Durchsuchung von Opferhandy zulässig

Im Urteil 1B_399/2022 vom 22. Februar 2023 aus dem Kantons Zürich behandelte das Bundesgericht die Frage der Entsiegelung und Durchsuchung des Handys des mutmasslichen Opfers eines Vergewaltigungsdelikts. Das Bundesgericht macht dabei die folgende Schlüsselaussage: «Art. 169 Abs. 4 StPO gibt einem mutmasslichen Vergewaltigungsopfer zwar das Recht, die Aussage auf intime Fragen zu verweigern. Daraus folgt jedoch kein Rechtsanspruch eines Opfers, dass zum Vornherein keine untersuchungsrelevanten Aufzeichnungen auf seinem sichergestellten Mobiltelefon als Beweismittel erhoben werden dürften.» (E.4.3) Weiter betont es, dass eine prozessuale Substanziierungsobliegenheit im Entsiegelungsverfahren nach der einschlägigen Praxis denn auch insbesondere für angebliche intime Video- und Bilddateien gilt, auch bei Opfern von Straftaten (E.4.3. a.E. und E.4.4).

Sachverhalt

Die Jugendanwaltschaft Winterthur führt eine Strafuntersuchung gegen B., wegen des Verdachts der Vergewaltigung von A. und weiterer Delikte. Am 17. Mai 2022 verlangte die mutmasslich Geschädigte die Siegelung ihres von der Jugendanwaltschaft tags zuvor erhobenen Mobiltelefons. Am 25. Mai 2022 stellte die Jugendanwaltschaft diesbezüglich beim zuständigen Zwangsmassnahmengericht ein Entsiegelungsgesuch.

Vorinstanz

Mit Verfügung vom 20. Juli 2022 hiess das Bezirksgericht Winterthur, Zwangsmassnahmengericht, Einzelrichterin (ZMG), das Entsiegelungsgesuch gut, indem es das gesiegelte Mobiltelefon zur Durchsuchung und weiteren Verwendung an die Jugendanwaltschaft freigab.

Weiterzug ans Bundesgericht

Gegen den Entsiegelungsentscheid vom 20. Juli 2022 gelangte die mutmasslich Geschädigte mit Beschwerde vom 30. Juli 2022 an das Bundesgericht. Sie beantragt im Hauptstandpunkt die Aufhebung des angefochtenen Entscheides und die Abweisung des Entsiegelungsgesuches. Die Vorinstanz verzichtete am 4. August 2022 ausdrücklich auf eine Stellungnahme. Mit Verfügung vom 23. August 2022 bewilligte das Bundesgericht das Gesuch um aufschiebende Wirkung der Beschwerde. Die Oberjugendanwaltschaft des Kantons Zürich beantragt mit Vernehmlassung vom 25. August 2022 die Abweisung der Beschwerde. Von der Jugendanwaltschaft ging (innert der auf den 5. September 2022 angesetzten fakultativen Frist) keine Stellungnahme ein. Die Beschwerdeführerin replizierte am 20. September 2022.

Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 1B_399/2022 vom 22. Februar 2023

Die Beschwerdeführerin bringt vor Bundesgericht vor, sie habe sich nicht als Privatklägerin konstituiert, die von ihr gestellten Strafanträge am 5. Mai 2022 zurückgezogen und ihr Desinteresse an der weiteren Strafverfolgung gegen den Beschuldigten erklärt. «Dennoch» habe die Jugendanwaltschaft ihr Mobiltelefon als Beweismittel sichergestellt. Das ZMG habe seine Aufgabe nicht wahrgenommen, nach potenziell beweistauglichen (und verwertbaren) Aufzeichnungen zu suchen, weshalb es dem angefochtenen Entscheid an einer «Basis für die notwendige Verhältnismässigkeitsprüfung» fehle. Eine «hinreichende Beweiswahrscheinlichkeit» bestreite sie. Zwischen ihrer polizeilichen Befragung am 29. März 2022 und der Abgabe des Mobiltelefons am 16. Mai 2022 habe sie jedenfalls «genug Zeit gehabt, gespeicherte Daten auf ihrem Mobiltelefon sowie in der Cloud zu löschen». Da es sich bei ihr nicht um die beschuldigte Person handle, sei an die Verhältnismässigkeit der Entsiegelung ihres Mobiltelefons ein strenger Massstab anzulegen. Sie rügt in diesem Zusammenhang vor Bundesgericht insbesondere eine Verletzung von Art. 197 Abs. 2 StPO. (E.2)

Das Bundesgericht äussert sich im Urteil 1B_399/2022 vom 22. Februar 2023 zuerst allgemein wie folgt zum Entsiegelungsrecht:

«Aufzeichnungen und Gegenstände, die nach Angaben der Inhaberin oder des Inhabers wegen eines Aussage- oder Zeugnisverweigerungsrechts oder aus anderen Gründen nicht durchsucht oder beschlagnahmt werden dürfen, sind zu versiegeln und dürfen von den Strafbehörden weder eingesehen noch verwendet werden (Art. 248 Abs. 1 StPO). Stellt die Verfahrensleitung im Vorverfahren ein Entsiegelungsgesuch, hat das ZMG im Entsiegelungsverfahren zu prüfen, ob die Geheimnisschutzinteressen, welche von den Siegelungsberechtigten angerufen werden, einer Durchsuchung und weiteren Verwendung durch die Untersuchungsbehörde entgegenstehen (Art. 248 Abs. 2-4 StPO; BGE 144 IV 74 E. 2.2; 141 IV 77 E. 4.1 mit Hinweisen).  

Strafprozessuale Zwangsmassnahmen setzen voraus, dass der damit verbundene Eingriff in die Grundrechte verhältnismässig ist. Sie können nur ergriffen werden, wenn die damit angestrebten Ziele nicht durch mildere Massnahmen erreicht werden können und die Bedeutung der untersuchten Straftat die Zwangsmassnahme rechtfertigt (Art. 197 Abs. 1 lit. c und lit. d StPO). Entsiegelungen und Durchsuchungen, welche in die Grundrechte nicht beschuldigter Personen eingreifen, sind besonders zurückhaltend einzusetzen (Art. 197 Abs. 2 StPO). Die zu entsiegelnden Objekte und Dateien müssen untersuchungsrelevant sein. Macht deren Inhaberin oder Inhaber fehlende Beweisrelevanz geltend, hat sie oder er zu substanziieren, inwiefern die fraglichen Aufzeichnungen und Gegenstände zur Aufklärung der untersuchten Straftat offensichtlich untauglich sind (BGE 142 IV 207 E. 7.1; 141 IV 77 E. 4.3, E. 5.6; 138 IV 225 E. 7.1; je mit Hinweisen). 

Für die Anwendung des Gesetzes in Fällen der Jugendgerichtsbarkeit sind der Schutz und die Erziehung der Jugendlichen wegleitend. Alter und Entwicklungsstand sind angemessen zu berücksichtigen (Art. 4 Abs. 1 JStPO). Die Strafbehörden achten in allen Verfahrensstadien die Persönlichkeitsrechte der Jugendlichen und ermöglichen ihnen, sich aktiv am Verfahren zu beteiligen. Vorbehältlich besonderer Verfahrensvorschriften hören sie die Jugendlichen persönlich an (Art. 4 Abs. 2 JStPO). Sie sorgen dafür, dass das Strafverfahren nicht mehr als nötig in das Privatleben der Jugendlichen und in den Einflussbereich ihrer gesetzlichen Vertretung eingreift (Art. 4 Abs. 3 JStPO). Sie beziehen, wenn es angezeigt scheint, die gesetzliche Vertretung und die Behörde des Zivilrechts ein (Art. 4 Abs. 4 JStPO). 

Art. 98 BGG gelangt bei strafprozessualen Zwangsmassnahmen nicht zur Anwendung (BGE 143 IV 330 E. 2.1 mit Hinweisen). Soweit jedoch reine Sachverhaltsfragen und damit Fragen der Beweiswürdigung zu beurteilen sind, greift das Bundesgericht nur ein, wenn die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz offensichtlich unrichtig sind oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruhen (Art. 97 Abs. 1 i.V.m. Art. 105 Abs. 2 BGG; BGE 143 IV 316 E. 3.3; 330 E. 2.1; je mit Hinweis).» (E.2.1)

Zur Untersuchungsrelevanz der auf dem Mobiltelefon enthaltenen Aufzeichnungen fasst das Bundesgericht dann die Ausführungen der Vorinstanz zusammen, u.a. wie folgt: Die Jugendanwaltschaft gehe davon aus, dass sich auf dem sichergestellten Mobiltelefon der mutmasslich Geschädigten Informationen zu Art, Häufigkeit und Inhalt ihres Kontakts mit dem Beschuldigten befänden. Nachrichtenverläufe, Telefonlisten, Kontaktdaten etc. könnten voraussichtlich Aufschluss über die Tatvorwürfe geben, insbesondere über die noch bis zur Sicherstellung anhaltenden Einflussnahmen des Beschuldigten. Weiter sei davon auszugehen, dass auf dem Mobiltelefon die Kontaktdaten bzw. Telefonnummern der von der Geschädigten genannten potenziellen Gewährspersonen ersichtlich seien. Für die Bewilligung der Durchsuchung genüge unter dem Gesichtspunkt der Deliktskonnexität die Vermutung, dass die Aufzeichnungen für das Strafverfahren beweisrelevant. (E.2.2).

Das Bundesgericht nimmt hierzu im Urteil 1B_399/2022 vom 22. Februar 2023 wie folgt Stellung:

«Der Jugendanwaltschaft sei in ihrer Vermutung beizupflichten, dass auf dem sichergestellten Mobiltelefon voraussichtlich sachdienliche Informationen zu finden seien, die Rückschlüsse auf die untersuchten Delikte und die von der Geschädigten genannten beteiligten Drittpersonen erlaubten. Es erscheine „alles andere als abwegig“, dass sie mit dem Beschuldigten und den implizierten Personen über ihr Mobiltelefon kommuniziert bzw. Kontakt gehabt haben könnte, dies auch im Zusammenhang mit den untersuchten Vorgängen. Zwar liessen Anrufslisten, wie die Beschwerdeführerin zutreffend vorbringen lasse, keine Rückschlüsse auf den Inhalt der Telefonate zu; sie ermöglichten jedoch Erkenntnisse sowohl über die Häufigkeit und den Zeitpunkt der fraglichen Kontakte als auch darüber, mit welchen Personen die Geschädigte im relevanten Zeitraum kommunizierte. Insbesondere ihre Kontakte mit dem Beschuldigten und den gemäss ihren Angaben implizierten Drittpersonen seien dabei beweisrelevant. Die von ihr aufgeworfenen Fragen, ob die zu ermittelnden Drittpersonen das deliktische Kerngeschehen persönlich hätten wahrnehmen können oder ob sie allfällige Aussagen verweigern könnten, bildeten Gegenstand der weiteren Untersuchung und seien nicht vom ZMG im Entsiegelungsverfahren zu prüfen. 

Das Mobiltelefon der Beschwerdeführerin sei insbesondere im Hinblick auf die zu untersuchenden deliktischen Einflussnahmen des Beschuldigten (etwa mutmassliche Nötigungen) beweisgeeignet. Ihr Argument, sie benutze unterdessen ein anderes Mobiltelefon, verfange nicht, zumal es gerichtsnotorisch sei, dass bei der Inbetriebnahme eines neuen Mobiltelefons sämtliche Daten des alten Mobiltelefons synchronisiert werden könnten. Auch eine zeitliche Beschränkung (hinsichtlich des Zeitraums der Aufzeichnungen) rechtfertige sich hier unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismässigkeit nicht. Es seien mutmassliche schwerwiegende Offizialdelikte zu untersuchen, darunter Vergewaltigung. Der relevante Tatzeitraum umfasse mehr als ein halbes Jahr. Ausserdem könne nicht ausgeschlossen werden, dass auch aus Aufzeichnungen, die längere Zeit vor oder nach dem deliktischen Kerngeschehen erfolgten, Erkenntnisse zu den untersuchten Straftaten gewonnen werden könnten. Dabei sei mitzuberücksichtigen, dass der Beschuldigte und die Beschwerdeführerin sowohl vorher als auch nachher regen Kontakt und Austausch gepflegt hätten. Die Jugendanwaltschaft werde nach erfolgter Durchsuchung nur die konkret als beweisrelevant erachteten Aufzeichnungen als Beweismittel förmlich zu beschlagnahmen haben.» (E.2.2).

Was die Beschwerdeführerin dagegen einwendet, lässt gemäss Bundesgericht den angefochtenen Entscheid nicht als bundesrechtswidrig erscheinen. Dies gilt namentlich für ihre Vorbringen, es wäre die Aufgabe des ZMG gewesen, von Amtes wegen nach potenziell beweistauglichen Aufzeichnungen zu suchen, oder die Vermutung, dass sich auf dem Mobiltelefon untersuchungsrelevante Daten befinden könnten, genüge nicht. Sie hat im Entsiegelungsverfahren nach Ansicht des Bundesgerichts auch nicht nachvollziehbar dargelegt, welche ihrer Dateien offensichtlich irrelevant wären oder nach welchen sachlichen und zeitlichen Kriterien das ZMG die Entsiegelung hätte einschränken müssen. Die Ansicht der Vorinstanz, die von der Jugendanwaltschaft als Beweismittel gesuchten Aufzeichnungen seien nicht offensichtlich irrelevant und die Entsiegelung sei insofern verhältnismässig, hält gemäss Bundesgericht vor dem Bundesrecht stand. (E.2.3).

Die Beschwerdeführerin macht sodann (unter Hinweis auf Art. 140 StPO) geltend, die Jugendanwaltschaft habe das Mobiltelefon in Anwendung «unerlaubter Methoden» sichergestellt, weshalb von einem Beweisverwertungsverbot auszugehen sei, was das Bundesgericht verwirft (E.3).

Ausführungen zur Durchsuchung von Opferhandy (Art. 169 Abs. 4 StPO)

Was den tangierten Geheimnisschutz betrifft, macht die Beschwerdeführerin vor Bundesgericht schliesslich noch Folgendes geltend. Gemäss Art. 169 Abs. 4 StPO stehe ihr als Opfer ein Zeugnisverweigerungsrecht in Bezug auf ihre Intimsphäre zu. Es sei Sache des ZMG gewesen darzulegen, inwiefern ein überwiegendes Interesse an der prozessualen Wahrheitsfindung bestünde. Dies sei vorliegend gerade nicht der Fall; ein Hinweis auf «die abstrakte Vergewaltigungsnorm als Offizialdelikt» genüge nicht. Es gehe hier auch nicht um «organisierte Kriminalität, Vermögensdelikte im Finanzdienstleistungssektor oder Drogenhandel». Die ihr auferlegte Substanziierungsobliegenheit bezüglich schützenswerte Dateien begründe eine Verletzung des Zeugnisverweigerungsrechts und führe zu einer faktischen Umkehr der Beweislast. Ausserdem würden ihre Persönlichkeitsrechte (im Sinne von Art. 11 und Art. 13 BV) verletzt. (E.4)

Nach der bundesgerichtlichen Praxis trifft die Inhaber (innen) von zu Durchsuchungszwecken sichergestellten Aufzeichnungen und Gegenständen, die ein Siegelungsbegehren gestellt haben, wie das Bundesgericht betont, die prozessuale Obliegenheit, die von ihnen angerufenen Geheimhaltungsinteressen (im Sinne von Art. 248 Abs. 1 StPO) spätestens im Entsiegelungsverfahren vor dem ZMG ausreichend zu substanziieren. Kommen die Betroffenen ihrer Mitwirkungs- und Substanziierungsobliegenheit im Entsiegelungsverfahren nicht nach, ist das ZMG nicht gehalten, wie das Bundesgericht erklärt, von Amtes wegen nach allfälligen materiellen Durchsuchungshindernissen zu forschen. Tangierte Geheimnisinteressen sind wenigstens kurz zu umschreiben und glaubhaft zu machen. Auch sind diejenigen Aufzeichnungen und Dateien zu benennen, die dem Geheimnisschutz unterliegen. Dabei sind die Betroffenen nicht gehalten, die angerufenen Geheimnisrechte bereits inhaltlich offenzulegen (BGE 142 IV 207 E. 7.1.5, E. 11; 141 IV 77 E. 4.3, E. 5.5.3, E. 5.6; 138 IV 225 E. 7.1; 137 IV 189 E. 4.2, E. 5.3.3; E. 6 nicht publ. in: BGE 144 IV 74). (E.4.2)

Das Bundesgericht äussert sich hierzu im Urteil 1B_399/2022 vom 22. Februar 2023 wie folgt:

«Die Beschwerdeführerin beruft sich im Verfahren vor Bundesgericht zunächst auf Art. 169 Abs. 4 StPO. Nach dieser Bestimmung kann das mutmassliche Opfer einer Straftat gegen die sexuelle Integrität in jedem Fall die Aussage zu Fragen verweigern, die seine Intimsphäre betreffen.  

Es kann offen bleiben, ob und inwieweit es sich diesbezüglich um ein unzulässiges Novum handelt (vgl. Art. 99 Abs. 1 BGG). Das ZMG hat der Beschwerdeführerin jedenfalls ausreichend Gelegenheit gegeben zu substanziieren, welche gesiegelten Aufzeichnungen von gesetzlich geschützten Geheimnisinteressen betroffen seien. Sie behauptet nicht, dass sie im Entsiegelungsverfahren dargelegt hat, auf welchen Datenspeichern (z.B. Videos, E-Mails, Chats usw.) sich welche höchstpersönlichen intimen Aufzeichnungen befänden. Art. 169 Abs. 4 StPO gibt einem mutmasslichen Vergewaltigungsopfer zwar das Recht, die Aussage auf intime Fragen zu verweigern. Daraus folgt jedoch kein Rechtsanspruch eines Opfers, dass zum Vornherein keine untersuchungsrelevanten Aufzeichnungen auf seinem sichergestellten Mobiltelefon als Beweismittel erhoben werden dürften. Eine prozessuale Substanziierungsobliegenheit (vgl. oben, E. 4.2) gilt nach der einschlägigen Praxis denn auch insbesondere für angebliche intime Video- und Bilddateien (vgl. Urteile 1B_423/2019 vom 5. März 2020 E. 1.3-1.4; 1B_153/2019 vom 11. Dezember 2019 E. 1.5-1.6; 1B_2/2019 vom 11. Juli 2019 E. 2.4). 

Die Beschwerdeführerin verkennt die von ihr aufgeworfene Thematik der „Beweislast“ bzw. ihre prozessuale Mitwirkungs- und Substanziierungsobliegenheit, wenn sie vorbringt, das ZMG habe von Amtes wegen nach allfälligen geheimnisgeschützten Aufzeichnungen forschen müssen. Im Übrigen erscheinen ihre Vorbringen teilweise widersprüchlich. Wenn sie in der Beschwerde ausdrücklich geltend macht, sie hätte vor der Abgabe des Gerätes an die Polizei noch „genug Zeit gehabt, gespeicherte Daten auf ihrem Mobiltelefon sowie in der Cloud zu löschen“, drängt sich jedenfalls die Vermutung auf, dass sie zumindest die delikatesten sie persönlich betreffenden Dateien entfernt haben könnte. Gemäss den vorliegenden Akten hat sie sich gegenüber der Jugendanwältin denn auch (am 13. Mai 2022) in dem Sinne geäussert, dass sie einen Teil der Aufzeichnungen bereits gelöscht habe.» (E.4.3).

Ausführungen zu Privatsphäre und Persönlichkeitsrechten

Weiter führt das Bundesgericht im Urteil 1B_399/2022 vom 22. Februar 2023 aus:

«Die Beschwerdeführerin beruft sich schliesslich noch auf ihre Privatsphäre und ihre Persönlichkeitsrechte bzw. auf Privatgeheimnisse im Sinne von Art. 264 Abs. 1 lit. b StPO. Sie meint, das ZMG habe nicht begründet, weshalb das Strafverfolgungsinteresse diese überwiegen würde.  

Im angefochtenen Entscheid wird erwogen, die Beschwerdeführerin habe es schon im Entsiegelungsverfahren versäumt, überwiegende schutzwürdige Privatgeheimnisse ausreichend zu substanziieren. Auch im Verfahren vor Bundesgericht legt sie nicht dar, welche konkreten besonders schutzwürdigen Privatgeheimnisse tangiert sein sollen. Sie beruft sich lediglich pauschal und vage auf allgemeine private Geheimnisinteressen (wie die „informationelle Selbstbestimmung“ oder den „Geheimbereich“), die zwangsläufig bei jeder Sicherstellung und Durchsuchung privater Unterlagen und Aufzeichnungen betroffen sind, aber nicht ohne Weiteres ein gesetzliches Entsiegelungshindernis bilden. Auch hier verkennt sie, dass es nicht die Aufgabe des ZMG war, nach allfälligen das Strafverfolgungsinteresse überwiegenden Privatgeheimnissen zu forschen. Dem ZMG ist darin zuzustimmen, dass die Beschwerdeführerin diesbezüglich ihrer prozessualen Substanziierungsobliegenheit nicht nachgekommen ist. Dies ist sie umso weniger, als hier schwere Offizialdelikte (darunter Vergewaltigung und mehrfache Nötigung) zu untersuchen sind, weshalb es ihr oblegen hätte, konkrete überwiegende Geheimnisinteressen (im Sinne von Art. 264 Abs. 1 lit. b i.V.m. Abs. 3 StPO) näher darzulegen. 

Im Übrigen betont die Beschwerdeführerin zwar mehrmals, dass sie sich von einer weiteren Strafverfolgung des Beschuldigten distanziere. Nach der Praxis des Bundesgerichtes begründet jedoch das blosse prozesstaktische Interesse einer beschuldigten Person, dass möglichst keine belastenden Beweismittel erhoben werden sollen, kein gesetzlich geschütztes Geheimnisinteresse im Sinne von Art. 248 Abs. 1 StPO (vgl. BGE 144 IV 74 E. 2.6; 142 IV 207 E. 11). Analoges muss auch für ein allfälliges Entlastungsmotiv einer mutmasslich geschädigten Person gelten, die nach erfolgten Anschuldigungen ihr Desinteresse an der Weiterverfolgung von Offizialdelikten erklärt hat. Auch dieses private Verfahrensmotiv zieht – für sich allein – kein Entsiegelungshindernis für untersuchungsrelevante Aufzeichnungen nach sich.» (E.4.4)

Die Beschwerde wurde durch das Bundesgericht abgewiesen, soweit es auf diese eintrat.

 

 

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