt auf zwei für sich kaum belastbare Beweismittel im konkreten Fall nicht nur als unrichtig, sondern als so nicht haltbar. Die Willkürrüge ist begründet.» (E.2.3.4)

Das Bundesgericht sprach aber den Beschwerdeführer nicht frei: «Dieser Befund führt allerdings nicht zu einem Freispruch. Die Sache ist vielmehr an die Vorinstanz zur neuen Beweiswürdigung bzw. zur Ergänzung des Beweisverfahrens zurückzuweisen: Wie der Beschwerdeführer anmerkt, wäre es nach den Ausführungen des METAS möglich, die Geschwindigkeit im Tatzeitpunkt gestützt auf die vom Messgerät erstellten Bilder gutachterlich zu ermitteln. Die Vorinstanz wird darüber zu befinden haben, ob ein solches Gutachten in Auftrag zu geben ist.» (E.2.4).

Kein Geständnis

Interessant ist auch folgende Ausführung im Urteil 7B_131/2022 vom 5. September 2023 des Bundesgerichts zum Thema eines allfälligen Geständnisses des Automobilisten:

«Auch was die Würdigung des Polizeirapports vom 6. April 2020 anbelangt, trifft die Kritik des Beschwerdeführers zumindest teilweise zu. Ob aufgrund des Hinweises auf Art. 158 StPO davon ausgegangen werden kann, dass der Beschwerdeführer über seine Rechte und den Gegenstand des gegen ihn laufenden Strafverfahrens informiert wurde, kann hier offenbleiben. Denn jedenfalls ergibt sich kein belastbares Geständnis aus den dürren Bemerkungen mit folgendem Wortlaut: „Es gibt keine Entschuldigung. Es war ein Fehler. Werde es nie wieder tun“. Der Beschwerdeführer wurde in diesem Zeitpunkt lediglich mit dem Resultat der umstrittenen Messung konfrontiert. Seine Anerkennung könnte daher letztlich nur als Eingeständnis einer möglichen Geschwindigkeitsübertretung gelesen werden, stellt aber für sich noch in keinerlei Hinsicht einen belastbaren Beweis für den konkreten Tatvorwurf einer Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit mit genau 53 km/h dar.» (E.2.3.3)

Hier ist mit Nachdruck zu bemerken, dass Beschuldigte in einem Strafverfahren niemals ohne Anwalt bzw. Strafverteidigung Aussagen machen sollten, auch nicht gegenüber der Polizei. Schweigen ist hier klar Gold!

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