Formular A bleibt strafrechtlich eine Urkunde

Im Urteil 6B_731/2021, 6B_737/2021 vom 24. November 2022 hatte das Bundesgericht einzelne Schweizer Handlungsstränge eines grossen Betrugsfalls der 1990er Jahre aus Deutschland zu beurteilen. Im Zentrum stand die Frage, ob das Formular A weiterhin als Urkunde angesehen werden soll. Nach eingehender Auseinandersetzung mit der bisherigen Praxis und diversen, auch kritischen, Stimmen aus der Lehre, hält das Bundesgericht ausdrücklich weiterhin an der Urkundenqualifikation des Formulars A fest (E.6.3.3. ff.).

Sachverhalt

C.C. war Haupttäter im sogenannten D.-Betrug der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts in Deutschland, bei welchem die betroffenen Leasinggesellschaften und Banken im Zeitraum 1994-2000 im Umfang von rund DM 3,45 Mrd. geschädigt worden waren. C.C. entnahm in den Jahren 1991 bis 2000 aus dem betrügerisch erlangten Gesellschaftsvermögen Gelder im Betrag von mehreren hundert Millionen DM, welche verdeckt u.a. in sein Privatvermögen und dasjenige seiner damaligen Ehefrau A. flossen.

Mit Urteilen vom 18. Dezember 2001 und 22. Mai 2003 verurteilte das Landgericht Mannheim/D u.a. C.C. wegen Betruges in 145 Fällen, bandenmässigen Betruges in weiteren 97 Fällen sowie wegen Kapitalanlagebetruges in Tateinheit mit versuchtem bandenmässigen Betrug zu einer langjährigen Freiheitsstrafe. A. war an den betrügerischen Handlungen im Umfeld der D. nicht beteiligt.

Die Staatsanwaltschaft für Wirtschaftsstraffälle und Organisierte Kriminalität des Kantons Thurgau eröffnete in den Jahren 2009, 2010 und 2012 gestützt auf eine Meldung der Meldestelle für Geldwäscherei (MROS) Strafuntersuchungen gegen A., ihren Rechtsanwalt E. sowie ihren früheren Ehemann C.C. wegen Geldwäscherei und anderen Delikten. Im Jahre 2013 dehnte sie die Strafverfahren auf die beiden Kinder von A. und C.C. aus.

Mit Urteil vom 28. Januar 2016 erklärte das Bezirksgericht Frauenfeld A. u.a. der mehrfachen bandenmässigen Geldwäscherei und der mehrfachen Geldwäscherei sowie E. und C.C. u.a. der bandenmässigen Geldwäscherei schuldig und verurteilte sie zu teilbedingten bzw. bedingten Freiheitsstrafen und Geldstrafen. Überdies verurteilte es sie zu Ersatzforderungen zugunsten des Kantons Thurgau. In verschiedenen Anklagepunkten ergingen Freisprüche; in weiteren Punkten wurde das Verfahren eingestellt. Die Kinder von A. und C.C. wurden freigesprochen, soweit das Verfahren nicht eingestellt wurde.

Prozessuale Vorgeschichte

Mit Urteil vom 25. September 2018 bestätigte das Obergericht des Kantons Thurgau die erstinstanzlichen Schuld- und Freisprüche sowie die Verurteilung zu bedingten bzw. teilbedingten Freiheitsstrafen.

Das Bundesgericht hiess am 6. August 2019 die von den Beurteilten geführten Beschwerden in Strafsachen gut, hob das obergerichtliche Urteil auf und wies die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurück (Urteile 6B_1208/2018 und 6B_1209/2018 [auszugsweise publiziert in: BGE 145 IV 335] sowie 6B_1199/2018; je vom 6. August 2019).

Mit Urteil vom 13. Januar/5. Mai 2021 erklärte das Obergericht des Kantons Thurgau A. der mehrfachen Urkundenfälschung schuldig und verurteilte sie zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je Fr. 200.– (unter Anrechnung von 34 Tagen ausgestandener Untersuchungshaft), bedingt vollziehbar bei einer Probezeit von zwei Jahren, sowie zu einer Busse von Fr. 4’800.–, bzw. zu 24 Tagen Ersatzfreiheitsstrafe bei schuldhafter Nichtbezahlung. Es sprach sie von den Vorwürfen der mehrfachen bandenmässigen Geldwäscherei (Anklage-Ziffer 2.2), der mehrfachen Geldwäscherei (Anklage-Ziffern 2.2.1-7, 2.2.1-12.8.2 und 2.2.1-12.3.3) und der Erschleichung einer Falschbeurkundung (Anklage-Ziffer 2.2.1-4) frei und stellte das Verfahren in Bezug auf die Vorwürfe der Geldwäscherei (Anklage-Ziffern 2.2.2, 2.2.4 und 2.2.1-5) ein. Sie wurde zudem vom Vorwurf der gewerbsmässigen Geldwäscherei, der mehrfachen Veruntreuung, des Betrugs und der Anstiftung zur Urkundenfälschung freigesprochen, soweit das Verfahren nicht eingestellt wurde.  A. wurden die Kosten des Strafverfahrens bis und mit dem Berufungsverfahren SBR.2016.8/9/10/11 im Umfang von Fr. 6’800.– sowie die Kosten ihrer Verteidigung bis und mit dem Berufungsverfahren SBR.2016.8/9/10/11 im Umfang von Fr. 8’000.– (inkl. Barauslagen und MwSt.) auferlegt. Ihr wurde vom Staat (Staatsanwaltschaft) eine Entschädigung für das Strafverfahren bis und mit dem Berufungsverfahren SBR.2016.8/9/10/11 von Fr. 951’933.20 und für das Berufungsverfahren SBR.2019.67 eine Entschädigung von Fr. 27’913.30 (inkl. Barauslagen und MwSt.) zugesprochen. Im Mehrbetrag wurden ihre Forderungen abgewiesen. Die Kosten des obergerichtlichen Verfahrens wurden auf die Staatskasse genommen. Es wurde zudem am 5. Mai 2021 angeordnet, dass sämtliche Entschädigungsansprüche von A. dem Konkursamt U. zu Handen ihrer Konkursmasse auszurichten seien und, sofern der Konkurs über sie rechtskräftig widerrufen werde, dem Betreibungsamt V. auszurichten seien.

Gegen dieses Urteil erheben A. und die B. AG gemeinsam Beschwerde in Strafsachen. Sie ersuchen gleichzeitig um aufschiebende Wirkung der Beschwerde.  A. (Beschwerdeführerin 1) und die B. AG (Beschwerdeführerin 2) beantragen, das Urteil des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 13. Januar 2021 sei aufzuheben und A. sei von den Vorwürfen der mehrfachen Urkundenfälschung freizusprechen. Eventualiter sei das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Die Dispositiv-Ziffern 7a und 7b des angefochtenen Urteils seien aufzuheben und es sei anzuordnen, dass die A. zugesprochene Prozessentschädigung an das Betreibungsamt V. zu überweisen sei. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens seien auf die Staatskasse zu nehmen. A. sei für ihre anwaltliche Aufwendungen a

Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 6B_731/2021, 6B_737/2021 vom 24. November 2022

Die Beschwerdeführerin rügte verschiedene Punkte, welche hier nicht dargestellt werden. Dabei wurden zwei Verfahren durch das Bundesgericht vereinigt.

Wir fokussieren uns auf die Rüge betreffend dem Formular A. Die Beschwerdeführerin 1 rügt vor Bundesgericht eine falsche Anwendung von Art. 251 StGB. Dem Formular A sei in Abänderung der bisherigen bundesgerichtlichen Rechtsprechung keine erhöhte Glaubwürdigkeit mehr zuzuerkennen (E.6.1).

Gemäss Art. 251 Ziff. 1 StGB macht sich, wie das Bundesgericht einleitend ausführt, unter anderem strafbar, wer in der Absicht, jemanden am Vermögen oder an anderen Rechten zu schädigen oder sich oder einem anderen einen unrechtmässigen Vorteil zu verschaffen, eine Urkunde fälscht oder verfälscht (E.6.3.1).

Die Falschbeurkundung betrifft gemäss dem Bundesgericht die Errichtung einer echten, aber unwahren Urkunde, bei der der wirkliche und der in der Urkunde enthaltene Sachverhalt nicht übereinstimmen. Sie erfordert eine qualifizierte schriftliche Lüge. Eine solche nimmt die Rechtsprechung an, wenn dem Schriftstück eine erhöhte Glaubwürdigkeit zukommt und der Adressat ihm daher ein besonderes Vertrauen entgegenbringt. Dies ist der Fall, wenn allgemeingültige objektive Garantien die Wahrheit der Erklärung gegenüber Dritten gewährleisten, die gerade den Inhalt bestimmter Schriftstücke näher festlegen (BGE 146 IV 258 E. 1.1 S. 260 f.; 144 IV 13 E. 2.2.2 S. 14 f.; je mit Hinweisen). Eine objektive Garantie für die Wahrheit kann sich unter anderem aus einer garanieähnlichen Stellung des Ausstellers ergeben bzw. wenn dieser in einem besonderen Vertrauensverhältnis zum Empfänger steht (BGE 144 IV 13 E. 2.2.3 S. 15 mit Hinweisen).  (E.6.3.2).

Das Bundesgericht nimmt nachfolgend, wie folgt, im Urteil 6B_731/2021, 6B_737/2021 vom 24. November 2022 zum Thema «Formular A» Stellung:

«Das Bundesgericht hat wiederholt festgehalten, dass dem Formular A, welches die Finanzintermediäre zur Feststellung der wirtschaftlich berechtigten Person nach Art. 4 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Bekämpfung der Geldwäscherei und der Terrorismusfinanzierung vom 10. Oktober 1997 (GwG; SR 955.0) von ihren Kunden verlangen, betreffend die Angaben zum wirtschaftlich Berechtigten erhöhte Glaubwürdigkeit und somit Urkundenqualität zukommt (BGE 139 II 404 E. 9.9.2 S. 443; Urteile 6B_1270/2021 vom 2. Juni 2022 E. 4.1.3, zur Publ. vorgesehen; 6B_1172/2021 vom 26. Januar 2022 E. 4.3; je mit Hinweisen; 6P.144/2005 und 6P.464/2005 vom 15. Juni 2006 E. 7.2.2; 6S.293/2005 vom 24. Februar 2006 E. 8.2, in: SJ 2006 I 309; 6S.346/1999 vom 30. November 1999 E. 4c, in: SJ 2000 I 234). Ein Formular A, dessen Inhalt in Bezug auf die Person des wirtschaftlich Berechtigten unrichtig ist, stellt demnach eine Falschbeurkundung im Sinne von Art. 251 StGB dar (Urteil 6B_1270/2021 vom 2. Juni 2022 E. 4.1.3 zur Publ. vorgesehen).» (E.6.3.3).

«Diese Rechtsprechung ist in der Literatur teils auf Kritik gestossen.  Nach einem Teil der Lehre richtet sich die gesetzliche Verpflichtung zur Ermittlung des wirtschaftlich Berechtigten ausschliesslich an den Finanzintermediär und nicht an den Erklärenden, sodass der Erklärung der Kunden des Finanzintermediärs keine erhöhte Glaubwürdigkeit zukomme (vgl. NIGGLI/MUSKENS, Unwahre Angaben im Formular A als Falschbeurkundung?, in: Droit pénal et criminologie, Mélanges en l’honneur de Nicolas Queloz, 2020, S. 185 ff.; MARCEL ALEXANDER NIGGLI, Die Verfügung als Falschbeurkundung, ContraLegem 2021/1, S. 16). 

Andere Autoren gehen davon aus, dem Formular A sei keine erhöhte Glaubwürdigkeit zuzuschreiben, sofern dem Kunden des Finanzintermediärs keine besondere Vertrauensstellung zukomme, welche eine erhöhte Glaubwürdigkeit seiner Erklärung rechtfertige (vgl. DETLEV MICHAEL BASSE-SIMONSOHN, Geldwäschereibekämpfung und organisiertes Verbrechen, Diss. Bern 2002, S. 295 f.; MARLÈNE KISTLER, La vigilance requise en matière d’opérations financières, Diss. Zürich 1994, S. 114 f. Fn. 262; MARKUS BOOG, in: Basler Kommentar, Strafrecht II, 4. Aufl. 2019, N. 130 zu Art. 251 StGB; PATRICK UMBACH, Strafrechtliche Verantwortlichkeit des Anwaltes, Treuhänders und weiterer Gründungsgehilfen bei der Gründung von Gesellschaften, Diss. Zürich 2000, S. 81). 

Zum Teil wird die bundesgerichtliche Rechtsprechung als grundsätzlich falsch kritisiert, mit Hinweis darauf, dass eine „verkehrte Welt“ entstehen würde, wenn der Kunde, der gegenüber dem Bankier bei der Kontoeröffnung inhaltlich unrichtige Angaben über den wirtschaftlich Berechtigten mache, wegen Falschbeurkundung zu bestrafen wäre, während der Bankier, der vorsätzlich den wirtschaftlich Berechtigten falsch identifiziere, nach Art. 305ter StGB mit Freiheitsstrafe von maximal 1 Jahr bedroht wäre (GUNTHER ARZT, Strafbarkeit juristischer Personen: Andersen, vom Märchen zum Alptraum, SZW 2002, S. 232; ders., Strafrechtliche Risiken aus Sicht des schweizerischen Rechts für Bankmitarbeiter und Vermögensverwalter bei Dienstleistungen für ausländische Klienten, in: Ackermann/Wohlers [Hrsg.], Finanzmarkt ausser Kontrolle?, Selbstregulierung – Aufsichtsrecht – Strafrecht, 3. Zürcher Tagung zum Wirtschaftsstrafrecht, 2009, S. 35; ders., Bankkunden, Bankformulare, Falschbeurkundung, recht 2010, S. 38; grundsätzlich zustimmend TRECHSEL/ERNI, in: Trechsel/Pieth [Hrsg.], Schweizerisches Strafgesetzbuch, Praxiskommentar, 4. Aufl. 2021, N. 23 Vor Art. 251 StGB). 

Weitere Autoren schliessen sich der bundesgerichtlichen Rechtsprechung an, ohne diese näher zu kommentieren (vgl. WERNER DE CAPITANI, in: Schmid [Hrsg.], Kommentar, Einziehung, Organisiertes Verbrechen, Geldwäscherei, 2002, N. 108 zu Art. 4 GwG; DUPUIS ET AL., in: Petit commentaire, Code pénal, 2. Aufl. 2017, N. 39 zu Art. 251 StGB; JOSITSCH/VON ROTZ, Das Finanzmarktstrafrecht der Schweiz, SZW 2016, S. 605; DANIEL KINZER, in: Commentaire romand, Code pénal II, 2017, N. 67 zu Art. 251 StGB; LIEBI/CONOD, in: Stämpflis Handkommentar, Geldwäschereigesetz [GwG], 2017, N. 65 zu Art. 4 GwG; MANUEL INDERBITZIN, StGB Annotierter Kommentar, 2020, N. 22 zu Art. 251 StGB; PETER NOBEL, Schweizerisches Finanzmarktrecht, 4. Aufl. 2019, S. 1503; MEYER/RYHNER, in: Basler Kommentar, Geldwäschereigesetz, 2021, N. 94 zu Art. 4 GwG; MONIKA ROTH, Die Spielregeln des Private Banking in der Schweiz, 4. Aufl. 2016, S. 202 f.).» (E.6.3.4).

Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerinnen und trotz der erwähnten Kritik in der Literatur besteht, wie das Bundesgericht erklärt, aber kein Anlass für eine Praxisänderung. (E.6.4).

Das Bundesgericht begründet das Festhalten an seiner Praxis zu Formular A im Urteil 6B_731/2021, 6B_737/2021 vom 24. November 2022 detailliert wie folgt:

«Eine Änderung der Rechtsprechung muss sich auf ernsthafte sachliche Gründe stützen können, die – vor allem im Hinblick auf das Gebot der Rechtssicherheit – umso gewichtiger sein müssen, je länger die als falsch oder nicht mehr zeitgemäss erkannte Rechtsanwendung für zutreffend erachtet worden ist. Eine Praxisänderung lässt sich grundsätzlich nur begründen, wenn die neue Lösung besserer Erkenntnis des Gesetzeszweckes, veränderten äusseren Verhältnissen oder gewandelten Rechtsanschauungen entspricht, andernfalls ist die bisherige Praxis beizubehalten (BGE 145 III 303 E. 4.1.2 S. 308; 145 I 227 E. 4 S. 232; je mit Hinweisen). Wie hiervor (vgl. oben E. 6.3.3) aufgezeigt, hat das Bundesgericht seine Rechtsprechung, wonach dem Formular A betreffend die Angaben zum wirtschaftlich Berechtigten erhöhte Glaubwürdigkeit und somit Urkundenqualität zukommt, im Urteil 6S.346/1999 vom 30. November 1999 begründet und seither mehrfach bestätigt. Wie nachfolgend aufgezeigt wird, ist weder eine bessere Erkenntnis des Gesetzeszweckes noch ein rechtserheblicher Grund auszumachen, der eine Änderung der langjährigen Rechtsprechung nahelegen würde.» (E.6.4.1).

«Die Tatbestände des Urkundenstrafrechts dienen dem Schutz von Sicherheit und Zuverlässigkeit des Rechtsverkehrs mit Urkunden. Sie schützen das besondere Vertrauen, welches von den Teilnehmern am Rechtsverkehr einer Urkunde als Beweismittel entgegengebracht wird (BGE 140 IV 155 E. 3.3.3 S. 159 mit Hinweisen).» (E.6.4.2)

«Das Gesetz auferlegt Finanzintermediären, namentlich den Banken (Art. 2 Abs. 1 lit. a und Abs. 2 lit. a GwG), die Pflicht, die wirtschaftlich berechtigte Person mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt festzustellen (Art. 4 Abs. 1 Satz 1 GwG). Zu diesem Zweck sieht Art. 4 Abs. 2 GwG vor, dass der Finanzintermediär von der Vertragspartei eine schriftliche Erklärung darüber einholen muss, wer die wirtschaftlich berechtigte natürliche Person ist, wenn die Vertragspartei nicht mit der wirtschaftlich berechtigten Person identisch ist oder daran Zweifel bestehen (lit. a), wenn die Vertragspartei eine Sitzgesellschaft oder eine operativ tätige juristische Person ist (lit. b) oder wenn ein Kassageschäft von erheblichem Wert nach Art. 3 Abs. 2 GwG getätigt wird (lit. c). In diesem Sinn bestimmt auch Art. 27 Abs. 1 der Vereinbarung über die Standesregeln zur Sorgfaltspflicht der Banken vom 13. Juni 2018 (VSB 20), dass die Bank in bestimmten Fällen – u.a. bei Kontoeröffnungen (Art. 27 Abs. 3 lit. a VSB 20) – vom Vertragspartner eine Erklärung darüber zu verlangen hat, wer an den Vermögenswerten wirtschaftlich berechtigt ist. Das Gesetz verpflichtet den Vertragspartner des Finanzintermediärs, eine solche schriftliche Erklärung abzugeben, um dem Finanzintermediär die Identifizierung des wirtschaftlich Berechtigten zu ermöglichen (vgl. Urteile 6B_844/2011 vom 18. Juni 2012 E. 2.2; 6S.293/2005 vom 24. Februar 2006 E. 8.2.1; 6S.346/1999 vom 30. November 1999 E. 4c). Eine solche Erklärung ist daher gesetzlich vorgeschrieben (Urteile 6B_383/2019 vom 8. November 2019 E. 8.3.3.2, nicht publ. in: BGE 145 IV 470; 6S.293/2005 vom 24. Februar 2006 E. 8.2.1, in: SJ 2006 I 309; 6S.346/1999 vom 30. November 1999 E. 4c [„instaurée par la loi“], in: SJ 2000 I 234). Der Einwand der Beschwerdeführerinnen, eine Erklärungspflicht der Bankkunden gestützt auf Art. 4 GwG sei „gesetzeswidrig“ (Beschwerde S. 23), geht damit fehl.» (E.6.4.3)

«Der Mitarbeiter des Finanzintermediärs, welcher die Erklärung des Vertragspartners im Formular A über die wirtschaftliche Berechtigung an den Vermögenswerten entgegennimmt, darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass diese der Wahrheit entspricht. Finanzintermediäre sind in der Regel nicht verpflichtet, die inhaltliche Richtigkeit der auf einer Erklärung gemäss Formular A enthaltenen Angaben zu überprüfen (DETLEV MICHAEL BASSE-SIMONSOHN, a.a.O., S. 274; CLAUDIA GEIGER, Der wirtschaftlich Berechtigte im Sinne der Vereinbarung über die Standesregeln zur Sorgfaltspflicht der Banken [VSB], Diss. Bern 2006, S. 56; GEORG FRIEDLI, Tätigkeitsbericht der Aufsichtskommission zur Sorgfaltspflicht der Banken 1995-1997, SZW 1998, S. 101; HONEGGER/ FREY, Sorgfaltspflichten und Geldwäscherei, SJZ 90/1994, S. 343; je mit Hinweisen). Nur wenn ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit der Erklärung des Kunden bestehen, sind weitere Abklärungen über die wirtschaftliche Berechtigung notwendig (DETLEV MICHAEL BASSE-SIMONSOHN, a.a.O., S. 274; CLAUDIA GEIGER, a.a.O., S. 56). Auch wenn der Finanzintermediär daher unter bestimmten Umständen weitere Abklärungen betreffend die wirtschaftliche Berechtigung treffen muss, kann er sich nicht an die Stelle der Vertragspartei setzen und die Identität der wirtschaftlich Berechtigten direkt feststellen (Urteil 6S.346/1999 vom 30. November 1999 E. 4c, in: SJ 2000 I 234, S. 237; SYLVAIN MATTHEY, La notion d’ayant droit économique en droit bancaire suisse, in: Freiheit und Ordnung im Kapitalmarktrecht, Festgabe für Jean-Paul Chapuis, 1998, S. 74; GUY STANISLAS, Ayant droit economique et droit civil: le devoir de renseignements de la banque, SJ 1999 II 413, S. 419 f.). Es ist vielmehr die Vertragspartei des Finanzintermediärs, welche das Formular A auf eigene Verantwortung ausfüllt. Der Finanzintermediär besitzt gegenüber einer solchen Erklärung praktisch keine Überprüfungsmöglichkeit. Er darf und muss sich grundsätzlich darauf verlassen können, dass die im Formular A gemachten Angaben betreffend die wirtschaftliche Berechtigung den wahren Gegebenheiten entsprechen (vgl. HEIM/WETTSTEIN, VSB 2020, Praxiskommentar zur Vereinbarung über die Standesregeln zur Sorgfaltspflicht der Banken, 4. Aufl. 2019, N. 39 zu Art. 27 Abs. 1 VSB 2020).  

Die Ansicht der Beschwerdeführerinnen würde dazu führen, dass der Finanzintermediär sich bei Kontoeröffnungen nicht (mehr) auf die Richtigkeit der Angaben der Vertragspartei im Formular A verlassen könnte und folglich das wirtschaftliche Umfeld seiner zukünftigen Kunden stets und vorbehaltlos einer vertieften Überprüfung unterwerfen müsste. Damit würde jedoch der Aufwand bei Kontoeröffnungen ins Unverhältnismässige steigen (vgl. JEAN-PAUL CHAPUIS, Sorgfaltspflichten der Banken, ZBJV 128/1992, S. 160), bzw. gegen das gesetzlich verankerte Verhältnismässigkeitsprinzip verstossen, wonach der Finanzintermediär verpflichtet ist, „mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt“ die Identität des wirtschaftlich Berechtigten festzustellen (Art. 4 Abs. 1 Satz 1 GwG; Art. 305ter Abs. 1 StGB; vgl. dazu Botschaft über die Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches [Gesetzgebung über Geldwäscherei und mangelnde Sorgfalt bei Geldgeschäften] vom 12. Juni 1989, BBl 1989 II 1089, wonach der Verweis auf „die nach den Umständen gebotene Sorgfalt“ der Durchsetzung des Verhältnismässigkeitsprinzips dient bzw. die „Grenze zumutbarer Abklärungen“ markiert; in diesem Sinne auch MARK PIETH, in: Basler Kommentar, Strafrecht I, 4. Aufl. 2019, N. 22 zu Art. 305ter StGB). Nach dem Gesagten ist in Bestätigung der bundesgerichtlichen Rechtsprechung festzuhalten, dass dem Formular A in Bezug auf die Angaben zum wirtschaftlich Berechtigten erhöhte Glaubwürdigkeit und somit Urkundenqualität zukommt.» (E.6.4.4).

Die Beschwerden werden durch das Bundesgericht im Urteil 6B_731/2021, 6B_737/2021 vom 24. November 2022 abgewiesen, soweit darauf eingetreten wurde (E.7).

 

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