Disziplinarmassnahmen sind grundsätzlich keine Strafen im Sinne von Art. 6 Ziff. 1 EMRK

Das Bundesgericht weist im Urteil 2C_33/2023 vom 28. Februar 2024 die Beschwerde einer Mutter ab, die mit 250 Franken gebüsst wurde, weil sie ihre Tochter während der Corona-Pandemie wiederholt ohne Maske die Primarschule hatte besuchen lassen. Es stützt sich dabei auf seine Praxis, wonach Disziplinarmassnahmen grundsätzlich keine Strafen im Sinne von Art. 6 Ziff. 1 EMRK sind. Das Bundesgericht bezog sich auch auf die „Engel-Kriterien“ und führte u.a. aus: «Dass Disziplinarmassnahmen grundsätzlich keine Strafen im Sinne von Art. 6 EMRK darstellen, wurde auch anderweitig durch das Bundesgericht entschieden (BGE 135 I 313 E. 2.3; 128 I 346 E. 2.3 und 2.4; Urteile 2C_507/2019 vom 14. November 2019 E. 4; 2C_933/2018 vom 25. März 2019 E. 4.1; 1C_500/2012 vom 7. Dezember 2012 E. 3.3; 2C_344/2007 vom 22. Mai 2008 E. 1.3). Daran ändert nichts, dass im früheren BGE 128 I 346 E. 2.3 noch offengelassen wurde, ob die Disziplinarmassnahme – in jenem Fall eine Busse von Fr. 5’000.– – aufgrund ihrer Höhe eine Strafe im Sinne von Art. 6 Ziff. 1 EMRK darstellen könnte. Auch dass das Bundesgericht im zur Publikation vorgesehen Entscheid 2C_694/2021 offengelassen hat, ob es sich bei der in Frage stehenden Disziplinarmassnahme in Form einer Geldleistung bis zu einem Höchstbetrag von Fr. 4’000.– um eine Strafe im Sinne von Art. 7 EMRK handelt (Urteil 2C_694/2021 vom 8. September 2023 E. 5.5 [zur Publikation bestimmt]), ändert nichts an der stehenden Rechtsprechung betreffend Ordnungsbussen bis Fr. 1’000.– im Schulrecht.  Es entspricht zudem der herrschenden Lehre, dass Disziplinarmassnahmen in der Regel keinen strafrechtlichen Charakter haben und Art. 6 EMRK auf sie nicht anwendbar ist […].» (E.5.4).

Sachverhalt

Ab dem 3. Januar 2022 galt in den Innenräumen der Primarschulen des Kantons Basel-Stadt Maskentragpflicht. Eine Schülerin der zweiten Primarklasse erschien wiederholt ohne Maske in der Schule. Die Schulbehörden forderten die Mutter mehrfach auf, ein ärztliches Attest zur Dispensierung der Tochter von der Maskentragpflicht einzureichen. Sie wurde zudem auf die Konsequenzen im Unterlassungsfall hingewiesen.

Mitte Februar 2022 verhängte das Erziehungsdepartement des Kantons Basel-Stadt gegen die Mutter wegen wiederholter Verletzung ihrer elterlichen Pflichten eine Ordnungsbusse von 250 Franken, da sie ihre Tochter wissentlich und willentlich nicht zum Tragen einer Maske angehalten habe und sie die Schule ohne Maske habe besuchen lassen.

Instanzenzug

Eine Beschwerde der Mutter ans Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt blieb erfolglos.

Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 2C_33/2023 vom 28. Februar 2024

Das Bundesgericht weist im Urteil 2C_33/2023 vom 28. Februar 2024 die Beschwerde der Mutter ab.

Sie reichte kein ärztliches Attest ein, das die Tochter von der Maskentragpflicht befreit hätte.

Die Rüge der Mutter, bei der ausgesprochenen Busse handle es sich um eine Strafe, womit strengere Verfahrensvorschriften als im Verwaltungsverfahren gelten würden, verwirft das Bundesgericht. Das Bundesgericht bestätigt seine Rechtsprechung, wonach die im Schulrecht ausgefällte Ordnungsbusse keinen strafrechtlichen Charakter hat. Vielmehr stellt sie eine Disziplinarmassnahme im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens dar. Dies ergibt sich aus ihrer Grundlage im kantonalen Schulgesetz, ihrem Zweck, die Eltern zur Einhaltung ihrer verwaltungsrechtlichen Pflichten anzuhalten und schliesslich ihrer maximalen Höhe von 1’000 Franken. Damit hat die ausgesprochene Ordnungsbusse primär präventiven sowie erzieherischen Charakter und stellt keine Strafe dar.

Wichtigste Stellen des Urteil 2C_33/2023 vom 28. Februar 2024

Die Beschwerdeführerin rügt vor Bundesgericht, die Vorinstanz habe die Ordnungsbusse zu Unrecht dem Verwaltungsrecht zugeordnet. Ihrer Ansicht nach handle es sich dabei vielmehr um eine strafrechtliche Anklage im Sinne von Art. 6 EMRK. Da die dort verbrieften Verfahrensgarantien, namentlich die Unschuldsvermutung gemäss Art. 6 Ziff. 2 EMRK, nicht eingehalten worden seien, sei die Busse aufzuheben, argumentiert die Beschwerdeführerin (E.5).

Die Vorinstanz hat in Bezug auf die bei ihr gerügte Verletzung von Art. 7 EMRK zusammengefasst durch das Bundesgericht festgehalten, dass eine strafrechtliche Verurteilung im Sinne von Art. 6 EMRK nur vorliegt, wenn die vom EGMR entwickelten „Engel-Kriterien“ erfüllt sind. Ordnungsbussen im Schulrecht stellten gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung Disziplinarmassnahmen dar, erklärt die Vorinstanz. Als solche fielen sie nicht in den Geltungsbereich von Art. 6 EMRK. Das sei auch vorliegend der Fall, argumentiert die Vorinstanz (E.5.1).

Das Bundesgericht äussert sich alsdann im Urteil 2C_33/2023 vom 28. Februar 2024 wie folgt:

«Gemäss ständiger Rechtsprechung liegt eine strafrechtliche Anklage im Sinne von Art. 6 EMRK vor, wenn alternativ entweder (1) das nationale Recht eine staatliche Massnahme dem Strafrecht zuordnet oder (2) die Natur des Vergehens bzw. dessen Art und Schwere oder (3) die Sanktion für einen strafrechtlichen Charakter der Massnahme sprechen (vgl. zu den sog. „Engel“-Kriterien: BGE 147 I 57 E. 4.3 und E. 5.2; 142 II 243 E. 3.4; 140 II 384 E. 3.2.1; Urteil des EGMR Engel gegen Niederlande vom 8. Juni 1976, Serie A Bd. 22).» (E.5.2).

«Das Bundesgericht hat die „Engel“-Kriterien bereits zweimal im Hinblick auf deren Anwendung für Ordnungsbussen im Schulrecht geprüft. In beiden Fällen verneinte es den strafrechtlichen Charakter der Ordnungsbusse, da sie die „Engel“-Kriterien nicht erfüllten: Das nationale Recht ordnete sie nicht dem Strafrecht zu; der Tatbestand, der mit der Ordnungsbusse sanktioniert wurde, war – ohne qualifizierende Elemente – disziplinar- und nicht strafrechtlicher Natur und der Bussenrahmen von bis zu maximal Fr. 1’000.– sprach für den disziplinarischen Charakter der Massnahme (Urteile 2C_522/2020 vom 1. Februar 2021 E. 3.2.2; 1P.102/2000 vom 11. August 2000 E. 1b-d [in: ZBl 102/2001 S. 203]; in den Urteilen 2C_712/2018 vom 21. März 2019, 2C_57/2021 vom 3. Februar 2021, 2C_666/2011 vom 7. März 2012 und 2C_418/2011 vom 12. Juli 2011 war der disziplinarische Charakter der Busse nicht umstritten). Beide Male kam das Bundesgericht zum Schluss, dass es sich dabei um disziplinarische Massnahmen und nicht um eine Strafe handelt. Es sind mithin Sanktionen, die sich gegen Personen in einem besonderes Rechtsverhältnis zum Staat – wie vorliegend die Mutter einer Schülerin – richten und in erster Linie der Aufrechterhaltung der Ordnung bzw. der Sicherstellung des Anstaltsbetriebs, der Wahrung des Ansehens und der Integrität der Institution dienen. Sie sollen namentlich bewirken, dass die ihnen unterstellten Personen ihre Pflichten erfüllen (Urteil 2C_694/2021 vom 8. September 2023 E. 5.3 mit Hinweisen [zur Publikation bestimmt]).» (E.5.3).

«Dass Disziplinarmassnahmen grundsätzlich keine Strafen im Sinne von Art. 6 EMRK darstellen, wurde auch anderweitig durch das Bundesgericht entschieden (BGE 135 I 313 E. 2.3; 128 I 346 E. 2.3 und 2.4; Urteile 2C_507/2019 vom 14. November 2019 E. 4; 2C_933/2018 vom 25. März 2019 E. 4.1; 1C_500/2012 vom 7. Dezember 2012 E. 3.3; 2C_344/2007 vom 22. Mai 2008 E. 1.3). Daran ändert nichts, dass im früheren BGE 128 I 346 E. 2.3 noch offengelassen wurde, ob die Disziplinarmassnahme – in jenem Fall eine Busse von Fr. 5’000.– – aufgrund ihrer Höhe eine Strafe im Sinne von Art. 6 Ziff. 1 EMRK darstellen könnte. Auch dass das Bundesgericht im zur Publikation vorgesehen Entscheid 2C_694/2021 offengelassen hat, ob es sich bei der in Frage stehenden Disziplinarmassnahme in Form einer Geldleistung bis zu einem Höchstbetrag von Fr. 4’000.– um eine Strafe im Sinne von Art. 7 EMRK handelt (Urteil 2C_694/2021 vom 8. September 2023 E. 5.5 [zur Publikation bestimmt]), ändert nichts an der stehenden Rechtsprechung betreffend Ordnungsbussen bis Fr. 1’000.– im Schulrecht.  Es entspricht zudem der herrschenden Lehre, dass Disziplinarmassnahmen in der Regel keinen strafrechtlichen Charakter haben und Art. 6 EMRK auf sie nicht anwendbar ist (TSCHANNEN PIERRE/MÜLLER MARKUS/KERN MARKUS, Allgemeines Verwaltungsrecht, 5. Aufl., Bern 2022, Rz. 930; HÄFELIN ULRICH/MÜLLER GEORG/UHLMANN FELIX, Allgemeines Verwaltungsrecht, 8. Aufl., Zürich 2020, Rz. 1506; KARLEN PETER, Schweizerisches Verwaltungsrecht, Zürich Basel Genf 2018, S. 476; a.M. JAAG TOBIAS, Verwaltungsrechtliche Sanktionen: Einführung, in: Isabelle Häner/Bernhard Waldmann [Hrsg.], Verwaltungsrecht und sanktionierendes Verwaltungsrecht, 2010, S. 10 ff., gemäss dem Disziplinarbussen einen pönalen Charakter haben).» (E.5.4).

Gemäss dem Bundesgericht hat die Vorinstanz den strafrechtlichen Charakter der Ordnungsbusse nach § 91 Abs. 9 Schulgesetz/BS zu Recht verneint. Dass die Busse im Übrigen unverhältnismässig oder zu hoch sei, rügt die Beschwerdeführerin (zu Recht) nicht, ergänzt das Bundesgericht (E.5.6).

Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

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