Hausfriedensbruch schafft Notwehrlage  

Im Urteil 6B_113/2025 vom 11. Juni 2025 aus dem Kanton Wallis befasste sich das Bundesgericht mit einem Hausfriedensbruch mit Gerangel und Messereinsatz. Das Bundesgericht bejahte das Vorliegen einer Notwehrlage i.S. Hausfriedensbruchs wie folgt: «Der Beschwerdegegner wird von der Vorinstanz wegen Hausfriedensbruchs (Art. 186 StGB) verurteilt. Er verletzte damit das Hausrecht des Beschwerdeführers, das ein notwehrfähiges Rechtsgut darstellt […]. Zum Zeitpunkt der Messerattacke dauerte der rechtswidrige Angriff auf das Hausrecht an. Daran ändert auch die Möglichkeit der Flucht nichts. Auch wenn der Beschwerdeführer geflüchtet wäre, hätte der Angriff auf sein Hausrecht fortbestanden. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz lag somit auch in der zweiten Phase der Auseinandersetzung eine Notwehrlage im Sinne von Art. 15 StGB vor.» (E.2.3.1). Das Bundesgericht geht von einer exzessiven Notwehr des Beschwerdeführers aus und heisst die Beschwerde teilweise gut: «Die exzessive Notwehr des Beschwerdeführers ist nicht entschuldbar im Sinne von Art. 16 Abs. 2 StGB. […] ist hierbei ein umso strengerer Massstab anzulegen, je stärker die Reaktion des Abwehrenden den Angreifer verletzt oder gefährdet. Vorliegend war der Beschwerdegegner unbewaffnet. Der Beschwerdeführer gefährdete ihn insbesondere durch Schnitte mit dem Messer im Halsbereich erheblich. Entsprechend schwerwiegend hätte seine Aufregung oder Bestürzung über den Angriff sein müssen, um annehmen zu können, es sei ihm nicht möglich gewesen, besonnen und mit einem milderen Mittel zu reagieren. Sofern überhaupt von einer relevanten Bestürzung auszugehen ist, stand diese in keinem Verhältnis zum Ausmass der Überschreitung der Notwehrgrenze.» (E.2.3.3). «Nach dem Gesagten verletzt die Vorinstanz Bundesrecht, indem sie fälschlicherweise nicht von einer Notwehrlage ausgeht und infolgedessen bei der Strafzumessung den Strafmilderungsgrund von Art. 16 Abs. 1 StGB unberücksichtigt lässt. Die Vorinstanz wird deshalb im Rahmen der Neubeurteilung die Strafe neu zu bestimmen haben.» (E.2.3.4).

Sachverhalt

Der A. geriet am 19. Dezember 2020 in und vor dem Zimmer Nr. xxx im Haus „C. “ an der U.strasse yyy in V. in eine Auseinandersetzung mit B.. Im Rahmen dieser Konfrontation soll A. gemäss Anklage ein Brotmesser ergriffen und damit B. insbesondere am Hals verletzt haben.

Instanzenzug

Mit Urteil vom 23. Februar 2024 sprach das Kreisgericht Oberwallis für den Bezirk Visp A. der versuchten vorsätzlichen Tötung, der Sachbeschädigung, der versuchten Drohung, der Beschimpfung und der groben Verletzung der Verkehrsregeln schuldig. Den gewährten bedingten Vollzug für zwei frühere Geldstrafen widerrief es und verurteilte A. zu einer Freiheitsstrafe von 54 Monaten sowie einer unbedingt vollziehbaren Gesamtgeldstrafe von 60 Tagessätzen zu Fr. 70.–. Weiter ordnete es eine vollzugsbegleitende ambulante Massnahme für A. an und verwies ihn für zehn Jahre aus der Schweiz.

Auf Berufung von A. hin bestätigte das Kantonsgericht Wallis mit Urteil vom 19. Dezember 2024 die erstinstanzlichen Schuldsprüche, den Widerruf des gewährten bedingten Vollzugs sowie die Massnahmen. Es verurteilte ihn zu einer Freiheitsstrafe von 48 Monaten und einer unbedingt vollziehbaren Gesamtgeldstrafe von 60 Tagessätzen zu Fr. 10.–.

Weiterzug ans Bundesgericht

Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt A. zusammengefasst, er sei vom Vorwurf der versuchten vorsätzlichen Tötung freizusprechen, unverzüglich aus der Haft zu entlassen und für die Überhaft mit Fr. 200.– pro Tag zu entschädigen. Weiter stellt er ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung.

Das Bundesgericht lud das Kantonsgericht Wallis und die Staatsanwaltschaft des Kantons Wallis zur Vernehmlassung ein. Beide verzichteten auf eine Stellungnahme.

Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 6B_113/2025 vom 11. Juni 2025  

Hier wird nicht auf alle Rügen eingegangen.

Den Sachverhalt stellt das Bundesgericht im Urteil 6B_113/2025 vom 11. Juni 2025 wie folgt dar:

«Die Vorinstanz gelangt zusammengefasst zu folgendem Beweisergebnis: Am 19. Dezember 2020, um ca. 10.30 Uhr, habe sich der Beschwerdegegner zum Zimmer Nr. xxx im Haus „C. “ an der U. strasse yyy in V. begeben, um sich dort einzuquartieren. Dabei habe er gewusst, dass der Beschwerdeführer am Vorabend nach einer Eskalation mit einer Zimmernachbarin polizeilich angewiesen worden sei, das fragliche Zimmer bis am Mittag zu räumen. Der Beschwerdeführer habe die Zimmertür geöffnet, worauf der Beschwerdegegner von diesem verlangt habe, dass er das Zimmer sofort verlasse. Als der Beschwerdeführer die Zimmertüre wieder habe schliessen wollen, habe der Beschwerdegegner sein Knie gegen die Türe gestellt. Daraufhin sei der Beschwerdeführer auf den Beschwerdegegner zugegangen und habe Anstalten gemacht, auf ihn loszugehen. Der Beschwerdegegner habe mit seiner rechten Hand den Beschwerdeführer an der Gurgel gepackt und ihn gegen den Zimmerschrank gestossen. Danach habe er den Reisekoffer und Rucksack des Beschwerdeführers ergriffen und auf den Flur geworfen.  Im Zuge der Auseinandersetzung habe sich der Beschwerdeführer dann am Beschwerdegegner vorbei auf den Korridor begeben, aus dem offenen Rucksack ein Brotmesser mit einer Klingenlänge von 26 cm ergriffen, sich umgedreht und versucht, seinen Kontrahenten damit in die Bauchregion zu stechen. Der Beschwerdegegner habe mit seiner linken Hand den Angriff abgewehrt und seinen Widersacher in den Schwitzkasten genommen. Während des nachfolgenden Gerangels habe der Beschwerdeführer immer wieder versucht, das Messer an den Hals seines Gegners zu führen und ihm schliesslich am Hals mehrere nicht lebensgefährliche Schnittverletzungen zugefügt. Der Beschwerdegegner habe dem Beschwerdeführer im Gegenzug einen Faustschlag aufs Auge verpasst, diesen zu Boden gestossen und schliesslich flüchten können. Der Beschwerdeführer habe aufgrund des Vorfalls Hautdurchtrennungen, -abschürfungen und -unterblutungen, der Beschwerdegegner Hautdurchtrennungen am Hals sowie weitere Hautdurchtrennungen, -abschürfungen und -unterblutungen erlitten. Konkret in Lebensgefahr habe sich der Beschwerdeführer nicht befunden.» (E.1.2.2).

Der Beschwerdeführer rügt vor Bundesgericht in rechtlicher Hinsicht eine Verletzung von Art. 15 StGB. Es habe eine Notwehrsituation vorgelegen. Die Anwendung von Gewalt sei deshalb gerechtfertigt gewesen (E.2).

Das Bundesgericht äussert sich im Urteil 6B_113/2025 vom 11. Juni 2025 generell-abstrakt zum Thema Notwehr wie folgt:

«Wird jemand ohne Recht angegriffen oder unmittelbar mit einem Angriff bedroht, so ist der Angegriffene und jeder andere berechtigt, den Angriff in einer den Umständen angemessenen Weise abzuwehren (Art. 15 StGB; „rechtfertigende Notwehr“). Art. 16 StGB regelt die „entschuldbare Notwehr“: Überschreitet der Abwehrende die Grenzen der Notwehr nach Art. 15 StGB, so mildert das Gericht die Strafe (Abs. 1). Überschreitet der Abwehrende die Grenzen der Notwehr in entschuldbarer Aufregung oder Bestürzung über den Angriff, so handelt er nicht schuldhaft (Abs. 2).  

Notwehr ist nur so lange zulässig, wie der Angriff andauert. Der begonnene Angriff bleibt nur so lange gegenwärtig, als die Zufügung einer neuen oder die Vergrösserung der bereits eingetretenen Verletzung durch das Verhalten des Angreifers unmittelbar bevorsteht (vgl. BGE 102 IV 1 E. 2b; Urteile 6B_888/2024 vom 13. Januar 2025 E. 3.1.2; 6B_1092/2022 vom 9. Januar 2023 E. 3.2; je mit Hinweisen). Das strafbare Verhalten ist beim Dauerdelikt durch Herbeiführung eines rechtswidrigen Zustandes nicht abgeschlossen, sondern wird erst mit dessen Aufhebung beendet (Urteil 7B_13/2021 vom 5. Februar 2024 E. 3.4.1 mit Hinweisen). Nach der Rechtsprechung muss die Abwehr in einer Notwehrsituation nach der Gesamtheit der Umstände als verhältnismässig erscheinen. Eine Rolle spielen vor allem die Schwere des Angriffs, die durch den Angriff und die Abwehr bedrohten Rechtsgüter, die Art des Abwehrmittels und dessen tatsächliche Verwendung (BGE 136 IV 49 E. 3.2; 102 IV 65 E. 2a; Urteil 6B_813/2024 vom 10. Januar 2025 E. 3.1; je mit Hinweisen). Die Angemessenheit der Abwehr ist aufgrund jener Situation zu beurteilen, in der sich der rechtswidrig Angegriffene im Zeitpunkt seiner Tat befand. Es dürfen nicht nachträglich allzu subtile Überlegungen darüber angestellt werden, ob der Angegriffene sich nicht allenfalls auch mit anderen, weniger einschneidenden Massnahmen hätte begnügen können und sollen (BGE 136 IV 49 E. 3.2; 107 IV 12 E. 3a; Urteil 6B_73/2023 vom 28. Dezember 2023 E. 1.3.1; je mit Hinweisen). Besondere Zurückhaltung ist bei der Verwendung von gefährlichen Werkzeugen zur Abwehr (Messer, Schusswaffen etc.) geboten, da deren Einsatz stets die Gefahr schwerer oder gar tödlicher Verletzungen mit sich bringt. Angemessen ist die Abwehr, wenn der Angriff nicht mit weniger gefährlichen und zumutbaren Mitteln hätte abgewendet werden können, der Täter womöglich gewarnt worden ist und der Abwehrende vor der Benutzung des gefährlichen Werkzeugs das Nötige zur Vermeidung einer übermässigen Schädigung vorgekehrt hat. Auch ist eine Abwägung der auf dem Spiel stehenden Rechtsgüter unerlässlich. Doch muss deren Ergebnis für den Angegriffenen, der erfahrungsgemäss rasch handeln muss, mühelos erkennbar sein (BGE 136 IV 49 E. 3.3; Urteile 7B_13/2021 vom 5. Februar 2024 E. 3.3.3; 6B_521/2022 vom 7. November 2022 E. 3.1.3; je mit Hinweisen). Ein Notwehrexzess ist entschuldbar, wenn die Aufregung oder die Bestürzung des Täters allein oder zumindest vorwiegend auf den rechtswidrigen Angriff zurückzuführen ist. Überdies müssen Art und Umstände des Angriffs derart sein, dass sie die Aufregung oder die Bestürzung entschuldbar erscheinen lassen. Nicht jede geringfügige Erregung oder Bestürzung führt zu Straflosigkeit. Das Gericht hat einen umso strengeren Massstab anzulegen, je mehr die Reaktion des Täters den Angreifer verletzt oder gefährdet. Erforderlich ist, dass es dem Täter aufgrund der Aufregung oder Bestürzung über den Angriff nicht möglich war, besonnen und verantwortlich zu reagieren (Urteile 6B_694/2024 vom 4. November 2024 E. 1.1.3 mit Hinweisen; 7B_13/2021 vom 5. Februar 2024 E. 3.5.2; 6B_73/2023 vom 28. Dezember 2023 E. 1.3.1). Wird mit der Notwehrhandlung der Tod der angreifenden Person in Kauf genommen, muss sich die angegriffene Person in Todesangst befinden oder zumindest schwere Verletzungen befürchten (Urteile 7B_13/2021 vom 5. Februar 2024 E. 3.5.2; 6B_402/2022 vom 24. April 2023 E. 3.2; 6B_1454/2020 vom 7. April 2022 E. 3.3.2). Insoweit besteht trotz der absoluten Formulierung von Art. 16 Abs. 2 StGB ein gewisses Ermessen (vgl. BGE 102 IV 1 E. 3b; Urteile 6B_269/2023 vom 30. Juni 2023 E. 3.1; 6B_402/2022 vom 24. April 2023 E. 3.2; je mit Hinweisen).» (E.2.1).

Die Vorinstanz geht gemäss Bundesgericht von zwei Phasen der Auseinandersetzung aus: In der ersten Phase hinderte der Beschwerdegegner den Beschwerdeführer daran, die Türe zu schliessen, packte ihn an der Gurgel, stiess ihn gegen den Zimmerschrank und warf dessen Reisekoffer sowie Rucksack auf den Flur, um ihn zum Verlassen des Zimmers zu drängen. In der zweiten Phase begab sich der Beschwerdeführer auf den Flur und ergriff ein Messer. Zu diesem Zeitpunkt hätte er nach der verbindlichen Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz fliehen können, stattdessen griff er seinen Kontrahenten an.  Die Vorinstanz stellt sich auf den Standpunkt, der Angriff sei mit dem Ende der ersten Phase abgeschlossen gewesen, weshalb in der zweiten Phase keine Notwehrlage mehr vorgelegen habe, bemerkt das Bundesgericht weiter (E.2.2).

Das Bundesgericht äussert sich im Urteil 6B_113/2025 vom 11. Juni 2025 wie folgt:

«Der Beschwerdegegner wird von der Vorinstanz wegen Hausfriedensbruchs (Art. 186 StGB) verurteilt. Er verletzte damit das Hausrecht des Beschwerdeführers, das ein notwehrfähiges Rechtsgut darstellt (vgl. BGE 102 IV 1 E. 2; Urteile 7B_13/2021 vom 5. Februar 2024 E. 3.4.1; 6B_915/2017 vom 20. Dezember 2017 E. 2.5.1.; 6B_748/2013 vom 19. Juni 2014 E. 3). Zum Zeitpunkt der Messerattacke dauerte der rechtswidrige Angriff auf das Hausrecht an. Daran ändert auch die Möglichkeit der Flucht nichts. Auch wenn der Beschwerdeführer geflüchtet wäre, hätte der Angriff auf sein Hausrecht fortbestanden. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz lag somit auch in der zweiten Phase der Auseinandersetzung eine Notwehrlage im Sinne von Art. 15 StGB vor.» (E.2.3.1).

«Damit bleibt zu prüfen, ob der Beschwerdeführer die Grenzen der Notwehr im Sinne von Art. 16 Abs. 1 StGB überschritten hat. Gemäss der vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellung ergriff der Beschwerdeführer ein Brotmesser mit einer Klingenlänge von 26 cm und attackierte seinen Kontrahenten ohne Vorwarnung. Dabei fügte er diesem im Rahmen einer chaotischen und dynamischen Auseinandersetzung Verletzungen im Halsbereich zu, die potenziell lebensgefährlich waren. Diese Abwehr war hinsichtlich Schwere des Angriffs und der durch die Abwehr betroffenen Rechtsgüter offensichtlich unverhältnismässig. Als der Beschwerdeführer das Messer ergriff, fand sodann kein aktives Gerangel mehr statt. Es war ihm daher möglich, die Situation zu überblicken und zu erkennen, dass seine Handlung nicht das mildeste Mittel zur Beendigung des Angriffs darstellte. Zudem war für den Beschwerdeführer ohne Weiteres erkennbar, dass sein Angriff und die damit einhergehende Schädigung in keinem Verhältnis zum von ihm geschützten Rechtsgut standen. Der Beschwerdeführer handelte folglich in exzessiver Notwehr im Sinne von Art. 16 Abs. 1 StGB.» (E.2.3.2).

«Die exzessive Notwehr des Beschwerdeführers ist nicht entschuldbar im Sinne von Art. 16 Abs. 2 StGB. Wie bereits erwähnt (E. 2.1) ist hierbei ein umso strengerer Massstab anzulegen, je stärker die Reaktion des Abwehrenden den Angreifer verletzt oder gefährdet. Vorliegend war der Beschwerdegegner unbewaffnet. Der Beschwerdeführer gefährdete ihn insbesondere durch Schnitte mit dem Messer im Halsbereich erheblich. Entsprechend schwerwiegend hätte seine Aufregung oder Bestürzung über den Angriff sein müssen, um annehmen zu können, es sei ihm nicht möglich gewesen, besonnen und mit einem milderen Mittel zu reagieren. Sofern überhaupt von einer relevanten Bestürzung auszugehen ist, stand diese in keinem Verhältnis zum Ausmass der Überschreitung der Notwehrgrenze.» (E.2.3.3).

«Nach dem Gesagten verletzt die Vorinstanz Bundesrecht, indem sie fälschlicherweise nicht von einer Notwehrlage ausgeht und infolgedessen bei der Strafzumessung den Strafmilderungsgrund von Art. 16 Abs. 1 StGB unberücksichtigt lässt. Die Vorinstanz wird deshalb im Rahmen der Neubeurteilung die Strafe neu zu bestimmen haben.» (E.2.3.4).

«Die Beschwerde ist nach dem Gesagten teilweise gutzuheissen. Das angefochtene Urteil ist mit Bezug auf die ausgesprochene Strafe aufzuheben und im Sinne der Erwägungen zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Im Übrigen ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann.» (E.4).

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