Bundesgericht zum Tatbestand der Misswirtschaft von Art. 165 Ziff. 1 StGB

Im Urteil 6B_1104/2022 vom 19. April 2023 aus dem Kanton Zug behandelte das Bundesgericht einen Fall aus dem Wirtschaftsstrafrecht. Dabei machte das Bundesgericht lehrbuchartige Ausführungen zum Tatbestand der Misswirtschaft von Art. 165 Ziff. 1 StGB, ausdrücklich noch auf das alte Aktienrecht bezogen (E.1.1.1)

Sachverhalt

Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zug wirft A. vor, als Verwaltungsratspräsident der B. AG (nachfolgend B. AG) durch Misswirtschaft, namentlich durch arge Nachlässigkeit in der Berufsausübung (Nicht-Erstellen einer Zwischenbilanz in der Zeit von Herbst 2012 bis Juni 2013 sowie Unterlassung der Überschuldungsanzeige ab Ende 2012 bis zur Konkurseröffnung vom 30. August 2013) die Überschuldung der B. AG verschlimmert zu haben. Ferner sei er für die Geschäftsjahre 2012 und 2013 der Buchführungspflicht nicht im gesetzlich geforderten Umfang nachgekommen.

Am 16. Juli 2021 stellte das Strafgericht des Kantons Zug (Einzelgericht) das Verfahren gegen A. hinsichtlich des Vorwurfs der mehrfachen Unterlassung der Buchführung infolge Eintritts der Verfolgungsverjährung ein. Hingegen sprach es ihn der Misswirtschaft schuldig und verurteilte ihn zu 125 Tagessätzen à Fr. 410.– Geldstrafe bedingt. Das Obergericht des Kantons Zug wies die Berufung von A. am 11. Juli 2022 ab und verurteilte ihn wegen Misswirtschaft zu 120 Tagessätzen à Fr. 410.– Geldstrafe bedingt.

Weiterzug ans Bundesgericht

Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt A., er sei freizusprechen. Eventualiter sei die Sache zum Freispruch und zur Entscheidung der weiteren Rechtsfolgen, subeventualiter zur Abklärung des Sachverhalts, an das Obergericht zurückzuweisen.

Ausführungen des Bundesgerichts

Kern des Urteil 6B_1104/2022 vom 19. April 2023 sind die folgenden allgemeinen Ausführungen des Bundesgerichts zur Misswirtschaft:

«Den Tatbestand der Misswirtschaft nach Art. 165 Ziff. 1 StGB erfüllt, wer als Schuldner in anderer Weise als durch Gläubigerschädigung durch Vermögensverminderung nach Art. 164 StGB, durch Misswirtschaft, namentlich durch ungenügende Kapitalausstattung, unverhältnismässigen Aufwand, gewagte Spekulationen, leichtsinniges Gewähren oder Benützen von Kredit, Verschleudern von Vermögenswerten oder arge Nachlässigkeit in der Berufsausübung oder Vermögensverwaltung, seine Überschuldung herbeiführt oder verschlimmert, seine Zahlungsunfähigkeit herbeiführt oder im Bewusstsein seiner Zahlungsunfähigkeit seine Vermögenslage verschlimmert, wenn über ihn der Konkurs eröffnet oder gegen ihn ein Verlustschein ausgestellt worden ist.  Nach der Rechtsprechung liegt eine nachlässige Berufsausübung vor, wenn gesetzliche Bestimmungen der Unternehmensführung missachtet werden. Dazu gehören insbesondere die Vernachlässigung der Rechnungslegung oder die Verletzung der Pflicht des Verwaltungsrats einer Aktiengesellschaft, das Gericht im Falle der Überschuldung zu benachrichtigen (BGE 144 IV 52 E. 7.3 mit Hinweisen). Gemäss Art. 725 Abs. 2 OR (in der ab 1. März 2012 gültig gewesenen Fassung) muss, wenn begründete Besorgnis einer Überschuldung besteht, eine Zwischenbilanz erstellt und diese einem zugelassenen Revisor zur Prüfung vorgelegt werden. Ergibt sich aus der Zwischenbilanz, dass die Forderungen der Gesellschaftsgläubiger weder zu Fortführungs- noch zu Veräusserungswerten gedeckt sind, so hat der Verwaltungsrat das Gericht zu benachrichtigen, sofern nicht Gesellschaftsgläubiger im Ausmass dieser Unterdeckung im Rang hinter alle anderen Gesellschaftsgläubiger zurücktreten. Wenngleich Art. 725 Abs. 2 Satz 2 OR dies nicht explizit vorsieht, gewähren Rechtsprechung und herrschende Lehre dem Verwaltungsrat im Fall reeller dauerhafter Sanierungsaussichten einen Aufschub der Überschuldungsanzeige, sodass diese nicht zwangsläufig sofort im Zeitpunkt der erstmaligen Feststellung der Überschuldung erfolgen muss (vgl. BGE 132 III 564 E. 5.1; 127 IV 110 E. 5a; Urteile 6B_985/2016 vom 27. Februar 2017 E. 4.2.1; 6B_1091/2014 vom 24. November 2015 E. 5; 4C.366/2000 vom 19. Juni 2001 E. 4b; NADINE HAGENSTEIN, in: Basler Kommentar, Strafrecht II, 4. Aufl. 2019, N. 33a zu Art. 165 StGB mit Hinweisen). Mit der Benachrichtigung des Gerichts darf hingegen nicht zugewartet werden, wenn die ergriffenen Sanierungsmassnahmen den Unternehmenszusammenbruch lediglich hinauszögern würden; auch dürfen die Befriedigungschancen der Gläubiger durch den Aufschub nicht zusätzlich gefährdet werden. Kann eine dauerhafte Sanierung der überschuldeten Gesellschaft objektiv begründet erwartet werden, liegt keine unzulässige Gefährdung der Gläubigerinteressen vor, selbst wenn sich die Sanierungsmassnahmen im Nachhinein als nicht erfolgreich erweisen sollten. Sobald sich die aussergerichtlichen Sanierungsbemühungen nicht mehr als Erfolg versprechend erweisen, endet die Toleranzfrist. Hinsichtlich der Länge dieser Frist ist die Rechtsprechung uneinheitlich. Genannt werden Fristen von „einer kurzen Zeitspanne“, „wenigen Wochen“, „höchstens vier bis sechs Wochen“, 60 resp. 90 Tagen, bzw. „eine relativ kurze Frist“ ab Erkennen der Überschuldung (vgl. CATHERINE KONOPATSCH, Verspätete Überschuldungsanzeige als Misswirtschaft nach Art. 165 Ziff. 1 StGB, in: ZStR, 134/2016 S. 196 ff. mit Hinweisen). 

Misswirtschaft ist ein Erfolgsdelikt; es bedarf eines kausalen Zusammenhangs zwischen dem tatbestandsmässigen Mangel, etwa der arg nachlässigen Berufsausübung, und dem Erfolg (Herbeiführung oder Verschlimmerung der Überschuldung, Herbeiführung der Zahlungsunfähigkeit). Unterlassungen verhalten sich kausal zum tatbestandsmässigen Erfolg, wenn dieser ohne das arg nachlässige Verhalten nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge mit grosser Wahrscheinlichkeit hätte vermieden werden können (NADINE HAGENSTEIN, in: Basler Kommentar, Strafrecht II, 4. Aufl. 2019, N. 61 f. zu Art. 165 StGB). Ein mitursächliches Verhalten genügt (BERNARD CORBOZ, Les infractions en droit suisse, Vol. I, 2010, N. 39 zu Art. 165 StGB; PETER HERREN, D ie Misswirtschaft gemäss Art. 165 StGB, 2006, S. 92; vgl. Urteil 6B_1236/2018 vom 28. September 2020 E. 4.2 mit Hinweisen). 

Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz hinsichtlich der Bankrotthandlung. In Bezug auf die Vermögenseinbusse genügt grobe Fahrlässigkeit (BGE 144 IV 52 E. 7.3 mit Hinweisen; Urteil 6B_910/2019 vom 15. Juni 2020 E. 3.2).» (E.1.1.1)

Zu bemerken ist, dass das Bundesgericht sich hier noch ausdrücklich auf das alte Aktienrecht bezieht.

Zum Vorsatz äussert sich das Bundesgericht im Urteil 6B_1104/2022 vom 19. April 2023 wie folgt:

«Vorsätzlich begeht ein Verbrechen oder Vergehen, wer die Tat mit Wissen und Willen ausführt. Vorsätzlich handelt bereits, wer die Verwirklichung der Tat für möglich hält und in Kauf nimmt (Art. 12 Abs. 2 StGB).  Nach ständiger Rechtsprechung ist Eventualvorsatz gegeben, wenn der Täter den Eintritt des Erfolgs bzw. die Tatbestandsverwirklichung für möglich hält, aber dennoch handelt, weil er den Erfolg für den Fall seines Eintritts in Kauf nimmt und sich mit ihm abfindet, mag er ihm auch unerwünscht sein. Ob der Täter die Tatbestandsverwirklichung im Sinne des Eventualvorsatzes in Kauf genommen hat, muss das Gericht – bei Fehlen eines Geständnisses – aufgrund der Umstände entscheiden. Dazu gehören die Grösse des dem Täter bekannten Risikos der Tatbestandsverwirklichung, die Schwere der Sorgfaltspflichtverletzung, die Beweggründe des Täters und die Art der Tathandlung. Je grösser die Wahrscheinlichkeit der Tatbestandsverwirklichung ist und je schwerer die Sorgfaltspflichtverletzung wiegt, desto näher liegt die Schlussfolgerung, der Täter habe die Tatbestandsverwirklichung in Kauf genommen. Das Gericht darf vom Wissen des Täters auf den Willen schliessen, wenn sich dem Täter der Eintritt des Erfolgs als so wahrscheinlich aufdrängte, dass die Bereitschaft, ihn als Folge hinzunehmen, vernünftigerweise nur als Inkaufnahme des Erfolgs ausgelegt werden kann (BGE 147 IV 439 E. 7.3.1; 137 IV 1 E. 4.2.3; Urteil 6B_123/2022 vom 8. Dezember 2022 E. 2.3.3).» (E.1.1.2)

Die Beschwerde wurde durch das Bundesgericht abgewiesen, soweit darauf eingetreten wurde.

 

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