Erhöhte Kollusionsgefahr bei Delikten im Zuhälter- und Rotlichtmilieu

Im Urteil 7B_417/2023 vom 4. September 2023 aus dem Kanton Schaffhausen befasste sich das Bundesgericht mit der Frage der Kollusionsgefahr bei Delikten aus dem Zuhälter- und Rotlichtmilieu. Das Bundesgericht nahm hierzu u.a. wie folgt Stellung: «Es gilt weiter zu beachten, dass sich die überwiegende Mehrheit der Verfahrensbeteiligten des vorliegenden Verfahrens im Zuhälter- bzw. Rotlichtmilieu bewegen. Wie die Vorinstanz nachvollziehbar ausführt, begünstigt das damit verbundene Machtgefälle zwischen den noch jungen mutmasslichen Opfer und den Beschuldigten Kollusionshandlungen zusätzlich […]. Das Kollusionsrisiko erscheint damit mit Blick auf die bereits erfolgten Verdunkelungshandlungen des Beschwerdeführers gar erhöht zu sein. Zu beachten ist weiter auch, dass der Tatvorwurf des Menschenhandels und der Förderung der Prostitution bisher primär auf den Aussagen der mutmasslichen Opfer fusst. Es handelt sich somit um einen Indizienprozess und den ungetrübten Aussagen der mutmasslichen Opfer kommt daher ein grosser Stellenwert zu. Mit Blick auf die Schwere der Tatvorwürfe besteht somit ein erhebliches öffentliches Interesse daran, die Zeugen und Auskunftspersonen vor einer Einflussnahme abzuschirmen.» (E.3.5.3).

Sachverhalt

Die Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen führt eine Strafuntersuchung gegen A. wegen des Verdachts auf Menschenhandel, Förderung der Prostitution, Pornografie, Betrug und weiterer Delikte. Im Wesentlichen wird ihm vorgeworfen, zusammen mit B., C. und D. mit mehrheitlich minderjährigen Frauen Kontakt aufgenommen und diese aufgefordert zu haben, ihnen Nacktbilder zu schicken. Danach sollen sie die Frauen über die Webseite E. gegen Entgelt zur Vornahme von sexuellen Handlungen an Freier vermittelt haben. A. wurde am 6. Mai 2022 polizeilich festgenommen und am 7. Mai 2022 wieder entlassen. Am 15. November 2022 wurde er erneut festgenommen und mit Verfügung des Kantonsgerichts Schaffhausen, als Zwangsmassnahmengericht, vom 16. November 2022 bis am 16. Januar 2023 in Untersuchungshaft versetzt. Am 28. November 2022 erfolgte seine vorzeitige Haftentlassung. In der Folge wurde A. am 14. März 2023 abermals festgenommen und mit Verfügung des Zwangsmassnahmengerichts vom 17. März 2023 bis vorläufig längstens am 14. Juni 2023 in Untersuchungshaft versetzt.

Instanzenzug

Am 6. Juni 2023 stellte A. ein Gesuch um Haftentlassung. Daraufhin beantragte die Staatsanwaltschaft beim Zwangsmassnahmengericht am 9. Juni 2023 die Abweisung des Haftentlassungsgesuch und stellte gleichzeitig ein Gesuch um Haftverlängerung. Mit Verfügung vom 19. Juni 2023 verlängerte das Zwangsmassnahmengericht die Untersuchungshaft bis am 14. September 2023 und wies das Gesuch um Haftentlassung ab. Die von A. dagegen erhobene Beschwerde wies das Obergericht des Kantons Schaffhausen mit Entscheid vom 2. August 2023 ab.

Weiterzug ans Bundesgericht

Mit Eingabe vom 8. August 2023 führt A. Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht. Er beantragt, unter Aufhebung des Entscheids des Obergerichts vom 2. August 2023 und der Verfügung des Zwangsmassnahmengerichts vom 19. Juni 2023 sei er unverzüglich aus der Untersuchungshaft zu entlassen. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen, wobei diesfalls eine Verletzung des Beschleunigungsgebots in Haftsachen durch die Vorinstanz festzustellen sei. In prozessualer Hinsicht ersucht er um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege.

Die Vorinstanz beantragt unter Hinweis auf den angefochtenen Entscheid die Abweisung der Beschwerde. Die Staatsanwaltschaft schliesst im Rahmen ihrer Vernehmlassung ebenfalls auf Abweisung der Beschwerde. Der Beschwerdeführer hat repliziert.

Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 7B_417/2023 vom 4. September 2023

Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid betreffend die Anordnung von Untersuchungshaft (E.1.1).

Das Bundesgericht führt zunächst allgemein aus:

«Nach Art. 221 Abs. 1 StPO sind Untersuchungs- und Sicherheitshaft zulässig, wenn die beschuldigte Person eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtig ist und zudem ein besonderer Haftgrund (Flucht-, Kollusions- oder Wiederholungsgefahr) gegeben ist. An Stelle der Haft sind Ersatzmassnahmen anzuordnen, wenn sie den gleichen Zweck wie die Haft erfüllen (Art. 212 Abs. 2 lit. c und Art. 237 ff. StPO).» (E.2.1)

Im vorliegenden Fall ging es im Urteil 7B_417/2023 vom 4. September 2023 um Kollusionsgefahr:

«Die Vorinstanz bejahte den dringenden Tatverdacht und ging von Kollusionsgefahr aus. Hinsichtlich des Vorwurfs, er habe Frauen, die mehrheitlich noch minderjährig gewesen seien, über eine Internetseite an Freier zur Vornahme von sexuellen Handlungen vermittelt, moniert der Beschwerdeführer in Bezug auf mehrere Frauen, sie seien ihm nicht bekannt bzw. es könnten keine Verbindungen zu ihm nachgewiesen werden. Soweit er damit den von der Vorinstanz bejahten dringenden Tatverdacht auf Menschenhandel, Förderung der Prostitution, Pornografie, Betrug und weiterer Delikte in Frage zu stellen versucht, erweist sich die Beschwerde als unbegründet, zumal fraglich ist, ob die Beschwerde insoweit überhaupt den Begründungsanforderungen (statt vieler: BGE 148 IV 205 E. 2.6) genügt. Wie die Vorinstanz überzeugend ausführt, lässt bereits der sich bei den Akten befindende Chat zwischen dem Beschwerdeführer und dem Mitbeschuldigten D.________, in welchem u.a. die Vermittlung von acht Frauen an Freier diskutiert wird, aufgrund des aktuellen Ermittlungsstands die Schlussfolgerung zu, dass hinreichend konkrete Verdachtsmomente vorliegen, der Beschwerdeführer könnte mit erheblicher Wahrscheinlichkeit die Tatbestandsmerkmale der ihm vorgeworfenen Delikte erfüllt haben. Dies gilt umso mehr, als die Vorinstanz bei der Prüfung des dringenden Tatverdachts keine erschöpfende Abwägung sämtlicher belastender und entlastender Beweisergebnisse vornehmen und auch keine eigentliches Beweisverfahren durchführen musste (BGE 143 IV 330 E. 2.1; Urteil 7B_154/2023 vom 13. Juli 2023 E. 5.2).» (E.2.2)

Der Beschwerdeführer wendet sich vor Bundesgericht gegen die vorinstanzliche Annahme der Kollusionsgefahr und rügt diesbezüglich eine Verletzung von Art. 221 Abs. 1 lit. b StPO. In diesem Zusammenhang macht er zudem an verschiedenen Stellen eine willkürliche Sachverhaltsfeststellung sowie Verletzungen des Willkürverbots (Art. 9 BV) geltend. (E.3)

Das Bundesgericht beschreibt den besonderen Haftgrund der Kollusionsgefahr wie folgt:

«Der besondere Haftgrund der Kollusionsgefahr liegt vor, wenn ernsthaft zu befürchten ist, dass der oder die Beschuldigte Personen beeinflusst oder auf Beweismittel einwirkt, um so die Wahrheitsfindung zu beeinträchtigen (Art. 221 Abs. 1 lit. b StPO). Verdunkelung kann nach der bundesgerichtlichen Praxis insbesondere in der Weise erfolgen, dass sich die beschuldigte Person mit Zeugen, Auskunftspersonen, Sachverständigen oder Mitbeschuldigten ins Einvernehmen setzt oder sie zu wahrheitswidrigen Aussagen veranlasst oder Spuren und Beweismittel beseitigt. Untersuchungshaft wegen Kollionsgefahr soll verhindern, dass die beschuldigte Person die wahrheitsgetreue Abklärung des Sachverhalts vereitelt oder gefährdet. Die theoretische Möglichkeit, dass sie kolludieren könnte, genügt indessen nicht, um Untersuchungshaft unter diesem Titel zu rechtfertigen. Es müssen vielmehr konkrete Indizien für die Annahme von Verdunkelungsgefahr sprechen. Das Vorliegen des Haftgrundes ist nach Massgabe der Umstände des jeweiligen Einzelfalles zu prüfen (BGE 137 IV 122 E. 4.2; 132 I 21 E. 3.2; Urteil 1B_15/2023 vom 24. Januar 2023 E. 3.1; je mit Hinweisen).» (E.3.1)

«Konkrete Anhaltspunkte für Kollusionsgefahr können sich nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes namentlich aus dem bisherigen Verhalten der beschuldigten Person im Strafprozess, aus ihren persönlichen Merkmalen, aus ihrer Stellung und ihren Tatbeiträgen im Rahmen des untersuchten Sachverhaltes sowie aus den persönlichen Beziehungen zwischen ihr und die sie belastenden Personen ergeben. Bei der Frage, ob im konkreten Fall eine massgebliche Beeinträchtigung des Strafverfahrens wegen Verdunkelung droht, ist auch der Art und Bedeutung der von Beeinflussung bedrohten Aussagen bzw. Beweismittel, der Schwere der untersuchten Straftaten sowie dem Stand des Verfahrens Rechnung zu tragen (BGE 132 I 21 E. 3.2.1 mit Hinweisen). Je weiter das Strafverfahren vorangeschritten ist und je präziser der Sachverhalt bereits abgeklärt werden konnte, desto höhere Anforderungen sind an den Nachweis von Verdunkelungsgefahr zu stellen (BGE 137 IV 122 E. 4.2; 132 I 21 E. 3.2.2; Urteil 1B_149/2023 vom 11. April 2023 E. 3.1).» (E.3.2)

Anschliessend gibt das Bundesgericht im Detail die Ausführungen der Vorinstanz wider (E.3.3.1 ff.).

Die Einwände der Vorinstanz lassen die Annahme von Kollusionsgefahr durch die Vorinstanz gemäss dem Bundesgericht nicht als bundesrechtswidrig erscheinen (E.3.5).

Dazu führt das Bundesgericht im Urteil 7B_417/2023 vom 4. September 2023 insbesondere aus:

«Es gilt weiter zu beachten, dass sich die überwiegende Mehrheit der Verfahrensbeteiligten des vorliegenden Verfahrens im Zuhälter- bzw. Rotlichtmilieu bewegen. Wie die Vorinstanz nachvollziehbar ausführt, begünstigt das damit verbundene Machtgefälle zwischen den noch jungen mutmasslichen Opfer und den Beschuldigten Kollusionshandlungen zusätzlich (Urteile 1B_560/2022 vom 22. November 2022 E. 4.3; 1P.356/2005 vom 30. Juni 2005 E. 3.1). Das Kollusionsrisiko erscheint damit mit Blick auf die bereits erfolgten Verdunkelungshandlungen des Beschwerdeführers gar erhöht zu sein. Zu beachten ist weiter auch, dass der Tatvorwurf des Menschenhandels und der Förderung der Prostitution bisher primär auf den Aussagen der mutmasslichen Opfer fusst. Es handelt sich somit um einen Indizienprozess und den ungetrübten Aussagen der mutmasslichen Opfer kommt daher ein grosser Stellenwert zu. Mit Blick auf die Schwere der Tatvorwürfe besteht somit ein erhebliches öffentliches Interesse daran, die Zeugen und Auskunftspersonen vor einer Einflussnahme abzuschirmen (Urteil 1B_196/2021 vom 11. Mai 2021 E. 3.3). Wie die Staatsanwaltschaft in ihrer Vernehmlassung ausführt, sind die umfangreichen Akten und Daten überdies noch nicht abschliessend ausgewertet und liegen unterdessen die aufgearbeiteten Daten von Twint und Snapchat vor, die weitere Erkenntnisse lieferten. So konnte beispielsweise mit X. ein weiteres mutmassliches Opfer ausfindig gemacht werden und ist deren Einvernahme bereits geplant. Die Akten bestätigen zudem die Ausführung der Vorinstanz, wonach die bisher durchgeführten Ermittlungshandlungen fortlaufend Hinweise auf weitere mögliche Opfer und Freier lieferten. Der rechtserhebliche Sachverhalt betreffend den effektiven Umfang des Menschenhändlerrings ist damit noch nicht geklärt. Wie die Vorinstanz plausibel ausführt, besteht aufgrund der teilweise widersprüchlichen Aussagen des Beschwerdeführers und der mutmasslichen Opfer sowie des Aussageverhaltens der Mitbeschuldigten insbesondere keine Klarheit, welche Rollen die Beschuldigten konkret hatten und wie sich unter ihnen die Aufgabenverteilung gestaltete.» (E.3.5.3)

«Würdigt man diese Umstände gesamthaft, hält es vor Bundesrecht stand, wenn die Vorinstanz bereits mit Blick auf die mutmasslichen Opfer und die drei Mitbeschuldigten zur Schlussfolgerung gelangt, zum gegenwärtigen Stand der Untersuchung bestehe weiterhin die konkrete Gefahr, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Freilassung versuchen könnte, den Fortgang des Strafverfahrens mittels Verdunkelungshandlungen zu seinen Gunsten zu beeinflussen. Damit kann offenbleiben, ob ein Kollusionsrisiko auf in Bezug auf die Freier besteht. Zusammengefasst hat die Vorinstanz den Haftgrund der Kollusionsgefahr gemäss Art. 221 Abs. 1 lit. b StPO somit bundesrechtskonform bejaht.» (E.3.6)

Das Bundesgericht wies die Beschwerde in der Folge ab.

 

 

Kommentare (0)