Beschlagnahme von Geschäftsfahrzeug

Im Urteil des Bundesgerichts 1B_492/2022 vom 9. November 2022 ging es zum die Beschlagnahme eines Geschäftsautos der Marke Hyundai einer Aktiengesellschaft, welches der Geschäftsführer und VR-Delegierte lenkte, der mit einem Führerausweisentzug für sämtliche Fahrzeugkategorien belegt war. Das Bundesgericht bestätigte im vorliegenden Fall die vorläufige Beschlagnahme des Fahrzeugs nach Art. 263 Abs. 1 lit. d StPO i.V.m. Art. 90a SVG (E.2.4), liess aber die Frage der Verhältnismässigkeit dieser Zwangsmassnahme gegenüber einer Drittperson (Aktiengesellschaft in diesem Fall) offen (E.2.3.3).

Sachverhalt

Am 13. Mai 2022 hielt die Kantonspolizei St. Gallen einen Personenwagen der Marke Hyundai, welcher auf die A. AG eingelöst ist, zur Kontrolle an. Hierbei stellte sie fest, dass der Fahrzeuglenker B., Geschäftsführer der A. AG, mit einem Führerausweisentzug für sämtliche Fahrzeugkategorien belegt ist. In der Folge wurde der Personenwagen sichergestellt. Am 31. Mai 2022 erliess die Staatsanwaltschaft, Untersuchungsamt Altstätten, einen schriftlichen Beschlagnahmebefehl. Die A. AG erhob am 2. Juni 2022 Beschwerde gegen den Beschlagnahmebefehl bei der Anklagekammer des Kantonsgerichts St. Gallen und beantragte die Rückgabe des Personenwagens. Mit Entscheid vom 10. August 2022 wies die Anklagekammer das Rechtsmittel ab.

Instanzenzug

Die A. AG führt am 19. September 2022 Beschwerde beim Bundesgericht und beantragt die Aufhebung des Entscheids der Anklagekammer vom 10. August 2022 und des Beschlagnahmebefehls der Staatsanwaltschaft vom 31. Mai 2022. Die Anklagekammer und die Staatsanwaltschaft haben auf Vernehmlassung verzichtet.

Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 1B_492/2022 vom 9. November 2022

Die Beschwerdeführerin (Aktiengesellschaft, auf welche das Auto eingelöst war) bestreitet das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen zur Beschlagnahme ihres Fahrzeugs. Die Einziehung sei weder gestützt auf Art. 90a SVG noch auf Art. 69 StGB zulässig. Zudem sei die Beschlagnahme ihres Fahrzeuges unverhältnismässig.

Nach Art. 90a Abs. 1 SVG kann, wie das Bundesgericht bemerkt, das Strafgericht die Einziehung eines Motorfahrzeugs anordnen, wenn (lit. a) damit eine grobe Verkehrsregelverletzung in skrupelloser Weise begangen wurde, und (lit. b) der Täter durch die Einziehung von weiteren groben Verkehrsregelverletzungen abgehalten werden kann. Die Einziehungsvoraussetzungen von Art. 90a Abs. 1 lit. a SVG dürften bei qualifiziert groben Verkehrsdelikten (im Sinne von Art. 90 Abs. 3 und Abs. 4 SVG) in der Regel erfüllt sein. Eine mögliche Einziehung ist aber nicht auf diese Fälle beschränkt, sondern fällt nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung auch bei (nicht qualifiziert) groben Verkehrsregelverletzungen im Sinne von Art. 90 Abs. 2 SVG in Betracht (BGE 140 IV 133 E. 3.4; 139 IV 250 E. 2.3.3). Dasselbe gilt gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung auch für das Führen eines Fahrzeugs ohne entsprechenden Führerausweis (Art. 95 Abs. 1 SVG), wenn die betreffende Person aus demselben Grund schon verurteilt worden ist (Urteil 1B_556/2017 vom 5. Juni 2018 E. 4.2 mit Hinweis). (E.2.1). Diese Voraussetzungen sah das Bundesgericht aufgrund des Sachverhalts als erfüllt an (E.2.2).

Die Beschwerdeführerin bestreitet schliesslich weiter vor Bundesgericht die Verhältnismässigkeit der Beschlagnahme. Zwangsmassnahmen, welche in die Grundrechte Dritter (also nicht der beschuldigten Person) eingriffen, seien zudem besonders zurückhaltend anzuwenden (vgl. Art. 197 Abs. 2 StPO).  Jede Zwangsmassnahme muss, wie das Bundesgericht ausführt, neben dem Vorliegen einer gesetzlichen Grundlage (vgl. E. 2.1 hiervor) und eines hinreichenden Tatverdachts (vgl. E. 2.2 hiervor), verhältnismässig sein (Art. 197 Abs. 1 lit. c und d StPO). Zwangsmassnahmen, die in die Grundrechte nicht beschuldigter Personen eingreifen, sind besonders zurückhaltend einzusetzen (Art. 197 Abs. 2 StPO) (E.2.3).

Das Bundesgericht betonte:  «Vorab ist festzuhalten, dass nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung eine Sicherungs-Einziehungsbeschlagnahme auch bei Motorfahrzeugen im Eigentum von Drittpersonen (Art. 263 Abs. 1 Ingress und lit. d StPO) grundsätzlich zulässig sein kann, wenn das verwendete Fahrzeug weiterhin für den Lenker verfügbar ist und die Beschlagnahme geeignet erscheint, weitere grobe Verkehrsregelverletzungen zu verhindern bzw. zumindest zu verzögern oder zu erschweren (BGE 140 IV 133 E. 3.5 mit Hinweisen; Urteil 1B_556/2017 vom 5. Juni 2018 E. 4.3).» (E.2.3.1).

Aufgrund der Tatsache, dass der Autolenker zugleich Geschäftsführer und VR-Delegierter der Fahrzeughalterin (Aktiengesellschaft) war, und weiter auch entsprechende Rügen nicht angebracht wurden, liess das Bundesgericht die Frage der Verhältnismässigkeit in diesem Fall offen: «Es ist fraglich, ob Art. 197 Abs. 2 StPO (besondere Zurückhaltung bei Zwangsmassnahmen gegenüber nicht beschuldigten Personen) in Fällen wie dem vorliegenden überhaupt zur Anwendung gelangt: Nach den unbestrittenen Feststellungen der Vorinstanz ist B. einzelzeichnungsberechtigtes Mitglied des Verwaltungsrats und zugleich – als dessen Delegierter – Geschäftsführer der von der Beschwerdeführerin betriebenen Unternehmung. In einer vergleichbaren Konstellation hat es das Bundesgericht abgelehnt, die beschwerdeführende juristische Person als unbeteiligte Drittperson zu behandeln (vgl. BGE 140 IV 57 E. 4.1.2; Urteile 6B_332/2022 vom 2. Juni 2022 E. 2.3; 1B_208/2015 vom 2. November 2015 E. 5; je mit Hinweisen). Indes kann die Frage vorliegend offenbleiben. Die Beschwerdeführerin bringt nämlich nichts vor, das die Feststellungen und Argumente der Vorinstanz entkräften würde. Dass sie die – auch von ihr selbst unbestritten gebliebenen – Tatsachen anders bewertet als die Vorinstanz, genügt nicht, um deren Entscheid als bundesrechtswidrig oder gar willkürlich erscheinen zu lassen. Die Beschlagnahme erscheint mit Blick auf das automobilistische Verhalten von B. vielmehr als erforderlich und geeignet und damit verhältnismässig; dies würde auch dann gelten, wenn die Beschwerdeführerin als Drittperson gälte und dem Gebot der zurückhaltenden Anordnung von Zwangsmassnahmen gegen Drittpersonen gemäss Art. 197 Abs. 2 StPO vorliegend Rechnung zu tragen wäre.» (E.2.3.3).

Das Bundesgericht bestätigte im Urteil 1B_492/2022 vom 9. November 2022 die Beschlagnahme schliesslich wie folgt: «Damit sind die Voraussetzungen zur vorläufigen Beschlagnahme des Fahrzeugs nach Art. 263 Abs. 1 lit. d StPO i.V.m. Art. 90a SVG gegeben. Die Bestimmungen von Art. 69 Abs. 1 StGB betreffend Sicherungseinziehung gelangen demgegenüber in solchen Fällen nicht mehr zur Anwendung (vgl. BGE 140 IV 133 E. 3.1; Urteil 1B_133/2017 vom 16. Mai 2017 E. 2.2); deren Voraussetzungen sind demnach nicht zu prüfen.» (E.2.4).

Bemerkungen zum Urteil des Bundesgerichts 1B_492/2022 vom 9. November 2022

Im vorliegenden Urteil erklärte das Bundesgericht klar, dass die vorläufige Beschlagnahme von Fahrzeugen von Dritthaltern unter gewissen Voraussetzungen zulässig ist. Das Bundesgericht liess aber in diesem Fall die Frage der Verhältnismässigkeit offen. Ob dies aufgrund eines gesellschaftsrechtlichen Durchgriffs oder aufgrund der nicht angebrachten entsprechenden Rügen vor dem Bundesgericht erfolgte, ist aus den Ausführungen des Bundesgericht nicht endgültig zu klären.

Die Moral des Urteils 1B_492/2022 vom 9. November 2022 ist aber klar: Vorsicht bei Automobilistinnen und Automobilisten mit Geschäftsfahrzeugen, welche über einen schlechten automobilen Leumund verfügen und gegen das SVG verstossen. Das kann auch für die Arbeitgeberin nachtteilige Folgen haben. Arbeitsrechtlich sollte aber eine Geltendmachung von Schadenersatz durch die Arbeitgeberin gegenüber dem Arbeitnehmenden möglich sein.

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