Sachverhalt
Die Staatsanwaltschaft Brugg-Zurzach des Kantons Aargau führt gegen A. eine Strafuntersuchung. Sie verdächtigt ihn der Drohungen, Tätlichkeiten bzw. einfachen Körperverletzungen und der Nötigung zum Nachteil seiner von ihm getrennt lebenden Partnerin B. und der gemeinsamen Kinder. A._ wurde deswegen am 13. Mai 2022 festgenommen. Die Staatsanwaltschaft beantragte daraufhin beim Zwangsmassnahmengericht des Kantons Aargau Untersuchungshaft. In seiner Verfügung vom 16. Mai 2022 bejahte das Zwangsmassnahmengericht sowohl den dringenden Tatverdacht (in Bezug auf die Tatbestände der Nötigung und der einfachen Körperverletzung) als auch die besonderen Haftgründe der Kollusions- und der Wiederholungsgefahr. Es erwog jedoch, dass von A.________ keine besondere Gefährlichkeit auszugehen scheine und sich die besonderen Haftgründe auf die Geschädigte bezögen, weshalb ein Kontakt- und Annäherungsverbot (betreffend die Geschädigte) als Ersatzmassnahmen ausreichten. Entsprechend ordnete es die unverzügliche Haftentlassung an.
Die Staatsanwaltschaft Brugg-Zurzach veranlasste mit Verfügung vom 20. Mai 2022 die Erstellung eines DNA-Profils von A. Eine von diesem dagegen erhobene Beschwerde wies das Obergericht des Kantons Aargau mit Entscheid vom 5. September 2022 ab.
Weiterzug an das Bundesgericht
Mit Beschwerde in Strafsachen ans Bundesgericht vom 29. September 2022 beantragt A., der Entscheid des Obergerichts und die Verfügung der Staatsanwaltschaft seien aufzuheben, eventualiter sei deren Rechtswidrigkeit festzustellen. Die abgenommenen DNA-Proben und ein allfälliges bereits erstelltes DNA-Profil seien umgehend zu vernichten und allfällige bereits erfolgte Einträge in DNA-Datenbanken zu löschen. Das Obergericht hat auf eine Vernehmlassung verzichtet. Die Staatsanwaltschaft beantragt die Abweisung der Beschwerde.
Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 1B_508/2022 vom 16. Dezember 2022
Das Bundesgericht machte im Urteil 1B_508/2022 vom 16. Dezember 2022 folgende Ausführungen allgemeiner Art zum Thema DNA-Profil:
«Zur Aufklärung eines Verbrechens oder eines Vergehens kann von der beschuldigten Person eine Probe genommen und ein DNA-Profil erstellt werden (Art. 255 Abs. 1 lit. a StPO). Ein solches Vorgehen ist nicht nur möglich zur Aufklärung bereits begangener und den Strafverfolgungsbehörden bekannter Delikte. Wie aus Art. 259 StPO in Verbindung mit Art. 1 Abs. 2 lit. a DNA-Profil-Gesetz klarer hervorgeht, soll die Erstellung eines DNA-Profils vielmehr auch erlauben, Täterinnen und Täter von Delikten zu identifizieren, die den Strafverfolgungsbehörden noch unbekannt sind. Dabei kann es sich um vergangene oder künftige Delikte handeln. Das DNA-Profil kann so Irrtümer bei der Identifikation einer Person und die Verdächtigung Unschuldiger verhindern. Es kann auch präventiv wirken und damit zum Schutz Dritter beitragen. Auch hinsichtlich derartiger Straftaten bildet Art. 255 Abs. 1 lit. a StPO eine gesetzliche Grundlage für die DNA-Probenahme und Profilerstellung (zum Ganzen: BGE 147 I 372 E. 2.1 mit Hinweisen).» (E.2.1).
Das Bundesgericht fährt fort zum praktisch wichtigen Thema der Anforderungen an den dringenden Tatverdacht:
«Art. 255 StPO ermöglicht aber nicht bei jedem hinreichenden Tatverdacht die routinemässige Entnahme und Analyse von DNA-Proben. Die Entnahme der für die DNA-Analyse notwendigen körpereigenen Vergleichsproben, namentlich eines Wangenschleimhautabstrichs (WSA) oder einer Blutprobe, berührt das in Art. 10 Abs. 2 BV verankerte Grundrecht der körperlichen Integrität, die nachfolgende Erstellung eines DNA-Profils und dessen Bearbeitung durch staatliche Behörden das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung gemäss Art. 13 Abs. 2 BV (BGE 128 II 259 E. 3.2 mit Hinweis). Einschränkungen von Grundrechten bedürfen gemäss Art. 36 Abs. 2 und 3 BV einer gesetzlichen Grundlage und müssen durch ein öffentliches Interesse gerechtfertigt und verhältnismässig sein. Diese Voraussetzungen werden in Art. 197 Abs. 1 StPO präzisiert. Danach können Zwangsmassnahmen nur ergriffen werden, wenn ein hinreichender Tatverdacht vorliegt (lit. b), die damit angestrebten Ziele nicht durch mildere Massnahmen erreicht werden können (lit. c) und die Bedeutung der Straftat die Zwangsmassnahme rechtfertigt (lit. d).» (E.2.2
Es fährt fort zum Thema der präventiven DNA-Proben:
«Nach dem Ausgeführten kann die Anordnung einer DNA-Analyse auch präventiven Zwecken dienen. Wenn ihre Erforderlichkeit insofern einzig mit noch nicht rechtskräftig beurteilten Tatvorwürfen gerechtfertigt wird, verletzt dies die Unschuldsvermutung (Art. 32 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 2 EMRK) nicht, denn mit der Annahme eines Tatverdachts allein erfolgt noch keine Vorverurteilung (Urteil 1B_334/2018 vom 30. Juli 2018 E. 4.2 mit Hinweis). Die Begründung der Gefahr weiterer Delikte in einem Entscheid über Zwangsmassnahmen verletzt die Unschuldsvermutung nicht, solange sie erkennen lässt, dass die betreffende Gefahr auf Verdachtsgründen beruht (Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte Yasar Kemal Gökçeli gegen die Türkei vom 4. März 2003, Nr. 27215/95, §§ 41-48).» (E.2.5)
Dies trifft gemäss Bundesgericht auf den angefochtenen Entscheid zu, da er keinerlei Feststellungen enthält, die nahelegen, der Beschwerdeführer sei schuldig. Die Rüge sei deshalb unbegründet. (E.2.5 a.E.)
Das Bundesgericht schränkt aber sogleich wieder ein:
«Dient die DNA-Analyse nicht der Aufklärung bereits begangener, sondern der Aufklärung und Verhütung künftiger Straftaten, müssen vor dem Hintergrund des Verhältnismässigkeitsgebots allerdings erhebliche und konkrete Anhaltspunkte für die Gefahr derartiger künftiger Straftaten bestehen. Diese haben zudem von einer gewissen Schwere zu sein. Zu berücksichtigen ist im Rahmen der Verhältnismässigkeitsprüfung auch, ob der Beschuldigte vorbestraft ist. Trifft dies nicht zu, schliesst das allein die DNA-Analyse jedoch nicht aus (zum Ganzen: BGE 145 IV 263 E. 3.4 mit Hinweisen; s.a. BGE 147 I 372 E. 4.3.2).» (E.2.6)
Der gegen den Beschwerdeführer bestehende Tatverdacht beschränkt sich gemäss Bundesgericht auf Delikte im Rahmen der langjährigen Beziehung zu seiner mittlerweile von ihm getrennt lebenden Partnerin. Das Zwangsmassnahmengericht ging diesbezüglich im Verfahren betreffend Anordnung von Untersuchungshaft von Wiederholungsgefahr aus, erachtete jedoch ein Kontakt- und Annäherungsverbot als ausreichend, um diese zu bannen, fährt das Bundesgericht fort. Weitere Ersatzmassnahmen ordnete es nicht an (siehe die in Art. 237 Abs. 2 StPO in nicht abschliessender Weise aufgezählten Ersatzmassnahmen). Hinweise dafür, dass der Beschwerdeführer eine neue Beziehung eingegangen ist, sind gemäss Bundesgeicht nicht erkennbar. Hinzu kommt, dass der Beschwerdeführer nicht vorbestraft ist und es auch keine anderweitigen Anzeichen gibt, dass er ausserhalb seiner Beziehung zur Geschädigten straffällig geworden ist. Vor diesem Hintergrund ist es für das Bundesgericht äusserst fraglich, ob nach der erfolgten Anordnung eines Kontakt- und Annäherungsverbots noch von erheblichen und konkreten Anhaltspunkten für die Gefahr künftiger Straftaten ausgegangen werden kann. (E.2.7).
Als entscheidend erweist sich für das Bundesgericht jedoch, dass es im Falle eines künftigen Beziehungsdelikts ohnehin kaum um die Identifikation des Täters gehen dürfte (Art. 1 Abs. 2 lit. a Ziff. 1 DNA-Profil-Gesetz), sondern höchstens um die Unterstützung der Beweisführung (Art. 1 Abs. 2 lit. a Ziff. 3 DNA-Profil-Gesetz). Diesbezüglich sind jedoch von einer bereits vorsorglich durchgeführten DNA-Analyse keine massgeblichen Vorteile zu erwarten, betont das Bundesgericht. Sollte der Beschwerdeführer tatsächlich erneut eines gleichartigen Delikts verdächtigt werden und ist in jenem Zeitpunkt davon auszugehen, dass sein DNA-Profil ein geeignetes Beweismittel darstellt (vgl. Art. 139 Abs. 1 StPO), so kann ein solches Profil ohne Weiteres dannzumal noch angeordnet werden. Dies bereits jetzt „auf Vorrat“ zu tun, ist gemäss dem Bundesgericht nicht erforderlich, weshalb der damit einhergehende Grundrechtseingriff unverhältnismässig ist (vgl. E. 2.2 hiervor). (E.2.8).
Das Bundesgericht heisst entsprechend die Beschwerde gut (E.3).
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