Ausschluss von Medienschaffenden bei Gerichtsverhandlungen als Ausnahme

Im Urteil 7B_61/2022 vom 25. Juni 2024 aus dem Kanton Thurgau befasste sich das Bundesgericht bei der Beschwerde eines akkreditierten Gerichtberichterstatters eingehend mit dem Thema der Justizöffentlichkeit bzw. des Ausschlusses von Medien von Verhandlungen und mündlichen Urteilsbegründungen. Das Urteil ist sehr lesenswert. Das Bundesgericht hiess die Beschwerde gut und äusserte sich u.a.: «[…] Die Medien übernehmen mit ihrer Gerichtsberichterstattung insofern eine wichtige Brückenfunktion, als sie die richterliche Tätigkeit einem grösseren Publikum zugänglich machen. Im Ausmass der garantierten Justizöffentlichkeit bilden Gerichtsverhandlung und Urteilsverkündung öffentlich zugängliche Quellen im Sinne der Informationsfreiheit gemäss Art. 16 Abs. 3 BV. Zudem greift ein Ausschluss der Gerichtsberichterstatterinnen und -erstatter in die Medienfreiheit nach Art. 17 BV ein (zum Ganzen: BGE 146 I 30 E. 2.2; 143 I 194 E. 3.1; je mit mit Hinweisen).» (E.2.1). «Gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung kann eine Zugangsverweigerung für Medienschaffende namentlich bei Vorliegen gewichtiger Anliegen des Kinder-, Jugend- oder Opferschutzes als angezeigt erscheinen, insbesondere wenn sich weniger weitgehende Einschränkungen als zweckuntauglich erwiesen und an der Gerichtsverhandlung schwergewichtig besonders intime Details thematisiert würden, deren Bekanntgabe an die Öffentlichkeit für die Betroffenen äusserst belastend und potenziell (re-) traumatisierend sein könnte. Dies trifft beispielsweise bei direkten Opfern von schweren Straftaten, namentlich von Sexualdelikten, zu, die vor Gericht zum Vorfall und zu den persönlichen Verhältnissen befragt werden sollen. Letztlich ist in jedem konkreten Einzelfall anhand einer umfassenden Abwägung der Interessen der Opfer, von Jugendlichen, der Beschuldigten, des Publikums und der Medien zu beurteilen, ob ein Ausschluss der Öffentlichkeit in Frage kommt. Dabei gebietet der Grundsatz der Verhältnismässigkeit, dass eine Einschränkung des Justizöffentlichkeitsgebots auf Verfahrensabschnitte beschränkt bleibt, welche den Kern des Privatlebens und intime Lebenssachverhalte berühren, die in der Öffentlichkeit auszubreiten den betroffenen Personen nicht zugemutet werden kann […]» (E.2.3).

Sachverhalt

Das Bezirksgericht Kreuzlingen verurteilte A. wegen mehrfacher sexueller Handlungen mit Kindern, mehrfacher sexueller Nötigung und Pornografie zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten sowie zu einer unbedingten Geldstrafe von 180 Tagessätzen à Fr. 50.–. Gegen dieses Urteil erhob A. Berufung.

Mit Eingabe vom 11. Februar 2022 ersuchte die Vertreterin der Privatkläger B., C., D. und E. um vollständigen Ausschluss der Öffentlichkeit (inkl. Gerichtsberichterstatterinnen und -erstatter) bei der Berufungsverhandlung vom 24. Februar 2022. Mit Verfügung vom 14. Februar 2022 gab die Präsidentin des Obergerichts des Kantons Thurgau dem Antrag auf vollständigen Ausschluss im Verfahren gegen A. betreffend mehrfache sexuelle Handlungen mit Kindern, mehrfache sexuelle Nötigung sowie Pornographie statt.

Weiterzug ans Bundesgericht

Mit Eingabe vom 2. März 2022 führt F., akkreditierter Gerichtsberichterstatter, Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht. Er beantragt, die Verfügung vom 14. Februar 2022 sei im Sinne der Erwägungen aufzuheben, soweit sie den Ausschluss der akkreditierten Medienschaffenden betreffe. Es sei die Verletzung des Grundsatzes der Justizöffentlichkeit sowie der Medienfreiheit im bundesgerichtlichen Dispositiv festzustellen. Weiter sei im Sinne einer Wiedergutmachung das Obergericht des Kantons Thurgau anzuweisen, den akkreditierten Gerichtsberichterstatterinnen und -erstattern das vollständig begründete Urteil in anonymisierter Form auszuhändigen, sollten sie dieses beim Obergericht anfordern.

Die Präsidentin des Obergerichts nimmt Stellung und verweist grundsätzlich auf die Verfügung vom 14. Februar 2022. Sie hält fest, die Begründung sei tatsächlich „etwas dünn“, jedoch werde aus der Verfügung klar, dass die Öffentlichkeit inklusive den Gerichtsberichterstatterinnen und -erstattern aus Gründen des Opferschutzes ausgeschlossen worden seien. Sowohl der Beschuldigte A. als auch die Privatkläger B., C., D., und E. liessen sich nicht vernehmen.

Am 3. Juli 2023 zeigte das Bundesgericht den Verfahrensbeteiligten einen Zuständigkeits- bzw. Abteilungswechsel an (Übergang des Verfahrens 1B_112/2022 von der I. öffentlich-rechtlichen auf die II. strafrechtliche Abteilung unter der neuen Verfahrensnummer 7B_61/2022).

Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 7B_61/2022 vom 25. Juni 2024  

Beschwerdelegitimation des Beschwerdeführers (akkreditierter Gerichtsreporter)

Das Bundesgericht äusserte sich im Urteil 7B_61/2022 vom 25. Juni 2024 zunächst zur Beschwerdelegitimation des akkreditierten Gerichtsreporters vor Bundesgericht:

«Die Präsidentin des Obergerichts Thurgau erliess die Verfügung vom 14. Februar 2022 in einem Strafverfahren. Dagegen ist die Beschwerde in Strafsachen zulässig (Art. 78 Abs. 1 BGG). Der Beschwerdeführer ist ein akkreditierter Gerichtsberichterstatter und nicht Partei des Strafverfahrens. Für ihn schliesst die vorinstanzliche Verfügung über den Ausschluss der Öffentlichkeit von der Berufungsverhandlung und Urteilseröffnung das Verfahren ab. Diese ist deshalb als anfechtbarer Endentscheid gemäss Art. 90 BGG anzusehen (vgl. Urteil 1B_349/2016 sowie 1B_350/2016 vom 22. Februar 2017 E. 2.1, nicht publ. in: BGE 143 I 194 mit Hinweisen).» (E.1.1).

«Der Beschwerdeführer, der mangels Parteistellung keine Möglichkeit hatte, am vorinstanzlichen Verfahren teilzunehmen, beruft sich auf den Grundsatz der Justizöffentlichkeit (Art. 30 Abs. 3 BV; Art. 6 Ziff. 1 EMRK und Art. 14 Abs. 1 UNO-Pakt II [SR 0.103.2]) sowie auf die Medien- und Informationsfreiheit (Art. 16 und 17 BV). Damit hat er ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung des angefochtenen Entscheids und ist zur Beschwerdeführung befugt, auch wenn er in Art. 81 Abs. 1 lit. b BGG nicht ausdrücklich erwähnt wird (vgl. Urteil 1B_349/2016 sowie 1B_350/2016 vom 22. Februar 2017 E. 2.1, nicht publ. in: BGE 143 I 194). Da die Berufungsverhandlung am 24. Februar 2022 bereits stattgefunden hat, hat der Beschwerdeführer kein aktuelles praktisches Interesse mehr an der Behandlung seiner Beschwerde. Das Bundesgericht sieht jedoch von diesem Erfordernis ab, wenn sich die mit der Beschwerde aufgeworfene Frage jederzeit und unter gleichen oder ähnlichen Umständen wieder stellen könnte, an ihrer Beantwortung wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung ein hinreichendes öffentliches Interesse besteht und eine rechtzeitige verfassungsrechtliche Überprüfung im Einzelfall kaum je möglich wäre (BGE 140 IV 74 E. 1.3.3 S. 78). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt (vgl. Urteile 1B_349/2016 sowie 1B_350/2016 vom 22. Februar 2017 E. 2.1, nicht publ. in: BGE 143 I 194 mit Hinweisen). Auf die Beschwerde ist somit trotz des fehlenden aktuellen Interesses einzutreten.» (E.1.2).

Zur Justizöffentlichkeit

Zur Justizöffentlichkeit und den Einschränkungen äusserte sich das Bundesgericht alsdann im Urteil 7B_61/2022 vom 25. Juni 2024 wie folgt generell-abstrakt:

«Die Justizöffentlichkeit, die in Art. 30 Abs. 3 BV, Art. 6 Ziff. 1 EMRK und Art. 14 Abs. 1 UNO-Pakt II (SR 0.103.2) verankert ist, dient einerseits dem Schutze der direkt an gerichtlichen Verfahren beteiligten Parteien im Hinblick auf deren korrekte Behandlung und gesetzmässige Beurteilung. Andererseits ermöglicht sie nicht verfahrensbeteiligten Dritten, nachzuvollziehen, wie gerichtliche Verfahren geführt werden, das Recht verwaltet und die Rechtspflege ausgeübt wird, und liegt insoweit im öffentlichen Interesse. Sie will für Transparenz der Rechtsprechung sorgen und die Grundlage für das Vertrauen in die Gerichtsbarkeit schaffen. Die demokratische Kontrolle durch die Rechtsgemeinschaft soll Spekulationen begegnen, die Justiz benachteilige oder privilegiere einzelne Prozessparteien ungebührlich oder die Ermittlungen würden einseitig und rechtsstaatlich fragwürdig geführt. Die Medien übernehmen mit ihrer Gerichtsberichterstattung insofern eine wichtige Brückenfunktion, als sie die richterliche Tätigkeit einem grösseren Publikum zugänglich machen. Im Ausmass der garantierten Justizöffentlichkeit bilden Gerichtsverhandlung und Urteilsverkündung öffentlich zugängliche Quellen im Sinne der Informationsfreiheit gemäss Art. 16 Abs. 3 BV. Zudem greift ein Ausschluss der Gerichtsberichterstatterinnen und -erstatter in die Medienfreiheit nach Art. 17 BV ein (zum Ganzen: BGE 146 I 30 E. 2.2; 143 I 194 E. 3.1; je mit mit Hinweisen).» (E.2.1).

«Der Grundsatz der Justizöffentlichkeit wird für gerichtliche Strafverfahren in Art. 69 Abs. 1 StPO präzisiert. Nach dieser Bestimmung sind die Verhandlungen vor dem erstinstanzlichen Gericht und dem Berufungsgericht sowie die mündliche Eröffnung von Urteilen und Beschlüssen dieser Gerichte mit Ausnahme der Beratung öffentlich. Gemäss Art. 70 Abs. 1 lit. a StPO kann das Gericht jedoch einen vollständigen oder teilweisen Ausschluss der Öffentlichkeit unter anderem dann vorsehen, wenn schutzwürdige Interessen einer beteiligten Person, insbesondere des Opfers, dies erfordern. Des Weiteren kann das Gericht gemäss Art. 70 Abs. 3 StPO Gerichtsberichterstatterinnen und -erstatter und weiteren Personen, die ein berechtigtes Interesse haben, unter bestimmten Auflagen den Zutritt zu nicht öffentlichen Verhandlungen gestatten. Beim Entscheid über den Öffentlichkeitsausschluss ist zu beachten, dass Publikums- und Medienöffentlichkeit die verfassungsrechtliche Regel, der Ausschluss der Öffentlichkeit die legitimationsbedürftige Ausnahme ist. Es sind die Interessen, zu deren Schutz der Ausschluss erfolgen soll, und die Interessen der Öffentlichkeit sorgfältig gegeneinander abzuwägen. Der Ausschluss der Öffentlichkeit und der Gerichtsberichterstatterinnen und -erstatter muss verhältnismässig, d.h. geeignet und erforderlich sein (vgl. Urteil 1B_81/2020 vom 11. Juni 2020 E. 3.2).» (E.2.2).

«Gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung kann eine Zugangsverweigerung für Medienschaffende namentlich bei Vorliegen gewichtiger Anliegen des Kinder-, Jugend- oder Opferschutzes als angezeigt erscheinen, insbesondere wenn sich weniger weitgehende Einschränkungen als zweckuntauglich erwiesen und an der Gerichtsverhandlung schwergewichtig besonders intime Details thematisiert würden, deren Bekanntgabe an die Öffentlichkeit für die Betroffenen äusserst belastend und potenziell (re-) traumatisierend sein könnte. Dies trifft beispielsweise bei direkten Opfern von schweren Straftaten, namentlich von Sexualdelikten, zu, die vor Gericht zum Vorfall und zu den persönlichen Verhältnissen befragt werden sollen. Letztlich ist in jedem konkreten Einzelfall anhand einer umfassenden Abwägung der Interessen der Opfer, von Jugendlichen, der Beschuldigten, des Publikums und der Medien zu beurteilen, ob ein Ausschluss der Öffentlichkeit in Frage kommt. Dabei gebietet der Grundsatz der Verhältnismässigkeit, dass eine Einschränkung des Justizöffentlichkeitsgebots auf Verfahrensabschnitte beschränkt bleibt, welche den Kern des Privatlebens und intime Lebenssachverhalte berühren, die in der Öffentlichkeit auszubreiten den betroffenen Personen nicht zugemutet werden kann (BGE 143 194 E. 3.6.1 mit Hinweisen).» (E.2.3).

Fallbezogene Ausführungen des Bundesgerichts

Das Bundesgericht äusserte sich im Urteil 7B_61/2022 vom 25. Juni 2024 fallbezogen u.a. wie folgt:

«Der Ausschluss der Öffentlichkeit sowie der akkreditierten Gerichtsberichterstatterinnen und -erstattern wurde gemäss der Verfügung vom 14. Februar 2022 zur Wahrung des Privatlebens und der psychischen Unversehrtheit der Privatkläger, insbesondere der betroffenen Jugendlichen, angeordnet. Ihre Interessen geniessen grundsätzlich einen erhöhten Schutz (vgl. Art. 10 Abs. 2, Art. 11 Abs. 1 und Art. 13 BV, Art. 8 EMRK, Art. 17 UNO-Pakt II). Diese schutzwürdigen Interessen können nicht nur einen Eingriff in die Medienfreiheit, sondern nach Art. 70 Abs. 1 lit. a StPO, Art. 6 Ziff. 1 EMRK und Art. 14 Abs. 1 UNO-Pakt II grundsätzlich auch eine Einschränkung des Grundsatzes der Justizöffentlichkeit rechtfertigen.» (E.3.1).

«Der Beschwerdeführer macht geltend, in der Verfügung fehle es an einer Interessenabwägung, warum die Medienschaffenden vom gesamten Verfahren ausgeschlossen wurden. Es sei weder dargetan noch ersichtlich, warum der Umstand, dass es um vier Opfer aus dem familiären Umfeld des Beschuldigten gehe, die Identifikation bei anonymisierter Berichterstattung erleichtere. Auch der Hinweis auf eine frühere Verurteilung sei unbehelflich. In der Verfügung werde nicht dargelegt, weshalb die Zulassung der Medienschaffenden unter entsprechenden Auflagen oder deren Ausschluss von gewissen Verfahrensabschnitten (z.B. bei der Befragung der Kinder) zweckuntauglich sein soll. Der komplette Ausschluss sei unverhältnismässig und verstosse gegen Art. 17, Art. 30 und Art. 36 BV. Die Verfügung genüge der Begründungspflicht nicht und verletze damit den grundrechtlich garantierten Anspruch auf rechtliches Gehör gemäss Art. 29 Abs. 2 BV.» (E.3.2).

«Wie der Beschwerdeführer geltend macht, begründet die Präsidentin des Obergerichts den Ausschluss hauptsächlich damit, dass vorliegend vier Opfer aus dem familiären Umfeld des Beschuldigten betroffen seien, was die Identifikation auch bei anonymisierter Berichterstattung erleichtere. Angesichts der bereits früher erfolgten Verurteilung des Beschuldigten mit der Bekanntgabe im ganzen Dorf würde eine erneute Identifikation der Opfer in ihrem Umfeld zu einer Retraumatisierung führen.  Es ist unbestritten, dass die Privatkläger, welche vorliegend, anders als in BGE 143 I 194, selber Opfer der begangenen Straftaten sind, schutzbedürftig sind. Eine Berichterstattung über die an der Verhandlung zu thematisierenden persönlichen, intimen und familiären Details ist geeignet, in ihr Privatleben einzugreifen und kann überdies ihren psychischen Zustand beeinträchtigen und allenfalls zu einer Retraumatisierung führen. Ihre Angst, wonach aufgrund des Umstands, dass der Beschuldigte bereits einmal verurteilt wurde und dies bekannt wurde, auch bei einer anonymisierten Gerichtsberichterstattung allenfalls Rückschlüsse auf die Privatkläger gezogen werden könnten, ist ebenfalls nachvollziehbar. Dennoch rechtfertigen diese Umstände nicht, dass die Präsidentin des Obergerichts die akkreditierten Gerichtsberichterstatterinnen und -erstatter vollständig von der Verhandlung ausgeschlossen hat. 

Der Ausschluss der Öffentlichkeit von einer Gerichtsverhandlung ist nicht geeignet, eine allfällige Retraumatisierung als Folge medialer Berichterstattung zu verhindern. Eine solche könnte auch durch die obligatorisch vom Gericht zu publizierende Information nach Art. 70 Abs. 4 StPO hervorgerufen werden, welche gerade bei Ausschluss der Öffentlichkeit vorgesehen ist. Diese Argumentation alleine vermag den Ausschluss jedenfalls nicht zu rechtfertigen. Der vor dem Berufungsgericht zu verhandelnde Fall war den Medien bereits aufgrund der Medienmitteilung des erstinstanzlichen Gerichts bekannt. Dass die Medien den Fall erneut aufgreifen und thematisieren, da sie selbst nicht zur Verhandlung zugelassen wurden, konnte von vornherein nicht verhindert werden. Eine gänzliche Konfrontation mit den Straftaten könnte denn auch nur durch eine vollständige Geheimhaltung verhindert werden. Eine solche verstiesse aber nicht nur gegen das Öffentlichkeitsgebot, sondern konnte, wie erwähnt, aufgrund der bereits erfolgten Berichterstattung durch das erstinstanzliche Gericht ohnehin nicht mehr erreicht werden. Demgegenüber hätte das Gericht durch die Zulassung der akkreditierten Gerichtsberichterstatterinnen und -erstatter zur Berufungsverhandlung diese mittels Auflagen dazu verpflichten können, jegliche Hinweise zu unterlassen, die eine Identifikation der Personen ermöglichen könnten. Wie erwähnt handelt es sich bei den Privatklägern, welche den Ausschluss der Öffentlichkeit und Medien beantragt haben, um die direkten Opfer der sexuellen Handlungen, welche der Beschuldigte vorgenommen hat. Ihre Schutzanliegen sind daher besonders hoch zu gewichten. In diesem Zusammenhang hielt das Bundesgericht in BGE 143 I 194 in E. 3.6.1 fest, dass eine Zugangsverweigerung für Medienschaffende als angezeigt erscheinen könne. Es erwog jedoch auch, dies treffe insbesondere dann zu, wenn die direkten Opfer der Sexualdelikte vor Gericht zum Vorfall und zu den persönlichen Verhältnissen befragt werden sollen. Dies war vorliegend nicht der Fall. Eine Befragung der Opfer anlässlich der Berufungsverhandlung war nicht geplant. Die Privatkläger haben denn auch ausdrücklich um Dispensation von der Berufungsverhandlung gebeten, welcher stattgegeben wurde. Im Übrigen wäre selbst bei einer Befragung zu prüfen gewesen, ob nicht allenfalls eine Beschränkung des Ausschlusses der Medienschaffenden auf diesen betreffenden Verfahrensabschnitt verhältnismässig gewesen wäre (vgl. E. 2.3 hiervor). Die Schutzanliegen der Privatkläger vermögen unter diesen Umständen nicht gegen die Interessen des Beschwerdeführers an der Informationsbeschaffung und -verbreitung sowie an einer wirksamen Justizkontrolle aufzukommen. Dies gilt im Übrigen umso mehr, als neben der ohnehin nicht publikumsöffentlichen polizeilichen Ermittlungs- bzw. staatsanwaltlichen Untersuchungstätigkeit auch bereits das erstinstanzliche Verfahren unter Ausschluss des Publikums und der Öffentlichkeit stattgefunden hatte. Die Medien konnten insofern ihrer Wächterrolle bislang nicht nachkommen und die Möglichkeit der Justizkontrolle durch die Öffentlichkeit wurde ausgeschlossen. Dies, obschon das Öffentlichkeitsgebot einen hohen Stellenwert geniesst und ein Ausschluss der Medienschaffenden im Gerichtsprozess nur sehr restriktiv zuzulassen ist (vgl. zum Ganzen: BGE 143 I 194 E. 3.1). Damit erweist sich der von der Präsidentin des Obergerichts verfügte vollständige Ausschluss der akkreditierten Gerichtsberichterstatterinnen und -erstatter von der Berufungsverhandlung als unverhältnismässig und verstösst gegen das Justizöffentlichkeitsgebot sowie die Medien- und Informationsfreiheit. Dies ist im Dispositiv festzustellen (vgl. BGE 143 I 194 E. 3.6.3). Im Übrigen läge gemäss Art. 70 StPO die Kompetenz für den Ausschluss der Öffentlichkeit von der Verhandlung, aufgrund des hohen Stellenwerts der Justizöffentlichkeit, ohnehin beim Gericht und nicht bei der Verfahrensleitung (vgl. Saxer/Santschi/Thurnherr, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 3. Aufl. 2023, N. 2 zu Art. 70 StPO; Mahon/Jeannerat, in: Commentaire romand, Code de procédure pénale suisse, 2. Aufl. 2019, N. 13b zu Art. 70 StPO).» (E.3.3).

«Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist der Ausschluss von Medienschaffenden von der Verhandlung und der Urteilseröffnung als schwerer Eingriff in die Medienfreiheit zu beurteilen, welcher erhöhte Anforderungen an die Begründung stellt. Dabei verlangt der Ausschluss von der mündlichen Urteilsverkündung eine gesonderte Beurteilung. Die Urteilsverkündung darf sich dabei nicht auf das Vorlesen des Urteilsspruchs beschränken, ansonsten der Zweck der Justizöffentlichkeit seines Gehalts beraubt würde. Vielmehr obliegt es den Richtern, das Dispositiv angemessen zu begründen und insbesondere den Frei- oder Schuldspruch und die damit verbundene Sanktion zu erläutern (Art. 84 Abs. 1 StPO), damit die Medien ihre Wächterfunktion wahrnehmen können (vgl. BGE 143 I 194 E. 3.7).» (E.4.1).

«Die Vorinstanz äusserte sich in ihrer Verfügung vom 14. Februar 2022 nicht dazu, weshalb die akkreditierten Gerichtsberichterstatterinnen und -erstatter neben dem Ausschluss von der Berufungsverhandlung auch von der mündlichen Urteilsverkündung ausgeschlossen werden. Dazu wäre sie aber nach der erwähnten bundesgerichtlichen Rechtsprechung verpflichtet gewesen.  

Dem nicht verfahrensbeteiligten Dritten war es vorliegend aufgrund der bisherigen Verfahrensausschlüsse nur in eingeschränktem Masse möglich nachzuvollziehen, wie das Recht angewendet und die Rechtspflege ausgeübt wurde. Es war daher von einem besonders gewichtigen öffentlichen Interesse an der Teilnahme der akkreditierten Medienschaffenden an der mündlichen Urteilsverkündung des Obergerichts auszugehen. Dieses überwiegt die ebenfalls wichtigen Interessen der Privatkläger, denn die Urteilseröffnung weist in inhaltlicher Hinsicht grundsätzlich einen geringen Detaillierungsgrad auf. Den Richtern verbleibt im Rahmen ihrer Begründungspflicht ein gewisser Spielraum, um Sekundärviktimisierungen zu vermeiden und den Schutzanliegen der Privatkläger in geeigneter Weise Rechnung zu tragen. Obgleich damit ein mit der Bekanntgabe des Verfahrensergebnisses verbundener psychischer Druck nicht gänzlich hätte ausgeschlossen werden können, erscheint die Zulassung der akkreditierten Gerichtsberichterstatterinnen und -erstatter zur mündlichen Urteilsverkündung (unter der Wahrung der ihnen obliegenden Verpflichtungen) angesichts ihrer gewichtigen öffentlichen Interessen verhältnismässig. Der Ausschluss der akkreditierten Medienschaffenden von der mündlichen Urteilsverkündung verletzt damit ebenfalls den Grundsatz der Justizöffentlichkeit sowie die Medien- und Informationsfreiheit. Auch dies ist im Dispositiv festzustellen (vgl. BGE 143 I 194 E. 3.7).» (E.4.2).

«Inzwischen hat das Obergericht in einer anonymisierten Medienmitteilung vom 24. Oktober 2022 über den Ausgang des Berufungsverfahrens informiert. Die darin gemachten Ausführungen beschränken sich im Wesentlichen auf eine Wiedergabe der groben Tatumstände und des Schuldspruchs. Mit Blick auf ihre Dichte bleiben diese Darlegungen hinter den Erörterungen zurück, mit denen an einer Berufungsverhandlung gerechnet werden kann, und sie vermögen auch den Erläuterungen an einer mündlichen Urteilsverkündung nicht gerecht zu werden. Den akkreditierten Gerichtsberichterstatterinnen und -erstattern ist daher das vollständig begründete Urteil in anonymisierter Form auszuhändigen (vgl. Art. 69 Abs. 2 StPO), sollten sie dieses beim Obergericht anfordern (vgl. BGE 143 I 194 E. 3.8).» (E.5).

«Da hier wesentliche Interessen der Privatkläger am Schutz ihrer Persönlichkeit vorliegen, rechtfertigt sich eine öffentliche Auflage des Rubrums und des Dispositivs im Bundesgerichtsgebäude nur in anonymisierter Form (BGE 143 I 194 E. 3.9 mit Hinweisen).» (E.6).

«Nach dem Gesagten ist die Beschwerde gutzuheissen. Die Verletzungen des Grundsatzes der Justizöffentlichkeit ist im Dispositiv festzustellen. Das vollständig ausgefertigte Urteil des Obergerichts ist den akkreditierten Gerichtsberichterstatterinnen und -erstattern auf Anfrage in anonymisierter Form auszuhändigen.» (E.7).

Das Bundesgericht heisst im Urteil 7B_61/2022 vom 25. Juni 2024 die Beschwerde gut.

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