Im Urteil 7B_743/2024 vom 26. Februar 2025 aus dem Kanton Schaffhausen kämpften eine Rechtsanwältin und ein Rechtsanwalt bis zum Bundesgericht um ein amtliches Mandat. Im Zentrum stand das Vorschlagsrecht des Beschuldigten bezüglich amtlicher Verteidigung. Das Bundesgericht äusserte sich wie folgt: «Das Vorschlagsrecht der beschuldigten Person nach Art. 133 Abs. 2 StPO begründet zwar keine strikte Befolgungs- bzw. Ernennungspflicht zulasten der Verfahrensleitung, für ein Abweichen vom Vorschlag der beschuldigten Person bedarf es jedoch zureichender sachlicher Gründe, wie Interessenskollisionen der erbetenen amtlichen Verteidigung, Überlastung, fehlende fachliche Qualifikation oder andere sachliche Hindernisse […]. Die Verfahrensleitung hat die beschuldigte Person auf das Vorschlagsrecht nach Art. 133 Abs. 2 StPO hinzuweisen, damit diese ihre Verfahrensrechte effektiv wahrnehmen kann. Tut sie dies nicht, führt der Umstand, dass die beschuldigte Person keine Einwände gegen die Mandatierung eines bestimmten Rechtsanwalts oder einer bestimmten Rechtsanwältin als amtliche Verteidigung erhebt, nicht zum Verlust ihres gesetzlich gewährleisteten Vorschlagsrechts […].» (E.2.2). «Die Rüge des Beschwerdeführers ist begründet: […] Er wurde jedoch weder nach seiner ersten noch nach seiner zweiten Festnahme über sein Vorschlagsrecht gemäss Art. 133 Abs. 2 StPO aufgeklärt. Zudem wiegen die am 30. September 2023 neu erhobenen Vorwürfe der vorsätzlich und versuchten vorsätzlichen Tötung viel schwerer als die dem Beschwerdeführer davor zur Last gelegten Delikte. […]. Angesichts der Schwere der neuen Vorwürfe hätte der Beschwerdeführer im vorliegenden Fall spätestens nach seiner zweiten Verhaftung (erneut) umfassend über seine Rechte betreffend Bestellung der amtlichen Verteidigung aufgeklärt werden müssen. Indem die Strafbehörden dies unterliessen, haben sie das Vorschlagsrecht des Beschwerdeführers verletzt. Ob das Vertrauensverhältnis […] erheblich gestört ist, braucht bei dieser Sachlage nicht weiter geprüft zu werden.» (E.2.4).
Nicht obligatorische Landesverweisung i.S.v. Art. 66abis StGB für wiederholte Delinquenten mit leichteren Straftaten
Im Urteil 6B_419/2024 vom 10. Februar 2025 aus dem Kanton Zürich schützte das Bundesgericht die Aussprache einer Nicht obligatorischen Landesverweisung i.S.v. Art. 66abis StGB. Das Bundesgericht äusserte sich u.a. wie folgt: «Gemäss Art. 66abis StGB kann das Gericht einen Ausländer für 3-15 Jahre des Landes verweisen, wenn er wegen eines Verbrechens oder Vergehens, das nicht von Artikel 66a StGB erfasst wird, zu einer Strafe verurteilt oder gegen ihn eine Massnahme nach den Artikeln 59-61 oder 64 StGB angeordnet wird. Wie jeder staatliche Entscheid hat die nicht obligatorische Landesverweisung unter Berücksichtigung des Verhältnismässigkeitsprinzips (Art. 5 Abs. 2 und Art. 36 Abs. 2 und 3 BV) zu erfolgen. Das Gericht hat die öffentlichen Interessen an der Landesverweisung gegen die privaten Interessen des Ausländers am Verbleib in der Schweiz abzuwägen. Die erforderliche Interessenabwägung entspricht den Anforderungen von Art. 8 Ziff. 2 EMRK an einen Eingriff in das Privat- und Familienleben […].» (E.5.3.1). «Art. 66abis StGB setzt keine Mindeststrafhöhe voraus […]. Demnach ist die nicht obligatorische Landesverweisung einer aufenthaltsberechtigten Person bei einer Verurteilung bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe nicht grundsätzlich als unverhältnismässig zu betrachten, sondern anhand einer Verhältnismässigkeitsprüfung zu beurteilen […]. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll die nicht obligatorische Landesverweisung gerade in Fällen zur Anwendung gelangen, bei denen es um Gesetzesverstösse von geringerer Schwere, aber dafür um wiederholte Delinquenz geht […].» (E.5.3.2).
Berufungsgericht muss für Strafzumessung relevante persönliche und finanzielle Verhältnisse sowie Verletzung von Art. 5 StPO abklären
Im Urteil 6B_789/2024 vom 3. Februar 2025 aus dem Kanton Appenzell Ausserrhoden befasste sich das Bundesgericht mit der Strafzumessung durch das Berufungsgericht und äusserte sich u.a. wie folgt: «Bei der Strafzumessung sind nebst dem objektiven und subjektiven Verschulden (Art. 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 StGB) auch das Vorleben und die persönlichen Verhältnisse des Täters, die Wirkung der Strafe auf das Leben des Täters sowie dessen Verhalten nach der Tat und im Strafverfahren zu berücksichtigen […]. Das Berufungsgericht muss eine eigene Strafzumessung vornehmen […]. Die Bemessung des Tagessatzes nach Art. 34 Abs. 2 StGB richtet sich daher nach den finanziellen Verhältnisse im Zeitpunkt des Berufungsurteils […]. Entscheidend für die Beurteilung der Täterkomponenten sind die tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt des Berufungsurteils, soweit nicht ausschliesslich Übertretungen Gegenstand des erstinstanzlichen Hauptverfahrens bildeten […]. Das Berufungsgericht muss - ausser im Anwendungsbereich von Art. 398 Abs. 4 StPO - die für die Strafzumessung erforderlichen persönlichen und finanziellen Verhältnisse daher von Amtes wegen abklären […]. Dies gilt auch dann, wenn die Verfahrensleitung wie vorliegend gestützt auf Art. 406 Abs. 2 StPO die Durchführung eines schriftlichen Berufungsverfahrens anordnete und die Parteien dagegen nicht […]. Angesichts der langen Verfahrensdauer von mehr als 11 Jahren, wobei alleine das zweite Berufungsverfahren rund 5½ Jahre dauerte, hätte sich die Vorinstanz zudem zwingend mit dem in Art. 29 Abs. 1 BV, Art. 6 Ziff. 1 EMRK und Art. 5 Abs. 1 StPO verankerten Beschleunigungsgebot und dem Strafmilderungsgrund von Art. 48 lit. e StGB befassen müssen. Die Folgen einer Verletzung des Beschleunigungsgebots sind meistens die Strafreduktion, manchmal der Verzicht auf Strafe oder, als ultima ratio in Extremfällen, die Einstellung des Verfahrens […]. Weshalb vorliegend eine die Verfahrenseinstellung rechtfertigende, extreme Verletzung des Beschleunigungsgebots vorliegen könnte, zeigt der Beschwerdeführer nicht auf und ist auch nicht ersichtlich. Die Vorinstanz hätte die Verletzung des Beschleunigungsgebots dennoch prüfen und gegebenenfalls bei der Strafzumessung berücksichtigen müssen.» (E.2.5).
Kriterien für Anordnung von amtlicher Verteidigung
Im Urteil 7B_1092/2024 vom 11. Februar 2025 aus dem Kanton Luzern befasste sich das Bundesgericht mit den Kriterien ob eine amtliche Verteidigung notwendig ist oder ob ein Bagatellfall vorliegt. Das Bundesgericht äusserte sich u.a. wie folgt: «Nach Art. 132 Abs. 1 lit. b StPO ordnet die Verfahrensleitung eine amtliche Verteidigung an, wenn die beschuldigte Person nicht über die erforderlichen Mittel verfügt und die Verteidigung zur Wahrung ihrer Interessen geboten ist. Letzteres ist nach Art. 132 Abs. 2 StPO namentlich dann der Fall, wenn es sich nicht um einen Bagatellfall handelt und der Straffall in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht Schwierigkeiten bietet, denen die beschuldigte Person allein nicht gewachsen wäre. Ein Bagatellfall liegt jedenfalls dann nicht mehr vor, wenn eine Freiheitsstrafe von mehr als vier Monaten oder eine Geldstrafe von mehr als 120 Tagessätzen zu erwarten ist (Art. 132 Abs. 3 StPO). Bei der Prüfung von Art. 132 Abs. 3 StPO ist nicht die abstrakte Strafandrohung massgebend, sondern eine konkrete Betrachtungsweise (vgl. BGE 143 I 164 E. 3.3 mit Hinweisen; Urteil 1B_228/2021 vom 16. Juli 2021 E. 3.2). Nach der Rechtsprechung ist zudem nicht automatisch von einem Bagatellfall auszugehen, wenn die in dieser Bestimmung genannten Schwellenwerte nicht erreicht sind. Wie Art. 132 Abs. 2 StPO durch die Verwendung des Worts "namentlich" zum Ausdruck bringt, kann die Gewährung der amtlichen Verteidigung sodann auch aus anderen als den im Gesetz genannten Voraussetzungen geboten sein. Ausschlaggebend sind die konkreten Umstände des Einzelfalls. Je schwerwiegender der Eingriff in die Interessen der betroffenen Person ist, desto geringer sind die Anforderungen an die tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten und umgekehrt (BGE 143 I 164 E. 3.6; Urteile 7B_935/2023 vom 28. August 2024 E. 2.1; 1B_228/2021 vom 16. Juli 2021 E. 2; je mit Hinweisen). Droht zwar ein erheblicher, nicht aber ein besonders schwerer Eingriff, müssen zur relativen Schwere des Eingriffs besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten hinzukommen, denen die betroffene Person - auf sich allein gestellt - nicht gewachsen wäre. Als besondere Schwierigkeiten, die eine amtliche Vertretung rechtfertigen können, fallen namentlich in der betroffenen Person liegende Gründe in Betracht, insbesondere deren Unfähigkeit, sich im Verfahren zurechtzufinden (Urteile 7B_935/2023 vom 28. August 2024 E. 2.1; 1B_72/2021 vom 9. April 2021 E. 4.1; je mit Hinweisen). Selbst in Bagatellfällen ist eine amtliche Verteidigung nicht ausgeschlossen, ein Anspruch auf amtliche Verteidigung besteht jedoch nur ausnahmsweise. Dies kann zutreffen, wenn der Fall ganz besondere Schwierigkeiten bietet oder eine besondere Tragweite aufweist, zum Beispiel wenn der Entzug einer Berufsausübungsbewilligung oder der elterlichen Sorge droht (vgl. Urteile 1B_94/2023 vom 4. Mai 2023 E. 2.1; 1B_618/2021 vom 15. Februar 2022 E. 3.3; je mit Hinweisen).» (E.2.3).
Strafgericht muss Verhältnismässigkeit der strafrechtlichen Landesverweisung selber prüfen
Im Urteil 6B_382/2024 vom 6. Februar 2025 aus dem Kanton Zürich befasste sich das Bundesgericht u.a. mit der strafrechtlichen Landesverweisung. Es schützte die Beschwerde gegen die Landesverweisung und fällte einen (seltenen) reformatorischen Entscheid. Das Bundesgericht äusserte sich u.a. wie folgt: «Bei der Frage, ob das Non-refoulement-Prinzip oder andere zwingende Bestimmungen des Völkerrechts der Landesverweisung entgegenstehen (Art. 66d Abs. 1 StGB), muss das zu deren Ausfällung angerufene urteilende Gericht prüfen, ob sich die Massnahme als verhältnismässig erweist. Es darf daher nicht einfach die Frage an die Vollzugsbehörde weiterleiten, die zuständig ist, die Ausweisung aufzuschieben. Hierbei gilt es zu berücksichtigen, dass nach Art. 66c Abs. 2 StGB vor dem Vollzug der Landesverweisung die unbedingten Strafen oder Strafteile sowie die freiheitsentziehenden Massnahmen vollzogen werden müssen. Ist der zu vollziehende Freiheitsentzug von einer gewissen Dauer, kann somit eine relativ bedeutende Zeit zwischen der Ausfällung der Landesverweisung und ihrem Vollzug verstreichen, während der die Umstände, etwa in Verbindung mit dem Gesundheitszustand des Betroffenen, sich ändern können. Wenn daher der derzeitige Gesundheitszustand des Betroffenen ein Hindernis für seine Ausweisung in sein Ursprungsland darstellen kann, muss das Sachgericht prüfen, ob dieser Zustand stabil ist, und zwar in dem Sinne, dass er sich nach aller Wahrscheinlichkeit nicht bessern wird. In diesem ersten Fall wird es auf die Landesverweisung verzichten, wenn diese im Sinne von Art. 66a Abs. 2 StGB und/oder Art. 8 EMRK unverhältnismässig ist. Wenn dagegen das Gericht feststellt, dass das zur Diskussion stehende Gesundheitsproblem behandelbar ist oder medikamentös beherrscht werden kann, wird es schliessen können, dass die Landesverweisung nicht aus diesem Grund unverhältnismässig erscheint. In diesem zweiten Fall stützt das Gericht seinen Entscheid auf konkrete Elemente ab, wie zum Beispiel die Aussicht auf eine Operation, die das aktuelle Gesundheitsproblem genügend beheben kann (zum Ganzen: BGE 145 IV 455 E. 9.4 mit weiteren Hinweisen). Diese im Anwendungsfall auf die medizinische Gesundheit bezogenen Erwägungen beanspruchen allgemeine Gültigkeit (Urteil 6B_1024/2019 vom 29. Januar 2020 E. 1.3.5) und können auf den vorliegenden Fall übertragen werden.» (E.6.3.4).
Inhalt und Verletzung des Anklageprinzips
Im Urteil 6B_202/2024 vom 17. Februar 2025 aus dem Kanton Solothurn betreffend BetmG-Delikten befasste sich das Bundesgericht mit dem Anklagegrundsatz (u.a. Art. 9 StPO und Art. 325 StPO) bzw. dessen Verletzung. Das Bundesgericht hiess die Beschwerde teilweise gut, hier die Ausführungen zum Anklagegrundsatz: «Nach dem aus Art. 29 Abs. 2 und 32 Abs. 2 BV sowie Art. 6 Ziff. 1 und 3 lit. a und b EMRK abgeleiteten Anklagegrundsatz (Art. 9 und 325 StPO) bestimmt die Anklageschrift den Gegenstand des Gerichtsverfahrens (Umgrenzungsfunktion). Die Anklage hat darin die der beschuldigten Person vorgeworfenen Taten mit Beschreibung von Ort, Datum, Zeit, Art und Folgen der Tatausführung möglichst kurz, aber genau zu bezeichnen (Art. 325 Abs. 1 lit. f StPO). Sodann hat die Anklage gemäss Art. 325 Abs. 1 lit. g StPO die nach Auffassung der Staatsanwaltschaft erfüllten Straftatbestände unter Angabe der anwendbaren Gesetzesbestimmungen anzugeben. Die der beschuldigten Person zur Last gelegten Delikte sind somit in ihrem Sachverhalt so präzise zu umschreiben, dass die Vorwürfe in objektiver und subjektiver Hinsicht genügend konkretisiert sind (vgl. BGE 149 IV 128 E. 1.2; 147 IV 439 E. 7.2). Ob die zeitliche und örtliche Umschreibung ausreicht, ist nicht abstrakt, sondern zusammen mit dem übrigen Inhalt der Anklage zu beurteilen (Urteile 6B_584/2024 vom 27. November 2024 E. 3.1; 6B_62/2024 vom 13. September 2024 E. 3.1; 6B_151/2021 vom 15. Mai 2023 E. 4.2). Die Darstellung des tatsächlichen Vorgangs ist auf den gesetzlichen Tatbestand auszurichten, der nach Auffassung der Anklage als erfüllt zu betrachten ist, d.h. es ist anzugeben, welche einzelnen Vorgänge und Sachverhalte den einzelnen Merkmalen des Straftatbestandes entsprechen. Zu den gesetzlichen Merkmalen der strafbaren Handlung gehören neben den Tatbestandsmerkmalen die Schuldform (sofern vorsätzliches und fahrlässiges Verhalten strafbar ist), die Teilnahmeform (Mittäterschaft, Anstiftung, Gehilfenschaft), die Erscheinungsform (Versuch oder vollendetes Delikt) und allfällige Konkurrenzen (vgl. BGE 120 IV 348 E. 3c; Urteile 6B_584/2024 vom 27. November 2024 E. 3.1; 6B_594/2022 vom 9. August 2023 E. 4.2.2; 6B_1454/2021 vom 26. Mai 2023 E. 2.3.1; je mit Hinweisen). Zugleich bezweckt das Anklageprinzip den Schutz der Verteidigungsrechte der beschuldigten Person und garantiert den Anspruch auf rechtliches Gehör (Informationsfunktion). Unter diesem Gesichtspunkt muss die beschuldigte Person aus der Anklage ersehen können, wessen sie angeklagt ist. Dies bedingt eine zureichende Umschreibung der Tat. Entscheidend ist, dass die betroffene Person genau weiss, welcher konkreter Handlungen sie beschuldigt wird und welchen Straftatbestand sie durch ihr Verhalten erfüllt haben soll, damit sie sich in ihrer Verteidigung richtig vorbereiten kann (BGE 143 IV 63 E. 2.2; 141 IV 132 E. 3.4.1; 133 IV 235 E. 6.2 f.; Urteil 6B_1346/2023 vom 28. Oktober 2024 E. 2.3.1; je mit Hinweisen). Allgemein gilt, je gravierender die Vorwürfe, desto höhere Anforderungen sind an den Anklagegrundsatz zu stellen (Urteile 6B_1346/2023 vom 28. Oktober 2024 E. 2.3.1; 6B_151/2021 vom 15. Mai 2023 E. 4.2; 6B_549/2021 vom 18. Mai 2022 E. 2.4.2; je mit Hinweisen). Solange klar ist, welcher Sachverhalt der beschuldigten Person vorgeworfen wird, kann auch eine fehlerhafte und unpräzise Anklage nicht dazu führen, dass es zu keinem Schuldspruch kommen darf (BGE 149 IV 128 E. 1.2; 145 IV 407 E. 3.3.2). Die nähere Begründung der Anklage erfolgt an Schranken; es ist Aufgabe des Gerichts, den Sachverhalt verbindlich festzustellen und darüber zu befinden, ob der angeklagte Sachverhalt erstellt ist oder nicht (vgl. BGE 149 IV 128 E. 1.2; 145 IV 407 E. 3.3.2; Urteile 6B_1346/2023 vom 28. Oktober 2024 E. 2.3.1; 6B_140/2021 vom 24. Februar 2022 E. 1.4; je mit Hinweisen). Das Gericht ist an den in der Anklage wiedergegebenen Sachverhalt gebunden (Immutabilitätsprinzip), nicht aber an dessen rechtliche Würdigung durch die Anklagebehörde (Art. 350 Abs. 1 StPO). Das Anklageprinzip ist verletzt, wenn die angeklagte Person für Taten verurteilt wird, bezüglich welcher die Anklageschrift den inhaltlichen Anforderungen nicht genügt, oder wenn das Gericht mit seinem Schuldspruch über den angeklagten Sachverhalt hinausgeht (Urteile 6B_1239/2021 vom 5. Juni 2023 E. 1.2; 6B_239/2022 vom 22. März 2023 E. 4.2; 6B_424/2021 vom 26. Januar 2023 E. 1.2.2; je mit Hinweisen). Ergibt das gerichtliche Beweisverfahren, dass sich das Tatgeschehen in einzelnen Punkten anders abgespielt hat als im Anklagesachverhalt dargestellt, so hindert der Anklagegrundsatz das Gericht nicht, die beschuldigte Person aufgrund des abgeänderten Sachverhalts zu verurteilen, sofern die Änderungen für die rechtliche Qualifikation des Sachverhalts nicht ausschlaggebende Punkte betreffen und die beschuldigte Person Gelegenheit hatte, dazu Stellung zu nehmen (Urteile 6B_1239/2021 vom 5. Juni 2023 E. 1.2; 6B_611/2022 vom 23. Oktober 2023 E. 1.2; 6B_1424/2021 vom 5. Oktober 2023 E. 3.3.1; je mit Hinweisen).» (E.2.3).
Eine Studie des Eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Frau und Mann (EBG) beleuchtet die Hintergründe von Tötungsdelikten mit Schusswaffen im häuslichen Bereich in der Schweiz. Der Bundesrat wurde an seiner Sitzung vom 26. Februar 2025 über die Ergebnisse informiert. Die Untersuchung zeigt, dass es sich bei den Tatpersonen fast ausschliesslich um Männer handelt, mehrheitlich sind es Schweizer im Alter von über 60 Jahren. Besonders gefährdet sind Schweizer Frauen der gleichen Altersgruppe. Zudem zeigt die Studie, dass Informationen zu Legalität und Herkunft der Schusswaffen oft fehlen.
Anklage im Fall Pierin Vincenz ist nicht zu ausführlich und Anspruch auf Übersetzung nicht verletzt
Das Bundesgericht heisst im Urteil 7B_256/2024, 7B_347/2024 vom 17. Februar 2025 die Beschwerde der Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich im Zusammenhang mit den vom Zürcher Obergericht festgestellten Mängeln im Verfahren gegen Pierin Vincenz und weitere Beschuldigte gut. Entgegen der Ansicht des Obergerichts ist die Ausführlichkeit der Anklageschrift nicht zu beanstanden und wurde der Anspruch auf Übersetzung nicht verletzt. Die Sache wird zur Durchführung des Berufungsverfahrens ans Obergericht zurückgewiesen. Das Bundesgericht erklärt u.a.: «Art. 325 Abs. 1 lit. f StPO verlangt eine "möglichst kurze, aber genaue" Umschreibung der Sachverhaltselemente, die für eine Subsumtion unter die nach Auffassung der Staatsanwaltschaft erfüllten Straftatbestände (vgl. Art. 325 Abs. 1 lit. g StPO) erforderlich sind [...]. Die Anklageschrift soll sich deshalb grundsätzlich auf das Notwendigste beschränken und auf Weitschweifigkeiten verzichten, um zu vermeiden, dass durch eine zu ausführliche Darstellung und Erörterung das Gericht zum Nachteil des Angeklagten beeinflusst wird [...]. Eine Anklageschrift kann deshalb als nicht im Sinne von Art. 329 Abs. 1 lit. a StPO ordnungsgemäss erstellt gelten, wenn sie derart ausschweifend oder unübersichtlich formuliert ist, dass der beschuldigten Person nicht klar sein kann, gegen welche Vorwürfe sie sich zu verteidigen hat [...]. Gleichsam kann sie auch aus Sicht der Waffengleichheit ordnungswidrig sein, weil sie etwa in unzulässiger Weise Verdachtsgründe anführt, eine Beweisführung vornimmt oder ausführliche Rechtserörterungen enthält und damit einem eigentlichen Plädoyer gleichkommt.» (E.3.6.2). «Schliesslich ist zu berücksichtigen, dass die von der Staatsanwaltschaft ins Auge gefassten Tatbestände, insbesondere der (gewerbsmässige) Betrug (Art. 146 StGB) bzw. die ungetreue Geschäftsbesorgung (Art. 158 StGB), in rechtlicher Hinsicht kompliziert sind und hohe Anforderungen an die Umschreibung der Tathandlungen stellen. Das gilt etwa für die Arglistigkeit einer Täuschung als Tatbestandsmerkmal des Betrugs (Art. 146 StGB) : Aus der Anklageschrift muss sich ergeben, weshalb sich die eingesetzten Täuschungsmittel durch Raffinesse oder Durchtriebenheit auszeichnen und eine erhöhte Gefährlichkeit offenbaren. So kann es notwendig sein, in der Anklageschrift die Beziehungen zwischen den Beteiligten, Abläufe in einem Unternehmen oder Äusserungen und Schriftstücke zu beschreiben, aus denen auf besondere Machenschaften geschlossen werden kann [...]. Bei Art. 158 StGB sind an die Beschreibung der Pflichtverletzung und daran anknüpfend an den (Eventual-) Vorsatz hohe Anforderungen zu stellen, weil dieses Tatbestandsmerkmal vergleichsweise unbestimmt ist [...].» (E.3.8.3). «Die Schwere sowie die tatsächliche und rechtliche Komplexität der den sieben Beschuldigten vorgeworfenen Straftaten verlangen deshalb insgesamt nach einer deutlich überdurchschnittlich detaillierten Anklageschrift.» (E.3.8.4). «Die Anklage ist dem Beschuldigten nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung in der Regel schriftlich zu übersetzen [...].» (E.4.3.2). «Anders als die Vorinstanz pauschal annimmt [...], genügt der Umstand, dass die Anklageschrift vom 26. Oktober 2020 dem Beschwerdegegner 5 nicht übersetzt worden ist, für sich allein genommen noch nicht, um von einer Verletzung des Anspruchs auf Übersetzung der wesentlichen Inhalte der wichtigsten Verfahrensschritte oder des rechtlichen Gehörs (vgl. Art. 29 Abs. 2 BV) auszugehen. Vielmehr ist zu prüfen, ob der Beschwerdegegner 5 nach den gesamten Umständen nicht in der Lage war, die gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Vorwürfe zu verstehen und sich dagegen zu verteidigen.» (E.4.4).
Amtliche Verteidigung und deren Wechsel
Im Urteil 6B_468/2024 vom 15. Januar 2025 aus dem Kanton Bern befasste sich das Bundesgericht u.a. mit dem Thema der amtlichen Verteidigung sowie des Verteidigerwechsels. Dazu führte es u.a. aus: «Die Verfahrensleitung ordnet eine amtliche Verteidigung an, wenn bei notwendiger Verteidigung die beschuldigte Person trotz Aufforderung der Verfahrensleitung keine Wahlverteidigung bestimmt (Art. 132 Abs. 1 lit. a Ziff. 1 StPO) oder die beschuldigte Person nicht über die erforderlichen Mittel verfügt und die Verteidigung zur Wahrung ihrer Interessen geboten ist (Art. 132 Abs. 1 lit. b StPO). Bei der Auswahl der amtlichen Verteidigung sind deren Eignung sowie nach Möglichkeit die Wünsche der beschuldigten Person zu berücksichtigen (Art. 133 Abs. 2 StPO). Wird die beschuldigte Person amtlich verteidigt, überträgt die Verfahrensleitung die amtliche Verteidigung gemäss Art. 134 Abs. 2 StPO einer anderen Person, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen der beschuldigten Person und ihrer amtlichen Verteidigung erheblich gestört oder eine wirksame Verteidigung aus anderen Gründen nicht mehr gewährleistet ist. Diese Vorschrift trägt dem Umstand Rechnung, dass eine engagierte und effiziente Verteidigung nicht nur bei objektiver Pflichtverletzung der Verteidigung, sondern bereits bei erheblich gestörtem Vertrauensverhältnis beeinträchtigt sein kann. Dahinter steht die Idee, dass eine amtliche Verteidigung in jenen Fällen auszuwechseln ist, in denen auch eine privat verteidigte beschuldigte Person einen Wechsel der Verteidigung vornehmen würde. Wird die subjektive Sichtweise der beschuldigten Person in den Vordergrund gestellt, bedeutet dies aber nicht, dass allein deren Empfinden für einen Wechsel der Rechtsvertretung ausreicht. Vielmehr muss die Störung des Vertrauensverhältnisses mit konkreten Hinweisen belegt und objektiviert […]. In den Grenzen einer sorgfältigen und effizienten Ausübung des Offizialmandates ist die Wahl der Verteidigungsstrategie grundsätzlich Aufgabe der amtlichen Verteidigung. Zwar hat sie die objektiven Interessen der beschuldigten Person möglichst im gegenseitigen Einvernehmen und in Absprache mit dieser zu wahren. Die amtliche Verteidigung agiert jedoch im Strafprozess nicht als blosses unkritisches "Sprachrohr" ihrer Mandantschaft. Insbesondere liegt es in ihrem pflichtgemässen Ermessen, zu entscheiden, welche Prozessvorkehren und juristischen Standpunkte sie (im Zweifelsfall) als sachgerecht und geboten erachtet […].» (E.4.2).
Folgen der Verletzung der Fünftagesfrist von Art. 233 StPO
Im Urteil 7B_41/2025 vom 13. Februar 2025 aus dem Kanton Schaffhausen befasste sich das Bundesgericht mit Art. 233 StPO. Eine Verletzung der Fünftagesfrist führt nicht automatisch zu einer Haftentlassung, wie das Bundesgericht erklärt: «Nach der Rechtsprechung führt die Nichteinhaltung der Fünftagefrist gemäss Art. 233 StPO nicht automatisch zu einer sofortigen Haftentlassung (Urteil 7B_750/2023 vom 3. November 2023 E. 3.4.4 mit Hinweisen). Abgesehen davon, dass diese Frist an den Abschluss des Schriftenwechsels anknüpft […], kann die Verletzung des Beschleunigungsgebots nur zur Haftentlassung führen, wenn die Verfahrensverzögerung geeignet ist, die Rechtmässigkeit der Untersuchungs- bzw. Sicherheitshaft in Frage zu stellen. Das ist nur der Fall, wenn sie besonders schwer wiegt und die Straf (verfolgungs) behörden erkennen lassen, dass sie nicht gewillt oder in der Lage sind, das Verfahren nunmehr mit der für Haftfälle verfassungs- und konventionsrechtlich gebotenen Beschleunigung voranzutreiben (vgl. BGE 140 IV 74 E. 3.2; 137 IV 92 E. 3.1 mit Hinweis; 137 IV 118 E. 2.2). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt […].» (E.2.3.2).
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