«Barfight» mit Interesse des Bundesgerichts am Datenschutzgesetz

Im Urteil 7B_179/2022 vom 24. Oktober 2023 aus dem Kanton Luzern, welches einen «Barfight» zum Gegenstand hatte, befasste sich das Bundesgericht mit drei relevanten Themen bzw. Rügen: Dem Anspruch auf Konfrontation und rechtliches Gehör bzw. Beweiserhebungen durch Gerichte (E.2), Verwertbarkeit von Videoaufnahmen unter Gesichtspunkt von Art. 141 StPO, wobei sich das Bundesgericht hier sehr interessiert am Datenschutzgesetz (DSG) und dessen Anwendung bei Videoaufnahmen des Barbetreibers zeigte (E.3) sowie der Frage der Notwendigkeit eines medizinischen Gutachtens (E.4). Zwei der drei Rügen des Beschwerdeführers waren erfolgreich, ein sehr lesenswertes Urteil.

Sachverhalt

Die Staatsanwaltschaft legt A. mit Anklageschrift vom 1. Oktober 2018 zur Last, er habe eine versuchte eventualvorsätzliche Tötung, eventualiter eine versuchte eventualvorsätzliche schwere Körperverletzung, subeventualiter eine einfache Körperverletzung mit einem gefährlichen Gegenstand zum Nachteil von B. begangen. Am 3. September 2017, morgens um ca. 5.30 Uhr, habe der Türsteher B. die verbleibenden Gäste im Raucherraum der Bar C. in U. aufgefordert, das Lokal zu verlassen, damit Feierabend gemacht werden könne. Er habe die Bitte des Gastes A., noch weitere fünf Minuten bleiben zu können, abgelehnt. Darauf sei der angetrunkene A. verbal aggressiver, frecher und provokativer geworden. In der Folge habe B. Pfefferspray gegen A. eingesetzt. Dieser habe darauf das Lokal verlassen. Auf Bitte einer Person habe B. A. um ca. 6 Uhr einen Becher Wasser gebracht. A. habe B. zunächst nicht wahrgenommen. B. habe darauf A. den Becher gereicht und ihm gesagt, er solle diesen trinken, damit es ihm besser gehe. Als A. B. bemerkt habe, habe er erneut gedroht, ihn umzubringen. Nach einem Wortwechsel von wenigen Sekunden habe A. ein Messer aus seiner rechten Gesässtasche genommen und B. mit voller Wucht aus unmittelbarer Nähe in dessen Unterbauch gerammt, obwohl D. noch versucht habe, die rechte Hand von A. zu fixieren und ihm gesagt habe, er solle „keinen Scheiss“ machen. B. sei nach dem Messerstich zurück zur Bar gerannt. A. sei ihm mit dem Messer gefolgt, habe jedoch durch D. letztlich zurückgehalten werden können. B. habe gemäss Arztbericht des Spitals E. vom 5. September 2017 eine ca. 2 bis 2,5 cm breite und 7-10 cm tiefe Stichverletzung am linken Unterbauch erlitten und sei bis zum 15. September 2017 zu 100 % arbeitsunfähig gewesen.

Instanzenzug

Das Kriminalgericht des Kantons Luzern verurteilte A. am 26. August 2020 wegen versuchter eventualvorsätzlicher Tötung zum Nachteil von B. und Sachbeschädigung zu einer Freiheitsstrafe von 6 Jahren unter Anrechnung von 42 Tagen Freiheitsentzug und zu einer bedingt vollziehbaren Geldstrafe von 5 Tagessätzen zu Fr. 70.–, bei einer Probezeit von 2 Jahren. Es verwies ihn für die Dauer von 10 Jahren des Landes, unter Ausschreibung im Schengener Informationssystem (SIS).

Das Kantonsgericht Luzern sprach A. am 26. Oktober 2021 der versuchten vorsätzlichen Tötung zum Nachteil von B. schuldig, bestrafte ihn mit einer Freiheitsstrafe von 5 Jahren und 2 Monaten, unter Anrechnung von 42 Tagen Freiheitsentzug, und verwies ihn für die Dauer von 10 Jahren des Landes, unter Ausschreibung im SIS. Weiter stellte es die Rechtskraft des Schuldspruchs wegen Sachbeschädigung und der hierfür ausgefällten Geldstrafe fest, urteilte über die beschlagnahmten Gegenstände, Zivilforderungen und die Kosten- und Entschädigungsfolgen.

Weiterzug ans Bundesgericht

Der A. führt Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt, das Urteil des Kantonsgerichts Luzern vom 26. Oktober 2021 sei aufzuheben und er sei statt der versuchten Tötung lediglich der einfachen Körperverletzung mit einem gefährlichen Gegenstand, begangen in entschuldbarer Überschreitung der Notwehr, schuldig zu sprechen und zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 9 Monaten bei einer Probezeit von 2 Jahren zu verurteilen. Eventualiter sei er wegen versuchter eventualvorsätzlicher schwerer Körperverletzung, begangen in entschuldbarer Überschreitung der Notwehr zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 12 Monaten bei einer Probezeit von 2 Jahren zu verurteilen. Subeventualiter sei er wegen versuchten eventualvorsätzlichen Totschlags zu einer bedingt vollziehbaren Freiheitsstrafe von 24 Monaten bei einer Probezeit von 2 Jahren zu verurteilen. Eventualiter sei das angefochtene Urteil vollumfänglich aufzuheben und zur Neubeurteilung und Gewährung des rechtlichen Gehörs und Entfernung der Aufnahmen der Überwachungskamera an die Vorinstanz zurückzuweisen. Es sei auf eine Landesverweisung und Ausschreibung im SIS zu verzichten und ihm die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung zu bewilligen, unter Kosten- und Entschädigungsfolgen. Mit Schreiben vom 14. August 2023 verzichtete das Kantonsgericht Luzern auf eine Vernehmlassung. B. beantragt mit Eingabe vom 16. August 2023, die Beschwerde vollumfänglich und unter Kosten- und Entschädigungsfolgen abzuweisen. Die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Luzern liess sich nicht vernehmen. Die eingegangenen Vernehmlassungen wurden dem Beschwerdeführer am 28. September 2023 zur Kenntnis zugestellt.

Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 7B_179/2022 vom 24. Oktober 2023

Wir schauen uns hier die drei Rügen des Beschwerdeführers an, sowie sei schon gesagt, zwei waren erfolgreich. Die nicht erfolgreiche Rüge ist aber bezüglich der Ausführungen des Bundesgerichts ebenfalls interessant. Das Bundesgericht scheint sich nun bei Straffällen auch für das Datenschutzgesetz zu interessieren.

Anspruch auf rechtliches Gehör und auf Konfrontation gemäss Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK

Der Beschwerdeführer rügt vor Bundesgericht eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör und auf Konfrontation gemäss Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK durch die Abweisung seiner Beweisanträge vor Vorinstanz. Er habe vor beiden kantonalen Instanzen erfolglos beantragt, B. (nachfolgend Beschwerdegegner) sowie den direkten Augenzeugen D. anlässlich der erst- bzw. zweitinstanzlichen Hauptverhandlung zu befragen. Es sei im gesamten Verfahren nie zu einer Konfrontation mit dem Beschwerdegegner gekommen und er habe weder explizit noch stillschweigend auf sein Konfrontationsrecht verzichtet, zumal er infolge Inhaftierung nicht an der Einvernahme von D. habe erscheinen können. D. sei bloss delegiert polizeilich in einem frühen Zeitpunkt des Verfahrens befragt worden, als noch nicht alle wesentlichen Sachverhaltselemente ermittelt worden seien. Eine weitere Befragung vor Abschluss des Verfahrens bzw. vor erster oder zweiter Instanz wäre erforderlich gewesen, um ihn zu den in der Anklage geschilderten Sachverhaltselementen zu befragen (E.2.1).

Nach den vorinstanzlichen Erwägungen wurde D., wie das Bundesgericht ausführt, unmittelbar nach dem Vorfall am 3. September 2017 polizeilich und am 6. September 2017 zu den wesentlichen Themen delegiert polizeilich befragt. Dabei seien diesem auch die Videoaufzeichnungen vorgeführt worden. Es sei nicht ersichtlich, dass D. zu wesentlichen Sachverhaltselementen nicht befragt worden sei. Bei beiden Befragungen sei der Rechtspraktikant des damaligen amtlichen Verteidigers anwesend gewesen. Es sei nicht davon auszugehen, dass eine erneute Befragung zu neuen Erkenntnissen führen könnte, die für den Ausgang des Verfahrens relevant wären, da die Aussage nicht das einzige Beweismittel sei (E.2.2.1).

Zur Befragung des Beschwerdegegners erwägt die Vorinstanz, wie das Bundesgericht ausführt, dieser sei einen Tag nach dem Vorfall am 4. September 2017 polizeilich und am 7. September 2017 delegiert polizeilich befragt worden. Anlässlich der ersten Befragung sei weder der Beschwerdeführer noch seine Verteidigung anwesend gewesen. Hingegen sei anlässlich der zweiten Befragung der Rechtspraktikant des damaligen amtlichen Verteidigers anwesend gewesen. Der Beschwerdeführer sei nicht zur Befragung erschienen, obwohl der Verteidigung die Beweisabnahme im Voraus bekannt gewesen sei. Somit habe der Beschwerdeführer auf sein Teilnahmerecht wie auch auf sein Konfrontationsrecht verzichtet (E.2.2.2).

Das Bundesgericht führt im Urteil 7B_179/2022 vom 24. Oktober 2023 zum Teilnahmerecht generell-abstrakt Folgendes aus:

«Die Parteien haben das Recht, bei Beweiserhebungen durch die Staatsanwaltschaft und die Gerichte anwesend zu sein und einvernommenen Personen Fragen zu stellen (Grundsatz der Parteiöffentlichkeit, Art. 147 Abs. 1 StPO). Dieses spezifische Teilnahme- und Mitwirkungsrecht fliesst aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 107 Abs. 1 lit. b StPO, Art. 29 Abs. 2 BV). Es kann nur unter den gesetzlichen Voraussetzungen (Art. 108, Art. 146 Abs. 4 und Art. 149 Abs. 2 lit. b StPO; siehe auch Art. 101 Abs. 1 StPO) eingeschränkt werden. Beweise, die in Verletzung von Art. 147 Abs. 1 StPO erhoben worden sind, dürfen gemäss Art. 147 Abs. 4 StPO nicht zulasten der Partei verwertet werden, die nicht anwesend war (BGE 143 IV 397 E. 3.3.1 mit Hinweisen).» (E.2.3.1).

«Gemäss Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK hat die beschuldigte Person als Teilgehalt des Rechts auf ein faires Verfahren Anspruch darauf, den Belastungszeugen Fragen zu stellen. Eine belastende Zeugenaussage ist grundsätzlich nur verwertbar, wenn die beschuldigte Person wenigstens einmal während des Verfahrens angemessene und hinreichende Gelegenheit hatte, das Zeugnis in Zweifel zu ziehen und Fragen an den Belastungszeugen zu stellen (BGE 148 I 295 E. 2.1; 140 IV 172 E. 1.3; je mit Hinweisen).» (E.2.3.2)

«Auf die Teilnahme resp. Konfrontation kann vorgängig oder auch im Nachhinein ausdrücklich oder stillschweigend verzichtet werden, wobei der Verzicht des Beschuldigten auch von seinem Verteidiger ausgehen kann (BGE 143 IV 397 E. 3.3.1). Der Beschuldigte kann den Behörden nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich nicht vorwerfen, gewisse Zeugen zwecks Konfrontation nicht vorgeladen zu haben, wenn er es unterlässt, rechtzeitig und formgerecht entsprechende Anträge zu stellen (BGE 143 IV 397 E. 3.3.1; Urteil 6B_1320/2020 vom 12. Januar 2022 E. 4.2.3, nicht publ. in: BGE 148 IV 22; je mit Hinweisen).» (E.2.3.3.)

Zum Rechtsmittelverfahren bzw. zu Beweiserhebungen vor dem Berufungsgericht äussert sich das Bundesgericht im Urteil 7B_179/2022 vom 24. Oktober 2023 generell-abstrakt wie folgt:

«Gemäss Art. 389 Abs. 1 StPO beruht das Rechtsmittelverfahren grundsätzlich auf den Beweisen, die im Vorverfahren und im erstinstanzlichen Hauptverfahren erhoben worden sind. Dieser Grundsatz gelangt indes nur zur Anwendung, soweit die Beweise, auf welche die Rechtsmittelinstanz ihren Entscheid stützen will, prozessrechtskonform erhoben worden sind. Erweisen sich die Beweiserhebungen des erstinstanzlichen Gerichts als rechtsfehlerhaft (lit. a), unvollständig (lit. b) oder erscheinen sie als unzuverlässig (lit. c), werden sie von der Rechtsmittelinstanz wiederholt (Art. 389 Abs. 2 StPO).  Sofern die unmittelbare Kenntnis des Beweismittels für die Urteilsfällung notwendig erscheint, erhebt das Berufungsgericht zudem auch im Vorverfahren ordnungsgemäss erhobene Beweise noch einmal (Art. 343 Abs. 3 i.V.m. Art. 405 Abs. 1 StPO; BGE 143 IV 288 E. 1.4.1; Urteil 6B_1265/2019 vom 9. April 2020 E. 1.2, nicht publ. in BGE 146 IV 153; je mit Hinweisen). Eine unmittelbare Beweisabnahme im Rechtsmittelverfahren hat gemäss Art. 343 Abs. 3 i.V.m. Art. 405 Abs. 1 StPO zu erfolgen, wenn eine solche im erstinstanzlichen Verfahren unterblieb oder unvollständig war und die unmittelbare Kenntnis des Beweismittels für die Urteilsfällung notwendig erscheint. Art. 343 Abs. 3 StPO gelangt insofern auch im Rechtsmittelverfahren zur Anwendung (BGE 140 IV 196 E. 4.4.1; Urteil 6B_800/2016 vom 25. Oktober 2017 E. 9.2, nicht publ. in: BGE 143 IV 397; je mit Hinweisen).» (E.2.3.4).

Fallbezogen äussert sich das Bundesgericht im Urteil 7B_179/2022 vom 24. Oktober 2023 dann wie folgt und erachtet diese Rüge des Beschwerdeführers als begründet:

«Gestützt auf die Ausführungen der Vorinstanz steht fest, dass sowohl der durch die Tat des Beschwerdeführers direkt geschädigte Beschwerdegegner als auch der unmittelbare Tatzeuge D. bisher durch kein Gericht befragt worden sind. Die jeweils zweifache Befragung der Genannten (einmal durch die Polizei, einmal durch die Polizei mittels Delegation der Staatsanwaltschaft) fand wenige Tage nach der Tat im Anfangsstadium der Ermittlungen statt. Dabei waren weder der Beschwerdeführer noch der durch die Behörden eingesetzte amtliche Verteidiger des Beschwerdeführers persönlich anwesend, sondern bei drei von vier dieser Befragungen bloss der Rechtspraktikant des amtlichen Verteidigers. Hinzu kommt, dass die Einvernahmen des Beschwerdegegners wie auch des Zeugen D. zu einem Zeitpunkt stattfanden, in welchem noch nicht bekannt war, welcher Sachverhalt zur Anklage gebracht werden soll (vgl. dazu unter lit. A.). Insoweit drängte sich eine weitere gezielte Befragung dieser Personen durch das urteilende Gericht im Hinblick auf die dem Beschwerdeführer angelasteten Taten auf. Zwar lag es am Beschwerdeführer bzw. an dessen amtlichen Verteidiger, einen Antrag auf Anwesenheit (und damit auf Zuführung des Beschwerdeführers aus der damaligen Untersuchungshaft) an den jeweiligen Befragungen zu stellen (BGE 143 IV 397 E. 3.4.1 mit Hinweis), um den Konfrontationsanspruch bei jenen Einvernahmen wahrzunehmen, die durchgeführt wurden. Dies alleine bedeutet jedoch nicht, dass die Einvernahmen genügten. Vielmehr hätte es der Anspruch auf rechtliches Gehör aufgrund des schweren Tatvorwurfs ganz grundsätzlich verlangt, dass zumindest eine der kantonalen Instanzen den Beschwerdegegner und den unmittelbaren Tatzeugen D. befragt, zumal diese einen essentiellen Part im ganzen Geschehen spielten. Dies gilt unabhängig davon, dass der Beschwerdeführer bereits Gelegenheit hatte, seinen Konfrontationsanspruch wahrzunehmen, sich die Beteiligten bereits im Vorverfahren einlässlich äusserten und weitere Beweismittel vorlagen. Für das Absehen von einer erneuten Befragung genügt es auch nicht, aus dem Zeitablauf zwischen den Ermittlungen und der vorinstanzlichen Berufungsverhandlung auf das zu erwartende Beweisergebnis zu schliessen. Schliesslich liegt im Umstand, dass dem Verteidiger im Zeitpunkt der (delegierten) polizeilichen Befragungen nicht alle Akten zur Verfügung standen, kein Verzicht auf eine weitere Befragung. Dies entbindet die gerichtlichen Instanzen nicht davor, die vom Beschwerdeführer beantragten und gebotenen Befragungen durchzuführen. Die Rüge erweist sich als begründet.» (E.2.4)

Verwertbarkeit von Videoaufnahmen unter Gesichtspunkt von Art. 141 StPO

Der Beschwerdeführer macht vor Bundesgericht geltend, die Vorinstanz verletze Art. 141 StPO, indem sie die Verwertung der Videoaufnahmen zulasse. Die Überwachungskameras hätten Personendaten vom (privaten) Raucherraum und dem (öffentlich zugänglichen) Vorplatz der Bar C. aufgezeichnet. In den Akten finde sich nichts dazu, ob gekennzeichnet gewesen sei, dass eine Aufzeichnung erfolge. Es handle sich um eine heimliche, persönlichkeitsverletzende und damit unzulässige Datenaufzeichnung im Sinne von Art. 4 Abs. 4 des Bundesgesetzes über den Datenschutz [Anm.d.Red.: die Revision des DSG ändert nichts an dieser Rechtslage.]. Zudem sei die Überwachung des öffentlichen Raums jedenfalls von nicht vorliegenden Ausnahmen abgesehen nicht Aufgabe von Privaten. Die Voraussetzungen für eine Verwertbarkeit nach Art. 141 StPO seien nicht gegeben. Die Behörden hätten die Beweismittel sodann nicht rechtmässig erlangen können und diese seien zur Aufklärung einer schweren Straftat nicht unerlässlich gewesen. Die Behörden hätten den privaten Raum gar nicht und den Vorplatz der Bar nicht verdeckt überwachen dürfen. Prima vista und ex ante gesehen habe sich bloss eine einfache Körperverletzung ereignet, was keine schwere Straftat im Sinne des Gesetzes darstelle. (E.3.1).

Die Vorinstanz erwägt zur Datenaufzeichnung, wie das Bundesgericht anführt, die Videoaufnahmen der Tat stammten vom Bereich vor dem Eingang der Bar, dem dort befindlichen Vorplatz an der Kreuzung V. strasse/W. strasse in U. Ein Teil dieser Fläche werde von der Betreiberin der Bar im Rahmen eines gesteigerten Gemeingebrauchs genutzt. Überwacht werde ein sehr eingeschränkter Bereich unmittelbar vor der Bar C. Bei geöffneter Bar hielten sich an diesem Ort in der Regel nicht eine Vielzahl von Gästen längere Zeit auf. […] Überwacht werde bloss per Bild, ohne Aufzeichnung von Ton und es finde keine vollständige und dauerhafte Überwachung der Gäste statt. Die Vorinstanz erachtet die Videoüberwachung als mit dem Datenschutzgesetz (in der bis zum 28. Februar 2019 geltenden Fassung) vereinbar, da sie überwiegende private und öffentliche Interessen gemäss Art. 13 aDSG bejaht (E.3.2).

Das Bundesgericht äussert sich im Urteil 7B_179/2022 vom 24. Oktober 2023 zum Thema der Videoüberwachung und deren Verwertbarkeit wie folgt:

«Art. 141 Abs. 2 StPO zufolge dürfen Beweise, die Strafbehörden in strafbarer Weise oder unter Verletzung von Gültigkeitsvorschriften erhoben haben, nicht verwertet werden, es sei denn, ihre Verwertung sei zur Aufklärung schwerer Straftaten unerlässlich.» (E.3.3.1).

«Von Privaten rechtswidrig erlangte Beweismittel sind nur verwertbar, wenn sie von den Strafverfolgungsbehörden rechtmässig hätten erlangt werden können und kumulativ dazu eine Interessenabwägung für deren Verwertung spricht. Die Verwertung ist nur zulässig, wenn dies zur Aufklärung einer schweren Straftat unerlässlich ist (BGE 147 IV 9 mit Hinweisen).  

Als schwere Straftaten im Sinne des Gesetzes fallen vorab Verbrechen in Betracht. Je schwerer die zu beurteilende Straftat ist, umso eher überwiegt das öffentliche Interesse an der Wahrheitsfindung das private Interesse der beschuldigten Person an der Unverwertbarkeit des fraglichen Beweises (BGE 147 IV 9 mit Hinweisen). Die Beurteilung, ob eine schwere Straftat vorliegt, ist jeweils aufgrund der konkreten Sachumstände des Einzelfalls vorzunehmen (BGE 147 IV 16 E. 6, 9 E. 1.4.2). Dabei können Kriterien wie das geschützte Rechtsgut, das Ausmass dessen Gefährdung resp. Verletzung, die Vorgehensweise und kriminelle Energie des Täters oder das Tatmotiv herangezogen werden (BGE 147 IV 16 E. 7.2, 9 E. 1.4.2 mit Hinweisen; Urteil 6B_1409/2019 vom 4. März 2021 E. 1.3.1).» (E.3.3.2).

«Das Erstellen von Aufnahmen, auf denen Personen erkennbar sind, stellt ein Bearbeiten von Personendaten im Sinne von Art. 3 lit. a und lit. e des Bundesgesetzes vom 19. Juni 1992 über den Datenschutz (aDSG; SR 235.1) dar (vgl. BGE 147 IV 9 E. 1.3.2; 138 II 346 E. 6.5; Urteil 6B_768/2022 vom 13. April. 2023 E. 1.2; je mit Hinweisen). Gemäss Art. 4 Abs. 2 aDSG hat ihre Bearbeitung nach Treu und Glauben zu erfolgen und muss verhältnismässig sein. Art. 4 Abs. 4 aDSG bestimmt, dass die Beschaffung von Personendaten und insbesondere der Zweck ihrer Bearbeitung für die betroffene Person erkennbar sein muss. Die Missachtung der namentlich in Artikel 4 statuierten Grundsätze stellt eine Persönlichkeitsverletzung dar (Art. 12 Abs. 2 lit. a aDSG).  

Eine Persönlichkeitsverletzung im Sinne von Art. 12 aDSG ist laut Art. 13 Abs. 1 aDSG widerrechtlich, wenn kein Rechtfertigungsgrund – namentlich ein überwiegendes öffentliches oder privates Interesse – vorliegt. Bei der Frage, ob ein Rechtfertigungsgrund gemäss Art. 13 Abs. 1 aDSG vorliegt, ist eine Abwägung zwischen den Interessen des Datenbearbeiters und denjenigen der verletzten Person vorzunehmen. (BGE 147 IV 9 E. 1.3.2). Sind keine Rechtfertigungsgründe nach Art. 13 aDSG gegeben, so ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob die Voraussetzungen von Art. 141 Abs. 2 StPO gegeben sind (BGE 147 IV 16 E. 5 mit Hinweisen).» (E.3.3.3).

Fallbezogen und sehr auf das DSG eingehend äussert sich dann das Bundesgericht im Urteil 7B_179/2022 vom 24. Oktober 2023 wie folgt:

«Aus den vorinstanzlichen Erwägungen ergibt sich nicht, ob die Bar die Videoüberwachung gekennzeichnet hat; die Vorinstanz lässt diese Frage offen und schreitet direkt zur Interessenabwägung nach Art. 13 DSG. Zur Rechtfertigung der Videoaufnahmen argumentiert die Vorinstanz mit öffentlichen Interessen, indem sie ausführt, es komme um die genannte Lokalität abends und in der Nacht regelmässig zu teils gewaltsamen Auseinandersetzungen, dieser öffentlich zugängliche Bereich sei risikobehaftet, der Überwachung komme eine abschreckende Wirkung hinsichtlich möglicher Straftaten zu und vor allem während und nach den Schliessungszeiten der Bar C. handle es sich um einen „hot spot“, an welchem sich gerichtsnotorisch ein Teil des Nachtlebens abspiele, welches schon in Strafverfahren gemündet habe und das Sicherheitspersonal der Bar sei in dieser Phase besonders gefordert und habe für Ruhe und Ordnung zu sorgen, bis sich die Gäste auf den Heimweg machten. Mit diesen Überlegungen lässt sich jedoch ein überwiegendes Interesse des Datenbearbeiters nicht begründen, da es nicht Aufgabe des Barbetreibers ist, Straftaten zu verhindern oder zu verfolgen (vgl. Urteil 6B_768/2022 vom 13. April 2023 E. 1.3, wonach sich Private nicht auf Sicherheitsüberlegungen stützen können, um den öffentlichen Raum zu überwachen). Zu den im Innenbereich der Bar C. erfolgten Videoaufzeichnungen äussert sich die Vorinstanz gar nicht. Damit ist nicht gesagt, dass die Videoüberwachung gestützt auf das Datenschutzgesetz unzulässig gewesen wäre, sondern lediglich, dass die Begründung der Vorinstanz lückenhaft ist und für eine solche Annahme nicht ausreicht.» (E.3.4).

«Weiter ist für die Überwachung des Innenraums der Bar (privater Bereich) und des Vorplatzes (teilweise öffentlicher Raum) eine Verwertbarkeit gestützt auf Art. 141 Abs. 2 StPO zu prüfen.  

Fest steht, dass der Beschwerdeführer den Beschwerdegegner im Rahmen einer tätlichen Auseinandersetzung vor einer Bar mit einem Messer in den Bauch gestochen hat. Die Wunde wies eine Stichbreite von 2 bis 2,5 cm auf, die Tiefe betrug 7 bis 10 cm. Somit standen fraglos schwere Straftaten im Sinne von Art. 141 Abs. 2 StPO zur Diskussion. Dem Beschwerdeführer ist nicht beizupflichten, wenn er geltend macht, die Frage der schweren Straftat im Sinne von Art. 141 StPO sei „ex ante“ zu beurteilen. Vielmehr verlangt die Rechtsprechung eine Prüfung anhand des konkreten Sachverhalts, der sich ereignet hat (BGE 147 IV 16 E. 6, 9 E. 1.4.2). Indessen fehlen Angaben im angefochtenen Urteil, ob die Videoaufnahmen im Innen- und Aussenbereich der Bar unerlässlich waren, um den Sachverhalt zu erstellen. Immerhin erfolgten diese ohne Ton (angefochtenes Urteil S. 14), weswegen die Vorinstanz ohnehin eine Würdigung der Aussagen vornehmen musste. Aus diesem Grund lässt sich auch keine Interessenabwägung vornehmen, welche die Frage der Erforderlichkeit der Videoüberwachung für die Aufklärung der angeklagten Straftat zu klären hat. Die Erwägungen der Vorinstanz sind ungenügend, um die korrekte Anwendung von Bundesrecht zu prüfen (Art. 112 Abs. 1 lit. b BGG). Weder erlauben ihre Ausführungen eine vollständige Prüfung nach Art. 12 und Art. 13 aDSG noch nach Art. 141 Abs. 2 StPO. Die Beschwerde ist diesbezüglich gutzuheissen und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen.» (E.3.5)

Notwendigkeit von medizinischem Gutachten

Der Beschwerdeführer rügt vor Bundesgericht, die Vorinstanz verletze Art. 182 StPO wie auch seinen Anspruch auf rechtliches Gehör, indem sie seinen Antrag auf ein Gutachten zu den vom Beschwerdegegner erlittenen Verletzungen abweise. Dem Austrittsbericht des Spitals könne nichts zur Tiefe der Stichwunde entnommen werden, während der Operationsbericht von einer Tiefe von 7 cm ausgehe. (E.4.1).

Die Vorinstanz führt, wie das Bundesgericht erläutert, zur Frage des Gutachtens aus, bei den Akten befänden sich ein Arztbericht, ein Operationsbericht und ein Austrittsbericht. Aus dem Operationsbericht gehe eindeutig hervor, dass der Beschwerdegegner im Unterbauch eine 2 bis 2,5 cm breite und 7 bis 10 cm tiefe Stichwunde erlitten habe. Er halte fest, dass die Wunde mit der genannten Einstichtiefe versorgt werden musste. Eine genauere Abklärung der Einstichtiefe als während der im Anschluss an die Verletzung erfolgten Operation sei kaum möglich. Das Gericht habe keinen Grund, an den Angaben in den Berichten zu zweifeln. Daher sei kein Gutachten anzuordnen. Ausserdem sei nicht davon auszugehen, dass ein mehrere Jahre nach der Tat zu erstellendes Gutachten neue Erkenntnisse zur Einstichtiefe erbringen könnte. (E.4.2).

Das Bundesgericht äussert sich dazu im Urteil 7B_179/2022 vom 24. Oktober 2023 wie folgt:

«Gemäss Art. 182 StPO ziehen die Staatsanwaltschaft und die Gerichte eine oder mehrere sachverständige Personen bei, wenn sie nicht über die besonderen Kenntnisse und Fähigkeiten verfügen, die zur Feststellung oder Beurteilung eines Sachverhalts erforderlich sind.» (E.4.3.1)

Dabei prüft das Bundesgericht, wie es selber erklärt, die Abweisung eines solchen Beweisantrages und die damit verbundene Rüge unzulässiger antizipierter Beweiswürdigung nur unter Willkürgesichtspunkten (Art. 97 Abs. 1 BGG; Urteil 6B_222/2022 vom 18. Januar 2023 E. 2.2.3 mit Hinweis). Der Entscheid muss gemäss Bundesgericht nicht nur in der Begründung, sondern auch im Ergebnis willkürlich sein (BGE 146 IV 88 E. 1.3.1 mit Hinweisen). (E.4.3.2).

Fallbezogen verneint das Bundesgericht die Notwendigkeit eines Gutachtens im Urteil 7B_179/2022 vom 24. Oktober 2023 wie folgt:

«Die Vorinstanz durfte aufgrund der vorhandenen medizinischen Berichte über die Behandlung des Beschwerdegegners (Arztbericht, ein Operationsbericht und ein Austrittsbericht) auf ein Gutachten zur Stichtiefe verzichten. Denn diese Dokumente wurden durch im medizinischen Bereich kompetentes Fachpersonal erstellt. Auch wenn bloss der Operationsbericht die Stichtiefe von 7 bis 10 cm nennt, so besteht kein Grund, hierfür zusätzlich ein Gutachten anzuordnen. Der Operationsbericht wurde gestützt auf die unmittelbare Wahrnehmung des Arztes verfasst, der nach dem Vorfall die Wunde medizinisch versorgte. Er nennt ausführlich, welche Verletzungen beim Beschwerdegegner vorlagen und wie diese behandelt wurden. Die Rüge erweist sich als unbegründet.» (E.4.4).

Die Beschwerde wird durch das Bundesgericht teilweise gutgeheissen, das Urteil des Kantonsgerichts Luzern vom 26. Oktober 2021 aufgehoben und die Sache im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen.

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