Sachverhalt
Am 26. Mai 2020 reichte Rechtsanwalt Marcel Bosonnet im Namen von acht erfolglosen Asylsuchenden, die in verschiedenen Rückkehrzentren des Kantons Zürich untergebracht waren, sowie der Demokratischen Juristinnen und Juristen der Schweiz (DJS) und Solidarité sans frontières bei der Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich Strafanzeige ein gegen Regierungsrat Mario Fehr und weitere Vertreter der Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich und der übrigen kantonalen Verwaltung sowie der ORS Service AG. Den Angezeigten wurde dabei die Erfüllung der Straftatbestände des Aussetzens (Art. 127 StGB), der Nötigung (Art. 181 StGB), der Körperverletzung (Art. 123 StGB) bzw. der versuchten schweren Körperverletzung (Art. 122 i.V.m. Art. 22 StGB), der vorsätzlichen Widersetzung gegen Massnahmen gemäss Art. 10d in Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 (richtig wohl: Abs. 3) lit. j und k sowie Abs. 4 der Verordnung 2 über Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus (COVID-19) vom 16. März 2020 (COVID-19-Verordnung 2; AS 2020 783; SR 818.101.24) und eventuell der Verletzung von Vorschriften über die Verhütung der Übertragung von Krankheiten nach Art. 83 lit. c in Verbindung mit Art. 19 EpG (SR 818.101) vorgeworfen. Sie sollen im Frühjahr 2020 die Empfehlungen des Bundes zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie in den Rückkehrzentren des Kantons Zürich nicht oder nur ungenügend befolgt haben. Insbesondere habe es an der nötigen Information über die Schutzmassnahmen, an Isolationsvorkehrungen sowie an Schutzmasken, Desinfektionsmitteln und Flüssigseife gefehlt. Durch die unterlassenen Schutzvorkehren, die auch für die Rückkehrzentren zwingend gegolten hätten, seien die Personen in diesen Zentren einer direkten, schwerwiegenden Gefahr an Leib und Leben ausgesetzt worden.
Die für die Strafuntersuchung zuständige Staatsanwaltschaft II des Kantons Zürich unterbreitete die Anzeige gegen Regierungsrat Mario Fehr mit Verfügung vom 28. September 2020 der Oberstaatsanwaltschaft mit dem Antrag, einen Ermächtigungsentscheid des dafür zuständigen Kantonsrats über die Einleitung eines Strafverfahrens einzuholen. Gleichzeitig kam sie zum Schluss, das angezeigte Verhalten erfülle keinen Straftatbestand. Am 5. November 2020 trat die Geschäftsleitung des Kantonsrats auf den Antrag nicht ein. Mit Urteil 1D_10/2020 vom 16. Juni 2021 wies das Bundesgericht eine dagegen erhobene Beschwerde ab, soweit es darauf eintrat.
Mit Verfügung vom 11. August 2021 überwies die Staatsanwaltschaft erneut auf dem Dienstweg unter Einbezug der Oberstaatsanwaltschaft die Akten an das Obergericht, um über die Erteilung einer Ermächtigung zur Durchführung einer Strafuntersuchung gegen die angezeigten Mitarbeitenden des Sozialdienstes sowie der ORS Service AG zu entscheiden. Auch insofern hielt die Staatsanwaltschaft fest, es bestünden aus ihrer Sicht keine Hinweise für ein massgebliches strafbares Verhalten. Am 30. Dezember 2021 beschloss das Obergericht (Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich, III. Strafkammer, vom 30. Dezember 2021 (TB210170-O/U/MUL)), auf das Gesuch insoweit nicht einzutreten, als mögliche Übertretungen gemäss dem Epidemiengesetz in Frage stünden; im Übrigen werde der Staatsanwaltschaft die Ermächtigung zur Strafverfolgung bzw. zur Eröffnung oder Nichtanhandnahme einer Untersuchung gegenüber den fünf angezeigten Personen nicht erteilt (Ziff. 1 des Beschlussdispositivs). Das Obergericht erhob keine Kosten (Ziff. 2 des Beschlussdispositivs) und sprach keine Parteientschädigungen zu (Ziff. 3 des Beschlussdispositivs).
Weiterzug an das Bundesgericht
Mit gemeinsamer Rechtsschrift vom 7. Februar 2022 erheben A., B.B., C.B. und D.B., E. und F., die alle zu den Anzeigeerstattern gehört hatten, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen G. als Amtschefin und H. als mitarbeitende Asylkoordinatorin des Kantonalen Sozialamts Zürich sowie gegen I. als CEO, J. als Geschäftsführer Schweiz und K. als Stv. Geschäftsführer Schweiz der ORS Service AG. Sie beantragen, den Beschluss des Obergerichts vom 30. Dezember 2021 aufzuheben, festzustellen, dass das Ermächtigungsverfahren auf die Mitarbeitenden der ORS Service AG sowie auf H. keine Anwendung finde, und gegenüber G. die Ermächtigung zur Durchführung eines Strafverfahrens zu erteilen; eventuell sei die Sache an das Obergericht zurückzuweisen zur Erteilung der fraglichen Ermächtigung gegen sämtliche angezeigten Personen. In prozessualer Hinsicht wird um Erteilung der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung ersucht.
Der I. und H. schliessen in zwei separaten Eingaben auf Abweisung der Beschwerde. Das gleiche Rechtsbegehren stellen in einer gemeinsamen Vernehmlassung die drei Mitarbeiter der ORS Service AG, I., J. und K. Die Staatsanwaltschaft II und das Obergericht verzichteten auf eine Stellungnahme. Die Oberstaatsanwaltschaft reichte keine Vernehmlassung ein.
In Replik und Duplik halten sowohl die Beschwerdeführenden als auch die drei Mitarbeiter der ORS Service AG im Wesentlichen an ihren Standpunkten fest.
Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 1C_104/2022 vom 20. Dezember 2022
Nach Art. 7 Abs. 2 lit. b StPO in Verbindung mit § 148 des Zürcher Gesetzes über die Gerichts- und Behördenorganisation im Zivil- und Strafprozess vom 10. Mai 2010 (GOG [LS 211.1]) entscheidet das Obergericht über die Eröffnung oder Nichtanhandnahme einer Strafuntersuchung gegen Beamte im Sinn von Art. 110 Abs. 3 StGB wegen im Amt begangener Vergehen oder Verbrechen. Mit dem angefochtenen Entscheid hat es das Obergericht abgelehnt, die Staatsanwaltschaft zur Strafverfolgung der angezeigten Personen zu ermächtigen, bemerkt das Bundesgericht einleitend. Damit fehlt es an einer Prozessvoraussetzung für die Durchführung des Strafverfahrens, womit das Verfahren abgeschlossen ist. Die angezeigten Mitarbeitenden des kantonalen Sozialamts sowie des privaten Dienstleistungsunternehmens, das mit dem Betrieb von Rückkehrzentren beauftragt ist, gehören nicht den obersten kantonalen Vollziehungs- und Gerichtsbehörden an, weshalb der Ausschlussgrund von Art. 83 lit. e BGG nicht greift (E.1.1).
Private Anbieter von Staatsaufgaben – Auslegung von Art. 7 Abs. 2 lit. b StPO
Die zentrale Fragestellung in diesem Urteil war, ob Dienstleiter, wie die ORS Service AG und deren Personal, unter den Art. 7 Abs.2 lit. b StPO unterstellten Personenkreis fallen.
Das Bundesgericht äusserte sich hierzu wie folgt:
Ausgangspunkt ist, wie das Bundesgericht erklärt, dass das Bundesrecht nicht verbietet, den Vollzug von Staatsaufgaben wie hier unter Beachtung der entsprechenden rechtlichen Vorgaben an private Anbieter auszulagern. Die Aufnahme und Betreuung von Personen aus dem Asylbereich stellt eine Verbundaufgabe dar, die von Bund, Kantonen und Gemeinden gemeinsam erfüllt wird. Für Personen aus dem Asyl- und Ausländerbereich, welche die Schweiz verlassen müssen und deshalb lediglich Anspruch auf Nothilfeleistungen haben, ist der Kanton zuständig. Im Kanton Zürich erfolgt dies in der Regel in kantonalen Rückkehrzentren. Die Kantone können die Erfüllung dieser Aufgaben ganz oder teilweise Dritten übertragen, wofür in Art. 80a Abs. 1 AsylG eine gesetzliche Grundlage besteht. (E.3.1).
Die ORS Service AG, wie das Bundesgericht darstellt, ist mit dem Betrieb der von den Beschwerdeführenden bewohnten Rückkehrzentren betraut. Dazu zählen insbesondere die Aufnahme der Insassen, die Haushaltführung, die Organisation und Verteilung der Verpflegung und die Betreuung der Insassen unter Einschluss der medizinischen Grundversorgung. Die Unternehmung unterstützt die Behörden auch bei der Vorbereitung der Aus- bzw. Rückreise der Insassen. Die Räumlichkeiten werden jedoch vom Kanton Zürich ausgesucht und zur Verfügung gestellt. Die Öffnung neuer Räume und Abteilungen, selbst in den bestehenden Zentren, liegt allein in der Kompetenz des Kantons. Obwohl es unter den Verfahrensbeteiligten unbestritten ist, dass die ORS Service AG keine Hoheitsgewalt ausübt und mithin nicht hoheitlich handelt, nimmt sie dennoch eine öffentliche Aufgabe wahr. Im Rahmen des Auslagerungsakts kann öffentliches Recht zur Anwendung gelangen (anschaulich und mit dem vorliegenden Fall vergleichbar insofern BGE 148 II 218 E. 3 im Zusammenhang mit den von der Securitas AG erbrachten Sicherheitsdienstleistungen im Asylbereich). Auch besteht eine Grundrechtsbindung (Art. 35 Abs. 2 BV). (E.3.2).
Von Seiten der Beschwerdegegnerschaft wird vor Bundesgericht geltend gemacht, das Bundesgericht habe in zwei Urteilen bereits entschieden, § 148 GOG trage Art. 7 Abs. 2 StPO Rechnung. Dabei ging es jedoch, wie das Bundesgericht ausführt, um die kantonale Regelung von Zuständigkeit und Verfahren und nicht um die Bestimmung des dem Ermächtigungsvorbehalt nach Art. 7 Abs.2 lit. b StPO unterstellten Personenkreises (vgl. BGE 137 IV 269 E. 2.2 f.; Urteil des Bundesgerichts 1C_96/2013 vom 17. Juni 2013 E. 3), weshalb sich daraus für diesen Gesichtspunkt keine zwingenden Folgerungen ableiten lassen. Zu prüfen ist demnach vorweg durch das Bundesgericht, wie Art. 7 Abs. 2 lit. b StPO mit Blick auf den durch die Bestimmung geschützten Personenkreis zu interpretieren ist und ob sich § 148 GOG an den entsprechend eruierten bundesgesetzlichen Rahmen hält. (E.3.3).
Ein Erlass ist in erster Linie aus sich selbst heraus auszulegen, d.h. nach dem Wortlaut, Sinn und Zweck, der Entstehungsgeschichte sowie der gesetzlichen Systematik, erklärt das Bundesgericht. Dabei befolgt das Bundesgericht einen pragmatischen Methodenpluralismus und lehnt es namentlich ab, die einzelnen Auslegungselemente einer hierarchischen Prioritätsordnung zu unterstellen. Vom klaren, eindeutigen und unmissverständlichen Wortlaut darf allerdings nur abgewichen werden, wenn triftige Gründe dafür vorliegen, dass der Wortlaut nicht den wahren Sinn der Norm wiedergibt (BGE 143 IV 122 E. 3.2.3; 142 I 135 E. 1.1.1; je mit Hinweisen). (E.3.4).
Das Bundesgericht schreitet alsdann im Urteil 1C_104/2022 des Bundesgerichts vom 20. Dezember 2022 zur detaillierten Auslegung von Art. 7 Abs. 2 lit. b StPO nach verschiedenen Methoden, dem «Filetstück» dieses Leiturteils:
«Gemäss dem Wortlaut von Art. 7 Abs. 2 lit. b StPO kann die Strafverfolgung der Mitglieder der (dem kantonalen Recht unterstehenden) Vollziehungs- und Gerichtsbehörden für im Amt begangene Verbrechen oder Vergehen von einer Ermächtigung abhängig gemacht werden. Gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung gelten als Vollziehungsbehörden alle Organisationen, die öffentliche Aufgaben wahrnehmen (BGE 137 IV 269 E. 2.1; Urteil des Bundesgerichts 1C_633/2013 vom 23. April 2014 E. 3.1 mit Verweis auf das Urteil 1C_775/2013 vom 15. Januar 2014 E. 3.1 mit erneutem Verweis auf das Urteil 1C_382/2012 vom 10. Oktober 2012 E. 2.3). In den zitierten Fällen ging es aber immer um Mitarbeitende der öffentlichen Verwaltung. Davon abweichend entschied das Bundesgericht im Urteil 1C_340/2018 vom 7. März 2019 in E. 5.5, dass ein als unentgeltlicher Rechtsvertreter eingesetzter Anwalt nicht dem Ermächtigungsvorbehalt untersteht. Auch ein unentgeltlicher Rechtsvertreter erfüllt zumindest teilweise öffentliche Aufgaben. Ein privater Dienstleistungserbringer ist überdies zumindest sprachlich keine Behörde, wie das der Wortlaut von Art. 7 Abs. 2 lit. b StPO voraussetzt. Dies würde nämlich eine Integration in die zentrale oder ausgelagerte öffentliche Verwaltung oder in ein Justizorgan bedingen. Dem Wortlaut lässt sich demnach kein eindeutiger Sinngehalt entnehmen.» (E.3.4.1)
«Entstehungsgeschichtlich ergibt sich, dass der Bundesrat für Art. 7 Abs. 2 lit. b StPO vorgeschlagen hatte, die Ermächtigungsklausel einzig auf die obersten Exekutiv- und Justizorgane anzuwenden. Auf Antrag der ständerätlichen Kommission erweiterte die Bundesversammlung den Anwendungsbereich ohne vertiefte parlamentarische Debatte auf den heute geltenden Wortlaut (vgl. insbes. AS 2006 S 991; RIEDO/FIOLKA, a.a.O., Art. 7 StPO N. 79; SCHMID/JOSITSCH, a.a.O., Art. 7 N. 9). Die Bundesversammlung wollte es den Kantonen damit ermöglichen, weitere in der Verwaltung oder Justiz tätige Personen einem strafprozessualen Ermächtigungserfordernis zu unterstellen. Wie genau bzw. wie weit der davon erfasste Personenkreis zu bestimmen wäre, blieb aber undefiniert. Aus der Entstehungsgeschichte lassen sich mithin ebenfalls keine schlüssigen Vorgaben für die hier strittige Auslegungsfrage ableiten.» (E.3.4.2)
«In systematischer Hinsicht zeigt sich eine gewisse Parallelität zum strafrechtlichen Beamtenbegriff gemäss Art. 110 Abs. 3 StGB. Die Beschwerdegegnerschaft macht denn auch mit Blick auf diese Bestimmung geltend, es müsse genügen, dass eine Person eine öffentliche Funktion erfülle. Dies entspricht an sich nicht nur dem Wortlaut von Art. 110 Abs. 3 StGB, wonach namentlich davon erfasst wird, wer, wenn auch nur vorübergehend, amtliche Funktionen ausübt, sondern auch der diesbezüglichen Rechtsprechung (vgl. zum sog. funktionellen Beamtenbegriff etwa BGE 142 IV 65 E. 5.1 mit Hinweisen). Der strafrechtliche Beamtenbegriff erstreckt sich aber nicht in jedem Fall auch auf Private. So scheint es mehr als fraglich, ob beispielsweise Sonderdelikte wie der qualifizierte Tatbestand der Veruntreuung durch einen Beamten nach Art. 138 Ziff. 2 StGB oder derjenige des Amtsmissbrauchs gemäss Art. 312 StGB durch das Reinigungspersonal eines privaten Dienstleistungserbringers erfüllt werden könnten. Besonders einschlägig sind insofern Art. 285 Ziff. 1 Abs. 2 und Art. 286 Abs. 2 StGB, wonach nebst den Beamten Angestellte von Personenbeförderungs- und Transportunternehmen sowie entsprechendes Sicherheitspersonal ausdrücklich den entsprechenden Strafbestimmungen unterstellt werden. Das wäre nicht erforderlich, wenn sich dies bereits aus dem Beamtenbegriff nach Art. 110 Abs. 3 StGB ergäbe (vgl. dazu zum alten Recht das Urteil des Bundesgerichts 1B_443/2011 vom 28. November 2011 E. 2; anders hingegen das Urteil 6S.368/1988 vom 29. September 1988). Die Anwendbarkeit des strafrechtlichen Beamtenbegriffs führt demnach nicht zwingend dazu, dass der Ermächtigungsvorbehalt gemäss Art. 7 Abs. 2 lit. b StPO greift. Der Wortlaut dieser beiden Bestimmungen ist denn auch verschieden. Die Strafbarkeit an sich und die Modalitäten der Strafverfolgung sind insoweit zu unterscheiden, und es ist darüber jeweils autonom zu entscheiden.
Auch der von Seiten der Beschwerdegegnerschaft vorgebrachte Verweis auf den Fall eines Arztes, der mit der Begleitung eines Ausschaffungshäftlings betraut war und gemäss BGE 130 IV 27 in amtlicher Funktion handelte, ist für die vorliegend zu beurteilende Rechtsfrage nicht einschlägig, ging es damals doch um eine Haftungsfrage. Das ist mit dem strafprozessualen Ermächtigungsvorbehalt nicht gleichzusetzen.
Obschon § 148 GOG auf Art. 110 Abs. 3 StGB verweist, vermag dies den entsprechend allenfalls engeren Anwendungsbereich von Art. 7 Abs. 2 lit. b StPO nicht zu übersteuern, sondern kann von vorneherein nur soweit zulässig sein, als die letztgenannte Bestimmung das Ermächtigungserfordernis zulässt. Systematische Erwägungen sprechen daher dafür, dass die Ausweitung der Anwendbarkeit einer auf Angestellte im öffentlichen Dienst ausgerichteten Norm auf Privatpersonen ausdrücklich im Gesetz vorgesehen sein muss und sich nur dann durch Auslegung ergeben kann, wenn dies wie beim Beispiel der Amtsgeheimnisverletzung zwingend erscheint. Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt.» (E.3.4.3)
«Wie bereits dargelegt (vgl. vorne E. 2.2), dient das Ermächtigungserfordernis namentlich dem Zweck, Behördenmitglieder und Beamte vor mutwilliger Strafverfolgung zu schützen und damit das reibungslose Funktionieren staatlicher Organe sicherzustellen. Insofern ist das Argument der Beschwerdegegnerschaft nicht von der Hand zu weisen, es mache mit Blick auf den Schutz vor mutwilliger Strafverfolgung und auf ein reibungsloses Funktionieren der Erfüllung der öffentlichen Aufgabe keinen Unterschied, ob eine solche von einem Staatsbediensteten oder einer staatlich beauftragten Privatperson wahrgenommen werde. Bei der Würdigung des Gesetzeszwecks ist allerdings auch die Entwicklung des Beamtenstatus sowie der Verwaltungsorganisation zu berücksichtigen.
Der prozessuale Schutz vor Strafverfolgung durch ein Ermächtigungserfordernis ging früher einher mit der speziellen dienstrechtlichen Stellung von Beamten, wie sie etwa durch die Geltung von festen Amtsdauern und erschwerten Voraussetzungen für die Aufhebung des Dienstverhältnisses zum Ausdruck gelangte. Damit verbunden war aber auch die besondere Strafbarkeit aufgrund der als Sondertatbestände ausgestalteten Amtsdelikte wie beispielsweise Amtsmissbrauch oder die Verletzung des Amtsgeheimnisses (vgl. im Wesentlichen Art. 312 ff. i.V.m. Art. 110 Abs. 3 StGB). Diese sollten im Wesentlichen einem Missbrauch der mit der Amtsstellung verbundenen Ausübung hoheitlicher Macht bei der Amtstätigkeit vorbeugen. Der Ermächtigungsvorbehalt diente umgekehrt dazu, Beamte prozessual vor ungerechtfertigten Strafanzeigen unzufriedener Rechtsunterworfener zu schützen. Dieser Schutz beschränkte sich in der Praxis nicht auf eigentliche Amtsdelikte, sondern fand flächendeckend auf alle Straftatbestände Anwendung. Dabei wurde der strafrechtliche Beamtenbegriff nach Art. 110 Abs. 3 StGB nicht deckungsgleich mit dem dienstrechtlichen ausgelegt, sondern durch das funktionelle Verständnis auch auf Staatsbedienstete ausgeweitet, die nicht im Beamtenverhältnis standen.
In den letzten Jahrzehnten wurde der dienstrechtliche Beamtenstatus in der Schweiz kontinuierlich abgebaut. Die Rechtsstellung der Staatsbediensteten hat sich derjenigen privater Angestellter angeglichen (vgl. etwa BELLANGER/ROY, Entwicklung des Rechts- und Regulierungsrahmens des öffentlichen Dienstes in der Schweiz, in: Ladner u.a. [Hrsg.], Handbuch der öffentlichen Verwaltung in der Schweiz, 2013, 459 ff.). Zwar bleiben die strafrechtlichen Amtsdelikte weiterhin anwendbar. Mit dem weitgehenden Wegfall des Beamtenstatus kommt dem damit einhergehenden Schutz vor unberechtigter Strafverfolgung aber nicht mehr die gleiche Bedeutung zu wie früher. Hinzu kommt, dass es früher auch die Ausnahme bildete, die Erfüllung staatlicher Aufgaben an Private zu übertragen. Die Frage des dem Ermächtigungsvorbehalt unterstellten Personenkreises stellte sich denn auch nur in seltenen und besonderen Fällen. Inzwischen werden Private in vielfältiger Hinsicht mit der Erfüllung staatlicher Aufgaben betraut (dazu etwa THIERRY TANQUEREL, Manuel de droit administratif, 2. Aufl., 2018, 32 ff.). Es kann nicht Sinn des Ermächtigungsvorbehalts sein, die Strafverfolgung in allen diesen Konstellationen einzuschränken. Das Ermächtigungserfordernis wird denn auch vor diesem Hintergrund zunehmend in Frage gestellt. Etliche Kantone kennen keinen solchen Vorbehalt, und in der wissenschaftlichen Literatur wird diskutiert, ob der Tatbestand von Art. 7 Abs. 2 lit. b StPO mit Blick auf das strafrechtliche Legalitätsprinzip und die strafprozessuale Offizialmaxime überhaupt noch zeitgemäss sei. Dazu wird gefordert, diese Bestimmung restriktiv auszulegen (SCHMID/JOSITSCH, Schweizerische Strafprozessordnung, Praxiskommentar, 3. Aufl., 2018, Art. 7 N. 9), und dabei wird sogar ausdrücklich die zürcherische Umsetzung in § 248 GOG als äusserst weit kritisiert (ROTH/VILLARD, in: Jeannerat et al. [Hrsg.], Code de procédure pénale suisse, Commentaire, 2. Aufl., 2019, Art. 7 N. 28a). Überdies wird ebenfalls explizit in Frage gestellt und als wenig sinnvoll bezeichnet, dass die Angestellten privater Unternehmen mit erfasst würden (RIEDO/FIOLKA, in: Niggli et al. [Hrsg.], Schweizerische Strafprozessordnung, Jugendstrafprozessordnung, 2. Aufl., 2014, Art. 7 StPO N. 83).
Vor diesem geltungszeitlichen Hintergrund spricht der Gesetzeszweck für eine enge Auslegung von Art. 7 Abs. 2 lit. b StPO. Das legt nahe, die Anwendbarkeit des Ermächtigungsvorbehalts auf Private als grundsätzlich ausgeschlossen zu beurteilen bzw. lediglich im Ausnahmefall zuzulassen, wenn sich dies zwingend aufgrund der speziellen Umstände des Einzelfalles rechtfertigt.» (E.3.4.4).
Das Bundesgericht kommt zum zentralen Zwischenfazit: «Insgesamt ergibt sich gestützt auf eine zeitgemässe Gesetzesinterpretation in weitgehendem Einklang mit dem Schrifttum, dass Art. 7 Abs. 2 lit. b StPO einschränkend auszulegen ist. Insbesondere sind Privatpersonen, denen öffentliche Aufgaben übertragen werden, grundsätzlich vom Ermächtigungserfordernis auszunehmen, solange nicht zwingende Gründe für eine Ausnahme sprechen.» (E.3.4.5).
Fallbezogen erklärt das Bundesgericht im Urteil 1C_104/2022 vom 20. Dezember 2022: «Im vorliegenden Fall handelt es sich bei den Beschwerdegegnern 3-5 um zivilrechtliche Angestellte des privaten Dienstleistungserbringers ORS Service AG. Es sind keine ausserordentlichen Umstände ersichtlich, die ausnahmsweise einen Ermächtigungsvorbehalt zu rechtfertigen vermöchten. Die Beschwerdegegner 3-5 unterstehen diesem daher nicht, und zwar bereits aufgrund von Gesetzesrecht und damit unabhängig vom Verfassungsrecht und der Menschenrechtskonvention. Die weitergehende Anwendung des Ermächtigungserfordernisses im angefochtenen Entscheid widerspricht der Strafprozessordnung und damit Bundesrecht. Der angefochtene Entscheid ist insoweit zu korrigieren, als das Obergericht auf das Ermächtigungsgesuch gegenüber den Beschwerdegegnern 3-5 eingetreten ist und diesbezüglich die Ermächtigung zur Strafverfolgung verweigert hat. Das bedeutet jedoch nicht, dass auch zwingend eine Strafuntersuchung einzuleiten ist. Die zuständige Staatsanwaltschaft wird vielmehr zu prüfen haben, ob ein ausreichender Anfangsverdacht besteht, und gestützt darauf über die Anhandnahme einer Untersuchung entscheiden müssen. Je nach Sachlage erscheint auch eine spätere Verfahrenseinstellung nach Eröffnung einer Untersuchung nicht ausgeschlossen.» (E.3.5).
Rechtsgleichheitsgebot und Gleichbehandlungsgebot
Die Beschwerdeführenden berufen sich vor Bundesgericht weiter mit einer umfangreichen Argumentation darauf, das Ermächtigungserfordernis verstosse gegen das Rechtsgleichheitsgebot nach Art. 8 BV sowie gegen das Gleichbehandlungsgebot im Bereich des Schutzes des Privatlebens im Sinne des Anspruchs auf körperliche Unversehrtheit und der Verfahrensfairness gemäss Art. 14 in Verbindung mit Art. 6 und 8 EMRK. Sie wollen daraus insbesondere ableiten, Art. 7 Abs. 2 lit. b StPO in Verbindung mit § 148 GOG dürfe nicht auf die Beschwerdegegnerinnen 1 und 2 angewandt werden. (E.4.2).
Dazu äussert sich das Bundesgericht wie folgt:
«Weder die Bundesverfassung noch die Menschenrechtskonvention schliessen jedoch prozessuale Voraussetzungen für eine Strafverfolgung aus. Im von den Beschwerdeführenden angerufenen Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte Nr. 8917/05 vom 8. Juli 2008 in Sachen Kart gegen Türkei entschied das Gericht, es verstosse gegen Art. 6 Ziff. 1 EMRK, wenn einem Parlamentarier gegen seinen Willen während seiner Amtszeit strafrechtliche Immunität verliehen werde. Mit Urteil vom 3. Dezember 2009 verneinte jedoch die Grosse Kammer des Gerichtshofes eine Verletzung der Menschenrechtskonvention. Auch wenn es hier im Unterschied dazu um die Anliegen von Anzeigeerstattern bzw. potentiellen Privatklägern geht und es sich beim Ermächtigungsvorbehalt um eine besondere Form eines Straferfordernisses handelt, ist nicht ersichtlich, weshalb insofern etwas anderes gelten sollte. Für die Anwendung von Art. 7 Abs. 2 lit. b StPO sind im Übrigen, abgesehen vom vorliegend nicht wesentlichen Sonderfall der obersten kantonalen Vollziehungs- und Gerichtsbehörden (siehe dazu das Urteil des Bundesgerichts 1D_10/2020 vom 16. Juni 2021 E. 2.2.1 mit Hinweisen im parallelen Verfahren des betroffenen Regierungsrates), nur strafrechtliche und keine politischen Kriterien zulässig (vgl. vorne E. 2.2). Die Ermächtigung ist überdies zu erteilen, wenn ein ausreichender Anfangsverdacht besteht bzw. nicht von klarer Straflosigkeit auszugehen ist (vgl. vorne E. 2.3). Im Kanton Zürich entscheidet sodann ein Gericht über die Ermächtigung, ausser im hier nicht interessierenden Fall der Aufhebung der Immunität eines Mitglieds des Kantonsrates, des Regierungsrates oder eines obersten kantonalen Gerichts (dazu §§ 131 ff. des Kantonsratsgesetzes vom 25. März 2019 des Kantons Zürich [KRG; LS 171.1] sowie erneut das im Parallelfall des betroffenen Regierungsrats ergangene Urteil des Bundesgerichts 1D_10/2020 vom 16. Juni 2021). Da die Strafprozessordnung die Kantone lediglich berechtigt, einen Ermächtigungsvorbehalt vorzusehen, aber nicht dazu verpflichtet, liegt auch darin keine massgebliche Rechtsungleichheit, dass es in anderen Kantonen ein solches Ermächtigungserfordernis nicht gibt. Schliesslich werden den Beschwerdeführenden durch die Ermächtigungsverweigerung weder allfällige Ansprüche aus dem Opferhilferecht noch aus Verantwortlichkeitstatbeständen entzogen. Die entsprechenden Verfahren stehen ihnen vielmehr im Bedarfsfall unabhängig davon offen.» (E.4.3).
«Die Verweigerung einer Ermächtigung ist daher nicht von vorneherein rechtsungleich oder unfair und stellt auch nicht einen unzulässigen Eingriff ins Privatleben eines Anzeigeerstatters bzw. eines möglichen Privatklägers dar. Die gesetzliche Einrichtung eines Ermächtigungsvorbehalts gegenüber Personen im Staatsdienst verletzt weder die Bundesverfassung noch die Menschenrechtskonvention. Es verstösst daher nicht nur schon deshalb gegen Bundesrecht, weil sich das Obergericht gegenüber den Beschwerdegegnerinnen 1 und 2 überhaupt auf die gesetzliche Regelung gestützt und von einer Ermächtigung zur Strafverfolgung abgesehen hat. Zu prüfen bleibt aber, ob der angefochtene Beschluss insofern als Entscheid im Einzelfall mit dem Bundesrecht vereinbar ist.» (E.4.4)
Kommentar zum Urteil 1C_104/2022 vom 20. Dezember 2022 des Bundesgerichts
Da zunehmend Staatsaufgaben, auch im Bereiche des Strafrechts, an private Anbieter ausgelagert werden, ist das Urteil 1C_104/2022 vom 20. Dezember 2022 des Bundesgerichts von besonderer Bedeutung. Das Leiturteil des Bundesgerichts nimmt als Kernpunkt eine äusserst detaillierte Auslegung von Art. 7 Abs. 2 lit. b StPO vor und kommt zum, durchaus vertretbaren Ergebnis, dass diese Bestimmung einschränkend auszulegen sei.