Keine strafprozessuale Immunisierung durch verpasste Entsiegelungsfrist

Im Urteil 1B_241/2022 vom 27. Juni 2023 aus dem Kanton Zürich geht es um einen Bauunfall und die Frage der Entsiegelung von Unterlagen des Beschuldigten. Anlässlich einer von der Staatsanwaltschaft angeordneten polizeilichen Hausdurchsuchung bei der Beschuldigten wurden am 27. Oktober 2021 Unterlagen sichergestellt und auf deren Begehren versiegelt. Innert der Frist von 20 Tagen (Art. 248 Abs. 2 StPO) wurde diesbezüglich von der Staatsanwaltschaft kein Entsiegelungsgesuch gestellt. Am 6. Januar 2022 ordnete die Staatsanwaltschaft erneut eine Hausdurchsuchung bei der Beschuldigten an. Am 20. Januar 2022 wurden anlässlich dieser zweiten Hausdurchsuchung neue Unterlagen sichergestellt und auf Begehren der Beschuldigten ebenfalls versiegelt. Am 26. Januar 2022 stellte die Staatsanwaltschaft bezüglich der am 20. Januar 2022 versiegelten Asservate das Entsiegelungsgesuch. Mit Verfügung vom 4. April 2022 wies das Bezirksgericht Hinwil, Zwangsmassnahmengericht, Einzelrichterin (ZMG), das Gesuch mangels Verhältnismässigkeit und wegen Rechtsmissbrauchs vollumfänglich ab. Gegen die Verfügung des ZMG gelangte die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich mit Beschwerde vom 18. Mai 2022 an das Bundesgericht. Sie beantragt im Hauptstandpunkt die Aufhebung des angefochtenen Entscheides und die Gutheissung des Entsiegelungsgesuches vom 26. Januar 2022. Das Bundesgericht schützte die Beschwerde bzw. die «Zweitbeschlagnahme» u.a. mit den folgenden Ausführungen: «Wohl bestimmt Art. 248 Abs. 2 StPO, dass die Strafbehörde, wenn sie nicht innert 20 Tagen seit der Sicherstellung ein Entsiegelungsgesuch gestellt hat, die versiegelten Asservate wieder an die berechtigte Person zurückzugeben hat. Das Gesetz sieht jedoch nicht vor, dass sichergestellte Aufzeichnungen und Gegenstände, welche an die Inhaber zurückgegeben wurden, nicht ein weiteres Mal einer strafprozessualen Zwangsmassnahme (Editionsverfügung, Beschlagnahme, Durchsuchung, Begutachtung usw.) unterliegen könnten, obwohl dafür die einschlägigen gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind […]. Eine solche strafprozessuale „Immunisierung“ von früher erhobenen Beweismitteln widerspräche sowohl dem Wortlaut als auch dem Sinn und Zweck der anwendbaren Gesetzesbestimmungen.» (E.6.2).

Sachverhalt

Die Staatsanwaltschaft See/Oberland führt eine Strafuntersuchung gegen A. (nachfolgend: der Beschuldigte) und die B. AG (nachfolgend: die Beschuldigte) sowie mitbeteiligte Personen. Sie werden der Gefährdung durch Verletzung der Regeln der Baukunde und der mehrfachen fahrlässigen Körperverletzung beschuldigt. Ihnen wird zur Last gelegt, im Verantwortungsbereich der Beschuldigten eine Aussentreppe aus Metall unfachmännisch montiert zu haben, weshalb die Treppe am 27. Juni 2020 abstürzte, wodurch mehrere Personen verletzt wurden.

Anlässlich einer von der Staatsanwaltschaft angeordneten polizeilichen Hausdurchsuchung bei der Beschuldigten wurden am 27. Oktober 2021 Unterlagen sichergestellt und auf deren Begehren versiegelt. Innert der Frist von 20 Tagen (Art. 248 Abs. 2 StPO) wurde diesbezüglich von der Staatsanwaltschaft kein Entsiegelungsgesuch gestellt. Die gesiegelten Asservate verblieben vorläufig bei der Staatsanwaltschaft.

Am 6. Januar 2022 ordnete die Staatsanwaltschaft erneut eine Hausdurchsuchung bei der Beschuldigten an. Am 20. Januar 2022 wurden anlässlich dieser zweiten Hausdurchsuchung neue Unterlagen sichergestellt und auf Begehren der Beschuldigten ebenfalls versiegelt.

Am 26. Januar 2022 stellte die Staatsanwaltschaft bezüglich der am 20. Januar 2022 versiegelten Asservate das Entsiegelungsgesuch. Mit Verfügung vom 4. April 2022 wies das Bezirksgericht Hinwil, Zwangsmassnahmengericht, Einzelrichterin (ZMG), das Gesuch mangels Verhältnismässigkeit und wegen Rechtsmissbrauchs vollumfänglich ab.

Instanzenzug

Gegen die Verfügung des ZMG gelangte die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich mit Beschwerde vom 18. Mai 2022 an das Bundesgericht. Sie beantragt im Hauptstandpunkt die Aufhebung des angefochtenen Entscheides und die Gutheissung des Entsiegelungsgesuches vom 26. Januar 2022.  Das ZMG hat am 29. Mai 2022 auf eine Vernehmlassung verzichtet. Die Beschuldigten beantragen mit Stellungnahme vom 11. Juli 2022, auf die Beschwerde sei nicht einzutreten oder sie sei abzuweisen. Am 14. Juli 2022 bewilligte das Bundesgericht das Gesuch um aufschiebende Wirkung der Beschwerde.

Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 1B_241/2022 vom 27. Juni 2023

Im angefochtenen Entscheid wird der Tatverdacht der Gefährdung durch Verletzung der Regeln der Baukunde und der mehrfachen fahrlässigen Körperverletzung bejaht. Den privaten Beschwerdegegnern und teilweise noch näher zu ermittelnden Organen und Mitarbeitern der beiden Beschuldigten wird eine strafrechtliche Mitverantwortung am Absturz der Aussentreppe und der dadurch verursachten Verletzung von mehreren geschädigten Personen vorgeworfen. Aufgrund der Aussagen von C., dem aussergerichtlichen Gutachten vom 14. Juli 2020 und diversen Fotos – so die Vorinstanz – dürfe die Staatsanwaltschaft derzeit davon ausgehen, dass die Beschwerdegegnerin den Montageauftrag für die fragliche Metalltreppe übernommen habe. Insbesondere aufgrund des genannten Gutachtens sei ausserdem davon auszugehen, dass die Treppe nicht fachgerecht montiert worden sei.  Weiter verneint der angefochtene Entscheid den Vorwurf einer unzulässigen Beweisausforschung. Die erhobenen Unterlagen, deren Entsiegelung verlangt wird, seien untersuchungsrelevant. Es seien lediglich „Akten im Zusammenhang mit der Treppenmontage und zu Personen, die daran beteiligt waren“, gesucht und sichergestellt worden. Deren Durchsuchung werde „mit einiger Wahrscheinlichkeit Aufzeichnungen zutage fördern, welche geeignet seien, den Tatverdacht zu erhärten oder allenfalls auch zu entkräften“. Die Vorinstanz verneint sodann auch das Vorliegen von gesetzlich geschützten Geheimnisinteressen als mögliches Entsiegelungshindernis. Zwar hätten die Beschwerdegegner auf ihr Selbstbelastungsprivileg als beschuldigte Personen verwiesen. Das Gesetz sehe jedoch nicht vor, dass ihr Aussageverweigerungsrecht per se zu einem Entsiegelungshindernis führen würde. Eigene schützenswerte Privatgeheimnisse hätten sie nicht dargelegt. Solche seien auch nicht ersichtlich. Wohl hätten sie auch noch auf angebliche Geheimhaltungsinteressen ihrer Kunden verwiesen, aber keine Ausführungen darüber gemacht, welche konkreten Interessen von einzelnen Kunden bei einer Entsiegelung der fraglichen Akten gefährdet sein sollten. Unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismässigkeit bejaht die Vorinstanz schliesslich auch die Voraussetzungen von Art. 197 Abs. 1 lit. d StPO (Bedeutung der Straftat). Die abstrakten Strafdrohungen für mehrfache fahrlässige Körperverletzung (Art. 125 StGB) und Verletzung der Regeln der Baukunde (Art. 229 StGB) sähen je Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren vor. Durch das mutmasslich strafbare Verhalten der Verantwortlichen seien mehrere Personen verletzt worden. (E.2.1)

Die Vorinstanz erachtet insofern, wie das Bundesgericht bemerkt, alle materiellen Entsiegelungsvoraussetzungen als erfüllt.  Hingegen verneint die Einzelrichterin des Zwangsmassnahmengerichtes die Voraussetzung von Art. 197 Abs. 1 lit. c StPO (Subsidiarität). Dazu erwägt sie Folgendes, wie das Bundesgericht ausführt: Die privaten Beschwerdegegner hätten geltend gemacht, dass die Staatsanwaltschaft Einvernahmen von beteiligten Personen (mutmasslichen Monteuren) vorgesehen habe, was beweise, dass sie „auch ohne die Hausdurchsuchung vom Januar 2022 an die entsprechenden Namen gekommen“ sei. Zwar habe sie im Entsiegelungsverfahren dargelegt, dass den versiegelten Bewerbungsunterlagen Informationen über den Ausbildungsstand des eingesetzten Personals entnommen werden könnten und dies wiederum Rückschlüsse auf Auswahl, Instruktion und Überwachung durch die Beschuldigten ermögliche. Weshalb „der Ausbildungsstand des Personals nicht mittels Befragung ermittelt werden könnte“, leuchte dem Zwangsmassnahmengericht indessen nicht ein. Ebenso wenig sei für die Entsiegelungsrichterin ersichtlich, aus welchen Gründen „Akten zu Lieferanten, Material und Werkvertrag unentbehrlich“ sein sollten. Demnach sei die Notwendigkeit einer Durchsuchung der Unterlagen nicht gegeben. (E.2.2)

Schliesslich erwägt die Vorinstanz, das Entsiegelungsgesuch sei auch noch deshalb abzuweisen, weil es rechtsmissbräuchlich erfolgt sei, ergänzt das Bundesgericht:  Art. 248 Abs. 2 StPO sehe vor, dass die versiegelten Asservate an die jeweiligen Inhaber-/innen zurückzugeben seien, wenn innert 20 Tagen seit der Siegelung kein Entsiegelungsgesuch gestellt wird. Zwar sei es grundsätzlich möglich, zurückgegebene Gegenstände und Aufzeichnungen erneut sicherzustellen. Jedoch dürfe die Möglichkeit einer erneuten Erhebung und Siegelung „nicht dazu missbraucht werden, die vom Gesetzgeber mit der Festlegung einer Frist zur Einreichung eines Gesuchs um Entsiegelung bezweckte Beschleunigung des Verfahrens zu verhindern“. Eine derartige Vorgehensweise würde dem Rechtsmissbrauchsverbot widersprechen. Die Staatsanwaltschaft habe nicht dargelegt, inwieweit sich die Sachlage zwischen der ersten und der zweiten Hausdurchsuchung verändert hätte. Aus dem Umstand, dass die beiden Durchsuchungsbefehle im Wortlaut nur leicht voneinander abwichen, sei zu schliessen, dass prozessual keine erhebliche Entwicklung stattgefunden habe. Zwar sei „im Unterschied zur ersten Durchsuchung gemäss dem zweiten Durchsuchungsbefehl vom 6. Januar 2022 neu gezielt nach Unterlagen gesucht worden, welche Monteure der Beschwerdegegnerin „und die zwecks Montage über Temporärbüros beigezogenen Personen“ beträfen. Dies ändere aber nichts am Umstand, dass sowohl bei der ersten als auch bei der zweiten Hausdurchsuchung „ganz generell nach weiteren sachdienlichen Hinweisen gesucht“ worden sei. Es müsse daher davon ausgegangen werden, „dass die zweite Hausdurchsuchung insbesondere dem Zweck“ gedient habe, „die anlässlich der ersten Hausdurchsuchung verwirkte Entsiegelungsfrist wiederherzustellen“ bzw. diese Frist „zu umgehen“. Das Entsiegelungsgesuch vom 26. Januar 2022 sei folglich wegen Rechtsmissbrauchs abzuweisen. (E.2.3)

Die beschwerdeführende Oberstaatsanwaltschaft wendet im Wesentlichen Folgendes ein, wie das Bundesgericht zusammenfasst: Am 27. Oktober 2021 sei eine eher rudimentäre polizeiliche Hausdurchsuchung in den Räumlichkeiten der privaten Beschwerdegegnerin erfolgt. Dabei seien einige wenige schriftliche Unterlagen sichergestellt und auf Verlangen der Beschwerdegegnerin versiegelt worden. Aufgrund einer Informationsverzögerung der Polizei habe das betreffende Entsiegelungsgesuch von der Staatsanwaltschaft See/Oberland nicht mehr fristgerecht gestellt werden können, worauf diese Asservate in einem versiegelten Umschlag vorläufig zu den Akten genommen worden seien. Anlässlich einer zweiten, sorgfältiger durchgeführten Hausdurchsuchung vom 20. Januar 2022 seien weitere Unterlagen sichergestellt und versiegelt worden. Am 26. Januar 2022 habe die Staatsanwaltschaft diesbezüglich das Entsiegelungsgesuch gestellt. Zuvor hätten die beschuldigten Beschwerdegegner jegliche Kooperation mit der Staatsanwaltschaft verweigert, indem sie die Namen der an der Treppenmontage beteiligten Mitarbeitenden nicht bekannt gegeben, keine einschlägigen Unterlagen ediert und zudem angekündigt hätten, alle Beteiligten würden ihre Aussagen verweigern. Zwar seien zwei Mitarbeiter eruiert worden, die als Monteure der Unfalltreppe in Frage kämen. Auch diese hätten jedoch gegenüber der Staatsanwaltschaft angekündigt, von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch zu machen. Bei einer Verweigerung der Durchsuchung der gesiegelten Unterlagen seien die verantworlichen Monteure kaum ausfindig zu machen. Ebenso wenig könne ihr Ausbildungsstand festgestellt werden, was es stark erschwere, die Frage zu klären, ob die Monteure vom Beschwerdegegner ausreichend instruiert und überwacht worden seien. Den versiegelten Beweismitteln komme bei der Klärung des Sachverhalts somit eine zentrale, wenn nicht gar entscheidende Bedeutung zu. Andere wirksame Untersuchungsalternativen bestünden nicht. Die Vorinstanz beanstande in diesem Zusammenhang zu Unrecht eine Verletzung des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes. Ungeachtet der Unklarheit, ob die Vorinstanz allenfalls fälschlich „von der Identität der am 27. Oktober 2021 und 20. Januar 2022 sichergestellten Akten ausging“, sei der angefochtene Entscheid als bundesrechtswidrig aufzuheben. Im vorliegenden Fall habe die Staatsanwaltschaft nicht ein zweites Mal dieselben Unterlagen sichergestellt und versiegelt. Die am 27. Oktober 2021 sichergestellten Dokumente seien versiegelt bei den Untersuchungsakten geblieben. Bei den am 20. Januar 2022 erhobenen Asservaten handle es sich, wie aus den Akten zweifelsfrei hervorgehe, um neue Unterlagen. Es müsse zulässig sein, nach einer erfolgten Hausdurchsuchung beim gleichen Objekt eine zweite Hausdurchsuchung durchzuführen und dort befindliche Gegenstände sicherzustellen, zumal, wenn die erste Hausdurchsuchung nicht ergiebig verlaufen sei und weitere Beweismittel im durchsuchten Objekt erwartet werden könnten. Auch der Vorwurf eines rechtsmissbräuchlichen Vorgehens der Staatsanwaltschaft sei bundesrechtswidrig. Die Oberstaatsanwaltschaft rügt in diesem Zusammenhang u.a. eine Verletzung von Art. 3 Abs. 2 lit. b, Art. 246 und Art. 248 StPO. (E.3).

Das Bundesgericht führt im Urteil 1B_241/2022 vom 27. Juni 2023 allgemein zur Siegelung etc. aus:

«Aufzeichnungen und Gegenstände, die nach Angaben der Inhaberin oder des Inhabers wegen eines Aussage- oder Zeugnisverweigerungsrechts oder aus anderen Gründen nicht durchsucht oder beschlagnahmt werden dürfen, sind zu versiegeln und dürfen von den Strafbehörden weder eingesehen noch verwendet werden. Im Untersuchungsverfahren prüft das ZMG auf Entsiegelungsgesuch der Staatsanwaltschaft hin, ob die gesetzlichen Entsiegelungsvoraussetzungen erfüllt sind (Art. 248 Abs. 1-2 und Abs. 3 lit. a StPO). Stellt die Staatsanwaltschaft das Entsiegelungsgesuch nicht innert 20 Tagen, so werden die versiegelten Aufzeichnungen und Gegenstände der berechtigten Person zurückgegeben (Art. 248 Abs. 2 StPO). Strafprozessuale Zwangsmassnahmen setzen voraus, dass der damit verbundene Eingriff in die Grundrechte verhältnismässig ist. Sie können nur ergriffen werden, wenn die damit angestrebten Ziele nicht durch mildere Massnahmen erreicht werden können und die Bedeutung der untersuchten Straftat die Zwangsmassnahme rechtfertigt (Art. 197 Abs. 1 lit. c und lit. d StPO). Entsiegelungen und Durchsuchungen, welche in die Grundrechte nicht beschuldigter Personen eingreifen, sind besonders zurückhaltend einzusetzen (Art. 197 Abs. 2 StPO). Die zu entsiegelnden Asservate müssen untersuchungsrelevant sein. Macht deren Inhaberin oder Inhaber fehlende Beweisrelevanz geltend, hat sie oder er zu substanziieren, inwiefern die fraglichen Aufzeichnungen und Gegenstände zur Aufklärung der untersuchten Straftat offensichtlich untauglich sind (BGE 142 IV 207 E. 7.1; 141 IV 77 E. 4.3, E. 5.6; 138 IV 225 E. 7.1; je mit Hinweisen). Soweit die gesetzlichen Voraussetzungen (Art. 197 Abs. 1-2 und Art. 264 i.V.m. Art. 248 Abs. 1 StPO) erfüllt sind, wird das Entsiegelungsgesuch grundsätzlich bewilligt. Die Strafbehörden setzen zur Wahrheitsfindung alle nach dem Stand von Wissenschaft und Erfahrung geeigneten Beweismittel ein, die rechtlich zulässig sind (Art. 139 Abs. 1 StPO). Sie beachten in allen Verfahrensstadien das Verbot des Rechtsmissbrauchs (Art. 3 Abs. 2 lit. b StPO).» (E.4)

Die Argumentation der Vorinstanz zur Frage der Subsidiarität der Sicherstellung und Entsiegelung der fraglichen Unterlagen (Art. 197 Abs. 1 lit. c StPO) überzeugt das Bundesgericht nicht: «Es besteht im derzeitigen Untersuchungsstadium keinerlei Gewähr, dass allfällige Aussagen von beteiligten Monteuren über ihren Ausbildungsstand – sofern die verantwortlichen Mitarbeitenden überhaupt eruiert werden können und dazu aussagen – zur Aufklärung beitragen bzw. der Wahrheit entsprechen. Die Staatsanwaltschaft hat jedenfalls ein berechtigtes Interesse daran, etwaige Aussagen von Beteiligten, insbesondere von potentiellen Mitbeschuldigten, über Beweisdokumente, darunter namentlich die Bewerbungsunterlagen der betreffenden Mitarbeiter, zu objektivieren.» (E.5).

Schliesslich prüft das Bundesgericht noch, ob das Zwangsmassnahmengericht das Entsiegelungsgesuch wegen Rechtsmissbrauchs abweisen durfte (E.6). Es äussert sich dabei im Urteil 1B_241/2022 vom 27. Juni 2023 wie folgt:

«Zwar haben die Strafbehörden dafür Sorge zu tragen, dass Untersuchungshandlungen sorgfältig und effizient durchgeführt werden; damit kann insbesondere vermieden werden, dass Untersuchungshandlungen unnötigerweise wiederholt werden müssen und sich das Verfahren verlängert und kompliziert. Dem Gesetz lässt sich jedoch nicht entnehmen, dass Untersuchungshandlungen grundsätzlich nicht wiederholt werden dürften, obschon dies zur Wahrheitsfindung sachlich geboten erscheint. Wohl bestimmt Art. 248 Abs. 2 StPO, dass die Strafbehörde, wenn sie nicht innert 20 Tagen seit der Sicherstellung ein Entsiegelungsgesuch gestellt hat, die versiegelten Asservate wieder an die berechtigte Person zurückzugeben hat. Das Gesetz sieht jedoch nicht vor, dass sichergestellte Aufzeichnungen und Gegenstände, welche an die Inhaber zurückgegeben wurden, nicht ein weiteres Mal einer strafprozessualen Zwangsmassnahme (Editionsverfügung, Beschlagnahme, Durchsuchung, Begutachtung usw.) unterliegen könnten, obwohl dafür die einschlägigen gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind (vgl. Andreas J. Keller, in: Zürcher Kommentar StPO, 3. Aufl. 2020, Art. 248 N. 37; Schmid/Jositsch, Praxiskommentar StPO, 3. Aufl, Zürich 2018, Art. 248 N. 10; THORMANN/BRECHBÜHL, in: Basler Kommentar StPO, 2. Aufl. 2014, Art. 248 N. 21). Eine solche strafprozessuale „Immunisierung“ von früher erhobenen Beweismitteln widerspräche sowohl dem Wortlaut als auch dem Sinn und Zweck der anwendbaren Gesetzesbestimmungen. Die Strafbehörden setzen zur Wahrheitsfindung alle nach dem Stand von Wissenschaft und Erfahrung geeigneten Beweismittel ein, die rechtlich zulässig sind (Art. 139 Abs. 1 StPO). Eine neue Sicherstellung von früher bereits erhobenen und zurückgegebenen Aufzeichnungen und Gegenständen kann jedenfalls zulässig sein, wenn sich sachliche Gründe ergeben, die eine nochmalige Durchsuchung als geboten erscheinen lassen (vgl. Urteile 1B_8/2021 vom 16. Juni 2021 E. 2.1; 1B_117/2012 vom 26. März 2012 E. 2.4). Fälle von gesetzlichen Beweisverwertungsverboten (Art. 140 f. StPO) oder eines behördlichen Rechtsmissbrauchs bleiben vorbehalten (Art. 3 Abs. 2 lit. b StPO; zit. Urteil 1B_117/2012 E. 2.5; vgl. Keller, a.a.O., Art. 248 N. 37; THORMANN/BRECHBÜHL, a.a.O., Art. 248 N. 21).» (E.6.2)

«Im vorliegenden Fall ist der Polizei bei der gebotenen unverzüglichen Übermittlung der am 27. Oktober 2021 sichergestellten und gesiegelten Asservate an die Staatsanwaltschaft ein Fehler unterlaufen. Dieser hatte nach den Feststellungen der Vorinstanz zur Folge, dass die Staatsanwaltschaft für diese Asservate das Entsiegelungsgesuch nicht mehr rechtzeitig (innert 20 Tagen seit der Sicherstellung) habe stellen können. Am 20. Januar 2022 seien dann aber nicht dieselben Unterlagen ein zweites Mal sichergestellt worden. Vielmehr seien die bei der ersten Hausdurchsuchung erhobenen und versiegelten Asservate, darunter einschlägige Montage-Regierapporte, in den Untersuchungsakten geblieben. Diese hätten sich folglich nicht mehr in den durchsuchten Räumlichkeiten befunden. Bei der zweiten Hausdurchsuchung seien neu u.a. die Einsatzpläne des Personals sowie Arbeitsverträge und Bewerbungsunterlagen sichergestellt worden.  Wie sich aus den Akten ergibt, beschränkt sich das hier streitige Entsiegelungsgesuch vom 26. Januar 2022 auf die am 20. Januar 2022 neu sichergestellten Asservate. Auch die beschwerdeführende Oberstaatsanwaltschaft beantragt gemäss Ziffer 1 ihres Rechtsbegehrens ausschliesslich die Entsiegelung der am 20. Januar 2022 erhobenen Unterlagen. Diese wurden (gestützt auf Art. 244-248 StPO) gesetzeskonform sichergestellt und versiegelt. Am 26. Januar 2022 wurde diesbezüglich ein fristkonformes Entsiegelungsgesuch gestellt; ein Rechtsmissbrauch ist nicht ersichtlich. Dass die Vorinstanz das Entsiegelungsgesuch wegen angeblichen Rechtsmissbrauchs dennoch abwies, verstösst gegen Bundesrecht.» (E.6.3)

 

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