Landfriedensbruch in der Praxis des Bundesgerichts

Im Urteil 6B_926/2020 vom 20. Dezember 2022, welches in Fussballwelt spielt, befasste sich das Bundesgericht mit dem Tatbestand des Landfriedensbruchs. Dabei setzte es sich im Detail mit dem Tatbestand der Diskussion in Lehre und Rechtsprechung, welche Mindestzahl von Personen an einer «Zusammenrottung» beteiligt sein muss, auseinander (E.1.3). Das Bundesgericht zitiert dabei ein unveröffentlichtes Urteil aus dem Eishockeybereich. Der Entscheid ist ein Must-Read für jeden, der sich mit dem Tatbestand des Landfriedensbruchs auseinandersetzt.

Sachverhalt

Person A. wird vorgeworfen, am xx.xx.xxxx im Nachgang des Cup-Halbfinalspiels in U. zwischen dem FC U. und dem FC V. Teil einer gewalttätigen Zusammenrottung gewesen zu sein.

Das Strafgericht des Kantons Basel-Landschaft sprach A. am 20. September 2018 in anderem Zusammenhang (Überfall eines Kampfsportzentrums; Sachverhaltskomplex B.) von den Vorwürfen der mehrfachen versuchten schweren Körperverletzung, des Angriffs, der mehrfachen Freiheitsberaubung sowie der mehrfachen, teilweise versuchten und teilweise qualifizierten einfachen Körperverletzung frei. In Bezug auf den Vorfall in U. (Sachverhaltskomplex U.) sprach es ihn von den Vorwürfen des Landfriedensbruchs sowie der Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte frei. Das Verfahren betreffend Hausfriedensbruch stellte es ein. Die Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft erhob Berufung gegen den erstinstanzlichen Entscheid. Sie beschränkte die Berufung auf den Freispruch betreffend Landfriedensbruch sowie Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte.

Urteil Vorinstanz

Das Kantonsgericht Basel-Landschaft verurteilte A. am 21. Februar 2020 wegen Landfriedensbruchs und Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte zu einer bedingten Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu Fr. 110.–. Es auferlegte ihm Fr. 5’000.50 von Fr. 14’168.25 der ihn betreffenden Kosten des Vorverfahrens und Fr. 1’400.– der Gerichtsgebühr von Fr. 4’100.–. Schliesslich entrichtete das Kantonsgericht die Kosten des amtlichen Verteidigers für das Vorverfahren sowie das erst- und zweitinstanzliche Verfahren in der Höhe von Fr. 57’414.15 aus der Gerichtskasse, unter Vorbehalt der Rückzahlungsverpflichtung von A. im Umfang von einem Drittel der gesamten Verteidigungskosten.

Weiterzug ans Bundesgericht

Person A. führt Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt, das Urteil des Kantonsgerichts Basel-Landschaft vom 21. Februar 2020 sei aufzuheben. Er sei von den Vorwürfen des Landfriedensbruchs sowie der Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte freizusprechen. Eventualiter sei das vorgenannte Urteil aufzuheben und es seien ihm (1.) maximal Fr. 3’064.50 (anstatt Fr. 5’000.50) der Kosten des Vorverfahrens aufzuerlegen, wobei die Sache eventualiter zur Ermittlung der ihm in Anwendung von Art. 426 Abs. 1 StPOkorrekterweise aufzuerlegenden Kosten des Vorverfahrens an die Vorinstanz zurückzuweisen sei, und (2.) die Rückzahlungspflicht nach Art. 135 Abs. 4 StPOfür die erstinstanzlichen Verteidigungskosten auf maximal Fr. 2’154.– (anstatt auf einen Drittel) zu begrenzen. Subeventualiter verlangt A. die Rückweisung der gesamten Sache zum Entscheid im Sinne der Erwägungen des Bundesgerichts an die Vorinstanz.

Das Kantonsgericht Basel-Landschaft beantragt unter Verweis auf die Erwägungen im angefochtenen Entscheid die Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei. Die Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Art. 260 StGB Landfriedensbruch

Die Bestimmung von Art. 260 StGB (Landfriedensbruch) lautet wie folgt:

1Wer an einer öffentlichen Zusammenrottung teilnimmt, bei der mit vereinten Kräften gegen Menschen oder Sachen Gewalttätigkeiten begangen werden, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.

2Die Teilnehmer, die sich auf behördliche Aufforderung hin entfernen, bleiben straffrei, wenn sie weder selbst Gewalt angewendet noch zur Gewaltanwendung aufgefordert haben.

Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 6B_926/2020 vom 20. Dezember 2022

Die Vorinstanz stellt fest, wie das Bundesgericht erläutert, am xx.xx.xxxx habe im Stadion C. in U. das Cup-Halbfinalspiel zwischen dem FC U. und dem FC V. stattgefunden. Im Nachgang zu diesem Spiel sei es beim Bahnhof U auf der W. strasse zu tätlichen Auseinandersetzungen gekommen, in welche Anhänger des FC V. involviert gewesen seien. Die Polizei habe zur Trennung „dieser Auseinandersetzungen“ Gummischrot eingesetzt, woraufhin „etliche Beteiligte aus der Gruppierung“ über einen Zaun auf das Bahnareal gestiegen seien und von den Gleisen aus Schottersteine gegen die auf der W. strasse stehenden Polizisten geworfen hätten. Im Rahmen „dieser Ereignisse“ sei der Polizist D. verletzt worden, als er beim Zaun zum Bahnareal eine Person habe festhalten wollen. Der Beschwerdeführer habe den Sachverhalt, „insbs. den Landfriedensbruch“, eingestanden bzw. „bei der betreffenden Auseinandersetzung am Bahnhof in U. anwesend gewesen zu sein“. Zudem spreche ein Vergleich der Kleidung, z.B. anhand des Fotos kant. Akten S. 24’165 mit den Fotos kant. Akten S. 24’173 ff. „klar“ dafür, dass er die auf den Fotos mit rotem Pfeil als „Täter 9“ gekennzeichnete Person sei. Insbesondere sei auf dem Foto kant. Akten S. 24’175 des Weiteren zu erkennen, wie der Beschwerdeführer „anlässlich der Ausschreitungen auf Perron 8/9 trotz des Einsatzes von Gummischrot zur Trennung der Auseinandersetzungen“ seitens der Polizei mit direkt-frontaler Blickrichtung zu den Polizeikräften stehen bleibe. In dubio pro reo sei davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer nicht selbst Schottersteine geworfen habe, da dies auf den Fotos nicht genügend deutlich erkennbar sei.

Zusammenfassend sei „klar erstellt“, dass der Beschwerdeführer willentlich Teil einer „öffentlichen gewalttätigen Zusammenrottung“ gewesen sei, aus welcher andere Vermummte Schottersteine gegen die auf der W. strasse stehenden Polizisten geworfen hätten. Von „der Menge“ seien mithin Gewalttätigkeiten begangen worden, wobei dem Beschwerdeführer der gewaltsame Charakter „der Ansammlung“ bekannt gewesen sein müsse. Zudem sei nachgewiesen, dass durch „diese Zusammenrottung“ Polizisten mit Gewalt an der Erfüllung ihrer Arbeit gehindert worden seien. Sodann habe der in Zivilkleidung Einsatz leistende Polizist D. im Rahmen dieser Ereignisse mehrere Prellungen am Kopf erlitten. (E.1.2).

Das Bundesgericht machte daraufhin im Urteil 6B_926/2020 vom 20. Dezember 2022 folgende ausführlichen, generell-abstrakten Ausführungen zum Thema Landfriedensbruch:

«Des Landfriedensbruchs schuldig macht sich, wer an einer öffentlichen Zusammenrottung teilnimmt, bei der mit vereinten Kräften gegen Menschen oder Sachen Gewalttätigkeiten begangen werden (Art. 260 Abs. 1 StGB). Die Teilnehmer, die sich auf behördliche Aufforderung hin entfernen, bleiben straffrei, wenn sie weder selbst Gewalt angewendet noch zur Gewaltanwendung aufgefordert haben (Abs. 2). Gemäss Art. 285 Ziff. 1 Abs. 1 StGB wird bestraft, wer eine Behörde, ein Mitglied einer Behörde oder einen Beamten durch Gewalt oder Drohung an einer Handlung, die innerhalb ihrer Amtsbefugnisse liegt, hindert, zu einer Amtshandlung nötigt oder während einer Amtshandlung tätlich angreift. Wird die Tat aus einem zusammengerotteten Haufen begangen, so wird jeder, der an der Zusammenrottung teilnimmt, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft (Art. 285 Ziff. 2 Abs. 1 StGB). Der Begriff des „zusammengerotteten Haufens“ entspricht der Definition der Zusammenrottung beim Landfriedensbruch, wobei die Zusammenrottung nicht öffentlich zu sein braucht (BGE 103 IV 241 E. I.2; Urteil 6B_630/2018 vom 8. März 2019 E. 2.2; je mit Hinweisen).  

In der Lehre wird vertreten, eine Mindestanzahl an Personen, die notwendig sind, um von einer Zusammenrottung auszugehen, könne abstrakt kaum bestimmt werden (TRECHSEL/VEST, in: Schweizerisches Strafgesetzbuch, Praxiskommentar, 4. Aufl. 2021, N. 2 zu Art. 260 StGB; GERHARD FIOLKA, in: Basler Kommentar, Strafrecht, 4. Aufl. 2019, N. 15 zu Art. 260 StGB; DONATSCH/THOMMEN/WOHLERS, Strafrecht IV, 5. Aufl. 2017, S. 192; DUPUIS UND ANDERE, Petit commentaire, Code pénal, 2. Aufl. 2017, N. 7 zu Art. 260; STRATENWERTH/BOMMER, Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil II, 7. Aufl. 2013, S. 198; FRANK SCHÜRMANN, Der Begriff der Gewalt im schweizerischen Strafgesetzbuch, 1986, S. 129; KATHARINA BÜHLER, Aufruhr und Landfriedensbruch im schweizerischen Strafrecht, eine Analyse der Literatur und Rechtsprechung zu den Massendelikten unter besonderer Berücksichtigung der Urteile zum Zürcher Globus-Krawall, 1976, S. 45 f.). Verschiedentlich wird zutreffend darauf hingewiesen, dass zwei bzw. drei Personen für eine Zusammenrottung auf jeden Fall nicht genügen (TRECHSEL/VEST, a.a.O., N. 2 zu Art. 260 StGB; DUPUIS UND ANDERE, a.a.O., N. 7 zu Art. 260; ALBERT CAFLISCH, Der Landfriedensbruch, 1923, S. 53 ff.; vgl. PKG 1965 Nr. 16). Ein Teil der Lehre fordert, dass es sich um eine grössere Ansammlung handeln müsse, die aus einer „nicht ohne Weiteres feststellbaren Zahl von Menschen“ bestehe (STRATENWERTH/ BOMMER, a.a.O., S. 198; FIOLKA, a.a.O., N. 15 zu Art. 260). Historisch sprach bereits HAFTER von einer „grösseren Menschenzahl“, aber auch davon, dass es sich je nach den Umständen um eine „kleinere oder grössere Menschenzahl“ handeln könne (Schweizerisches Strafrecht, Besonderes Teil, Berlin 1943, S. 454). ZÜRCHER forderte „eine grössere Anzahl von Leuten, die sich nach aussen als vereinte Macht erkennbar machen“ (Schweizerisches Strafgesetzbuch, Erläuterungen zum Vorentwurf vom April 1908, 1914, S. 339). Die Massgeblichkeit der konkreten situativen Umstände war bereits vom historischen Gesetzgeber hervorgehoben worden (Schweizerisches Strafgesetzbuch, Protokoll der zweiten Expertenkommission, Band IV, Votum Gautier, S. 307 f.: „[Le] nombre de participants nécessaire à former un attroupement […] sera plus ou moins grand, selon les circonstances“) und wurde von FALB anschaulich herausgearbeitet (FRITZ FALB, Demonstration und Strafrecht, in: ZStrR 91/1975, S. 270 ff.). 

Die Rechtsprechung anerkennt, dass nicht abstrakt bestimmt werden kann, ab welcher Anzahl von Personen von einer Zusammenrottung auszugehen ist. Eine Zusammenrottung ist die Ansammlung einer je nach den Umständen mehr oder weniger grossen Anzahl von Menschen, die nach aussen als vereinigte Menge erscheint und die von einer die öffentliche Friedensordnung bedrohenden Grundhaltung getragen wird. Dabei ist es unerheblich, ob sich die Menge spontan oder auf Einberufung hin versammelt hat. Die Ansammlung muss auch nicht von Anfang an zum Ziel haben, den öffentlichen Frieden zu stören. Im Übrigen kann eine vorerst friedliche Versammlung zu einer Zusammenrottung werden, die zu Handlungen führt, welche die öffentliche Ordnung stören, wenn sich die Grundhaltung der Menge unvermittelt in diesem Sinne verändert (BGE 124 IV 269 E. 2b; 108 IV 33 E. 1a;; vgl. BGE 70 IV 213 E. 3; Urteile 6B_630/2018 vom 8. März 2019 E. 1.2.2 und E. 1.3.2; 6B_1217/2017 vom 17. Mai 2018 E. 4.1). Von einer Menschenmenge kann auch nur ein Teil als Zusammenrottung qualifizieren (vgl. BGE 98 IV 41 E. 5; BÜHLER, a.a.O., S. 46; wohl a.A. FALB, a.a.O., S. 272 in fine). 

Bei der Anwendung von Art. 285 Ziff. 2 Abs. 1 StGB wurde offengelassen, ob bereits neun Personen einen zusammengerotteten Haufen bilden (BGE 70 IV 213 E. 3). In einem jüngeren, nicht amtlich publizierten Urteil wurde unter den konkreten Umständen eine Gruppe von „zirka 20“ Eishockey-Anhängern als Zusammenrottung qualifiziert (Urteil 6B_630/2018 vom 8. März 2019 E. 1.3.2).» (E.1.3).

Anschliessend befasst sich das Bundesgericht verschiedenen Themen, u.a. auch dem Grundsatz von «in dubio pro reo» und kam zur Schlussfolgerung: Die Vorinstanz stellt gemäss dem Bundesgericht zusammenfassend nicht fest, aufgrund welcher tatsächlichen Umstände sich der Beschwerdeführer des Landfriedensbruchs nach Art. 260 Abs. 1 StGB schuldig gemacht haben soll. Insbesondere fehlt die zwingend erforderliche Feststellung, welcher gewaltbereiten Zusammenrottung der Beschwerdeführer angehört haben soll. Gleiches gilt sinngemäss für Art. 285 Ziff. 1 Abs. 1 StGB. Die Vorinstanz verfällt damit in Willkür. Die Begründung vermag ausserdem den Anforderungen von Art. 112 Abs. 1 lit. b BGG nicht zu genügen und verletzt den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör. Die Beschwerde wurde in diesem Punkt durch das Bundesgericht gutgeheissen (E.1.5.4).

 

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