Ausstandpflicht wegen informeller Hierarchien im Gericht

Im Urteil 7B_322/2023, 7B_323/2023, 7B_324/2023 vom 27. Dezember 2023 aus dem Kanton Zug geht es um Ausstandbegehren gegen einen Ersatzoberrichter und einen Gerichtsschreiber des Obergerichts des Kantons Zug. Das Bundesgericht äussert sich u.a. wie folgt zur richterlichen Unabhängigkeit: «Richterliche Unabhängigkeit bedeutet zunächst einmal die Unabhängigkeit vor externer Einflussnahme, namentlich durch die anderen Staatsgewalten oder die Parteien […]. Eine Verletzung von Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK liegt dabei nicht erst dann vor, wenn die richterliche Unabhängigkeit im konkreten Fall tatsächlich beeinträchtigt ist, sondern bereits dann, wenn ein entsprechender Anschein besteht […]. Es gilt nicht bloss tatsächliche Loyalitätskonflikte zu verhindern, sondern auch das notwendige Vertrauen der Rechtssuchenden in die richterliche Unabhängigkeit der Gerichte zu erhalten […], weshalb auch das äussere Erscheinungsbild eines Gerichts den Eindruck der Unabhängigkeit zu vermitteln hat […]. Diese Grundsätze schlagen sich auch in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) nieder. Dieser hat wiederholt eine Verletzung der richterlichen Unabhängigkeit festgestellt, obwohl die jeweiligen Gerichtspersonen in ihrer rechtsprechenden Funktion nicht (direkt) weisungsgebunden waren oder ihnen eine solche Weisungsfreiheit sogar gesetzlich zugesichert wurde, und ohne dass Anzeichen für eine konkrete externe Einflussnahme vorgelegen hätten. Ausschlaggebend war, dass die betroffenen Gerichtspersonen in jeweils anderer Funktion gegenüber der (am Verfahren beteiligten) Verwaltung oder gegenüber den Strafbehörden in einem Weisungsverhältnis standen, womit zumindest der Anschein bestand, dass es an der erforderlichen Unabhängigkeit gemäss Art. 6 Ziff. 1 EMRK mangle […]» (E.4.3.2). «Vorliegend streitig ist in erster Linie nicht die Unabhängigkeit des Gerichts gegen aussen, sondern jene des Beschwerdegegners 1 innerhalb des Gerichts. Die vorgenannten Grundsätze und Präjudizien können jedoch analog auf diese Situation übertragen werden. Kerngehalt der richterlichen Unabhängigkeit ist die Weisungsfreiheit der Gerichtsmitglieder, was mit Blick auf die interne Unabhängigkeit bedeutet, dass formelle Hierarchien innerhalb eines Gerichts unzulässig sind. Problematisch sind indessen nicht nur formelle Hierarchien innerhalb eines Gerichts. Auch Einflüsse, welche sich aus sogenannt informellen Hierarchien ergeben können, sind geeignet, die interne richterliche Unabhängigkeit zu gefährden […].» (E.4.3.3). Das Bundesgericht verneint die Ausstandpflicht der beiden Gerichtspersonen nach langen Ausführungen (E.4.4). Das Urteil ist «must read» zu Fragen des Ausstandes von Gerichtspersonen.

Sachverhalt

Das Strafgericht des Kantons Zug sprach C. des gewerbsmässigen Betrugs und der Urkundenfälschung und B. sowie A. der Gehilfenschaft zum gewerbsmässigen Betrug schuldig. Gegen dieses Urteil erhoben alle drei Beschuldigten Berufung beim Obergericht des Kantons Zug.

Mit der Verfahrensleitung der drei Berufungsverfahren wurde Ersatzoberrichter D. betraut. Als zuständiger Gerichtsschreiber wurde E. eingesetzt. Der Präsident der Strafabteilung des Obergerichts des Kantons Zug, Oberrichter F., trat zufolge Vorbefassung in den Ausstand.

Instanzenzug

Am 9. bzw. am 10. Februar 2023 stellten B. und C. ein Ausstandsgesuch gegen D. und E. Am 10. Februar 2023 reichte A. ein Ausstandsgesuch gegen D. ein. Die Strafabteilung des Obergerichts des Kantons Zug wies die Ausstandsbegehren mit Beschluss vom 28. März 2023 ab (Dispositiv-Ziffer 1).

Weiterzug ans Bundesgericht

Der A. (Verfahren 7B_322/2023), B. (Verfahren 7B_323/2023) und C. (Verfahren 7B_324/2023) führen je Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht. Sie beantragen übereinstimmend, der Beschluss des Obergerichts des Kantons Zug vom 28. März 2023 sei aufzuheben und Ersatzoberrichter D. sei in den Berufungsverfahren in den Ausstand zu versetzen. A. beantragt zudem, eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 7B_322/2023, 7B_323/2023, 7B_324/2023 vom 27. Dezember 2023

Die Beschwerden in den Verfahren 7B_322/2023, 7B_323/2023 und 7B_324/2023 richten sich allesamt gegen denselben Entscheid und haben dieselbe zentrale Rechtsfrage, so dass sie vom Bundesgericht vereinigt werden (E.1).

Angefochten ist ein selbstständig eröffneter Zwischenentscheid über Ausstandsbegehren im Rahmen dreier Strafverfahren. Dagegen steht die Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht nach Art. 78 ff. BGG grundsätzlich offen (Art. 59 Abs. 1 StPO i.V.m. Art. 80 BGG; Art. 78 Abs. 1 BGG; Art. 92 Abs. 1 BGG). Die weiteren Eintretensvoraussetzungen geben geben für das Bundesgericht zu keinen Bemerkungen Anlass (E.2.1).

Das Bundesgericht äussert sich im Urteil 7B_322/2023, 7B_323/2023, 7B_324/2023 vom 27. Dezember 2023 zu den Anträgen und Rügen der Beschwerdeführer wie folgt:

«Die Beschwerdeführer 2 und 3 stellten in ihren Beschwerden an das Bundesgericht lediglich den Antrag, der Beschwerdegegner 1 sei in den Ausstand zu versetzen. Soweit sie im Rahmen ihrer Replik nun darüber hinaus die Unvoreingenommenheit des Beschwerdegegners 2 in Frage stellen, gehen sie über den zulässigen Streitgegenstand hinaus, sodass auf ihre diesbezügliche Argumentation nicht einzutreten ist. Die Replik dient nicht dazu, das in der Beschwerde nicht Vorgebrachte nachzutragen (vgl. Urteile 6B_260/2020 vom 2. Juli 2020 E. 2.4.3; 6B_4/2019 vom 19. Dezember 2019 E. 1.1; 8C_832/2015 vom 18. Januar 2016 E. 2). Dass Ausstandsgründe von Amtes wegen zu klären sind, vermag daran nichts zu ändern. Ebenso wenig ist auf ihre, in den Beschwerden bzw. Repliken gemachten Ausführungen betreffend den Ausstand von G. und/oder von F. einzugehen. Soweit ihre Vorbringen überhaupt verständlich sind, ist nicht ersichtlich, dass und inwiefern diese für die hier zu beurteilende Frage des Ausstands des Beschwerdegegners 1 relevant sein sollten.» (E.2.2)

«Die Beschwerdeführerin 3 macht insoweit eine Verletzung von Art. 112 Abs. 1 lit. b BGG geltend, als die Vorinstanz in ihrem Entscheid betreffend Ausstand die angewendeten Gesetzesbestimmungen, insbesondere Art. 56 lit. f StPO, nicht genannt habe. Diese Rüge erweist sich als unbegründet. Im angefochtenen Beschluss wird auf Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK Bezug genommen, welche den Anspruch einer jeden Person verankern, dass ihre Sache von unparteiischen, unvoreingenommenen und unbefangenen Justizpersonen ohne Einwirken sachfremder Umstände entschieden wird. Art. 56 StPO konkretisiert diese grundrechtliche Garantie (BGE 148 IV 137 E. 2.2; 144 I 234 E. 5.2; 143 IV 69 E. 3.2). Indem die Vorinstanz eine Verletzung von Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK verneint hat, hat sie fraglos auch das Vorliegen der von der Beschwerdeführerin 3 gerügten Ausstandsgründe nach Art. 56 lit. a und f StPO ausgeschlossen. Die in Art. 112 Abs. 1 lit. b BGG statuierte Begründungspflicht dient dazu, den Parteien die für den Entscheid massgebenden Umstände zur Kenntnis zu bringen, damit sie sich ein Bild über die Tragweite machen, ihn auf seine Richtigkeit hin überprüfen und gegebenenfalls sachgemäss anfechten können (BGE 141 IV 244 E. 1.2.1; Urteil 6B_1150/2020 vom 17. April 2023 E. 1.5.2.2; je mit Hinweisen). Diese Vorgaben werden durch den angefochtenen Beschluss ohne Weiteres erfüllt.» (E.3.1)

«Die drei Beschwerdeführer rügen teils unter Bezugnahme auf BGE 149 I 14, die Vorinstanz habe ihr jeweiliges, gegen den Beschwerdegegner 1 gestelltes Ausstandsgesuch zu Unrecht abgewiesen und den Anschein der Befangenheit zu Unrecht verneint.  Zusammengefasst bringen sie vor, dass der Präsident der Strafabteilung des Obergerichts Zug, Oberrichter F., früher fallführender Staatsanwalt in den gegen sie geführten Verfahren gewesen sei. Der Beschwerdegegner 1 habe bis Ende Januar 2023 als Gerichtsschreiber bei der Strafabteilung des Obergerichts des Kantons Zug gearbeitet. Dabei sei er in dieser Zeit auch für Oberrichter F. tätig gewesen. Am 26. Januar 2023 sei er vom Kantonsrat als a.o. Ersatzoberrichter gewählt und am 1. Februar 2023 im hier interessierenden Berufungsverfahren als Verfahrensleiter eingesetzt worden. Der Beschwerdegegner 1 sei damit bis zu seiner Wahl am 26. Januar 2023 in einem Subordinationsverhältnis zu F. gestanden, welches insbesondere im Hinblick auf die Karriereplanung des Beschwerdegegners 1 von ganz besonderer Prägung gewesen sei. Es könne – so die Beschwerdeführer 1 und 3 – nicht ausgeschlossen werden, dass dieses vorbestehende Subordinationsverhältnis den Beschwerdegegner 1 hemme, die Anklage seines früheren Vorgesetzten kritisch und ergebnisorientiert zu hinterfragen. Hinzu komme, dass die Wahl des Beschwerdegegners 1 als a.o. Ersatzoberrichter auf zwei Jahre beschränkt sei. Es deute alles darauf hin bzw. sei ein realistisches Szenario, dass der Gewählte nach Ablauf der zweijährigen Amtsdauer ein Interesse habe, erneut als Gerichtsschreiber in der Abteilung von F. angestellt zu werden und damit der Strafabteilung des Obergerichts des Kantons Zug erhalten bleibe. Mit dem Vorkehren, dass dem Beschwerdegegner 1 offiziell keine Zusicherung bezüglich einer Wiederanstellung als Gerichtsschreiber gemacht wurde, könne dem Anschein von Befangenheit nicht begegnet werden. Die zwischenzeitliche „formelle“ Auflösung sei Makulatur. Die konkrete Möglichkeit, später erneut in einem Subordinationsverhältnis zu Oberrichter F. zu stehen, begründe ernstliche Zweifel daran, dass es dem Beschwerdegegner 1 möglich sei, das Verfahren offen und unabhängig zu führen. Auf die Befangenheitsproblematik sei im Übrigen von verschiedenen Kantonsräten bereits anlässlich der Wahl des Beschwerdegegners 1 als a.o. Ersatzoberrichter hingewiesen worden. Damit sei schon vor der Wahl voraussehbar gewesen, dass sich diesbezüglich Probleme stellen könnten. Im Übrigen sei der Beschwerdegegner 1 von Anfang an gezielt als a.o. Ersatzoberrichter für jene Fälle vorgesehen gewesen, in welchen F. wegen Vorbefassung in den Ausstand zu treten habe. Laut dem Beschwerdeführer 2 hätte F. daher als Mitglied des Plenums des Obergerichts des Kantons Zug, welches dem Kantonsrat den Beschwerdegegner 1 zur Wahl vorschlug, bei der Verabschiedung des Wahlantrags in den Ausstand treten müssen. Da er dies nicht tat, sei davon auszugehen, dass er einen gewissen Einfluss auf die Wahl des Beschwerdegegners 1 gehabt habe. Der Einfluss von F. auf den Vorschlag des Obergerichts des Kantons Zug, den Beschwerdegegner 1 als a.o. Ersatzoberrichter zu wählen, sei – so der Beschwerdeführer 2 – objektiv geeignet, den Anschein der Befangenheit und Voreingenommenheit zu wecken. Ohnehin müsse gemäss den Beschwerdeführern 1 und 3 berücksichtigt werden, dass Oberrichter F. Einfluss auf die zukünftige Karriere des Beschwerdegegners 1 habe, was ohne Weiteres den Anschein von Befangenheit begründe. Indem die Vorinstanz dies ausblende, verfalle sie in Willkür. Schliesslich habe der Beschwerdegegner 1 bereits am 2. bzw. 3. Februar 2023 erste, umfangreiche Präsidialverfügungen erlassen und am 1. Februar 2023 mit der Privatklägerschaft korrespondiert. Angesichts der Dimension des Straffalls hätten diese Verfügungen ein aufwendiges Aktenstudium und entsprechend einen grösseren Arbeitsaufwand vorausgesetzt. Folglich sei klar, dass sich der Beschwerdegegner 1 bereits in seiner Funktion als Gerichtsschreiber mit der Strafsache befasst hat. Es könne dementsprechend nicht ausgeschlossen werden, dass er diesen Auftrag vom Abteilungspräsidenten F. erhalten habe. Sowohl der Beschwerdegegner 1 als auch die Vorinstanz würden sich genau in diesem Punkt um eine klare Stellungnahme drücken, was den Anschein von Befangenheit weiter verstärke. Aufgrund dieser Umstände – so die drei Beschwerdeführer – sei aus Sicht eines Dritten die Unabhängigkeit des Beschwerdegegners 1 nicht gegeben bzw. der Anschein der Befangenheit zu bejahen, weshalb dieser in den Ausstand zu versetzen sei.» (E.4.1)

«Die Vorinstanz erwägt im Wesentlichen, der Umstand, dass zwischen Oberrichter F. und dem Beschwerdegegner 1 früher ein Subordinationsverhältnis bestanden habe, erwecke keinen Anschein der Befangenheit. Dies umso weniger, als die Zusammenarbeit damals bloss sechs Monate gedauert habe.  Der Beschwerdegegner 1 sei nun ausschliesslich als Ersatzoberrichter tätig und übe keine parallele Gerichtsschreibertätigkeit aus. Sein Arbeitsvertrag als Gerichtsschreiber sei per 31. Januar 2023 endgültig aufgelöst worden. Eine Wiederaufnahme der Gerichtsschreibertätigkeit am Obergericht Zug nach Ablauf des Einsatzes als a.o. Ersatzrichter werde nicht diskutiert bzw. sei nie diskutiert worden. Das Kriterium einer potentiellen (Wieder-) Anstellung als Gerichtsschreiber sei für die Beurteilung von Ausstandsgründen untauglich. Die im Zusammenhang mit der Wahl des Beschwerdegegners 1 zum a.o. Ersatzoberrichter in Bezug auf die Befangenheitsproblematik geäusserten Bedenken einzelner Kantonsräte würden zu keinem anderen Resultat führen.  Zudem sei klarzustellen, dass Oberrichter F. keinen Einfluss auf die Wahl des Beschwerdegegners 1 genommen habe. Der Antrag auf dessen Wahl als a.o. Ersatzoberrichter sei in der Justizverwaltungsabteilung bereits vor dem Amtsantritt von F. diskutiert worden. Gespräche mit dem Beschwerdegegner 1 hätten folglich zu Zeiten stattgefunden, als noch kein Subordinationsverhältnis zwischen F. und dem Beschwerdegegner 1 bestanden habe. Aus dem Umstand, dass Ersterer Mitglied des Plenums des Obergerichts sei und das Plenum letztlich den Antrag an den Kantonsrat auf Wahl des Beschwerdegegners 1 verabschiedet habe, könne kein Einfluss von F. auf den Entscheid, den Beschwerdegegner 1 als a.o. Ersatzoberrichter vorzuschlagen, abgeleitet werden. Desgleichen sei eine Einflussnahme von Oberrichter F. auf eine zukünftige „Gerichtsschreiber-Karriere“ des Beschwerdegegners 1 nicht ersichtlich oder zumindest nicht derart ausgeprägt, dass deswegen ein Anschein von Befangenheit bestünde. Die Anstellung von Gerichtsschreibern in der Strafjustiz erfolge durch die Justizverwaltung des Obergerichts, welcher Oberrichter F. nicht angehöre. Ob sich der Beschwerdegegner 1 bereits während seiner Gerichtsschreibertätigkeit mit dem Fall befasst habe, sei schliesslich irrelevant, zumal daraus kein Anschein der Befangenheit entstehen könne. Bevor er mit Verfügung vom 1. Februar 2023 in den die Beschwerdeführer betreffenden Berufungsverfahren als Richter eingesetzt wurde, habe er jedenfalls keine Weisung erhalten, sich mit dem Fall zu befassen. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer sei für das Erstellen der Präsidialverfügungen anfangs Februar 2023 zudem kein aufwendiges Aktenstudium erforderlich gewesen, weshalb sich aus dem Datum der Verfügungen ohnehin nichts für die von den Beschwerdeführern vertretene Auffassung, der Beschwerdegegner 1 müsse sich mit Blick auf diese Verfügungen bereits vor seinem Amtsantritt intensiv mit dem Fall beschäftigt haben, ableiten lasse.» (E.4.2).

Zu Art. 56 StPO äussert sich das Bundesgericht im Urteil 7B_322/2023, 7B_323/2023, 7B_324/2023 vom 27. Dezember 2023 dann wie folgt:

«Gemäss Art. 56 StPO tritt eine in einer Strafbehörde tätige Person unter anderem in den Ausstand, wenn sie in der Sache ein persönliches Interesse hat (lit. a) oder wenn sie aus anderen Gründen, insbesondere wegen Freundschaft oder Feindschaft mit einer Partei oder deren Rechtsbeistand, befangen sein könnte (lit. f). Wie unter E. 3.1 hiervor dargelegt, stellt Art. 56 StPO für das Strafverfahren eine Konkretisierung von Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK dar, wonach jede Person, deren Sache in einem gerichtlichen Verfahren beurteilt werden muss, Anspruch auf ein durch Gesetz geschaffenes, zuständiges, unabhängiges und unparteiisches Gericht hat. Es soll garantiert werden, dass keine sachfremden Umstände, die ausserhalb des Prozesses liegen, in sachwidriger Weise zugunsten oder zulasten einer Partei auf das gerichtliche Urteil einwirken. Art. 30 Abs. 1 BV soll zu der für einen korrekten und fairen Prozess erforderlichen Offenheit des Verfahrens im Einzelfall beitragen und damit ein gerechtes Urteil ermöglichen (BGE 147 III 89 E. 4.1; 144 I 159 E. 4.3; 142 III 732 E. 4.2.2; 140 III 221 E. 4.1). Dabei kann die Garantie des unabhängigen und unbefangenen Gerichts insbesondere durch organisatorische Gegebenheiten tangiert sein (BGE 147 III 577 E. 6; 147 I 173 E. 5.1). Ob dies der Fall ist, prüft das Bundesgericht frei (zum Ganzen: BGE 149 I 14 E. 5.3.2, Urteil 1B_519/2022 vom 1. November 2022 E. 2.2.1).» (E.4.3.1)

«Richterliche Unabhängigkeit bedeutet zunächst einmal die Unabhängigkeit vor externer Einflussnahme, namentlich durch die anderen Staatsgewalten oder die Parteien (vgl. BGE 123 II 511 E. 5c). Eine Verletzung von Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK liegt dabei nicht erst dann vor, wenn die richterliche Unabhängigkeit im konkreten Fall tatsächlich beeinträchtigt ist, sondern bereits dann, wenn ein entsprechender Anschein besteht (BGE 147 I 173 E. 5.1; 147 III 89 E. 4.1; 137 I 227 E. 2.1). Es gilt nicht bloss tatsächliche Loyalitätskonflikte zu verhindern, sondern auch das notwendige Vertrauen der Rechtssuchenden in die richterliche Unabhängigkeit der Gerichte zu erhalten (BGE 124 I 255 E. 5d; 119 Ia 91 E. 3), weshalb auch das äussere Erscheinungsbild eines Gerichts den Eindruck der Unabhängigkeit zu vermitteln hat (vgl. BGE 139 III 98 E. 4.2 und 4.4). Diese Grundsätze schlagen sich auch in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) nieder. Dieser hat wiederholt eine Verletzung der richterlichen Unabhängigkeit festgestellt, obwohl die jeweiligen Gerichtspersonen in ihrer rechtsprechenden Funktion nicht (direkt) weisungsgebunden waren oder ihnen eine solche Weisungsfreiheit sogar gesetzlich zugesichert wurde, und ohne dass Anzeichen für eine konkrete externe Einflussnahme vorgelegen hätten. Ausschlaggebend war, dass die betroffenen Gerichtspersonen in jeweils anderer Funktion gegenüber der (am Verfahren beteiligten) Verwaltung oder gegenüber den Strafbehörden in einem Weisungsverhältnis standen, womit zumindest der Anschein bestand, dass es an der erforderlichen Unabhängigkeit gemäss Art. 6 Ziff. 1 EMRK mangle (zum Ganzen: BGE 149 I 14 E. 5.3.2, Urteil 1B_519/2022 vom 1. November 2022 E. 2.2.2).» (E.4.3.2).

«Vorliegend streitig ist in erster Linie nicht die Unabhängigkeit des Gerichts gegen aussen, sondern jene des Beschwerdegegners 1 innerhalb des Gerichts. Die vorgenannten Grundsätze und Präjudizien können jedoch analog auf diese Situation übertragen werden. Kerngehalt der richterlichen Unabhängigkeit ist die Weisungsfreiheit der Gerichtsmitglieder, was mit Blick auf die interne Unabhängigkeit bedeutet, dass formelle Hierarchien innerhalb eines Gerichts unzulässig sind. Problematisch sind indessen nicht nur formelle Hierarchien innerhalb eines Gerichts. Auch Einflüsse, welche sich aus sogenannt informellen Hierarchien ergeben können, sind geeignet, die interne richterliche Unabhängigkeit zu gefährden (vgl. BGE 149 I 14 E. 5.3.3, Urteil 1B_519/2022 vom 1. November 2022 E. 2.2.3).» (E.4.3.3).

Das Bundesgericht hält alsdann im Urteil 7B_322/2023, 7B_323/2023, 7B_324/2023 vom 27. Dezember 2023 die Ausführungen der Beschwerdeführer betreffend der Ausstandpflicht für nicht überzeugend und argumentiert wie folgt (aufgrund des interessanten und sehr praxisrelevanten Themas werden nachfolgend die gesamten Ausführungen angeführt) (E.4.4):

«Zunächst ist nicht ersichtlich, inwiefern ein früheres, während sechs Monaten bestehendes Subordinationsverhältnis zu Oberrichter F. beim Beschwerdegegner 1 den Anschein der Befangenheit begründen sollte. Das von den Beschwerdeführern 1 und 2 in diesem Zusammenhang angerufene Bundesgerichtsurteil BGE 149 I 14 führt zu keinem anderen Schluss, lag diesem doch ein Sachverhalt zugrunde, der mit den vorliegenden Umständen nicht verglichen werden kann. So ging es im damaligen Entscheid um eine Konstellation, in welcher die Person, gegen die der Ausstand verlangt wurde, die Tätigkeit als Gerichtsschreiber und als Ersatzrichter parallel, d.h. zeitgleich, ausübte, wohingegen der Beschwerdegegner 1 nach den unbestritten gebliebenen vorinstanzlichen Erwägungen seit seiner Wahl im Februar 2023 lediglich als Richter tätig ist und insofern keine Doppelfunktion ausübt. Der im genannten Bundesgerichtsurteil getroffene Schluss, wonach bei der vom Ausstandsgesuch betroffenen Gerichtsperson aufgrund informeller Hierarchien der Anschein von Befangenheit bestehe, lässt sich damit nicht auf den vorliegenden Fall übertragen. Für die Annahme, dass die zwischen dem Beschwerdegegner 1 und F. vor Februar 2023 bestandene sechsmonatige berufliche Beziehung noch in die Gegenwart hineinwirken könnte und den Beschwerdegegner 1 hemmen würde, sich mit der Anklage kritisch auseinanderzusetzen, bestehen keinerlei Anhaltspunkte.» (E.4.4.1)

«Daran vermögen auch die Ausführungen der drei Beschwerdeführer, es bestehe die konkrete Möglichkeit bzw. ein realistisches Szenario, dass der Beschwerdegegner 1 nach der befristeten Amtsdauer wieder als Gerichtsschreiber amten könnte, nichts zu ändern. Die Beschwerdeführer stellen dabei einzig Vermutungen an. Damit lässt sich von vornherein kein objektiver Anschein von Befangenheit dartun. Die den Ausstand begründenden Tatsachen sind glaubhaft zu machen (vgl. Art. 58 Abs. 1 StPO). Reine Mutmassungen über mögliche Zukunftsszenarien – wie sie von den Beschwerdeführern angestellt werden – genügen nicht. Konkrete Hinweise dafür, dass der Beschwerdegegner 1 nach Ablauf seiner Amtszeit der Strafabteilung des Obergerichts Zug als Gerichtsschreiber erhalten bleibt und F. als Oberrichter derselben Abteilung wiedergewählt wird, sind weder hinreichend dargetan noch ersichtlich. Die Frage, ob eine Bewerbung und Wiederanstellung als Gerichtsschreiber an der Strafabteilung des Obergerichts Zug nach zweijährigen Amtszeit als a.o. Ersatzoberrichter mit Blick auf die Befangenheitsthematik problematisch wäre, kann insofern offengelassen werden.  Dass einzelne Politiker bei der Wahl des Beschwerdegegners 1 zum a.o. Ersatzoberrichter hinsichtlich der Befangenheitsproblematik gewisse Bedenken äusserten und diese Debatte in den Medien erwähnt wurde, begründet nach den zutreffenden Erwägungen der Vorinstanz des Weiteren kein Anschein der Befangenheit. Auf das subjektive Empfinden einer Partei oder von Dritten ist bei der Beurteilung, ob ein Ausstandsgrund vorliegt, nicht abzustellen (vgl. BGE 141 IV 178 E. 3.2.1; 140 I 326 E. 5.1; 138 IV 142 E. 2.1; je mit Hinweisen). Weshalb die Feststellung der Vorinstanz, wonach der Umstand, dass es bei der Wahl zu Misstönen gekommen sei, einzig damit zu tun habe, dass der Vorschlag für einen Kandidaten vom Obergericht stamme, willkürlich sein sollte, erschliesst sich im Weiteren nicht. Indem es der Beschwerdegegner 2 dabei belässt, diese Ausführungen als „offensichtlich falsch“ zu bezeichnen, kommt er den qualifizierten Anforderungen an eine Willkürrüge (Art. 106 Abs. 2 BGG) nicht nach (vgl. zum Begriff der Willkür und den Anforderungen an die Willkürrüge: BGE 148 I 160 E. 3; 147 IV 73 E. 4.1.2; 141 IV 369 E. 6.3; je mit Hinweisen). Im Übrigen scheint er zu verkennen, dass die Vorinstanz darüber hinaus die Voten einzelner Kantonsräte hinsichtlich der Befangenheitsproblematik in ihren Erwägungen durchaus berücksichtigt hat.» E.4.4.2).

«Ebenso wenig verfängt die Argumentation, F. habe einen Einfluss auf die Wahl des Beschwerdegegners 1 als a.o. Ersatzrichter gehabt, was objektiv geeignet sei, den Anschein von Befangenheit und Voreingenommenheit zu erwecken. Soweit die Beschwerdeführer hierbei den vorinstanzlichen Sachverhalt ergänzen bzw. diesem ihre eigene Sachdarstellungen entgegenbringen, ohne jedoch Willkür in einer den Anforderungen von Art. 106 Abs. 2 BGG genügenden Weise oder eine Verletzung des rechtlichen Gehörs darzutun, ist darauf nicht einzutreten. Dies gilt etwa hinsichtlich der Behauptung, der Beschwerdegegner 1 sei von Beginn an gezielt als a.o. Ersatzrichter für jene Fälle vorgesehen gewesen, in welchen F. wegen Vorbefassung in den Ausstand zu treten habe. Der Beschwerdegegner 1 wurde laut den unbestritten gebliebenen Feststellungen der Vorinstanz durch den Kantonsrat zum a.o. Ersatzoberrichter gewählt. Es ist daher nicht ersichtlich, weshalb er sich wegen seiner Wahl zur Rücksichtnahme gegenüber F. verpflichtet fühlen sollte.» (E.4.4.3).

«Unbehelflich sind weiter die Vorbringen hinsichtlich der Einflussmöglichkeit von Oberrichter F. auf die Gerichtsschreiberkarriere des Beschwerdegegners 1. Bestehen wie vorliegend keinerlei konkrete Anhaltspunkte dafür, dass sich der Beschwerdegegner 1 in Zukunft, nach Ablauf seiner Amtsdauer, wieder als Gerichtsschreiber bei der Strafabteilung des Obergerichts Zug bewerben und dort eine Anstellung erhalten wird, bleibt die Möglichkeit der Einflussnahme von F. rein hypothetisch. Damit lässt sich kein Anschein von Befangenheit dartun. Weitergehende Ausführungen – etwa dazu, wer für die Anstellung der Gerichtsschreiber der Strafabteilung des Obergerichts Zug zuständig ist oder ob F. Einfluss auf die Anstellung von Gerichtsschreibern habe – erübrigen sich damit.» (E.4.4.4)

«Was schliesslich den Vorwurf der unzulässigen Vorbefassung des Beschwerdegegners 1 betrifft, kann grundsätzlich auf die überzeugenden Ausführungen der Vorinstanz verwiesen werden. Soweit die Beschwerdeführer behaupten, der Beschwerdegegner 1 müsse sich mit Blick auf die von ihm Anfang Februar 2023 erlassenen Präsidialverfügungen und der Kommunikation mit den Privatklägern schon vor seinem Amtsantritt intensiv mit dem Fall beschäftigt haben, setzen sie sich mit den Erwägungen im angefochtenen Beschluss nicht genügend auseinander. Die Vorinstanz hat dargelegt, dass für das Erstellen der besagten Präsidialverfügungen kein aufwendiges Aktenstudium erforderlich gewesen sei. So sei es darin lediglich darum gegangen, entweder die Berufungserklärungen den jeweiligen anderen Parteien zuzustellen sowie Fristen anzusetzen oder aber das Nichteintreten in denjenigen Fällen festzuhalten, in denen die Berufungserklärung nicht eingereicht worden sei. Diese Erwägungen sind nicht zu beanstanden. Inwiefern die Feststellung, wonach F. dem Beschwerdegegner 1 keine Weisung erteilt habe, willkürlich sein sollte, ist sodann weder dargetan noch ersichtlich. Im Übrigen ist mit der Vorinstanz festzuhalten, dass sollte der Beschwerdegegner 1 bereits in seiner Funktion als Gerichtsschreiber die Akten gesichtet haben, dies noch keinen Anlass für die Annahme von Voreingenommenheit bildet. Es ist nicht erkennbar, inwiefern sich der Beschwerdegegner 1 dadurch bereits in einem Mass festgelegt hätte, welches ihn nicht mehr als unvoreingenommen und dementsprechend die tangierten Verfahren nicht mehr als offen erscheinen liesse. Weiterungen dazu erübrigen sich.» (E.4.4.5).

«Nach dem Gesagten sind keine Umstände ersichtlich, die für sich genommen oder insgesamt objektiv den Anschein der Befangenheit des Beschwerdegegners 1 rechtfertigen würden. Die Vorinstanz konnte das Ausstandsgesuch der Beschwerdeführer somit ohne Verletzung von Bundes- oder Konventionsrecht abweisen.» (E.4.4.6).

Das Bundesgericht weist die Beschwerde im Urteil 7B_322/2023, 7B_323/2023, 7B_324/2023 vom 27. Dezember 2023 ab, soweit es darauf eintritt (E.5).

 

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