Sachverhalt
Die Regionale Staatsanwaltschaft Bern-Mittelland führt ein Strafverfahren gegen A. wegen Sachbeschädigung durch Sprayereien. Sie wirft ihm im Wesentlichen vor, in der Nacht vom 26. August 2021 in der Stadt Bern zwei „Tags“ („…“) gesprüht zu haben. Am 28. Dezember 2021 ordnete sie seine erkennungsdienstliche Erfassung und die Abnahme eines Wangenschleimhautabstrichs (WSA) sowie die Erstellung seines DNA-Profils an.
Instanzenzug
Dagegen erhob A. Beschwerde bei der Beschwerdekammer in Strafsachen des Obergerichts des Kantons Bern. Diese stellte mit Beschluss vom 26. April 2022 fest, dass sein rechtliches Gehör verletzt wurde und wies die Beschwerde im Übrigen ab.
Weiterzug an das Bundesgericht
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt A. vor Bundesgericht, den Beschluss des Obergerichts vom 26. April 2022 aufzuheben und von seiner erkennungsdienstlichen Erfassung und der Abnahme eines Wangenschleimhautabstrichs sowie der Erstellung eines DNA-Profils abzusehen. Eventualiter sei die Sache zur neuen Beurteilung an die Staatsanwaltschaft oder (sub-) eventualiter an die Vorinstanz zurückzuweisen. Der Präsident der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung erkannte der Beschwerde mit Verfügung vom 23. Juni 2022 die aufschiebende Wirkung zu. Die Vorinstanz hat auf Vernehmlassung verzichtet. Die Staatsanwaltschaft hat sich nicht vernehmen lassen.
Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 1B_259/2022 vom 23. Juni 2023
Das Bundesgericht führt im Urteil 1B_259/2022 vom 23. Juni 2023 zunächst allgemein zum Thema DNA-Profil Folgendes aus:
«Zur Aufklärung eines Verbrechens oder eines Vergehens kann von der beschuldigten Person eine Probe genommen und ein DNA-Profil erstellt werden (Art. 255 Abs. 1 lit. a StPO). Ein solches Vorgehen ist nicht nur möglich zur Aufklärung bereits begangener und den Strafverfolgungsbehörden bekannter Delikte. Wie aus Art. 259 StPO in Verbindung mit Art. 1 Abs. 2 lit. a DNA-Profil-Gesetz klarer hervorgeht, soll die Erstellung eines DNA-Profils vielmehr auch erlauben, Täterinnen und Täter von Delikten zu identifizieren, die den Strafverfolgungsbehörden noch unbekannt sind. Dabei kann es sich um vergangene oder künftige Delikte handeln. Das DNA-Profil kann so Irrtümer bei der Identifikation einer Person und die Verdächtigung unschuldiger Personen verhindern. Es kann auch präventiv wirken und damit zum Schutz Dritter beitragen. Auch hinsichtlich derartiger Straftaten bildet Art. 255 Abs. 1 lit. a StPO eine gesetzliche Grundlage für die DNA-Probenahme und Profilerstellung (zum Ganzen: BGE 147 I 372 E. 2.1; 145 IV 263 E. 3.3; je mit Hinweisen). Art. 255 StPO ermöglicht aber nicht bei jedem hinreichenden Tatverdacht die routinemässige Entnahme und Analyse von DNA-Proben (BGE 147 I 372 E. 2.1; 145 IV 263 E. 3.4; je mit Hinweisen).
Das zur DNA-Probenahme und -Profilerstellung Ausgeführte gilt gleichermassen für die erkennungsdienstliche Erfassung gemäss Art. 260 Abs. 1 StPO, bei der Körpermerkmale einer Person festgestellt und Abdrücke von Körperteilen genommen werden; dies jedoch mit dem Unterschied, dass die erkennungsdienstliche Erfassung auch für Übertretungen angeordnet werden kann. Art. 260 Abs. 1 StPO erlaubt indessen ebensowenig wie Art. 255 Abs. 1 StPO eine routinemässige erkennungsdienstliche Erfassung (BGE 147 I 372 E. 2.1 mit Hinweisen).
Erkennungsdienstliche Massnahmen gemäss Art. 260 StPO und die Probenahme sowie die Erstellung eines DNA-Profils gemäss Art. 255 StPO können das Recht auf persönliche Freiheit bzw. körperliche Integrität (Art. 10 Abs. 2 BV) und auf informationelle Selbstbestimmung berühren (Art. 13 Abs. 2 BV und Art. 8 EMRK; BGE 147 I 372 E. 2.2 ff.; 145 IV 263 E. 3.4; je mit Hinweisen). Einschränkungen von Grundrechten bedürfen gemäss Art. 36 Abs. 1, 2 und 3 BV einer gesetzlichen Grundlage und müssen durch ein öffentliches Interesse gerechtfertigt und verhältnismässig sein. Diese Voraussetzungen werden in Art. 197 Abs. 1 StPO präzisiert. Danach können Zwangsmassnahmen nur ergriffen werden, wenn ein hinreichender Tatverdacht vorliegt (lit. b), die damit angestrebten Ziele nicht durch mildere Massnahmen erreicht werden können (lit. c) und die Bedeutung der Straftat die Zwangsmassnahme rechtfertigt (lit. d).» (E.3)
Die Vorinstanz hält im angefochtenen Entscheid fest, sowohl die Anordnung der erkennungsdienstlichen Erfassung als auch die DNA-Probenahme und -Profilerstellung seien zwar für die Aufklärung der Anlasstaten nicht nötig, liessen sich aber im Hinblick auf die Aufklärung weiterer Delikte rechtfertigen. Die Vorinstanz erachtet dabei die Angaben der Kantonspolizei Bern, wonach das „Tag“ „…“ bereits etliche Mal im Raum Bern angebracht worden sei, für glaubwürdig. Sie erwägt, e s könne davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer für die Sprayereien dieser „Tags“ zumindest mitverantwortlich sei. (E.4.1)
Der Beschwerdeführer bestreitet dagegen die Verhältnismässigkeit der verfügten Zwangsmassnahmen und rügt eine Verletzung von Art. 197, 255 und 260 StPO sowie Art. 10 Abs. 2 und Art. 13 Abs. 2 BV und Art. 8 EMRK. Er macht dabei geltend, für die Anordnung der fraglichen Zwangsmassnahmen fehle es an der erforderlichen Deliktsschwere. Es handle sich bei den ihm vorgeworfenen Sachbeschädigungen lediglich um geringfügige Vermögensdelikte. (E.4.2)
Das Bundesgericht führt hierzu im Urteil 1B_259/2022 vom 23. Juni 2023 aus:
«Nach der Rechtsprechung sind die erkennungsdienstliche Erfassung und Erstellung eines DNA-Profils, soweit diese nicht der Aufklärung der Straftaten eines laufenden Strafverfahrens dienen, nur dann verhältnismässig, wenn erhebliche und konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die beschuldigte Person in andere – auch künftige – Delikte verwickelt sein könnte. Es muss sich zudem um Delikte von einer gewissen Schwere handeln (vgl. BGE 147 I 372 E. 4.2; 145 IV 263 E. 3.4; je mit Hinweisen). Dabei ist zu berücksichtigen, ob die beschuldigte Person vorbestraft ist; trifft dies nicht zu, schliesst das die erkennungsdienstliche Erfassung oder Erstellung des DNA-Profils jedoch nicht aus, sondern es fliesst als eines von vielen Kriterien in die Gesamtabwägung ein und ist entsprechend zu gewichten (BGE 145 IV 263 E. 3.4 mit Hinweisen; Urteile 1B_230/2022 vom 7. September 2022 E. 2.2; 1B_171/2021 vom 6. Juli 2021 E. 4.1). Bei der Beurteilung der erforderlichen Deliktsschwere kommt es weder einzig auf die Ausgestaltung als Antrags- bzw. Offizialdelikt noch auf die abstrakte Strafdrohung an. Vielmehr sind das betroffene Rechtsgut und der konkrete Kontext miteinzubeziehen. Eine präventive erkennungsdienstliche Erfassung oder Erstellung eines DNA-Profils erweist sich insbesondere dann als verhältnismässig, wenn die besonders schützenswerte körperliche bzw. sexuelle Integrität von Personen bzw. unter Umständen auch das Vermögen (Raubüberfälle, Einbruchdiebstähle) bedroht ist. Es müssen mithin ernsthafte Gefahren für wesentliche Rechtsgüter drohen (Urteil 1B_171/2021 vom 6. Juli 2021 E. 4.3 mit Hinweisen).» (E.4.3)
Die Beschwerde erweist sich gemäss dem Bundesgericht folglich als begründet: Der Beschwerdeführer ist, wie das Bundesgericht betont, nicht vorbestraft und die untersuchten Anlasstaten tangieren keine besonders schützenswerten Rechtsgüter (wie etwa die körperliche Integrität), sondern einzig das Vermögen. Zwar können Sprayereien potentiell einen hohen Sachschaden verursachen und damit die erforderliche Deliktsschwere erfüllen; im vorliegenden Fall soll sich der Schaden nach Angaben der Staatsanwaltschaft aber auf weniger als Fr. 5’000.—belaufen, bemerkt das Bundesgericht. Zur Schadenshöhe der anderen „Tags“, für die der Beschwerdeführer angeblich zumindest mitverantwortlich sein soll, finden sich keinerlei Angaben im angefochtenen Entscheid. Die dem Beschwerdeführer konkret vorgeworfenen Sachbeschädigungen können bei dieser Sachlage nicht als Delikte „einer gewissen Schwere“ qualifiziert werden. Da die „präventive“ erkennungsdienstliche Erfassung, DNA-Probenahme und DNA-Profilerstellung ohnehin unverhältnismässig erscheinen, kann offenbleiben, ob die Vorinstanz bei der Feststellung der Schadenshöhe in Willkür verfallen ist. (E.4.4)