Die Berufungskammer des Bundesstrafgerichts sprach einen Mann im Juli 2021 im Wesentlichen wegen Verstosses gegen Artikel 2 Absatz 1 des Bundesgesetzes über das Verbot der Gruppierungen „Al-Qaïda“ und „Islamischer Staat“ sowie verwandter Organisationen (Al-Qaïda/IS-Gesetz) schuldig. Gemäss dieser Strafbestimmung macht sich strafbar, wer sich auf dem Gebiet der Schweiz an entsprechenden Gruppierungen beteiligt, diese unterstützt, für sie oder ihre Ziele Propagandaaktionen organisiert, für sie anwirbt oder ihre Aktivitäten anders fördert. Der Betroffene wurde zu einer Freiheitsstrafe von 65 Monaten verurteilt. Abgewiesen wurde der Antrag der Bundesanwaltschaft (BA) auf Anordnung seiner Verwahrung.
Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 6B_57/2022 vom 19. August 2022
Das Bundesgericht weist im Urteil 6B_57/2022 vom 19. August 2022 die Beschwerde der BA ab, mit der sie verlangt, den negativen Entscheid über die Verwahrung des Täters aufzuheben.
Die Verwahrung setzt als Anlasstat eine in Artikel 64 Absatz 1 des Strafgesetzbuches umschriebene sogenannte Katalogtat oder eine andere mit einer Höchststrafe von fünf oder mehr Jahren bedrohte Tat (Generalklausel) voraus. Artikel 2 Absatz 1 Al-Qaïda/IS-Gesetz ist keine Katalogtat. Aus einer bundesrechtskonformen Auslegung ergibt sich, dass ein Verstoss gegen die fragliche Bestimmung nicht als Anlasstat für eine Verwahrung im Sinne der Generalklausel in Betracht kommt. In seiner Botschaft zum Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus hat der Bundesrat ausgeführt, dass die Voraussetzungen für eine Verwahrung grundsätzlich nicht erfüllt seien, wenn einer Person lediglich die Beteiligung an einer terroristischen Organisation oder deren Unterstützung nachgewiesen werden könne. Bei einer Person, die sich im Irak und in Syrien dem IS anschliesse und anschliessend in die Schweiz zurück wolle, sei eine Verwahrung grundsätzlich möglich, falls ihr schwerwiegende Delikte wie Mord oder Vergewaltigung nachgewiesen werden könnten. Artikel 2 Absatz 1 Al-Qaïda/IS-Gesetz bezweckt den Schutz der öffentlichen Sicherheit. Es werden schon Verhaltensweisen – namentlich die Beteiligung an einer verbotenen Gruppierung oder Organisation – im Vorfeld zu einer Straftat unter Strafe gestellt. Solche Verhaltensweisen erreichen mangels schwerer Beeinträchtigung der im Verwahrungsartikel aufgeführten Rechtsgüter (physische, psychische oder sexuelle Integrität) die vorausgesetzte Erheblichkeitsschwelle nicht. Kann dem Täter lediglich die Beteiligung an einer terroristischen Organisation im Sinne des Al-Qaïda/IS-Gesetzes nachgewiesen werden, ist das Vorliegen einer Anlasstat für die Anordnung einer Verwahrung somit gemäss dem Bundesgericht zu verneinen.
Detaillierte Darstellung der allgemeinen Ausführungen zur Verwahrung im Urteil 6B_57/2022 vom 19. August 2022
Das Bundesgericht äussert sich wie folgt: «Das Gericht ordnet die Verwahrung an, wenn der Täter einen Mord, eine vorsätzliche Tötung, eine schwere Körperverletzung, eine Vergewaltigung, einen Raub, eine Geiselnahme, eine Brandstiftung, eine Gefährdung des Lebens oder eine andere mit einer Höchststrafe von fünf oder mehr Jahren bedrohte Tat begangen hat, durch die er die physische, psychische oder sexuelle Integrität einer andern Person schwer beeinträchtigt hat oder beeinträchtigen wollte (Art. 64 Abs. 1 StGB) und wenn auf Grund der Persönlichkeitsmerkmale des Täters, der Tatumstände und seiner gesamten Lebensumstände ernsthaft zu erwarten ist, dass er weitere Taten dieser Art begeht (Art. 64 Abs. 1 lit. a StGB) oder auf Grund einer anhaltenden oder langdauernden psychischen Störung von erheblicher Schwere, mit der die Tat in Zusammenhang stand, ernsthaft zu erwarten ist, dass der Täter weitere Taten dieser Art begeht und die Anordnung einer Massnahme nach Artikel 59 StGB (stationäre therapeutische Massnahme) keinen Erfolg verspricht (Art. 64 Abs. 1 lit. b StGB).» (E.4.1)
«Die Verwahrung setzt als Anlasstat eine in Art. 64 Abs. 1 StGB umschriebene sog. Katalogtat oder eine andere mit einer Höchststrafe von fünf oder mehr Jahren bedrohte Tat (Auffangtatbestand oder Generalklausel) voraus.» (E.4.2).
«Die Verwahrung ist als rein sichernde Massnahme angesichts der Schwere des Eingriffs in die Persönlichkeit des Betroffenen subsidiär und ultima ratio. Sie darf nicht angeordnet werden, wenn die bestehende Gefährlichkeit auf andere Weise behoben werden kann.» (E.4.6).
Detaillierte Darstellung der Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 6B_57/2022 vom 19. August 2022 zum Thema Verstoss gegen Art. 2 Abs. 1 Al-Qaïda/IS-Gesetz als Anlasstat für die Anordnung der Verwahrung
Weder das Bundesgericht noch die Lehre haben sich bisher mit der Rechtsfrage befasst, ob ein Verstoss gegen Art. 2 Abs. 1 Al-Qaïda/IS-Gesetz als Anlasstat für die Anordnung der Verwahrung nach Art. 64 Abs. 1 StGB in Betracht kommt (E.4.7).
Das Bundesgericht äussert sich weiter wie folgt: «Die Verwahrung setzt als Anlasstat eine in Art. 64 Abs. 1 StGB umschriebene sogenannte Katalogtat oder eine andere mit einer Höchststrafe von fünf oder mehr Jahren bedrohte Tat (Auffangtatbestand oder Generalklausel) voraus (vgl. oben E. 4.2). Ein Verstoss gegen Art. 2 Abs. 1 Al-Qaïda/IS-Gesetz ist nicht im Katalog von Art. 64 Abs. 1 StGB aufgeführt. Er wird mit einer Freiheitsstrafe „bis zu fünf Jahren“ (oder Geldstrafe) bedroht und käme daher nach einer grammatikalischen Auslegung grundsätzlich als eine unter die Generalklausel fallende Anlasstat für die Anordnung einer Verwahrung nach Art. 64 Abs. 1 StGB in Betracht. Wie im Folgenden zu zeigen sein wird, lässt eine bundesrechtskonforme Auslegung diesen Schluss allerdings nicht zu.» (E.4.8.1).
«Die Botschaft vom 29. Juni 2005 (BBl 2005 4689) schlug eine Erweiterung und eine Einschränkung der Generalklausel von Art. 64 Abs. 1 StGB vor. Als Anlasstaten für die Verwahrung sollten neben den Katalogtaten einerseits nicht nur Verbrechen mit einer Höchststrafe von mindestens zehn Jahren, sondern schon solche mit einer Höchststrafe von mindestens fünf Jahren in Betracht kommen. Um diese Öffnung in Grenzen zu halten, wurde die Generalklausel andererseits auf Verbrechen eingeschränkt, mit denen Täter die physische, psychische oder sexuelle Integrität der Opfer schwer beeinträchtigten oder beeinträchtigen wollten. Die Generalklausel wurde damit „mehr oder weniger auf Gewalt- und Sexualverbrechen eingeschränkt“ (BBl 2005 4711). Im Ständerat gab dieser Gesetzesvorschlag zu keinen Erörterungen Anlass (AB 2005 1145). Im Nationalrat wandte sich eine Minderheit erfolglos gegen die Ausweitung des Verwahrungstatbestands, insbesondere gegen die Aufnahme der Gefährdung des Lebens (AB 2006 N. 219 ff.). Der Vertreter des Bundesrats erklärte, die in Frage kommenden Anlasstaten seien durch den Hinweis auf eine schwere physische, psychische oder sexuelle Schädigung eingeschränkt worden. Straftaten, die nur eine schwere materielle Schädigung zur Folge hätten, könnten nicht zu einer Verwahrung führen (AB 2006 N. 221). Aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich, dass infolge der Erweiterung der Generalklausel von Art. 64 Abs. 1 StGB neben den Katalogtaten auch Verbrechen mit einer Höchststrafe von mindestens fünf Jahren als Anlasstaten für die Anordnung der Verwahrung in Betracht kommen. Ein Verstoss gegen Art. 2 Abs. 1 Al-Qaïda/IS-Gesetz wird mit einer Freiheitsstrafe „bis zu fünf Jahren“ bedroht und käme daher auch nach einer historischen Auslegung von Art. 64 Abs. 1 StGB grundsätzlich als Anlasstat für die Anordnung der Verwahrung im Sinne der Generalklausel in Betracht. Eine Norm darf indes nicht allein anhand der Intention des historischen Gesetzgebers ausgelegt werden. Zum einen sind die Gesetzesmaterialien nicht unmittelbar und allein entscheidend. Zum anderen gewinnen Normen ihre Bedeutung auch aus dem Zusammenhang, in dem sie stehen, weshalb sich ihr Sinn mit diesem verändern kann (vgl. BGE 125 II 192 E. 3g/aa S. 202 mit Hinweisen). Dies ist vorliegend der Fall, da seit Inkrafttreten der aktuellen Fassung von Art. 64 Abs. 1 StGB u.a. das Al-Qaïda/IS-Gesetz vom 12. Dezember 2014 und das Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus vom 25. September 2020 (PMT) in Kraft getreten sind.» (E.4.8.2.1).
«Hinweise bezüglich der Frage, ob die Beteiligung an oder die Unterstützung einer kriminellen oder terroristischen Organisation als Anlasstat für die Anordnung der Verwahrung nach Art. 64 Abs. 1 StGB in Frage kommen könnte, lassen sich der Botschaft zum Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus vom 22. Mai 2019 (BBl 2019 4751 ff.) entnehmen. Das Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus vom 25. September 2020 (PMT) wurde anlässlich der Referendumsabstimmung vom 13. Juni 2021 vom Volk angenommen (BBl 2021 2135 S. 2) und ist am 1. Oktober 2021 (AS 2021 565 S. 27) bzw. am 1. Juni 2022 (AS 2022 300) in Kraft getreten. Zwecks geltungszeitlicher Auslegung rechtfertigt es sich, diese Ausführungen bei der Auslegung von Art. 64 Abs. 1 StGB mitzuberücksichtigen (vgl. BGE 131 II 13 E. 7.1 S. 31 f. [mit Hinweis auf eine „geltungszeitliche Ausrichtung“ der Auslegung]; 123 III 292 E. 2e/aa S. 298 [mit Hinweis auf die „zeitgemässe Rechtsüberzeugung“]). Gemäss der Botschaft zum Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus vom 22. Mai 2019 verzichtete der Bundesrat darauf, die im Vernehmlassungsverfahren angeregte Einführung einer sogenannten gesicherten Unterbringung für Gefährder („GUG“) einzuführen (BBl 2019 4768 ff.). Die GUG hätte sicherstellen sollen, dass Personen, welche rechtskräftig wegen „terroristischer Straftaten“ verurteilt seien und die auch nach Verbüssen ihrer Strafe weiterhin ein konkretes und ernsthaftes Rückfallrisiko für schwere Straftaten aufweisen würden, nicht ohne nachfolgende Sicherungsmassnahmen aus dem Strafvollzug entlassen würden (BBl 2019 4768). Der Bundesrat kam zum Schluss, dass die Ziele einer GUG mit den verschiedenen heute bereits zur Verfügung stehenden [rechtlichen] Möglichkeiten – insbesondere mit der Verwahrung nach Art. 64 StGB – erreicht werden könnten (BBl 2019 4769 f.). Dass es einer GUG nicht bedürfe, zeigte der Bundesrat anhand typischer Fallkonstellationen auf (BBl 2019 4770 f.) : Gegenüber einem 29-jährigen Täter, der bei einem Terroranschlag in einer Innenstadt mitten im abendlichen Gedränge das Feuer eröffnet und mit einem Messer auf Passanten eingestochen und dabei „Allahu akbar“ gerufen, fünf Personen getötet sowie weitere Personen schwer verletzt habe, sei die Anordnung einer Verwahrung nach Art. 64 StGB möglich (BBl 2019 4770). Gegenüber einem 24-jährigen Mann mit Schweizer Staatsbürgerschaft, der zum Islam konvertiere, sich radikalisiere sowie die Schweiz Richtung Irak und Syrien verlasse, wo er sich der Gruppierung IS anschliesse und der in die Schweiz zurück wolle, sei die Anordnung einer Verwahrung nach Art. 64 StGB ebenfalls grundsätzlich möglich, falls ihm „schwerwiegende Delikte“ wie Mord oder Vergewaltigung nachgewiesen werden könnten. Könne hingegen lediglich die Beteiligung an einer kriminellen oder terroristischen Organisation nach Art. 260ter StGB oder deren Unterstützung nachgewiesen werden, seien die Voraussetzungen für die Anordnung einer Verwahrung nach Art. 64 Abs. 1 StGB grundsätzlich nicht erfüllt (BBl 2019 4770). Die Beteiligungsvariante bei Art. 260ter StGB und Art. 2 Abs. 1 Al-Qaïda/IS-Gesetz ist nach der Lehre identisch (vgl. MARC ENGLER, in: Basler Kommentar, Strafrecht II, 4. Aufl. 2019, N. 31 zu Art. 260ter StGB; LEU/PARVEX, Das Verbot der „Al-Qaïda“ und des „Islamischen Staats“, AJP 2016, S. 760).» (E.4.8.2.2).
«Gemäss der Botschaft zur Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches (Allgemeine Bestimmungen, Einführung und Anwendung des Gesetzes) und des Militärstrafgesetzes sowie zu einem Bundesgesetz über das Jugendstrafrecht vom 21. September 1998 hat die Verwahrung in erster Linie den Schutz der Gesellschaft vor gefährlichen Personen zum Ziel (BBl 1999 2187 f.). Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung bezweckt die Verwahrung in erster Linie die Sicherung der Öffentlichkeit vor unverbesserlichen und sozialgefährlichen Rechtsbrechern (vgl. BGE 99 IV 70 S. 73; 87 IV 1 E. 3a S. 4; 84 IV 145 E. 2 S. 148). Die Anwendbarkeit von Art. 64 StGB beurteilt sich nach den Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit; ist die Anordnung der Verwahrung primär nach dem Kriterium der Gefährlichkeit des Täters zu beurteilen, steht dessen künftige Gefährlichkeit und damit die Prognose im Zentrum der Beurteilung (vgl. Urteile 6B_492/2022 vom 20. Juni 2022 E. 2.5; 6B_1051/2021 vom 3. März 2022 E. 3.3.1; 6B_1076/2021 vom 28. Oktober 2021 E. 2.6.1; 6B_1427/2020 vom 28. Juni 2021 E. 6.2; HEER/HABERMEYER, a.a.O., N. 6 und 7 zu Art. 64 StGB).» (E.4.8.3.1).
«Art. 2 Abs. 1 Al-Qaïda/IS-Gesetz bezweckt den Schutz der öffentlichen Sicherheit schon im Vorfeld von Straftaten. Die Bedrohung manifestiert sich dabei in einer aggressiven Propaganda, die Personen in der Schweiz zur Verübung von Anschlägen oder zum Anschluss an andere terroristische Organisationen verleitet (Botschaft zum Bundesgesetz über das Verbot der Gruppierungen „Al-Qaïda“ und „Islamischer Staat“ sowie verwandter Organisationen vom 12. November 2014, BBl 2014 8928 und 8931; vgl. Urteile 6B_120/2021 vom 11. April 2022 E. 7.2, zur Publ. vorgesehen; 6B_169/2019 vom 26. Februar 2020 E. 2.1; 6B_948/2016 vom 22. Februar 2017 E. 4.1; je mit Hinweisen). Diese Strafbestimmung bewirkt eine Vorverlagerung der Strafbarkeit, indem sie schon das Unterstützen und Fördern der im Titel des Gesetzes benannten terroristischen Organisationen unter Strafe stellt. Voraussetzung ist, dass eine der im Straftatbestand benannten drei Tatvarianten auf dem Gebiet der Schweiz ausgeführt wird (vgl. Urteile 6B_120/2021 vom 11. April 2022 E. 7.2, zur Publ. vorgesehen; 6B_948/2016 vom 22. Februar 2017 E. 4.1 mit Verweis auf ANDREAS EICKER, Zur Interpretation des Al-Quaïda- und IS-Gesetzes durch das Bundesstrafgericht im Fall eines zum Islamischen Staat Reisenden, Jusletter 21. November 2016, Rz. 11).» (E.4.8.3.2).
«Das Bundesamt für Justiz führte im erläuternden Bericht zur Änderung des Strafgesetzbuches und zur Änderung des Jugendstrafgesetzes (Massnahmenpaket Sanktionenvollzug) vom 6. März 2020 aus, die Angriffe auf die in Art. 64 Abs. 1 StGB aufgeführten Individualrechtsgüter sollten eine schwere Beeinträchtigung zur Folge haben und deshalb einen Straftatbestand erfüllen, der eine Höchststrafe von fünf oder mehr Jahren Freiheitsstrafe androhe. Die Ausdehnung der Verwahrung auf die Verletzung von Kollektivrechtsgütern – wie insbesondere das „unscharfe Rechtsgut“ der öffentlichen Sicherheit – würde zu weit gehen. Diese Straftaten seien dadurch gekennzeichnet, dass sie abstrakt gefährliche Handlungen oder Vorbereitungshandlungen pönalisieren, die der Verletzung eines klassischen Rechtsguts vorgelagert seien (vgl. z.B. Art. 258, 260 bis, 260 quinquies oder 261 StGB). Im Ergebnis würde die Verwahrung damit an Stelle einer Präventivhaft treten, die hier durch die Hintertür des Strafrechts eingeführt würde. Eine Präventivhaft sei jedoch polizeirechtlicher Natur und nur in sehr engen sachlichen und zeitlichen Grenzen zulässig, nämlich zur Abwendung einer konkreten und zeitlich naheliegenden Gefahr. In einem liberalen Rechtsstaat seien solche Instrumente nur mit grosser Zurückhaltung vorzusehen. Aus diesen Gründen habe der Bundesrat davon abgesehen, den Anwendungsbereich der Verwahrung auszudehnen (Erläuternder Bericht, Ziff. 1.3.6.1, S. 23 f.).» (E.4.8.3.3).
«Auch die Lehre, soweit sie sich zu dieser Frage überhaupt äussert, steht der Möglichkeit der Anordnung der Verwahrung nach Art. 64 Abs. 1 StGB bei Straftaten, welche abstrakt gefährliche Handlungen oder Vorbereitungshandlungen unter Strafe stellen, welche der Verletzung eines Individualrechtsguts vorgelagert sind, kritisch gegenüber (vgl. ZERMATTEN/GRAMIGNA/SCHNEIDER, Übergangsmanagement im Vorentwurf „Massnahmenpaket Sanktionenvollzug“, in: Heer/Habermeyer/Bernard [Hrsg.], Übergangsmanagement und Nachsorge: Die wahren Herausforderungen des Massnahmenrechts, 2020, S. 133 f.; in diesem Sinne auch ANNA CONINX, Neue Terrorismusbekämpfung in der Schweiz – Grundlagen und Kritik, ZStrR 139/2021, S. 193, wonach Verhaltensweise n, die bloss das Potential hätten, eine spätere Straftat zu fördern, nicht ausreichend sind für die präventive Inhaftierung unter dem Titel der strafrechtlichen Massnahmen; WEBER/SCHAUB/BUMANN/SACHER, Anordnung und Vollzug stationärer therapeutischer Mass nahmen gemäss Art. 59 StGB mit Fokus auf geschlossene Strafanstalten bzw. geschlossene Massnahmeeinrichtungen, Studie zuhanden der Nationalen Kommission zur Verhütung von Folter [NKVF], Bern, 28. August 2015, S. 57 f., führen in Bezug auf Art. 59 StGB aus, dass strafrechtsdogmatisch „äusserst heikel“ sei, wenn eine „grundrechtlich derart tiefgreifende und potentiell endlos verlängerbare Massnahme an eine reine Vorbereitungshandlung“ angeknüpft werde, bei welcher nicht einmal die Schwelle zum Versuch einer Straftat im Sinne von Art. 22 Abs. 1 StGB erreicht sei).» (E.4.8.3.4).
«Diese kritische Haltung erscheint insbesondere mit Blick auf das Verhältnismässigkeitsprinzip richtig: Die Verwahrung ist als rein sichernde Massnahme angesichts der Schwere des Eingriffs in die Persönlichkeit des Betroffenen subsidiär und ultima ratio (vgl. oben E. 4.6). Selbst wenn der Versuch einer Anlasstat grundsätzlich ausreichend ist, um eine Verwahrung anzuordnen (vgl. oben E. 4.3), ist zu beachten, dass mit dem Erlass von Art. 2 Abs. 1 Al-Qaïda/IS-Gesetz die Strafbarkeit über den Bereich des strafbaren Versuchs hinaus vorverlegt wurde (vgl. oben E. 4.8.3.2). Damit wird nicht die eigentliche Rechtsgutsverletzung, sondern es werden bereits Verhaltensweisen (u.a. die Beteiligung an einer nach Art. 1 Al-Qaïda/IS-Gesetz verbotenen Gruppierung oder Organisation) im Vorfeld zu einer Straftat unter Strafe gestellt. Solche Verhaltensweisen können u.a. zwar eine Strafbarkeit wegen Verstosses gegen Art. 2 Abs. 1 Al-Qaïda/IS-Gesetz begründen, erreichen jedoch mangels „schwerer Beeinträchtigung“ (vgl. oben E. 4.5) der in Art. 64 Abs. 1 StGB aufgeführten Rechtsgüter (physische, psychische oder sexuelle Integrität) die für die Annahme einer Anlasstat im Sinne von Art. 64 Abs. 1 StGB vorausgesetzte Erheblichkeitsschwelle nicht. Kann dem Täter lediglich die Beteiligung an einer terroristischen Organisation im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Al-Qaïda/IS-Gesetz nachgewiesen werden, ist nach dem Gesagten das Vorliegen einer Anlasstat für die Anordnung einer Verwahrung nach Art. 64 Abs. 1 StGB zu verneinen.» (E.4.8.3.5).
«Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Vorinstanz kein Bundesrecht verletzt, indem sie zum Schluss gekommen ist, der dem Beschwerdeführer vorgeworfene Verstoss gegen Art. 2 Abs. 1 Al-Qaïda/IS-Gesetz komme nicht als Anlasstat für die Anordnung der Verwahrung gemäss Art. 64 Abs.1 StGB in Betracht.» (E.4.9).